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Die physische Umwelt: Ressourcen und Restriktionen

2 Das Konzept väterlichen Sorgehandelns in

4.2 Der Frame: Die Logik der Situation

4.2.2 Äußere Bedingungen: Der soziale Kontext

4.2.2.1 Die physische Umwelt: Ressourcen und Restriktionen

Die Gesamtheit der Handlungsoptionen, die sich aus den objektiv vorliegenden materiel-len Knappheiten ergeben, wird als Opportunitäten bezeichnet (Esser 1999: 52;

Greshoff/Schimank 2003: 16). Als Möglichkeitsraum bilden sie den weitesten Rahmen dessen ab, was an Alternativen überhaupt möglich ist (Esser 1999: 44). Die „Denkbar-keit“, d.h. die Verfügbarkeit einzelner Handlungsoptionen, wird dabei wesentlich be-stimmt durch objektiv vorhandene bzw. subjektiv wahrgenommene Ressourcen und Re-striktionen. Letztere wirken vergleichsweise sicher als Handlungsbarrieren, während ver-fügbare Ressourcen nicht zwingend zu einem bestimmten Verhalten führen. Inwieweit sich Ziele realisieren lassen, hängt somit wesentlich von den Handlungsbeschränkungen oder – in Umkehrung des Zusammenhangs – von den Handlungsermöglichungen inner-halb der Situation ab (Kunz 2004: 36f.). Das bedeutet, der Akteur kann nur jene Mittel, sprich Ressourcen, zur Zielerreichung in Erwägung ziehen, die ihm zur Verfügung stehen (Esser 2000b: 209f.). Alles, was nicht zum Ressourcenfundus eines Akteurs zählt, kann als Restriktion seines Handlungsspielraums interpretiert werden. Die relativen Knapp-heiten bestimmter Ressourcen steuern das Handeln, indem sie zu einem bedachten Mit-teleinsatz zwingen, um so – den optimalen – Nutzen zu produzieren. Mit der Modifikation der Restriktionen ändert sich die Rahmung des Handelns (Esser 1999: 106f.).

Neben der fehlenden Kontrolle über bestimmte Ressourcen können jedoch die objektiv-materiellen Gegebenheiten das Individuum auch an der Anwendung einer verfügbaren Ressource hindern. Welche Mittel für die Erreichung bestimmter Ziele zum Einsatz kom-men, hängt nicht allein von den verfügbaren Mitteln ab, sondern auch davon, ob eine Res-source sich für die Anwendung eignet und als legitim gilt (Esser 1999: 106).44

Insgesamt können alle immateriellen und materiellen Dinge, Ereignisse, Zustände, Eigen-schaften und Leistungen als Ressourcen bzw. Restriktionen individuellen Handelns wir-ken (Esser 1999: 38). Es können verschiedene Arten an Ressourcen bzw. Restriktionen differenziert werden (Leip 2004: 28; Greshoff/Schimank 2003: 16), wie z.B. materiell-ökonomisches Kapital, Humankapital, kulturelles, institutionelles und soziales Kapital.

Letztere drei zählen zur sozialen Umwelt. Die physische Umwelt umfasst das materiell-ökonomische Kapital.45 Darunter sind insbesondere alle zu wirtschaftlichen Zwecken an-wendbaren physischen und finanziellen Ressourcen zu verstehen, über die der Akteur ein

44 Die Legitimität der Mittel wird nicht zuletzt durch institutionelle Vorgaben bestimmt. Darauf wird ausführlich in Kap.6 Nationale Kontexte der Nachtrennungsväter eingegangen.

45 Das jedoch nicht als von der sozialen Umwelt unabhängig verstanden werden kann.

privates Eigentumsrecht verfügt (Esser 2000b: 213; Leip 2004: 66). Eine wesentliche De-terminante väterlichen Sorgehandelns ist sein Einkommen. Dieses ist grundlegend von Bedeutung für das Leisten von Unterhaltszahlungen. Doch auch ein Einfluss auf Care-Aspekte des väterlichen Sorgehandelns ist zu vermuten. Finanzielle Ressourcen sind zur Aufrechterhaltung eines regelmäßigen Kontakts zwischen Vater und Kind über Haushalts-grenzen hinweg grundlegend erforderlich. Dabei beeinflusst u.a. die räumliche Entfernung zwischen den elterlichen Wohnorten die mit einem Besuch verbundenen Kosten.

In diesem Zusammenhang können regionale Unterschiede angenommen werden. Eltern-schaft auf dem Land kann einen höheren logistischen und organisatorischen Aufwand er-fordern, weil die Wege länger sind und eine andere Infrastruktur besteht als z.B. in der Stadt (Leip 2004: 173). Des Weiteren können generell regionale Unterschiede – neben den angesprochenen Stadt-Land-Differenzen – ausgemacht werden. Insbesondere im deut-schen Fall ist hier auf Ost-West-Unterschiede zu verweisen. Auch knapp 20 Jahre nach der Wiedervereinigung herrschen immer noch soziodemographische und ökonomische Unterschiede, die sich auch auf das väterliche Sorgehandeln auswirken. Ostdeutsche Eltern sind häufiger von geringerem und/oder unsicherem Einkommen, von höherer Ar-beitslosigkeit, von Wohnraumproblemen sowie auch veränderten Rahmenbedingungen für Partnerschaften betroffen (ebd.: 184).

Eng verbunden mit dem ökonomischen Kapital ist das Humankapital eines Akteurs, d.h.

seine produktiven Eigenschaften und Fähigkeiten wie beispielsweise seine Intelligenz, Gesundheit, seine Fähigkeit zur Mobilität, sein Informationsstand, sein Wissen, seine emotionale Belastbarkeit oder seine Kreativität (Esser 2000b: 214f.; Leip 2004: 66; Kunz 2004: 37; Becker 1992: 22).46 Die Verbindung des Bildungskapitals zum ökonomischen Kapital liegt in zweierlei Hinsicht vor: Zum einen kann ökonomisches Kapital, v.a.

Finanzkapital, in die eigene Bildung des Akteurs investiert werden. Zum anderen besteht ein enger Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und erwirtschaftetem Finanzkapital mittels Erwerbstätigkeit. Die Ressource Bildung wirkt sich dabei sowohl auf Unterhalts-zahlungen als auch auf Care-Aspekte aus.

46 An dieser Stelle ist darauf zu verweisen, dass das Bildungsniveau des Vaters auch als Teil der inneren Bedingungen konzeptionalisiert werden kann, wenn davon ausgegangen wird, dass das Überzeugungssystem auf individuellem Wissen basiert. Dennoch ist das zu Grunde gelegte Verständnis von Bildung hier ein weit-reichenderes als das generelle Wissen über Erziehungsstile oder moralische Erwartungen, die an den Akteur als Vater gestellt werden könnten. Beide Konzepte, Wissen und Bildung, sind eng miteinander verbunden.

Hier wird das väterliche Bildungsniveau jedoch primär als Ressource der physischen Umwelt verstanden.

Einen weiteren wichtigen Teil der physischen Umwelt, der zur Bestimmung väterlichen Sorgehandelns beiträgt, stellt die Ressource Zeit dar (Esser 2000b: 63; Becker 1992: 22).

Ihre Bedeutung basiert nicht zuletzt auf ihrer Endlichkeit. Im Gegensatz zu anderen physi-schen wie materiellen Ressourcen kann sie nicht angehäuft werden. Ein Tag hat 24 Stun-den, daran sind alle Akteure und gesellschaftliche Strukturen gebunden (Esser 1999: 107).

Während das Geldeinkommen die Möglichkeiten des Konsums von Marktgütern begrenzt, reguliert die i.d.R. knappe reale Zeit, die nicht mit Erwerbsarbeit verbracht wird, andere mehr oder weniger zeitaufwendige Aktivitäten (Esser 2000b: 63f.). Einige Nutzen produ-zierende Güter, die ein hohes Interesse der Akteure auf sich ziehen, können nur unter der Verwendung eines hohen Zeitaufwandes hergestellt werden. In der vorliegenden Frage-stellung ist eines dieser zeitaufwendigen Güter z.B. die vertrauensvolle Beziehung zwischen Vater und Kind. Esser (2000a: 62) formuliert es folgendermaßen:

„Nicht zuletzt gehören Kinder als für viele Eltern außerordentlich ‚primäres’ Zwischengut zu den ‚Erzeug-nissen’, die nur dann Wertschätzung und Wohlbefinden erzeugen, wenn man sich sehr viel um sie kümmert.

Ein Gameboy oder teure Klamotten helfen hier in keiner Weise“.

Zeit – wie andere Ressourcen auch -, die für eine Aktivität oder ein Gut aufgewandt wird, steht gleichzeitig für andere Aktivitäten bzw. Güter nicht mehr zur Verfügung (Esser 2000a: 62).

Werden diese bisher sehr allgemein gehaltenen Überlegungen konkret auf das väterliche Sorgehandeln übertragen, so sind zwei Aspekte mit Blick auf die knappe Ressource Zeit von besonderer Bedeutung: Zum einen gilt auch hier, die Zeit, die ein Vater in der Er-werbstätigkeit verbringt, steht ihm nicht mehr für seine Kinder zur Verfügung. Die Ar-beitszeit des Vaters begrenzt damit sein väterliches Engagement.47 Neben dem absoluten Zeitanteil, den der Vater am Arbeitsplatz verbringt, ist ferner die Art der Arbeitszeit von Bedeutung. Vätern mit unregelmäßigen Arbeitszeiten, die Schicht arbeiten oder Wochen-enddienste übernehmen, wird ein regelmäßiger direkter Kontakt zu ihren getrennt leben-den Kindern erschwert. Zum anderen gelten zeitliche Restriktionen ferner mit Blick auf eine neue Familie des Vaters. Zeit, die dieser mit seinen „externen“ Kindern verbringt, steht ihm nicht mehr für seine im Haushalt anwesenden „neuen“ Kinder aus einer be-stehenden Partnerschaft und auch nicht mehr für weitere „externe“ Kinder aus anderen zerbrochenen Beziehungen zur Verfügung. Kinder aus verschiedenen Partnerschaften

47 Gleichzeitig ermöglicht es aber auch das väterliche Sorgehandeln, indem Ressourcen erwirtschaftet wer-den, die dem Kind zugute kommen (können). So sollte sich daher die am Arbeitsplatz verbrachte Zeit positiv auf Cash, jedoch negativ auf Care auswirken. Siehe dazu im Einzelnen Kap.5 Hypothesengenerierung.

konkurrieren somit nicht nur um die knappe Zeit des abwesenden Vaters, sondern ins-gesamt um seine begrenzten Ressourcen.

Die Verfügbarkeit bestimmter Ressourcen ist zunächst eine Frage individueller Eigen-schaften. So bestimmen z.B. physische oder psycho-soziale Eigenschaften, Talente und Fähigkeiten wie Kreativität, welche Handlungsoptionen, dem Akteur zur Verfügung stehen. Doch Ressourcen wie Restriktionen sind nicht unabhängig von der sozialen Um-gebung (Esser 1999: 140; Glover 2002: 263).