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2.2 Materialität und Gestaltung der Schriftzeugnisse in Pompeji und Herculaneum

2.2.2  Dipinti 2.2.2.1 Textträger

2.2.2.3.2  edicta munerum

Auch bei den edicta munerum variierten die Schreiber die Schriftarten. Allerdings ist es bei diesen noch schwieriger, zuverlässige Aussagen über die Gestaltung zu treffen, da von den 83 Zeugnissen nur 23 fotografisch dokumentiert sind. Im CIL wird bei einigen Beispielen die ordinatio wiedergegeben, allerdings nicht ausreichend genau.

Oft werden auch die Buchstabenhöhen der verschiedenen Zeilen angegeben. Zudem findet sich im einleitenden Abschnitt in CIL IV S. 70 die Bemerkung „pictae sunt quod sciam omnes in tectorio eodem colore eademque litterarum specie atque candidatorum program mata recentiora“. Um die Gestaltungsmerkmale der edicta munerum zu ver-deutlichen, seien drei Exemplare vorgestellt. Ein gut dokumentiertes Beispiel stellt CIL IV 7992 an der Fassade der Casa di Trebius Valens (III 2, 1) dar (Abb. 43), das sich fast vollständig erhalten hatte und anhand des CIL-Eintrages, der Rekonstruktion bei Spinazzola und von Fotografien beschrieben werden kann.290 Es ist insgesamt fast 90 cm hoch und 3,12 m breit. Die Buchstaben der ersten Zeile, die den Namen des Spielgebers enthielt, sind laut CIL 48 cm hoch, während die der zweiten Zeile 11 cm und die der dritten Zeile 10 cm messen. Die erste Zeile war rot geschrieben, in der zweiten Zeile wurde bis einschließlich et und in der dritten für die letzten vier Wörter schwarze Farbe verwendet, sodass der Name des zweiten Spielgebers sowie Ort und Datum der Spiele optisch von den Titeln des ersten Spielgebers und den Zusatzinfor-mationen zum Programm abgesetzt waren. Genannt werden außer den Namen der beiden Veranstalter, der Zeit und dem Ort auch die Anzahl der kämpfenden Gladiato-renpaare – wie üblich abgekürzt mit glad(iatorum) par(ia) – eine venatio und vela, die anscheinend eine eigene Erwähnung wert waren.291 Die unteren beiden Zeilen schlie-ßen bündig mit der ersten Zeile ab, die dritte Zeile ist jedoch links ca. 40 cm einge-rückt. Die Schriftart der ersten Zeile kann noch als actuaria bezeichnet werden, weist

289 Vgl. Zangemeister CIL IV, S. 1. Zu den Merkmalen der program mata antiquissima: Mouritsen 1988, 80.

290 Für eine Beschreibung des Kontextes siehe Kapitel 4.1.1. Ein großer Teil dieser Fassade und der darauf angebrachten Dipinti wurde 1943 zerstört. Spinazzola 1953, Taf. 9; Varone/Stefani 2009, 238.

291 Dass das Aufspannen von vela nicht selbstverständlich war, obwohl entsprechende Vorrichtun-gen dauerhaft installiert waren, bemerkt auch Rainer Graefe, der feststellt, dass nur in 20 edicta vela ankündigt werden: Graefe 1979, 8. 68–70.

jedoch hinsichtlich der Seitenverhältnisse der einzelnen Buchstaben, der Behandlung der einzelnen Züge und der Winkel Ähnlichkeiten mit der quadrata oder monumen­

talis auf. Die zweite und dritte Zeile sind dagegen den in unmittelbarer Umgebung befindlichen program mata viel ähnlicher. Die Schreiber nutzen hier also verschiedene Parameter, um die Inschrift effektvoll zu gestalten: Anbringungshöhe, Größe, farb-liche Kontrastierung und unterschiedfarb-liche Buchstabenformen.

Knapp 90 cm rechts von CIL IV 7992 befindet sich ein weiteres edictum (CIL IV 7993).292 Beide Dipinti weisen einige Gemeinsamkeiten auf. Die Dimensionen sind vergleichbar: CIL IV 7993 ist 2 m breit, die oberste Zeile 49 cm hoch und die beiden folgenden 10 und 7 cm. Auch die Anordnung in drei Zeilen entspricht dem, was bei CIL IV 7992 beobachtet werden konnte.293 Die Buchstabenformen weisen ebenfalls Gemeinsamkeiten auf, wobei jedoch die der ersten Zeile etwas schmaler und in ihren Formen stärker der actuaria verpflichtet sind als in 7992. Der Schreiber verwendete ebenfalls sowohl rote als auch schwarze Farbe, und auch hier lässt sich beobachten, dass dadurch der Name des Stifters hervorgehoben werden sollte, da in Zeile 2 alles außer diesem in Schwarz geschrieben war. Ein Unterschied besteht allerdings darin, dass in der ersten Zeile nicht der Name, sondern ein Hinweis auf den Anlass promi-nent erscheint.

Ähnliche Gestaltungsmerkmale, aber wiederum eine andere Textverteilung weist CIL IV 9983a auf, das auf die Fassade der Gräber OS 9 und 11 geschrieben wurde (Abb. F 27). Auch hier wird in der ersten Zeile die Anzahl der Gladiatorenpaare ange-geben, die bei den Spielen auftraten.294 Anders als vielen anderen edicta munerum wird hier jedoch noch vor den Gladiatoren der Veranstaltungsort genannt. Es han-delte sich nämlich nicht um Pompeji, sondern um Cumae. Folglich war gerade diese Information auch für die intendierten Leser besonders wichtig und gehörte an die erste Stelle.295 Diese Art, Informationen von unterschiedlicher Priorität gezielt an den möglichen Stellen der Ankündigungen zu platzieren, ist charakteristisch für die Spielankündigungen.296 Da der Veranstaltungsort außerhalb Pompejis lag, wurde die Ankündigung nicht nur außerhalb der Stadt angebracht, sondern auch eine andere Reihung der Informationen gewählt.

292 Wie lange diese beiden Dipinti tatsächlich nebeneinander zu sehen waren, ist nicht endgültig zu klären. Das edictum des Gnaeus Alleius Nigidius Maius (CIL IV 7993) stammt vermutlich aus der Zeit zwischen 62 und 69 n. Chr. (Franklin 1997, 444 und Sabbatini Tumolesi 1980, 38–40). Für die Ankün-digung der Spiele der Lucreti (CIL IV 7992) ist ein Zeitraum kurz vor dem Tod Neros wahrscheinlich (Mouritsen 1988, 35); für eine frühere Datierung: Sabbatini Tumolesi 1980, 29–31.

293 Größenangaben und Hinweise auf die Anordnung im CIL können bestätigen, dass diese Art der Gliederung üblich war. Vgl. zum Beispiel die Einträge zu CIL IV 1180, 1190, 3881, 3883, 7990 oder 7991.

294 Die Abbildungen in Varone/Stefani 2009, 494–500 zeigen nicht alle Details, sodass hier die An-gaben im CIL besonders wichtig sind. Dort entsteht allerdings der Eindruck, dass die beiden X in Zeile 1 durch den gemalten Gruß auseinandergerückt seien, was ein Blick auf die Fotos widerlegt.

295 Darauf weist auch Sabbatini Tumolesi hin: Sabbatini Tumolesi 1980, 117.

296 Vgl. dazu die Sammlung der Texte bei Sabbatini Tumolesi 1980.

Der Wiedererkennungswert als edictum muneris wurden somit auch über die Form und Gestaltung generiert. Dies zeigt, dass das Schema durchaus variabel war und dass in einigen Fällen dem optischen Erscheinungsbild eine mindestens so große und deutliche Bedeutung beigemessen wurde wie dem eigentlichen Inhalt: Wenn es als gelungen empfunden wird, eine gleichbleibende Form mit immer ähnlichen Inhal-ten zu füllen, dann gewinnt die Form an sich ebenfalls inhaltliche QualitäInhal-ten. Das wird besonders an dem zweiten Beispiel deutlich. Der Begriff dedicatione gibt alleine keinerlei Hinweisdarauf, was hier angekündigt wurde. Aufrgund der formalen Gestal-tung war aber sofort klar, dass es sich um eine Spielankündigung handelte.

Auch unter den edicta munerum können mehrere Exemplare identifiziert werden, die nicht aus den letzten Jahren der Stadt stammen können.297 Diese können anhand von Bezügen auf das Kaiserhaus, prosopographischen Überlegungen, der Orthogra-phie und der PaläograOrthogra-phie in die augusteische Zeit oder kurz danach datiert wer-den.298 Deutlich wird dies zum Beispiel an CIL IV 7994, das an der Casa del Moralista zwischen den Eingängen III 4, 1 und III 4, 2 angebracht war (Abb. 17). Das Schriftbild

297 Von diesen wurden einige in der Nekropole an der Porta Nocera gefunden, was Mouritsen da-durch erklärt, dass in den Nekropolen die Putzflächen beständiger waren und selten erneuert wur-den: Mouritsen 1988, 36.

298 Mouritsen 1988, 36. 189 Anm. 153. Mouritsen nennt hierunter die edicta CIL IV 1196. 3881. 3882.

7994. 9969. 9979. 9980 und 9981a.

Abb. 17: CIL IV 7994, westlich von Eingang III 4, 2. © Su concessione del Ministero per i Beni e le Attività Culturali e per il Turismo – Parco archeologico di Pompei. Jegliche weitere Reproduktion oder Duplikation ist untersagt.

der edicta an Grab EN 10 (Abb. 51) in der Nekropole an der Porta Nocera war außerge-wöhnlich und den program mata antiquissima ähnlich. Die beiden K in dem dort ange-brachten edictum CIL IV 9972 sind insbesondere den K in den oskischen Inschriften Ve 27 (Abb. 2) und Ve 28 besonders ähnlich, deren Schenkel ebenfalls sehr kurz sind und nur etwa ein Drittel der Buchstabenhöhe einnehmen.299 Die Schrift weist grobe, undynamische und serifenlose Formen auf.300 Das Grab wird augusteisch datiert, was bedeutet, dass bereits kurz nach seiner Errichtung die ersten Dipinti daran ange-bracht worden sein müssen.301