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Einfluss von Zytostatika auf die Thrombozytenzahl

2 Literaturübersicht

2.3 Störung der primären Hämostase bei hämatopoetischen Tumoren

2.3.3 Einfluss von Zytostatika auf die Thrombozytenzahl

Die zytostatikainduzierte Thrombozytopenie ist beim Menschen die mit Abstand häufigste Abweichung der primären Hämostase bei Tumorpatienten. Nach der Studie von BELT et al. (1978)

ist sie verantwortlich für 49 % der Blutungskomplikationen beim Menschen. Die zytostatikainduzierte Thrombozytopenie beruht auf der antiproliferativen Wirkung der Zytostatika auf normales Gewebe mit hoher Proliferationsrate wie den blutbildenden Zellen des Knochenmarks (BRÜNING et al. 1983; FELLIN et al. 1988). Da die Wirkung der Knochenmarksuppression dosisabhängig ist, sind bei einer Applikation von hohen Dosen fast alle Zytostatika knochenmarktoxisch. Durch die ungleiche Kinetik der verschiedenen Knochenmarkzell-populationen zeigen sich die toxischen Effekte zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit der Thrombozyten beim Menschen von sieben Tagen manifestiert sich die Thrombozytopenie sehr früh, während die Anämie erst verzögert auftritt (Halbwertszeit der menschlichen Erythrozyten von 120 Tagen) (FELLIN et al. 1988). Der Wirkmechanismus der Zytostatika spielt ebenfalls eine bedeutende Rolle für den Beginn und die Dauer der Zytopenie.

Zytostatika, die phasenspezifische Effekte im Zellzyklus sich aktiv teilender Zellen besitzen, haben eine sehr rasche, aber kurz andauernde Wirkung. Substanzen, die nicht phasenspezifisch ihren Effekt auf die Knochenmarkzellen ausüben (z. B. Cyclophosphamid, Doxorubicin), zeigen einen späteren Beginn dieser Effekte (FELLIN et al. 1988). Beim Menschen sind die Zytostatika mit der größten toxischen Wirkung auf die Megakaryozyten Cytosin-Arabinosid, gefolgt von Cyclophosphamid und Methrotrexat (KARNOFSKY 1969, FELLIN et al. 1988). Sie scheinen eine direkte Toxizität für die Megakaryoblasten oder die megakaryozytären Stammzellen zu besitzen, haben aber keine direkte Wirkung auf die reifen Megakaryozyten (PETURSSON et al. 1982). Im Tierversuch konnte gezeigt werden, dass mit Cyclophosphamid behandelte Mäuse einen späteren Beginn der Thrombozytopenie zeigten, als es der normalen Lebenszeit der Thrombozyten entspricht (FELLIN et al. 1988). Die Kombination unterschiedlicher Zytostatika in Form eines Kombinationsprotokolls führt beim Menschen nicht zu einer weiteren Reduktion der Thrombozyten als es durch Monotherapie der Fall ist (LEVIN 1978). Dies zeigte sich auch in Verlaufsuntersuchungen bei Hunden mit malignem Lymphom im Rahmen einer Kombinationschemotherapie (MORRISON-COLLISTER et al. 2003). Im Anschluss an eine Thrombozytopenie kann eine Rebound-Thrombozytose auftreten (OGSTON u. DAWSON 1969), welche wahrscheinlich durch einen Feedback-Mechanismus der Thrombozytenproduktion mittels Thrombopoetin gesteuert wird (LICHTMANN u. BRENNAN 1987).

Als besonders relevant im Hinblick auf die zytostatikainduzierte Thrombozytopenie stellt sich beim Hund zum einen die Langzeitbehandlung der chronischen lymphatischen Leukämie mit dem Alkylanz Chlorambucil dar (HELFAND 1988). Das besonders in der Behandlung des malignen Lymphoms eingesetzte Lomustin hat ein hohes myeolotoxisches Potential. Neben der Neutropenie stellt die Thrombozytopenie ein erhebliches Risiko dar. Der Nadir der Thrombozytopenie ist zwischen dem siebten und 14. Tag nach der oralen Gabe. In der Regel steigen die Thrombozyten im weiteren Verlauf wieder an. Bei Fortführung der Behandlung mit Lomustin bei erniedrigter Thrombozytenzahl kann die Thrombozytopenie noch Monate nach Beendigung der Therapie bestehen bleiben. Dies beruht auf der kumulativen Neigung von Lomustin (MOORE u. KITCHELL 2003, FRIMBERGER 2000).

In der Regel zeigt sich beim Hund die Thrombozytopenie neun bis zehn Tage nach der Applikation von Chemotherapeutika, der Überlebenszeit der Thrombozyten beim Hund entsprechend (SCHALM et al. 1975). Die zytostatikainduzierte Thrombozytopenie beim Hund ist in der Regel transient und sieben bis zehn Tage nach dem Erreichen des niedrigsten Wertes befinden sich die Thrombozyten wieder im Referenzbereich bzw. es kommt zu einer Thrombozytose (HELFAND 1988). Dies zeigt sich in einer Verlaufsuntersuchung im Anschluss an die Kombination von Doxorubicin (30 mg/m² Körperoberfläche am Tag 0) und Cyclophosphamid (200 mg/m² Körperoberfläche an den Tagen 0) (KISSEBERTH u. MCEWEN 2001). Die Thrombozytenzahl sank vom Ausgangswert (270.000/µl) im Mittel auf 100.000/µl am achten Tag nach der Chemotherapie. 14 Tage nach der Chemotherapie befanden sich die Thrombozyten wieder bei Werten über 300.000/µl. Ungeachtet der reduzierten Thrombozytenzahl zeigten sich in der zitierten Studie keine klinischen Symptome einer Blutung. Durch eine zweite Cyclophosphamidgabe am 14.

Tag zeigte sich am 24. Untersuchungstag eine erneut reduzierte Zahl von Thrombozyten (50.000/µl), wobei keine weiteren Nachuntersuchungen erfolgten (KISSEBERTH u. MCEWEN 2001).

Zytostatika, die nur selten zu einer Thrombozytopenie führen, sind Vincristin (HOAGLAND 1984, MACKIN et al. 1995) und L-Asparaginase (WHITECAR et al. 1970, ROGERS et al. 1992). Zu dem Vinca-Alkaloid Vincristin und der L-Asparaginase, die bei der Behandlung des malignem Lymphoms des Hundes (LINK u. HIRSCHBERGER 1999) von großer Bedeutung sind, liegen Originalarbeiten für den Hund vor. Die größte Untersuchung von MACKIN et al. (1995) an 16 gesunden Hunden zeigte einen deutlichen Anstieg der Thrombozytenzahl im Anschluss an die

Applikation von Vincristin in einer Dosis von 0,02 mg/kg. Nach der Applikation von Vincristin sank die mittlere Thrombozytenzahl zunächst leicht innerhalb des Referenzbereiches ab (zweiter Tag nach Vincristin), um dann allmählich über den Ausgangswert anzusteigen. Am achten Untersuchungstag lagen die Thrombozytenzahlen der mit Vincristin behandelten Hunde 40 % über den Werten der Kontrollgruppe, die physiologische Kochsalzlösung injiziert bekamen. Zum 10. Tag sanken die Werte auf das Niveau zu Beginn der Studie. In einer weiteren Studie zur Wirkung von Vincristin auf die Thrombozytenzahl zeigte sich bei 12 Hunden mit Immunvermittelter Thrombozytopenie ein positiver Effekt von Vincristin. Die Patienten die neben Prednisolon auch Vincristin (0,02 mg/kg) injiziert bekamen, wiesen einen signifikant schnelleren Anstieg der Thrombozyten auf (ROZANSKI et al. 2002).

Im Hinblick auf den Mechanismus für den Thrombozytenanstieg in Folge von Vincristin wurde zum einen eine direkte Thrombopoeseaktivierung nachgewiesen (Mensch: LICHTMANN u.

BRENNAN 1987; Ratte: ROBERTSON et al. 1970; Hund: GOLDEN et al. 1988, MACKIN et al.

1995), zum anderen die Hemmung der Freisetzung eines Plättchenfaktors, der die Thrombopoese supprimiert (JACKSON u. EDWARDS 1977). Experimentelle Studien haben gezeigt, dass die Stimulation der Thrombozytenproduktion durch Vincristin direkt nach der Applikation einsetzt (ROBERTSON et al. 1970, KLENER et al. 1972, ROBERTSON et al. 1972, CHOI et al.1974). Es kommt zu einer Steigerung der Megakaryozytenvorläuferzellen im Knochenmark und einer verkürzten Reifungszeit. Als weiteren Gesichtspunkt schreiben RATZAN et al. (1972) Vincristin zu, dass es zu einer vermehrten Anzahl von Thrombozyten pro Megakaryozyten kommt. Die durch Vincristin verursachte Thrombozytose bildet sich in der Regel ohne vorausgegangene Thrombozytopenie aus (ROBERTSON et al. 1970, KLENER et al. 1972, CHOI et al. 1974).

Die Wirkung von L-Asparaginase auf die Thrombozytenzahl wurde von ROGERS et al. (1992) bei jeweils zehn gesunden als auch an malignem Lymphom erkrankten Hunden untersucht. Die Thrombozytenzahl wurde sowohl vor der Applikation von L-Asparaginase als auch im weiteren Verlauf über sieben Tage verfolgt. Es zeigte sich sowohl im Untersuchungszeitraum als auch zwischen den untersuchten Gruppen kein statistisch signifikanter Unterschied. Die Thrombozytenzahl lag im Mittel zu jedem Untersuchungszeitpunkt über 300.000/µl. Die Ergebnisse der Studie von ROGERS et al. (1992) bestätigt damit Untersuchungsergebnisse beim Menschen.

Eine Studie an 1547 Kindern mit akuter lymphoblasten Leukämie zeigte keine Reduktion der Thrombozytenzahl im Verlauf der Therapie mit L-Asparaginase, Vincristin und Prednisolon. Die

Anzahl der Thrombozyten war zu Beginn der Therapie geringfügig erniedrigt und stieg innerhalb von vier Wochen langsam an (PRIEST et al. 1982).

In den Behandlungsprotokollen für das maligne Lymphom und die chronische lymphatische Leukämie beim Hund spielt Prednisolon eine bedeutende Rolle (TESKE 1994). Verschiedene Untersuchungen der Wirkung von Glukokortikoiden auf die Thrombozytenzahl beziehen sich auf immunbedingte Thrombozytopenien. Wie und ob es überhaupt zu einer direkten Beeinflussung der Thrombozyten durch Prednisolon kommt, ist umstritten. In einigen Studien konnte bei gesunden Menschen bzw. Hunden kein Einfluss von Glukokortikoiden auf die Thrombozytenzahl nachgewiesen werden (Mensch: LICHTENFELD u. SCHIFFER 1979, Hund: MACKIN et al.

1995). Eine andere Studie mit klinisch gesunden Hunden konnte einen moderaten Anstieg der Thrombozytenzahl nachweisen (MOORE et al. 1992). In einer Untersuchung von AMMELOUNX u. NOLTE (1987) bei Hunden mit thrombozytopenischen Krankheitsbildern zeigte sich ein Anstieg der Thrombozytenzahl nach der Applikation von Glukokortikoiden bei 66 % der Patienten.

Innerhalb der Patientengruppe erhöhte sich die Thrombozytenzahl bei 39 % der Hunde über 100 %, bei 21 % zwischen 20 bis 99 %, bei sieben Patienten blieb die Thrombozytenzahl konstant. Bei 18

% fiel die Thrombozytenzahl unter den Ausgangswert. Generell werden dem Prednisolon im Hinblick auf die Beeinflussung der Thrombozytenzahl folgende Eigenschaften beigemessen:

Reduktion von Antikörpern und Unterdrückung des Thrombozytenabbaus durch das mononukleäre Phagozyten-System (KARPATKIN 1980).