• Keine Ergebnisse gefunden

2. Allgemeiner Teil

2.1. Polyoxometallate

2.1.2 Eigenschaften und Anwendungen von Polyoxometallaten

Aufgrund der beschriebenen strukturellen Diversität ergeben sich viele einzigartige und gut steuerbare Eigenschaften der Komplexstrukturen. So können über die gezielte Anpassung von Molekülgröße, Zusammensetzung, Struktur und Ladung die physikalischen und chemischen Eigenschaften von Polyoxometallaten nahezu beliebig variiert werden. Im Allgemeinen zeichnen sich POMs vor allem durch ihre hohe thermische Stabilität, eine exzellente Löslichkeit in polaren Medien, eine hohe Oxidationsstabilität und eine enorme Brønsted-Acidität der entsprechenden Heteropolysäuren aus. Mittels einfacher Metathese-Reaktion können die Gegenkationen der POMs ausgetauscht werden, wodurch sowohl organische als auch anorganische POM-Salze entstehen. Durch geeignete Wahl dieser Gegenkationen kann die Löslichkeit der entsprechenden Salze in polaren und unpolaren Lösungsmitteln gesteuert werden.

Zudem weisen POM-Cluster eine hohe photochemische Aktivität auf, können hochreaktive Spezies stabilisieren und zeichnen sich durch einen schnellen und

reversiblen Multielektronen-Redoxtransfer aus. Dieser effiziente Redoxtransfer basiert auf der Tatsache, dass POMs sowohl Elektronen aufnehmen als auch abgeben können, ohne dass die Struktur selbst verändert oder zerstört wird. Die reduzierten Spezies können mittels Reoxidation meist wieder vollständig in die oxidierte Form überführt werden. Nur in wenigen Ausnahmen sind die reduzierten Spezies nicht stabil in Lösung.1-2, 15, 24-26

Basierend auf diesen gut steuerbaren Eigenschaften weisen Polyoxometallate ein breites Anwendungsspektrum auf. Dieses reicht von der analytischen Chemie über die Katalyse verschiedenster Reaktionen bis hin zur Elektrochemie. So werden HPAs beispielsweise in der Oxidation von Alkenen oder in der Zersetzung von Wasser eingesetzt. Auch im Bereich von Redox-Flow-Batterien und Superkondensatoren finden die Komplexstrukturen Anwendung. Des Weiteren werden POMs auch in der Material- und Nanotechnologie, in der Biochemie und der Krebsforschung in der Medizin genutzt. So zeigt sich beispielsweise ein großes Potential von Kegginstrukturen im Korrosionsschutz.

Anderson- und Wells-Dawson-Strukturen hingegen werden im medizinischen Bereich zur Bekämpfung von Tumorzellen und bei Behandlung von Morbus Alzheimer eingesetzt.2, 12, 21, 27-29

Ein großes Anwendungsfeld von Polyoxometallaten ist der Bereich der Säure- und Oxidationskatalyse. Die dabei am besten untersuchten Strukturen sind die Heteropolyanionen der Keggin Struktur. Diese weisen als Heteropolysäuren eine hohe Brønsted-Acidität auf und werden daher sowohl in der Flüssigphase, als auch in der Gasphase säurekatalytisch eingesetzt. In wässriger Lösung liegen HPAs meist vollständig dissoziiert vor und weisen sogar eine höhere Acidität als typische Mineralsäuren wie beispielsweise HCl, H2SO4, HNO3 und HBr auf. HPAs eignen sich aufgrund des schnellen und reversiblen Multielektronen-Redoxtransfers auch als effiziente Oxidations-katalysatoren. Die Oxidation eines Substrats verläuft dabei in zwei grundsätzlichen Schritten: Zunächst wird das Substrat durch die oxidierte POM-Struktur (HPAox) oxidiert.

Bei diesem Schritt wird die POM-Struktur selbst reduziert (HPAred). Die reduzierte Form kann im zweiten Schritt mit einem geeigneten Oxidationsmittel wie beispielsweise Wasserstoffperoxid, molekularem Sauerstoff oder auch Distickstoffoxid wieder reoxidiert werden.24, 30-32

In Schema 3 sind die Redoxreaktionen bei der Oxidation eines Substrats durch Heteropolyanionen dargestellt.

𝐻𝑃𝐴𝑜𝑥+ 𝑆𝑢𝑏𝑠𝑡𝑟𝑎𝑡 + 𝑛 𝐻+ ⇌ 𝐻𝑛𝐻𝑃𝐴𝑟𝑒𝑑+ 𝑆𝑢𝑏𝑠𝑡𝑟𝑎𝑡𝑜𝑥

𝐻𝑛𝐻𝑃𝐴𝑟𝑒𝑑+𝑛

4 𝑂2 ⇌ 𝐻𝑃𝐴𝑜𝑥+𝑛 2 𝐻2𝑂

Schema 3: Redoxreaktionen bei Oxidation eines Substrats durch Heteropolyanionen nach Pope et. al.24

In den vergangenen Jahren haben sich vor allem vanadium-substituierte Heteropolyanionen HPA-n ([𝑃𝑉𝑛𝑀𝑜12−𝑛𝑂40](3+𝑛)− mit n ≤ 6) als effiziente Oxidationskatalysatoren etabliert. Diese werden auf Grund des schnellen und reversiblen Multielektronen-Redoxtransfers vor allem in Flüssigphasenoxidationen unter milden Prozessbedingungen eingesetzt. Zudem finden diese Strukturen jedoch auch Anwendung in Gasphasenoxidationen. Die Redoxaktivität ist vor allem bei milden Reaktionsbedingungen auf das schnelle und reversible Oxidations- und Reduktionsverhalten des in der Struktur enthaltenen Vanadiums zurückzuführen (V5+⇌V4+). So ist die Veränderung der Oxidationsstufe des enthaltenen Vanadiums für die Redoxaktivität des POMs verantwortlich. Daraus ergibt sich, dass das unsubstituierte Molybdänanion [𝑃𝑀𝑜12𝑂40]3− nicht für Oxidationsreaktionen unter milden Bedingungen geeignet ist. Für die Oxidation eines Substrats, wie in Schema 3 dargestellt, ist zudem ein aufsteigendes Redoxpotential E vom Substrat, dem HPA-n-Katalysator und dem molekularen Sauerstoff als Oxidationsmittel Voraussetzung (siehe Schema 4). Diese Bedingung ist für HPA-n erfüllt, da das Redoxpotential dieser Strukturen ~0,7 V vs. NHE bei einem pH von 1 ist.6, 33-38

𝐸𝑆𝑢𝑏𝑠𝑡𝑟𝑎𝑡 < 𝐸𝐻𝑃𝐴−𝑛 < 𝐸𝑂2 = 1,23 𝑉

Schema 4: Thermodynamische Bedingung nach Kozhevnikov für die Substratoxidation durch HPA-n mit molekularem Sauerstoff.36

In stark sauren Medien dissoziiert monomeres Pervanadyl (VO2+) aus der HPA-n Struktur.

Dieses freie Pervanadyl weist mit 0,9 V vs. NHE ein höheres Redoxpotential und damit auch eine höhere Oxidationsaktivität im Vergleich zu den undissoziierten HPA-n-Strukturen auf. Die katalytisch aktive Spezies kann jedoch nicht frei in Lösung vorliegend von molekularem Sauerstoff reoxidiert werden, sondern muss dazu innerhalb einer HPA-Struktur vorliegen. Für die Dissoziation des Pervanadyls aus der HPA-n-HPA-Struktur ist der pH-Wert entscheidend. Neben Pervanadyl können jedoch auch noch weitere

Vanadiumspezies in wässrigen Lösungen in Abhängigkeit vom pH-Wert gebildet werden.

Zur Verdeutlichung ist in Abbildung 3 ein Phasendiagramm der Vanadiumspezies in wässrigen Lösungen in Abhängigkeit vom pH-Wert dargestellt. 35-36, 39-40

Abbildung 3: Darstellung der Ausbildung verschiedener Vanadiumoxidspezies in wässrigem Medium in Abhängigkeit vom pH-Wert nach Murmann et al.40

Die Bildung der verschiedenen Vanadiumoxidspezies ist sehr komplex. So bilden sich bei einem pH-Wert unter sieben zunächst verschiedene protonierte und unprotonierte Spezies aus. Bei pH-Werten unter 3,8 bildet sich das katalytisch aktive, freie Pervanadyl aus. Sinkt der pH-Wert jedoch weiter auf unter eins ab, so kann hydratisiertes Vandiumpentoxid ausfallen, wodurch die POM-Struktur irreversibel zerstört wird.40 Der durch Dissoziation des Pervanadyls resultierende Reaktionsmechanismus zur Substratoxidation mit anschließender Reoxidation des Pervanadyls ist in Schema 5 dargestellt.

𝐻𝑃𝐴-𝑛 ⇌ 𝑉𝑂2++ 𝐻𝑃𝐴-(𝑛-1)

𝑉𝑂2++ 𝑆𝑢𝑏𝑠𝑡𝑟𝑎𝑡𝑟𝑒𝑑+ 𝐻+ → 𝑉𝑂2++ 𝑆𝑢𝑏𝑠𝑡𝑟𝑎𝑡𝑜𝑥+ 𝐻2𝑂 𝑉𝑂2++ 𝐻𝑃𝐴-𝑛 + 𝐻2𝑂 ⇌ 𝑉𝑂2++ 𝐻(𝐻𝑃𝐴-𝑛) + 𝐻+

𝑉𝑂2++ 𝐻𝑃𝐴-(𝑛-1) + 𝐻2𝑂 ⇌ 𝐻(𝐻𝑃𝐴-𝑛) + 2 𝐻+

𝐻(𝐻𝑃𝐴-𝑛) +1

2 𝑂2 → 2 𝐻𝑃𝐴-𝑛 + 𝐻2𝑂

Schema 5: Pervanadyl-katalysierte Substratoxidation inklusive Katalysatorregeneration nach Kozhevnikov.35

Auch in der Gasphase finden Polyoxometallate als Säure- und Oxidationskatalysatoren Anwendung. So werden unsubstituierte Polyoxometallate unter anderem säurekatalytisch in der Dehydratisierung von Ethanol oder Glycerin eingesetzt.

Vanadium-substituierte Strukturen werden beispielsweise in der Oxidation von Propen oder in der Oxidation von Methanol verwendet.33, 41-43

Aufgrund der niedrigen spezifischen Oberfläche von Polyoxometallaten von < 10 m2g-1, werden diese für heterogene Anwendungen in der Gasphase meist mittels Imprägnierung auf porösen Trägermaterialien immobilisiert. Als Trägermaterialien werden dabei unter anderem Silica, Aktivkohle, Zirkonoxid oder Titanoxid eingesetzt.44-46 Neben der Imprägnierung auf Trägermaterialien werden in der Forschung auch verschiedene Ansätze zur Immobilisierung von Polyoxometallaten in einer Käfigstruktur, wie beispielsweise in Zeolithen, Metall-organischen-Netzwerken oder vollständig organischen Netzwerken verfolgt.47-49

Analog zu der Anwendung von Polyoxometallaten in der homogenen Katalyse, in der die Flüssigphase eine entscheidende Rolle spielt, sind für heterogene Anwendungen die Eigenschaften des Trägermaterials sowie die Wechselwirkungen zwischen dem Trägermaterial und dem Polyoxometallat von großer Bedeutung. So sind unter anderem die starken Wechselwirkungen von Polyoxometallaten mit Titandioxid als Supportmaterial bekannt. Diese Wechselwirkungen können einerseits die

Anatasestruktur des Trägers stabilisieren, die thermische Stabilität der heterogenen Katalysatoren erhöhen und zudem die katalytische Aktivität beeinflussen.50-51

Des Weiteren zeigt sich auch ein großer Einfluss der Beladung der Polyoxometallate auf dem Supportmaterial auf die katalytische Aktivität der heterogenen Katalysatoren. Wie in Abbildung 4 dargestellt, können bei einer niedrigen Beladung zwar Wechselwirkungen zwischen Trägermaterial und der katalytisch aktiven Struktur ausgebildet werden, jedoch wird nicht die gesamte Supportoberfläche ausgenutzt. Mit steigender Beladung steigt zunächst auch die Ausnutzung der Supportoberfläche durch weitere POM-Cluster an. Eine weitere Erhöhung der Beladung kann jedoch zu der Bildung von Agglomeraten auf der Supportoberfläche führen. Durch diese Agglomerate können erneut nicht die maximal möglichen Wechselwirkungen zwischen Support und Polyoxometallat ausgebildet werden. Zudem kann eine zu hohe Beladung dazu führen, dass das Porensystem des porösen Trägermaterials verblockt und dadurch die katalytisch aktiven Zentren nicht mehr vollständig zugänglich für das Substrat sind. Demnach wirkt sich sowohl eine zu niedrige Beladung, als auch eine zu hohe Beladung negativ auf die katalytische Aktivität von geträgerten Polyoxometallaten aus.52-53

Abbildung 4:Darstellung steigender POM-Beladung auf einem Trägermaterial.

Aufgrund der Eigenschaften und des Mechanismus der Vanadium-substituierten Polyoxometallate werden diese unter anderem in Flüssigphasenoxidationen unter milden Bedingungen eingesetzt. Ein großes Einsatzgebiet für die multifunktionellen Strukturen bietet dabei die Umsetzung lignocellulotischer Biomasse, beziehungsweise die Aufbereitung von biobasierten Rohstoffen im Allgemeinen. So werden POMs beispielsweise in der oxidativen Delignifizierung sowie in der selektiven Herstellung von Carbonsäuren oder auch zur vollständigen Oxidation von Lignin zu niedermolekularen Aromaten eingesetzt.31, 54-58

Im Folgenden wird daher lignocellulotische Biomasse als nachwachsender Rohstoff zur stofflichen und energetischen Nutzung vorgestellt.