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Lipocalin-2, auch bekannt als Neutrophilen-Gelatinase-assoziiertes Lipocalin (NGAL), ist ein multifunktionelles Protein, das von verschiedenen Zellen und Geweben wie z. B.

neutrophilen Granulozyten (KJELDSEN et al. 1994), Makrophagen (JUNG et al. 2012), Endothelzellen (HAMZIC et al. 2013), im Knochenmark (COWLAND u.

BORREGAARD 1997), in Epithelien (COWLAND et al. 2003; BORREGAARD u.

COWLAND 2006), aber auch Astrozyten (MARQUES et al. 2012; CHUN et al. 2015) gebildet wird.

Auch die Funktionen des Neutrophilen-Gelatinase-assoziierten Lipocalin sind mannigfaltig: So ist es an der Eisenhomöostase (GOETZ et al. 2002; BORREGAARD u. COWLAND 2006) beteiligt, moduliert Apoptosemechanismen (DEVIREDDY et al.

2005; LEE et al. 2007) und beeinflusst die Karzinogenese (IANNETTI et al. 2008;

YANG u. MOSES 2009). Es ist zudem wichtiger Teil der Immunantwort mittels Akute-Phase-Reaktion bei bakteriellen Infektionen (LIU u. NILSEN-HAMILTON 1995; FLO et al. 2004; MARQUES et al. 2008) und spielt eine Rolle bei immunmediierten entzündlichen Prozessen (BIEZEVELD et al. 2005; SHASHIDHARAMURTHY et al.

2013). Eine wichtige Funktion scheint hierbei die Verstärkung der Immunzellmigration (LEE et al. 2011) zu sein, insbesondere die Rekrutierung von neutrophilen Granulozyten zum Ort der Entzündung (GUGLANI et al. 2012; SICKINGER et al.

2013).

In der jüngeren Forschung nimmt das Interesse an der Rolle des NGAL bei neuroinflammatorischen Prozessen zu (FERREIRA et al. 2015). Die Konzentration von NGAL im Liquor cerebrospinalis (cerebrospinal fluid/CSF) ist bei humanen bakteriellen Meningitiden erhöht (GUIDDIR et al. 2014; LIPPI et al. 2014), jedoch auch bei immunmediierten Erkrankungen wie multipler Sklerose (BERARD et al. 2012) oder neuropsychatrischem systemischem Lupus erythematodes (BRUNNER et al. 2014;

MIKE et al. 2019). Bei verschiedenen humanen Vaskulitis-Typen wird NGAL als

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Biomarker zur Progressions- und Therapiekontrolle vorgeschlagen (CHEN et al. 2009;

SERRA et al. 2014).

Dem Neutrophilen-Gelatinase-assoziierten Lipocalin wird auch eine Rolle als Biomarker nach Schädigung des Gehirnparenchyms durch Infarkte oder andere Läsionen zugeschrieben, wobei es sowohl Hinweise auf negative (IP et al. 2011;

MYUNGWON JIN et al. 2014b; NAM et al. 2014), als auch auf neuroprotektive (KANG et al. 2017) Effekte bei einer erhöhten Expression von NGAL gibt.

In verschiedenen Mausmodellen wurde bereits der Einfluss des NGAL auf interzelluläre Signalwege (JEON et al. 2013) und neuroinflammatorische Prozesse (MYUNGWON JIN et al. 2014b; NAM et al. 2014) untersucht, wobei insbesondere ein Einfluss auf die Aktivität von Mikroglia und Astrozyten dargestellt werden konnte (BERARD et al. 2012).

NGAL-Konzentrationen wurden bisher in verschiedenen Körperflüssigkeiten wie Plasma, Serum oder Urin bei Menschen (BOLIGNANO et al. 2008; CHEN et al. 2009;

WANG et al. 2015), Katzen (WANG et al. 2017b; WU et al. 2019), Hunden (HSU et al.

2014b; STEINBACH et al. 2014; COBRIN et al. 2016) und Pferden (JACOBSEN et al.

2018) bei systemisch-entzündlichen, neoplastischen, traumatischen oder renalen Erkrankungen als potentieller diagnostischer oder prognostischer Biomarker evaluiert.

Bisher existierten unserem Wissen nach jedoch keine Messungen der NGAL-Konzentration im CSF bei gesunden und erkrankten Hunden. Zudem wurden bisher zwar Serum- oder Urinkonzentrationen bei Hunden mit systemischen Allgemeinerkrankungen wie Sepsis (CORTELLINI et al. 2015), chronischen Nierenerkrankungen (COBRIN et al. 2016) und verschiedenen neoplastischen Erkrankungen (COBRIN et al. 2016) beschrieben, es lagen jedoch bisher keine Daten zu NGAL-Serumkonzentrationen bei Hunden mit neurologischen Erkrankungen vor.

Meningoenzephalitis unbekannter Genese (MUO) und Steroid-responsive Meningitis-Arteriitis (SRMA) sind häufig vorkommende immunmediierte Erkrankungen bei Hunden (TALARICO u. SCHATZBERG 2010; TIPOLD u. SCHATZBERG 2010). Einen

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Goldstandard zur Ante-mortem-Diagnose der SRMA gibt es bisher nicht, allerdings weist die gepaarte Messung von IgA in Serum und CSF eine hohe Sensitivität und gute Spezifität für die Diagnosestellung auf (MAIOLINI et al. 2012), lässt jedoch keine Aussagen über das Rezidivrisiko zu.

Weiterhin ist die Unterscheidung zwischen verschiedenen ätiopathologischen Diagnosen bei Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) mittels Magnetresonanztomografie und Beurteilung der Zellen im CSF nicht immer möglich (BOHN et al. 2006; WOLFF et al. 2012; KEENIHAN et al. 2013; DIANGELO et al.

2019), weshalb oftmals invasivere Diagnostikmethoden angewandt werden müssen.

Bei Verdacht auf Meningoenzephalitidien oder intrakranielle Neoplasien können zwar verschiedene Biopsiemethoden zur Ermittlung einer definitiven Diagnose eingesetzt werden (ROSSMEISL et al. 2015; GUTMANN et al. 2020), diese sind jedoch nicht vollkommen risikolos. So kommt es bei bis zu 16 % der Hunde nach dem bioptischen Eingriff zu einem vermehrten Auftreten von Anfallsgeschehen und folglich zu einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes (ROSSMEISL et al. 2015). Außerdem sind die Biopsiemethoden meist kostenintensiv oder benötigen eine spezielle technische Ausstattung (GUTMANN et al. 2020).

In Anbetracht dieser Schwierigkeiten bei der Diagnostik bedeutsamer neurologischer Erkrankungen des Hundes erscheint die Evaluierung und Nutzung zusätzlicher, weniger invasiver Tests mittels Biomarkern in Serum oder CSF bei erkrankten Hunden sinnvoll (LOWRIE et al. 2009a).

Neben einer möglichen Eignung von NGAL als diagnostischen Marker gibt es Hinweise, dass NGAL einen Angriffspunkt für zukünftige therapeutische Interventionen bei neuroinflammatorischen Prozessen darstellen kann. So wurde zum Beispiel gezeigt, dass durch Applikation des monoklonalen Antikörpers Natalizumab die NGAL-Konzentration im CSF und in den Astrozyten in einem Mausmodell einer experimentellen autoimmunen Enzephalomyelitis (EAE) gesenkt werden kann (MARQUES et al. 2012). Ein anderer Ansatz ist, durch Ribonukleinsäure (RNA)-Nanopartikel die Expression des NGAL zu hemmen und somit indirekt über die

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Reduktion pro-inflammatorischer Proteine die Aktivierung von Astrozyten zu vermindern (SMITH et al. 2018). In-vitro-Studien und Tiermodelle zeigten zudem einen neuroprotektiven Effekt von Eisenchelatoren nach ZNS-Schädigung durch Senkung der NGAL-Konzentration (ZHAO et al. 2016; DEKENS et al. 2020).

Das Ziel der vorliegenden Arbeit war, erstmalig physiologische und pathologische NGAL-Konzentrationen im CSF von Hunden und deren Verhältnis zur Serumkonzentration zu ermitteln.

Hierfür wurde im ersten Schritt ein kommerzieller Enzyme-linked Immunosorbent Assay (ELISA) zur Messung der Konzentration von caninem NGAL erstmals für die Untersuchung von caninem CSF validiert. Anschließend erfolgte die Auswertung der NGAL-Konzentration in asservierten, gepaarten Serum- und CSF-Proben von gesunden und orthopädisch erkrankten Hunden (Kontrollgruppe) sowie Hunden mit primär entzündlichen neurologischen Erkrankungen (akute Steroid-responsive Meningitis-Arteriitis (SRMA), SRMA-Rezidive, Meningoenzephalitis unbekannter Genese (of unknown origin, MUO) und anderen Erkrankungen des ZNS, wie idiopathischer Epilepsie (IE) oder durch Bandscheibenvorfälle und Spondylomyelopathie hervorgerufenen kompressiven Myelopathien.

Die zu untersuchende Hypothese der vorliegenden Arbeit war, dass eine höhere NGAL-Konzentration im CSF bei Patienten mit entzündlicher ZNS-Erkrankung im Vergleich zu Tieren mit nicht primär entzündlichen Erkrankungen des ZNS vorliegt. Die Untersuchung von NGAL als Biomarker entzündlicher ZNS-Erkrankungen soll helfen, die Diagnose- und Prognosestellung dieser Erkrankungen zukünftig zu verbessern.

Literaturübersicht

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