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Immunmediierte ZNS-Erkrankungen kommen bei Hunden häufig vor und können bis zu 25 % der in der neurologischen Sprechstunde vorgestellten Patienten betreffen (MUNANA u. LUTTGEN 1998; VITALE u. FOSS 2019). Die prämortale Diagnostik beruht vor allem auf dem Ausschluss anderer Pathologien wie Neoplasien oder Infektionskrankheiten (GRANGER et al. 2010; TIPOLD u. SCHATZBERG 2010), da der in vivo Goldstandard der Biopsieentnahme zur Differenzierung einer MUO noch nicht weit verbreitet und mit Risiken sowie teils hohen Kosten verbunden ist (FLEGEL et al. 2012; GUTMANN et al. 2020). Außerdem fehlen weiterhin prognostische Biomarker zur Vorhersage des Therapieerfolgs (CORNELIS et al. 2019) und zum individuellen Anpassen der potentiell mit starken Nebenwirkungen (MERCIER u.

BARNES HELLER 2015; HART u. WADDELL 2016) verbundenen immunsuppressiven Therapie bei SRMA oder MUO. Zwar wurden insbesondere bei SRMA in Form von IgA (MAIOLINI et al. 2012) und CRP (BATHEN-NOETHEN et al.

2008) zwei Biomarker als wertvolle diagnostische Hilfsmittel etabliert, jedoch ist die Diagnosestellung in einigen Fällen noch immer mit Unsicherheit behaftet und eine Aussage über das Rezidivrisiko individueller Patienten ist schwierig.

Mittels Darstellung der Beteiligung von Th17-Zellen und IL-17 an der überschießenden Immunreaktion mit hochgradiger Vaskulitis bei SRMA wurde bereits ein Puzzlestück in der Pathophysiologie der Erkrankung aufgezeigt (FREUNDT-REVILLA et al. 2017), jedoch fehlen weiterhin Informationen zur zugrundeliegenden Signalkaskade und somit auch spezifische Therapieansätze.

Eine Vertiefung der Forschung zu immunmediierten neuroinflammatorischen Prozessen und ihren Pathomechanismen sowie die Etablierung möglicher Biomarker ist daher unverzichtbar. Hierbei ist NGAL in der humanen Diagnostik (MIKE et al. 2019;

WILLIAMS et al. 2019), sowie in Tiermodellen wie der experimentellen autoimmunen Enzephalomyelitis (EAE) (NAM et al. 2014) ein vielversprechender Biomarker und wird als Modulator neuro-immunologischer Abläufe angesehen (IP et al. 2011; NAUDE et al. 2012; BANJARA 2014). Hingegen wurde die Rolle des NGAL bei ZNS-Entzündungen beim Hund bisher nicht untersucht.

Diskussion

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Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde ein kommerzieller ELISA (Dog NGAL ELISA Kit 043, Bioporto, Hellerup, Denmark) zum Nachweis caninen NGALs erstmals zur Anwendung im CSF beim Hund validiert.

Ziel war es, in verschiedenen Erkrankungen unter Beteiligung des ZNS mit entzündlicher oder nicht primär entzündlicher Komponente (Epilepsie, Bandscheibenvorfall) die NGAL-Konzentrationen in Serum und Liquor zu evaluieren.

Hierdurch sollte untersucht werden, ob beim Hund ein Einfluss des Chemokins NGAL (LEE et al. 2011; RATHORE et al. 2011) auf neuro-immunologische Prozesse und Liquorparameter wie die Zellzahl besteht und ob es Hinweise für eine intrathekale Produktion gibt. Die zu prüfende Hypothese dieser Arbeit war, dass bei Patienten mit entzündlicher ZNS-Erkrankung im Vergleich zu Tieren mit nicht primär entzündlichen Erkrankungen des ZNS eine höhere NGAL-Konzentration im Liquor vorliegt.

Hunde mit entzündlichen Erkrankungen (SRMA, MUO) wiesen im Vergleich zu Hunden mit nicht-entzündlichen Krankheitsbildern (kompressive Myelopathie, intrakranielle Neoplasie, idiopathische Epilepsie) erhöhte NGAL-Konzentrationen im CSF auf. Ferner wurde eine positive Assoziation zwischen NGAL-Konzentration im CSF und Gehalt kernhaltiger Zellen im Liquor gefunden, was als Hinweis auf eine Rolle des NGAL in der Verstärkung der Chemotaxis von Immunzellen zum Ort der Entzündung verstanden werden kann. Die Verstärkung der Immunzellmigration (SICKINGER et al. 2013) und deren Polarisation (ZHAO et al. 2019) durch den Einfluss von NGAL wurde auch in verschiedenen experimentellen Studien sowohl im ZNS als auch in anderen Geweben nachgewiesen. Außerdem wird vermutet, dass NGAL die Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke erhöhen kann, zum Beispiel durch Zerstörung von Tight Junctions (EGASHIRA et al. 2016). In Nagermodellen mit artifiziellen zerebrovaskulären Störungen wurde bereits gezeigt, dass bei höherer NGAL-Konzentration eine stärkere Störung der Integrität der Blut-Hirn-Schranke durch Zerstörung der Zell-Zell-Verbindungen besteht (JIN et al. 2014a; EGASHIRA et al.

2016).

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Im Vergleich der Untergruppen wurde im CSF bei Patienten mit MUO und akuter SRMA ein signifikant höherer NGAL-Spiegel als bei Hunden mit idiopathischer Epilepsie, kompressiven Myelopathien, intrakranieller Neoplasie und SRMA in Remission nachgewiesen. NGAL-Level im Liquor waren bei akuter SRMA, jedoch nicht bei SRMA Rezidiven und MUO signifikant höher als die Konzentrationen im CSF neurologisch gesunder Hunde der Kontrollgruppe. Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass die Zahl der eingeschlossenen Hunde mit SRMA Rezidiv sehr niedrig war (n = 4), da insgesamt keine hohe Rückfallrate in unserer Patientenpopulation vorlag und einige Proben von Hunden mit Rezidiven aufgrund zu geringer Probenmenge nicht mehr genutzt werden konnten. Diese kleine Fallzahl der eingeschlossenen Hunde mit SRMA Rezidiv stellt die Güte der statistischen Aussage zu dieser Gruppe in Frage. Außerdem ist zu bedenken, dass der Überbegriff „MUO“

eine sehr heterogene Gruppe verschiedener entzündlicher Gehirnerkrankungen umfasst und genutzt wird, wenn keine definitive histopathologische Einordung vorliegt (TALARICO u. SCHATZBERG 2010). In unserer Studie konnten aufgrund des retrospektiven Charakters nicht ausschließlich Patienten mit definitiver Diagnose durch histopathologische Untersuchung eines Bioptats oder des Tierkörpers eingeschlossen werden (bestätigte Fälle), sondern es wurden auch Patienten mit starkem Verdacht auf MUO anhand des Signalements und der Befunde in Liquor- und MRT-Untersuchung (GRANGER et al. 2010) als hochwahrscheinliche MUO-Fälle aufgenommen.

Für zukünftige Studien wäre es optimal, nur histopathologisch bestätige Fälle einzuschließen und somit bestenfalls sogar Subtypen autoimmuner Meningoenzephalitiden hinsichtlich der NGAL-Konzentrationen im Liquor und Serum zu untersuchen.

Die statistische Auswertung ergab eine stark positive Assoziation zwischen NGAL-Konzentration und Proteingehalt im Liquor, was durch eine Störung der Blut-Hirn-Schranke und Einstrom von Proteinen aus der Peripherie oder aber durch eine intrathekale erhöhte Synthese von Immunglobulinen und NGAL während neuroinflammatorischer Prozesse verursacht sein kann.

Diskussion

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Da auch eine stark positive Assoziation der Konzentrationen von NGAL und IgA im CSF gefunden wurde, spiegelt der Anstieg vermutlich zumindest teilweise eine erhöhte lokale NGAL- und Immunglobulin-Synthese wider (TIPOLD et al. 1994). Eine intrathekale Produktion von NGAL in Endothel- und Gliazellen sowie im Choroidplexus beim Hund erscheint möglich, da dies bereits in Nagermodellen und humanen Proben nachgewiesen wurde (MARQUES et al. 2008; MARQUES et al. 2012; FERREIRA et al. 2015; JHA et al. 2015; AL NIMER et al. 2016).

Eine positive Assoziation zwischen der NGAL- und IgA-Konzentration im CSF kann auf sich überschneidende Signalwege der beiden Entzündungsmediatoren hindeuten.

Chemokine und Proteine, denen eine wichtige Rolle in der Pathogenese der SRMA zugeschrieben werden, sind Interleukin-6 (IL-6) (MAIOLINI et al. 2013), Interleukin-8 (IL-8) (BURGENER et al. 1998), Interleukin-17 (IL-17) (FREUNDT-REVILLA et al.

2017), sowie die Matrixmetalloproteasen (MMP) 2 und 9 (MMP2, MMP9) (SCHWARTZ et al. 2010). Diese Botenstoffe werden laut Zellkulturstudien, sowie experimentellen Mäuse- und Schweinestudien ihrerseits von NGAL moduliert oder beeinflussen selbst die Expression von NGAL (YAN et al. 2001; TVEITA et al. 2008; TE BOEKHORST et al. 2011; HAMZIC et al. 2013; FERREIRA et al. 2014; XU et al. 2015; SHAO et al.

2016a). In einem Gliazell-Modell muriner EAE exprimierten die Zellen höhere MM9-Level nach der Applikation von NGAL und die Hochregulierung der MMP9 führte zu einer stärkeren Störung der Blut-Hirn-Schranke (NAM et al. 2014).

Die Konzentrationen von NGAL in CSF und Serum der untersuchten Hunde zeigten nur eine schwache Assoziation, was die Theorie der intrathekalen NGAL-Synthese stützt.

In neurologisch unauffälligen Hunden mit SRMA unter Therapie (SRMA Remission), die zur Liquoranalyse vor Reduktion der Therapie sechs bis acht Wochen nach Diagnose vorgestellt wurden, wurde ein signifikant niedrigerer NGAL-Gehalt im Liquor im Vergleich zu Patienten mit akuter, unbehandelter SRMA gefunden.

Interessanterweise blieb hingegen in diesen Hunden das Serum-NGAL hingegen noch

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wochenlang erhöht, wie es auch für IgA beschrieben ist (LOWRIE et al. 2009b;

TIPOLD u. SCHATZBERG 2010; MAIOLINI et al. 2012).

Dieses Ergebnis sollte in einer prospektiven, zukünftigen Studie mit SRMA-Patienten und synchronisierten Kontrollschemata differenzierter untersucht werden, da es für die Diagnose chronischer SRMA-Fälle vielversprechend sein könnte. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie widersprechen Ergebnissen einer experimentellen Studie an Schweinen mit iatrogen induzierter Endotoxämie, bei welcher Hydrokortison einer Erhöhung des NGAL im Plasma entgegenwirkte (SÖDERBERG et al. 2017). Ursache für die unterschiedlichen Ergebnisse bei unseren Patienten mit akuter SRMA, SRMA unter Prednisolongabe und den Schweinen im Tierversuch könnte der unterschiedliche Messzeitpunkt sein, da in der experimentellen Studie der NGAL-Plasmaspiegel nur bis zu 6 Stunden nach der Hydrokortisongabe gemessen wurde, bei uns jedoch die Entnahme der Proben zur Messung der NGAL-Konzentration in den SRMA-Gruppen sowohl vor Therapiebeginn als auch unter Therapie mit Prednisolon nach mehreren Wochen oder Monaten durchgeführt wurde.

Die NGAL-Konzentration im Serum von Patienten mit akuter SRMA sowie SRMA in Remission war signifikant höher als bei Patienten mit Myelopathie, zwischen Patienten mit MUO und Myelopathie gab es hingegen keinen signifikanten Unterschied. Im Gegensatz zu MUO ist SRMA eine systemische Erkrankung, die mit einer neutrophilen Pleozytose im Liquor und peripheren Blut einhergeht (TIPOLD u. SCHATZBERG 2010; BLACK et al. 2019; SPENCE et al. 2019; VITALE u. FOSS 2019). Studien an murinen und humanen Zellkulturen sowie Studien mit lcn2-knockout Mäusen deuten auf einen hohen Einfluss des NGAL auf die Funktion neutrophiler Granulozyten hin (SCHROLL et al. 2012; SHASHIDHARAMURTHY et al. 2013).

MUO ist ein Sammelbegriff für eine heterogene Gruppe verschiedener Pathologien wie GME oder NE (TALARICO u. SCHATZBERG 2010; VITALE u. FOSS 2019), die oft mit einer mononukleären Pleozytose im Liquor, selten jedoch mit einer Pleozytose im peripheren Blut einhergeht (GRANGER et al. 2010). Dies könnte erklären, weshalb die Medianwerte der NGAL-Serumlevel zwischen Patienten mit MUO, der Kontrollgruppe

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und den nicht-entzündlichen Patientengruppen (IE, kompressive Myelopathie) laut statistischer Analyse nicht signifikant unterschiedlich waren.

Der Dunn’s-Kruskal-Wallis-post-hoc-Test identifizierte zudem signifikante Unterschiede zwischen den NGAL-Serumkonzentrationen bei Patienten mit akuter SRMA und jenen mit intrakranieller Neoplasie. Dies könnte ebenfalls die systemische Pathogenese der SRMA in Vergleich zu einem abgegrenzten, intrakraniellen Prozess abbilden, da nur ein Patient in der Neoplasie-Gruppe an einem metastasierten Tumorgeschehen (Prostatakarzinom) litt. Jedoch sollten diese Ergebnisse vorsichtig interpretiert werden, da es eine deutliche Überlappung zwischen den Serum-Konzentrationen der beiden Gruppen gab.

Weitere signifikante Unterschiede zwischen den NGAL-Serumkonzentrationen der übrigen Gruppen konnten nicht detektiert werden. Ein möglicher Grund hierfür sind die relativ heterogen zusammengesetzten Gruppen, sowohl bezüglich der Patienten mit MUO, als auch hinsichtlich der Gruppe mit intrakraniellen Neoplasien und kompressiven Myelopathien, da diese Gruppe neben Patienten mit akuten Läsionen auch solche mit subakuten und chronischen Rückenmarksläsionen enthielt. Dies kann zu unterschiedlichen Ausprägungen der Erkrankungen zum Zeitpunkt der Probennahme geführt haben.

Medianwerte und Spannweite der Serumlevel waren großteils vergleichbar mit denen bereits veröffentlichter Studien, die die NGAL-Serumkonzentrationen beim Hund analysierten (AHN u. HYUN 2013; HSU et al. 2014b; COBRIN et al. 2016; JUNG et al.

2018). Dennoch sollte nach diesen Ergebnissen, so wie schon zuvor diskutiert (MARTENSSON u. BELLOMO 2014; COBRIN et al. 2016), in Betracht gezogen werden, dass eine Erhöhung der NGAL-Konzentration im Serum nicht spezifisch für eine renale Dysfunktion ist. Dies spiegelt die komplexe Rolle des NGAL in zahlreichen entzündlichen und neoplastischen Prozessen der inneren Organe wider (CHAKRABORTY et al. 2011; CHAKRABORTY et al. 2012).

Zukünftige Studien zum Vergleich der NGAL-Konzentration im Serum caniner Patienten mit verschiedenen systemisch-entzündlichen, renalen und neoplastischen

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Erkrankungen erscheinen sinnvoll, um den Nutzen von Serum-NGAL als Biomarker beim Hund weiter zu evaluieren.

NGAL agiert zudem als Regulator des Eisenstoffwechsels (GOETZ et al. 2002) und könnte im Fall von Blutungen erhöht sein, welche im Rahmen der nekrotisierenden Vaskulitis bei SRMA entstehen (TIPOLD u. SCHATZBERG 2010). Um dies näher zu differenzieren, untersuchten wir eine mögliche Assoziation des Erythrozytengehalts und der NGAL-Konzentration im Liquor (Tabelle im Anhang, Tabelle 3). Jedoch konnte nur eine schwache, positive Assoziation statistisch detektiert werden. Es ist daher davon auszugehen, dass der NGAL-Gehalt nicht in jedem Fall durch Hämorrhagien beeinflusst wird, eventuell abhängig von der Chronizität der Erkrankung. Es ist außerdem möglich, dass die in den Liquorproben gefundenen Erythrozyten iatrogen bei der Liquorentnahme durch Punktion nahegelegener, kleiner Blutgefäße in die Probe gelangten. Weitere Studien sollten eine Gruppe mit zerebrovaskulären Prozessen (Blutung, Infarkt) beinhalten, um die NGAL-Konzentration in Blut und Liquor dieser Hunde zu evaluieren.

Sowohl bei Menschen als auch Hunden wurde NGAL als Biomarker in Serum und Urin zur frühen Detektion der akuten Niereninsuffizienz postuliert (HAASE et al. 2011; AHN u. HYUN 2013; HSU et al. 2014b), es wurde außerdem ein erhöhter Gehalt an NGAL im Urin bei Hunden mit Erkrankung der unteren Harnwege festgestellt (DAURE et al.

2013). Daher wurden in die vorliegende Studie und die statistische Analyse auch renale Funktionsparameter und, falls vorhanden, Ergebnisse der Urinanalyse miteinbezogen (Tabelle siehe Anhang, Tabelle 2). Es wurde jedoch in dieser Studie nur eine schwache, positive Assoziation zwischen der NGAL-Konzentration im Serum und der Plasma-Kreatinin-Konzentration oder dem Leukozytengehalt im Urin festgestellt. Die statistische Auswertung könnte jedoch dadurch beeinflusst sein, dass nur bei einer kleinen Anzahl der Hunde in dieser Studie eine Nierenerkrankung festgestellt wurde (n = 2, histopathologisch bestätigt) und keiner der Patienten eine erhöhte Plasma-Kreatinin-Konzentration zum Zeitpunkt der Liquor- und Serum-Probennahme zeigte. Sechzehn Hunde hatten klinische Anzeichen einer Harnwegsinfektion zum Zeitpunkt der Probennahme (fünf Hunde mit intrakranieller

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Neoplasie, drei Hunde mit akuter SRMA, drei Hunde mit Myelopathie, zwei Hunde mit IE und je ein Patient der Gruppen „SRMA in Remission“, „SRMA Rezidiv“ sowie „MUO“

(Tabelle 4 im Anhang).

Im Rahmen der Auswertung wurden mehrere Ausreißer mit sehr stark erhöhten NGAL-Konzentrationen im Liquor identifiziert. In der Gruppe mit akuter SRMA wurde einer der höchsten insgesamt gemessenen NGAL-Werte bei einem Patienten nachgewiesen, der im Verlauf nach Reduktion der Prednisolondosis ein Rezidiv erlitt.

Die anderen Ausreißer der SRMA-Gruppe mit sehr hoher NGAL-Konzentration im Liquor hatten jedoch entweder ein gutes Behandlungsergebnis (Follow-Up Periode sieben bzw. siebzehn Monate) oder der weitere Verlauf der Erkrankung war unbekannt (n = 1). Der Patient mit der höchsten NGAL-Liquor Konzentration in der „MUO“-Gruppe wurde auf Wunsch der Besitzer ad tabulam euthanasiert, anschließend wurde mittels histopathologischer Untersuchung eine ungewöhnlich stark ausgeprägte, sterile, eitrige Meningoenzephalitis diagnostiziert. Die anderen beiden Ausreißer dieser Gruppe hatten einen positiven Verlauf. Ein Patient mit Bandscheibenvorfall mit außerordentlich hohem NGAL-Liquor-Messwert hatte initial einen guten Behandlungserfolg, aber erlitt nur vier Monate später einen weiteren Bandscheibenvorfall an einer anderen Lokalisation. Der zweite Ausreißer der Gruppe

„kompressive Myelopathie“ mit sehr hoher NGAL-Konzentration war bereits ein Jahr vor Diagnose und Probennahme an einem anderen Bandscheibenvorfall operiert worden.

Interessanterweise litt ein Patient mit besonders hohem NGAL-Gehalt im Liquor an einem vermutlichen Choroidplexustumor, was zu Ergebnissen einer früherer Studie passt (MARQUES et al. 2008), die den Choroidplexus als einen der wichtigsten Orte für die intrathekale NGAL-Synthese identifizierte. Jedoch war keine histopathologische Untersuchung bei diesem Patienten durchgeführt worden, um die Diagnose zu bestätigen. Bei einem weiteren Hund mit intrakranieller Neoplasie und sehr hohen NGAL-Werten im Liquor wurde in der histopathologischen Untersuchung ein Meningeom mit vermutlich sekundärer, umgebender Enzephalitis des Hirnstamms nachgewiesen. Der dritte Ausreißer dieser Gruppe zeigte zentral-vestibuläre

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Symptome und das MRT zeigte eine extra-axiale Masse mit dem Verdacht auf ein Meningeom, aber eine pathologische Untersuchung lag nicht vor.

Ein Patient mit akuter SRMA, der sehr hohe NGAL-Serumkonzentrationen hatte, erlitt nach Reduktion der Prednisolongabe ein Rezidiv, dies traf jedoch nicht auf die zwei übrigen SRMA-Patienten mit sehr hohen NGAL-Werten im Serum zu (Follow-Up Periode in beiden Patienten zwei Monate). Es wurden keine besonderen anamnestischen Faktoren oder Besonderheiten bei den anderen Ausreißern aus der Myelopathie- oder IE- Gruppe mit stark erhöhten NGAL-Serumwerten gefunden, wobei die Patienten entweder einen guten Therapieerfolg zeigten oder der Verlauf nicht weiter nachverfolgt werden konnte.

Hohe Serum-NGAL-Konzentrationen wurden als negativer prognostischer Faktor in Patienten mit Sepsis und Schädel-Hirn-Trauma beschrieben (WANG et al. 2015;

SHEN et al. 2017; WANG et al. 2017a). Wir planen daher, in künftigen Studien einen möglichen Zusammenhang der NGAL-Konzentration im Serum und Liquor von Hunden mit ZNS-Erkrankungen und deren klinischem Outcome zu evaluieren. Da ferner in der vorliegenden Studie die NGAL-Konzentration im Liquor von Hunden mit MUO und Hunden mit intrakranieller Neoplasie signifikant unterschiedlich waren, könnte NGAL als Biomarker für die Differenzierung zwischen neoplastischen Prozessen und MUO von Nutzen sein, falls Biopsien aufgrund des inhärenten Risikos abgelehnt werden (FLEGEL et al. 2012). Interessanterweise fanden wir detektierbare, aber meist niedrige NGAL-Konzentrationen im Liquor nicht nur bei Hunden mit Gliom oder Gliom-Verdacht, wie in der Humanmedizin beschrieben (BARRESI et al. 2010), sondern auch in bestätigten Meningeom-Patienten und bei einem Hund mit metastasiertem Prostatakarzinom, was auf sekundäre, neuroinflammatorische Pathomechanismen bei Hunden mit Hirntumor hindeuten könnte. Ein besonders hoher NGAL-Wert wurde im Rahmen unserer Studie, wie bereits diskutiert, bei einem histopathologisch diagnostizierten Meningeom mit umgebender, steriler Enzephalitis gemessen.

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Die Behandlung immunmediierter Erkrankungen beim Hund, wie SRMA und MUO, besteht aus einer langfristigen Monotherapie mit Prednisolon oder einem Kombinationsprotokoll aus Prednisolon und verschiedenen Chemotherapeutika (LOWRIE et al. 2009b; COATES u. JEFFERY 2014). Diese Behandlung ist unspezifisch und birgt das Risiko schwerwiegender Nebenwirkungen und Therapieversagen (TALARICO u. SCHATZBERG 2010; TIPOLD u. SCHATZBERG 2010; LAU et al. 2019). Es besteht daher der dringende Bedarf an angepassten Therapieoptionen bei immunmediierten neuroinflammatorischen Erkrankungen, etwa über Beeinflussung spezieller Signalkaskaden oder Modulation der Genexpression.

Verschiedene Pharmaka zeigten eine hemmende Wirkung auf die NGAL-Konzentration in Tiermodellen, wie zum Beispiel Nanotherapeutika (SMITH et al.

2018), welche die NGAL-Synthese herunterregulieren, die Anwendung von Eisenchelatoren wie Deferoxamin in einem Schädel-Hirn-Trauma-Modell bei Ratten (ZHAO et al. 2016) und die Modulation von NGAL in EAE-Mäusen, die mit Natalizumab, einem Mittel zur Therapie der Multiplen Sklerose, behandelt wurden (MARQUES et al. 2012). Die vorliegende Studie kann ein Pfeiler zur künftigen Entwicklung maßgeschneiderter Therapien bei Dysregulation neuroinflammatorischer Prozesse beim Hund sein.

Die Patienten dieser Studie wurden retrospektiv nach der Verfügbarkeit medizinischer Daten und ausreichender Mengen Probenmaterial aus unserer Klinikpopulation ausgewählt, zudem wurden Hunde mit pathologischer Untersuchung bevorzugt in die Studie eingeschlossen, was eine artifizielle Verschiebung des Schweregrads der Erkrankungen und eine falsche Repräsentation der eingeschlossenen Rassen verursacht haben kann. Dennoch kann angemerkt werden, dass die hier prozentual vermehrt vorkommenden Rassen und Altersgruppen in den verschiedenen Gruppen bereits in der Literatur als überrepräsentiert für die jeweiligen Erkrankungen beschrieben wurden: So sind Boxer, Beagle und Golden Retriever laut früherer Studien besonders oft von SRMA betroffen (HAYES et al. 1989; BEHR u. CAUZINILLE 2006; LAU et al. 2019; HILPERT et al. 2020) und sind häufig unter einem Jahr alt (CIZINAUSKAS et al. 2000), so wie es auch in unserer Studie beobachtet wurde. Wie auch in unserer Studie aufgetreten, scheinen weibliche Hunde zudem häufiger

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Rückfälle der SRMA zu erleiden (HILPERT et al. 2020). Zwei der siebzehn von MUO betroffenen und in die Studie aufgenommenen Hunde waren Malteser, welche eine vermutete genetische Prädisposition für NME aufweisen (SCHRAUWEN et al. 2014).

Französische Bulldoggen und Dackel waren, wie bereits in der Literatur beschrieben (PACKER et al. 2016; MAYOUSSE et al. 2017), in der Gruppe der Hunde mit kompressiver Myelopathie überrepräsentiert. Außerdem waren deutlich mehr Proben von männlichen Hunden mit Bandscheibenvorfall zur Auswertung vorhanden, was den Ergebnissen von Bergknut et al. entspricht, die ebenfalls ein erhöhtes Risiko männlicher Hunde für eine Degeneration der Bandscheiben mit nachfolgendem Bandscheibenvorfall beschrieben (BERGKNUT et al. 2012). Australian Shepherds leiden häufig unter einem schweren Verlauf der idiopathischen Epilepsie (WEISSL et al. 2012), was ein Grund dafür sein kann, dass sie, wie in unserer Studie zu beobachten, besonders häufig zur Abklärung der Anfallsursache in der Tierklinik vorgestellt werden.

Eine Limitation der vorliegenden Studie ist zum einen ihr retrospektiver Charakter und zum anderen der Umstand, dass Biopsiebefunde oder postmortale pathologische Untersuchungen nicht für alle eingeschlossenen Patienten existierten. Dies lag zum einen an ethischen Bedenken der Tierbesitzer, zum anderen an der guten Prognose und hohen Überlebensrate insbesondere bei Hunden mit SRMA. Im Fall der MUO-Patienten zeigten fast alle MUO-Patienten, bei denen keine pathologische Untersuchung vorlag, gutes oder befriedigendes Ansprechen auf die Therapie und eine lange

Eine Limitation der vorliegenden Studie ist zum einen ihr retrospektiver Charakter und zum anderen der Umstand, dass Biopsiebefunde oder postmortale pathologische Untersuchungen nicht für alle eingeschlossenen Patienten existierten. Dies lag zum einen an ethischen Bedenken der Tierbesitzer, zum anderen an der guten Prognose und hohen Überlebensrate insbesondere bei Hunden mit SRMA. Im Fall der MUO-Patienten zeigten fast alle MUO-Patienten, bei denen keine pathologische Untersuchung vorlag, gutes oder befriedigendes Ansprechen auf die Therapie und eine lange