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Die Situation, wenn Eltern klar wird, dass ihr Sohn oder ihre Tochter durch einen Unfall oder durch eine krankheits- oder behinderungsbedingte Verschlechterung der körperlichen oder geistigen Verfassung von nun an ein Kind sein wird, das zu Hause intensiv gepflegt werden muss, überfordert erfahrungsgemäß viele Eltern. Sie sind durch die akute Trauer und Unsicherheit der Zukunft oft massiv überfordert mit dieser Situation. (vgl. AOK-Bundesverband 2014, S. 34)

Aus sozialpolitischer und sozialwirtschaftlicher Sicht lautet eine direkt an dieses Problem anschließende Frage, wie es um die Begleitung solcher Familien vom Zeitpunkt der ersten Problembewältigung bis hin zur langfristigen Lösung und Integration der neuen Situation in den familiären Lebensalltag steht. Ganz zentral sind für die Betroffenen gerade in der Zeit des Bekanntwerdens der neuen Situation beispielsweise Fragen, die das schwer zu überblickende Leistungsrecht der Sozialgesetzbücher betreffen.

Während in Deutschland solche Fragen zu Sozial-, Kranken-, Pflege-, Unfall- und Rentenversicherungsleistungen auf Bundesebene geregelt sind (vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz 1975, S. 1–11), liegen in Österreich Teile des Gesundheitswesens, die Bedarfsorientierte Mindestsicherung und ein Großteil der sozialen Dienste in regionaler Kompetenz. (vgl. Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz 2016, S. 16).

Um dem allgemeinen Informationsbedarf betreffend dem deutschen Leistungsrecht zu begegnen, wurden 2002 von den Rehabilitationsträgern (z. B. dt. Rentenversicherung) s. g.

Servicestellen eingerichtet, die dahingehend eine Beratung und Hilfe bei der Antragstellung aus einer zentralen Anlaufstelle leisten sollen. Einer Langzeitstudie (2014) des Bundesverbandes der allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) zu Folge, die die Lebens- und Versorgungssituation von Familien mit chronisch kranken und behinderten Kindern untersucht hat (n=1567), können diese Servicestellen bis heute eine bedarfsgerechte Lösung nicht gewährleisten. (vgl. AOK-Bundesverband 2014, S. 33) Am ehesten sind es stattdessen Selbsthilfevereine, die in puncto Information und Beratung als hilfreichste Anlaufstellen für Familien in den beschriebenen Situationen wahrgenommen werden. (vgl. ebd., 15) Dies ist ein Beispiel dafür, dass Selbsthilfevereine

mit ihrem reichen Erfahrungswissen, das aus dem persönlichen Betroffensein und dem erfolgreichen Umgang mit den entsprechenden Situationen herrührt, große Potenziale sozialer Unterstützung bieten. (vgl. Borgetto 2002, S. 29) Gerade im Gesundheits- und Rehabilitationsbereich werden Selbsthilfevereine von den professionellen Anbietern jedoch mit Skepsis betrachtet, sie werden eher als Auffangnetz, etwa für medizinisch hoffungslose Fälle, wahrgenommen, die zum Versorgungsystem auf Dienstleistungsebene kaum ausreichende Anknüpfungspunkte bieten können. (vgl. Borgetto 2002, S. 29)

Dabei ist anzunehmen, dass sowohl die Professionellen als auch die zumeist ehrenamtlich getragenen Vereine von einem wechselseitigen Austausch in wesentlichem Maß profitieren könnten, nämlich auf der einen Seite in Richtung einer bedürfnisgerechten Patientenzentrierung und auf der anderen Seite in Richtung einer qualitätsorientieren Anpassung der Vereinstätigkeiten und der strukturellen Schnittstellen zum professionellen Versorgungssystem. Es liegt auf der Hand, dass mit gemeinsam gestalteten Angeboten von Gesundheitsdienstleistungen die Situation bestimmter Versorgungsschwachpunkte verbessert werden könnte.

Dieses Ziel hat sich der im osthessischen Fulda (D) ansässige Selbsthilfeverein mit dem Namen „das besondereKind e. V.“ (dbKeV) im Bezug auf die Verbesserung der eingangs beschriebenen Situation von Familien mit besonderen, (auch Seelen-)pflegebedürftigen Kindern gesetzt. Das folgende Zitat von der Homepage des Vereines spiegelt dessen Zielsetzung, dessen Hintergründe und den momentanen Entwicklungsstand eindrücklich wider:

„Als engagierte Eltern eines Intensivkindes haben wir viele Familien mit besonderen Kindern kennengelernt. In vielen Klinikaufenthalten und in Gesprächen mit betroffenen Familien begegneten uns immer wieder verschiedene, aber stets ähnliche Versorgungslücken für solche Familien:

Es mangelt an Hilfe zur Selbsthilfe, an Unterstützung und Ratgeber für ein Leben als Familie im eigenen Zuhause, es mangelt an Entlastung und an Orten der Entspannung und Regeneration, die auf die speziellen Bedürfnisse der Familien ausgelegt sind.

Dies stellt eine große Lücke der Gesundheitsfürsorge dar und geht zu Lasten der Familien. Im Austausch mit der örtlichen Selbsthilfegruppe

„Das besondere Kind“ in Fulda verfestigte sich das Bild einer Verso r-gungslücke im Gesundheitssystem. Durch eine langjährige und intensive Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachkräften aus dem Bereich wurden viele gemeinsame Gespräche zu dieser Problematik geführt.

Aus dem Wunsch heraus etwas zu verändern, wurden aus den „Tischg e-sprächen“ geplante Projekttreffen, in denen die Problemstellung gemeinsam detailliert erörtert, und über mögliche Interventionen zur Abhilfe diskutiert wurde.“ (Das besondere Kind e. V., online, "Verein")

Derzeit bietet der Verein eine wöchentliche Beratungssprechstunde in der Fuldaer Kinderklinik an, sowie monatliche Treffen der Selbsthilfegruppe, dies ebenso in Fulda.

Dort können z. B. Fragen, die das Leistungsrechts aus den Sozialgesetzbüchern betreffen, geklärt werden. Die Gründungsmitglieder, die, wie im Zitat zu erkennen, aus den Eltern sowie professionellen Pflegekräften bestehen (und somit als im Bezug auf das Thema der Arbeit als Peers zu betrachten sind), haben bereits konkrete Ideen, mit welchen Dienstleistungen die Situation der betroffenen Familien verbessert werden könnte.

Der Verein verfolgt das Ziel, neben seinen „klassischen“ beratenden Aufgaben Dienstleistungen anzubieten, die professionelle Aufgaben aus dem Gesundheits- und Sozialbereich umfassen. Mit diesem Professionalisierungsbestreben tritt der Verein aus seinem Selbstverständnis als Selbsthilfeverein heraus und möchte in einen Markt eintreten, der im folgenden Kapitel näher umrissen wird. Stellvertretend für jene potenziell in der gleichen Ausgangssituation befindlichen (Selbsthilfe)Vereine, wird der Verein dbKeV für die Forschungsfrage als Beispiel herangezogen, um zu zeigen, welche Angebote (Selbsthilfe)Vereine zur Verfügung stellen können, um die kurz- und langfristigen Hilfsbedürfnisse der betroffenen Familien zu decken.

Um diese Frage zu Beantworten, werden in der vorliegenden Arbeit zunächst deskriptive Ergebnisse und Modelle der Bedürfnisgestaltung aus Forschungsarbeiten dargestellt, um an diesen Erkenntnissen anzusetzen und genauere Spezifika mittels eines standardisierten Online-Fragebogens mit größtenteils geschlossenen Fragen zu erheben. Zudem werden im Fragebogen die in einem Workshop erarbeiteten Annahmen der GründerInnen des dbKeV, was die Bedürfnisse der betroffenen Familien betrifft, auf ihr Vorliegen innerhalb der Stichprobe hin überprüft. Das Forschungsdesign wurde einerseits gewählt, da sich quantitative Erhebungen in Form von Fragebögen im Allgemeinen zur Verifizierung theoretischer Annahmen eignen. (vgl. Porst 2014, S. 16)

Andererseits soll der Vorteil der technisch einfachen Möglichkeit zur flächendeckenden Befragung und somit das Potenzial für eine hohe Rücklaufquote des Fragebogens genutzt werden. Eltern von besonderen Kindern haben zu 99% Internetzugang (vgl.

AOK-Bundesverband 2014, S. 7). Dadurch kann der Feldzugang über ein Internetforum für Familien mit (schwer) pflegebedürftigen Kindern hergestellt werden. Der Fragebogen besteht aus fünf Themenblöcken, die sich aus der Literaturrecherche bzw. dem Forschungsstand ergeben, sowie aus thematisch zusammengefassten Einschätzungen zur Bedürfnislage der betroffenen Familien seitens der Peers des dbKeV. Insgesamt wurden den Befragten – je nach Filterweiterleitung – bis zu 80 Fragen gestellt.

Das Ziel der Forschungsarbeit ist, mittels der Angaben zu den Bedürfnissen der Familien mögliche Angebote von (Selbsthilfe)Vereinen bzw. sozialwirtschaftlichen Organisationen herauszuarbeiten, die die kurz- und langfristigen Hilfsbedürfnisse der betroffenen Familien erfüllen können. Der Nutzen und die Relevanz dieses Forschungsvorhabens für sozialwirtschaftliche Fragestellungen liegt beim Aufzeigen der Bedürfnisse betroffener Familien für Entrepreneure des Sozial- und Gesundheitswesens, die sich – wie der dbKeV – darum bemühen, Versorgungslücken für Familien mit besonderen Kindern zu schließen.

Insofern versteht sich das Forschungsvorhaben aus der Sicht dieser potenziellen sozialwirtschaftlichen Akteure als marketingorientierte Bedürfniserhebung.

In den folgenden Kapiteln werden zunächst die Rahmenbedingungen des Marktes beschrieben, in den der dbKeV mit seinem Gründungsprojekt eintreten will. Anschließend werden die im Sinne der Forschungsarbeit bedeutsamen Begriffe umrissen. Nach der Darstellung des Forschungsstandes, der zum einen deskriptive Ergebnisse aus vergleichbaren Studien und zum anderen Erkenntnisse aus pflegewissenschaftlichen Modellen zum Thema umfasst, wird in weiter Folge das Forschungsdesign und die Konzeption des Fragebogens erläutert. Folgend werden die bei der Erhebung gewonnen Daten beschrieben und interpretiert.

Im Ergebnisteil werden die wichtigsten Erkenntnisse der erstellten Themenbereiche zusammengefasst und deren Bedeutung für die Angebotsgestaltung von (Selbsthilfe)Vereinen dargestellt. Ein abschließendes Resümee und ein Ausblick runden die Arbeit ab.