A . Die Lage der Stadt in ihrem Einfluß auf die Gewerbe . Jerusalem hatte sich ( S. 9) als Teil der Provinz Syria zu erkennen gegeben, insofern als die wichtigsten Gewerbe dieser Provinz auch in Jerusalem zu den bedeutendsten Ge¬
werben zählten .
Indes , Jerusalemunterschied sich von allen anderen großen Städten der Provinz sehr wesentlich , nämlichdadurch , daß es in einer für Gewerbe außerordentlich ungünstigen Gegend
lag . Das einzige Rohmaterial , das die Umgebung in gewal¬
tiger Fülle bot , waren die Steine . Sonst bot das Gebirge Juda nur noch die von der Viehzucht gelieferte Wolle und Häute , sowie das vom Olivenbau gelieferte Holz und Oliven ; die meisten Rohmaterialien fehlten . Vor allem fehlte das
Wasser , und wenn es nicht , wie in besonderen Notzeiten
( S. 18 ), maßweise gekauft werden mußte , so mußte doch mit
dem Cisternenwasser sparsam umgegangen werden , bezw . mußte das Wasser mit Wasserleitungen aus weiter Entfernung in die Stadt geleitet werden . Gänzlich fehlten ferner Metalle sowie Edelerze ; der Lehm , den die Umgebung bietet , ist minder¬
wertig . Ein Beweis dafür , wie ungeeignet Jerusalem seiner Lage nach für Gewerbe ist , ist die Tatsache , daß uns im Laufe der Geschichte kein einziges Gewerbeentgegentritt , dessen Er¬
zeugnisse eine Spezialität von Jerusalem gewesen wären .
B . Die kulturelle Bedeutung der Stadt in ihrem Einfluß auf die Gewerbe .
a. Die wirtschaftliche Bedeutung .
Tro£ dieser Ungunst der Lage nennt Aristeas(§ 114 ) die Stadt „gewerbereich" und er nennt sie mit Recht so . Eben wegen der Ungunst seiner Lage war Jerusalem — eine Stadt von über 70000 Einwohnern — auf den Handel angewiesen ; zumal in Zeiten der Trockenheit und Hungersnot war die Stadt
hilflos . Weniger war es der Fernhandel als der Nahhandel , der Jerusalemversorgte .
Was hatte die Stadt für Mittel und Einnahmen , mit denen sie diesen Handel bezahlen konnte ? Wir versuchen , die wesent¬
lichen Momente , die eine Untersuchung über die sozialen Zu¬
stände Jerusalemsherauszustellen hätte , zusammenzufassen:
1. An erster Stelle stehen die gewaltigen Einnahmen des
Tempels , die sich aus den ihm aus aller Welt zufließen¬
den Stiftungen , den gese &lichen Abgaben in Gestalt der
Doppeldrachmen -Steuer ( S. 28 ), den Zehnten -Abgaben ,
Hebe -Abgaben , Erstlingsabgaben usw ., ferner aus dem Er¬
trag seiner Grundstücke , zusammensetzten . Freilich standen ihnen ebenso riesige Ausgaben , vor allem für den Tempel¬
bau , gegenüber .
2. Weitere Einnahmen flössen der Stadt aus dem Fremden¬
verkehr zu , der zumal an den Wallfahrtsfesten gewaltig
war . Jeder fromme Israelit war verpflichtet, ein Zehntel seines Bodenertrages in Jerusalem zu verzehren , den so¬
genannten zweiten Zehnten ( M . Sch .; s. S. 53 ).
3. Sodann sind , wenigstensfür die Zeiten , in denen Judäa selbständige Herrscher hatte (bis 6 p . Archelaus ; 41 - 44 p . Agrippa I .), die Steuereinnahmen zu nennen , die nach
Mommsen (Römische GeschichteV ), umgerechnet nach deutscher Vorkriegswährung, auf 10 Millionen Mark zu beziffern sind .
4. Trotj der äußerst ungünstigen Lage für den Handel gingen doch durch Jerusalem infolge seiner wirtschaft¬
lichen , politischen und religiösen Bedeutung mehrere
Siraßen , und der Durchgangsverkehr warf in den Zeiten der Selbständigkeit ( s. o. 3 .) für die Regierung Ein¬
nahmen ab .
5. Endlich ist daran zu erinnern , daß von jeher kapital¬
kräftige Leute — Großhändler , Steuereinnehmer, Diaspora¬
juden — von Jerusalem angezogen wurden ; mancher setjte sich auch aus religiösen Gründen hier zur Ruhe . Aber diese Einnahmen reichten nicht aus , die Einfuhr da¬
mit zu bestreiten . Die Stadt war daher , um leben zu können , angewiesen auf Gewerbe , die ihr Erzeugnisse zum Aus¬
tausch gegen die Handelslieferungenverschafften . Für den Fernverkehr kam wohl nur Öl als Exportmittel in Frage (Smith , Jerusalem I 335 u. ö .), für den Nahverkehr , wie noch heute , neben Gegenständen des täglichen Gebrauchs vor allem städtische Produkte wie Salben und dergleichen . Das „Alabastergefäß mit
kostbarer , echter Nardensalbe", das bei der Salbung Jesu in Bethanien(Mc . 14 3) erwähnt wird , wird ein Jerusalemer Erzeug¬
nis enthalten haben .
Mehr noch als der wirtschaftlicheZwang hat die politische und religiöse Bedeutung der Stadt die Gewerbe befördert .
b. Die politische Bedeutung .
Von jeher — vgl . das im A. T. über König Salomo Be¬
richtete — hat die Baufreudigkeit und die Freude am Prunk das Baugewerbe und das Kunstgewerbe in der Residenz großgezogen. In der von uns behandelten Zeit war Jerusalem nur kurze Zeit , 41 — 44 p. unter Agrippa I . , Residenz . Immerhin , die Angehörigen des herodianischen Geschlechts ( z. B. Herodes Antipas Lc . 23 " ff. und Agrippa II : ant . und b . j .) kamen doch zu den Festen nach Jerusalem , so weit sie nicht dauernd dort wohnten ( b. j IV 3 4: 2 Männer aus königlichem Geschlecht ;
ebendort : ein Mann aus königlichem Geschlecht , dem infolge seines Ansehens die öffentlichen Finanzen anvertraut werden , für Jerusalem bezeugt ; vgl . Philo , Leg . ad Cajum ). Und daß
sie sich nach Jerusalem gehörig fühlten , dokumentierte Agrippa II. durch den Neubau des Hasmonäer-Palastes .
Der Hof und das in Jerusalem ansässige nationale Kapital hatten eine Menge Kulturbedürfnisse; so begünstigten sie die Luxusgegenstände herstellenden Gewerbe . Zu diesen Be¬
dürfnissen gehörte auch die ärztliche Behandlung .
c. Die religiöse Bedeutung
ist neben der politischen von ausschlaggebender Wichtigkeit: Jerusalem ist die Stadt des Tempels . Zwar , eben die Tatsache , daß man in der heiligen Stadt wohnte , legte gewisse Verpflich¬
tungen auf . Hier wurden die sehr harten Sabbathvorschriften
(Schab .), die jede Arbeit ausschlössen , peinlicher beobachtet . Hier haben auch die Reinheitsvorschriften , die im täglichen Leben so zahlreiche Unbequemlichkeiten mit sich brachten(Mi : Ordnung VI , Toharoth , Traktat 1— 12 ), eine ganz andere Rolle gespielt als etwa in Städten mit starkem heidnischen Einschlag . Mußten wir doch oben die Möglichkeit offen lassen , daß durch die Reinheitsvorschriften ganze Gewerbe von der Stadt fernge¬
halten wurden . ( S. 5 .)
Aber unvergleichlich schwerer wogen die Vorteile , die der Tempel dem Handwerk bot . Aus Mitteln des Tempels erfolgte
die Unterhaltung der städtischen Baulichkeiten ( S. 16 f .), die Sorge für die Reinlichkeit der Stadt ( S. 17 f .), die Pflasterung der Stadt ( S. 12 ), vielleicht auch die Instandhaltung der Wasser¬
leitung ( S. 17 und 14 ).
Doch weit über die Grenzen der Stadt reichte die Be¬
deutung des Tempels . Seit der Reform des Königs Josia (623a .), die die Zentralisation des Kultus in Jerusalem nach den Vor¬
schriften des Deuteronomiums durchführte , war in Jerusalem das einzigeHeiligtum der Juden . Die Bedeutung der wenigen
Diaspora -Tempel wie des Oniastempels zu Leontopolis ( ca . 160a .— 73 p ) - vielleicht war er der einzige Diaspora -Tempel — ist eine derartig geringe, daß tatsächlich der Jerusalemer Tempel das einzigejüdische Heiligtum der Welt war . Aus aller Welt zog er jährlich drei Mal die Pilger herbei . Unter diesen Pilgern waren jene Angehörigendes Königshauses von Adiabene , deren großzügige Bautätigkeit ( S. 13) dem Bauhandwerk zu Gute
kam . Manche Pilger gaben den Tenipelhandwerkern durch fromme Stiftungen Verdienstmöglichkeiten ( S. 26 ). Pilger waren
es , die der Andenkenindustrie ( S. 8 f .) das Leben ermöglichten . Und viele Pilger werden von den städtischen Erzeugnissen mit nach Hause gebracht haben .
Vor allem aber : Der Tempel war der Mittelpunkt einer
Gewerbekolonie . Ein Heer von Gewerbetreibenden war an seinem Bau beteiligt, ständigbeschäftigte der Kultus Handwerker .
So ergibt sich ein eigenartigesBild :
Obwohl die Lage der Stadt für Gewerbeentwicklung ganz ungünstig ist , birgt sie infolge ihrer kulturellen Bedeutung blühende Gewerbe in ihrem Inneren .