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3. Hans Haid – „Porträt eines Querdenkers“

5.1 Dramatis Personae

Die Hauptdarsteller bestanden vorwiegend aus dem Personal der Telfer Volksschauspiele. Zusätzlich sollten so viele Laien wie möglich als Dorfbewohner und -bewohnerinnen mitwirken. Sie sind das Personal für die Schneemädchen und Schneeböcke.248 Die Zusammenstellung der Figuren entspricht der eines Volksstücks. Es handelt sich, wie Mertz es nennt, um eine überschaubare Dorfgemeinschaft. Zu berücksichtigen ist, dass die Darsteller häufig an reale Besetzungsmöglichkeiten angepasst wurden.249 Ansonsten werden Figuren eingesetzt, die für die Handlungen und damit verbundenen Themen passend sind.

6. Der Ausverkauf der Heimat – Von „Lemmingen“250 und „Tanzbären“251

Wie er in einem seiner Aufsätze erwähnt, stört den Autor, dass sich die Einheimischen zu „Tanzbären“

degradieren lassen. Die Anpassung des Individuums an die Wünsche der Fremdenverkehrsindustrie wird durch die Figur Moidl angesprochen. Dabei schreckt die Figur nicht davor zurück, die Volkskultur auf dem Präsentierteller anzubieten und selbst ihren „Vetter“ Vitus würde sie als „Hauskasperl“ einsetzen, um die Gäste zu unterhalten.

6.1 Moidl, Gletschermoidl, Firnmarie

Moidl ist eine dynamische und gutaussehende jüngere Figur. Als Hotelbesitzerin vertritt sie die Meinung, dass nur derjenige weiterkommt, der investiert und mitmacht. Moidl ist der Spitzname für Maria und passt ironischerweise gut zur Figur Seppl. Dieses Figurenpaar könnte eine Anspielung auf Maria und Josef sein. Hinter dieser (schein-)heiligen Fassade wird das moralisch verwerfliche Handeln

beziehungsweise das „Mitmachen“ vorgeführt. Die Figur tritt in Tracht auf und spricht im Dialekt. Sie ist ledig und sehr beliebt im Dorf. Sie hat viel Geld und Besitz und setzt, laut Bötin, gerne ihre Reize ein, um zu bekommen, was sie will.252 Im Stück wird angedeutet, dass sowohl der Bürgermeister,als auch Seppl

247 Andreas Lechner, E-Mail an Prisca Seelos, 13.09.2019.

248 Hans Haid, Tanneneh, zu den Personen, in: Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Nachlass Hans Haid: Sig. 200-8-1.

249 Mertz 1985, S. 175–176.

250 Haid 1989, S. 61.

251 Haid, Tanzbären 1987, S. 1.

252 Haid, Tanneneh 1986, S. 6, 1. Akt, Szene 2.

ihre süße und teilweise naive Art anziehend finden. Das nutzt Moidl gekonnt aus, um den Ausbau ihres Hotels genehmigt zu bekommen sowie die dafür notwendigen Geldmittel. Die Verbindung zwischen ihr und der Figur Seppl wird bereits im Personenverzeichnis sichtbar. Er wird als Schneegott und sie als Schneegöttin bezeichnet. Beide arbeiten im Dienstleistungssektor, innerhalb der Tourismusbranche und sind von dieser abhängig. Ohne den Fremdenverkehr würde Moidl kein Hotel bewirtschaften und Seppl hätte nicht die Bestrebungen, die Wintersaison zu verlängern. Als Seilbahndirektor und Skilehrer ist er von einer „Schneegarantie“ besessen.

In einem Artikel von der Journalistin und Autorin Krista Hauser, der sich im Nachlass Haids befindet, wird erwähnt:

„An dieser Stelle müßte ich als Tirolerin natürlich gegen den Fremdenverkehr zu Felde ziehen.

Ich weiß. Doch es schimpft sich so leicht, es ist auch wunderschön Askese zu predigen, wenn man selbst einen Arbeitsplatz in einem anderen Erwerbszweig hat.“253

Dass gerade in Tirol der Ausbau der Tourismusbranche unzählige Arbeitsplätze schuf und dieser Erwerbszweig einen nicht unerheblichen Teil der Einnahmen Tirols auch heute ausmacht, sollte immer berücksichtigt werden.

Für die Aufstockung ihres Hotels holt sie sich einen „fragwürdigen Kredit“. Auch gegenüber Vitus gibt sie ihre Geldquelle nicht bekannt, was in einer Szene hervorgeht.

„Moidl: „ICH HABS HALT GEWONNEN

Vitus: „geh, Patscherl, das kannst mir doch nit erzählen Fremdes Geld ist SCHANDGELD

Weil sie dich kaufen wollen. Daß du auch mitmachst…“254

Die Figur lässt nicht durchblicken, woher sie den Kredit bekommen hat und welche Voraussetzungen sie dafür benötigte. Ein Beispiel dafür, wie abhängig die Dörfer und deren Bewohner und Bewohnerinnen von der Fremdenverkehrsindustrie sowie der Vergabe von fragwürdigen Krediten waren.

Moidl macht mit, ohne über die möglichen Folgen nachzudenken. Sie möchte nicht zurückbleiben und reflektiert zukünftige negative Folgen der Verschuldung nicht.

„Weißt, ich kann nit zurückbleibm, Alle sind dran.

Alle müssn zusammenhaltn und bauen. Und expandieren und aufstockn.“255

Die Investitionsmittel von Banken, Bauwirtschaften, Privatinvestoren oder

Fremdenverkehrsgesellschaften führten nicht nur zum Ausbau der Fremdenverkehrsdörfer und brachten Kapital, sie schufen auch, wie bereits erwähnt, Abhängigkeiten256 und bedrohten im weiteren Verlauf die

253 Krista Hauser, Tirol 1984 UND DIE MEDIEN, in: Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Nachlass Hans Haid: Sig. 200-8-6.

254 Haid, Tanneneh 1986, S. 15, Zeile 22–25.

255 Ebd., S. 17, Zeile 21–23.

256 Haimayer 1993, S. 15.

Existenz all jener, welche nicht mit der Konkurrenz mithalten konnten. Moidl sieht die Notwendigkeit einer Expansion, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Seit Jahrzehnten zählt die Tourismusbranche zur einer der am stärksten verschuldeten in Österreich. Das Problem des Ausbaus ist, dass nur in bestimmten Zeiten im Jahr das Hotel ausgelastet sein wird. Die Finanzierungskosten ändern sich jedoch nicht. Der hohe „Modernisierungs- und Renovierungsdruck“

entsteht dadurch, dass man mit der Konkurrenz mithalten möchte und den Trends folgen. Um den Cash-flow und den Umsatz zu verbessern, da die Auslastung über das Jahr hinweg nicht reicht, werden wieder neue Kredite aufgenommen und erhöhen die Schuldenlast.Dadurch kann ein Betrieb in einen

Teufelskreis geraten. 257

Der Figur sind dabei nicht die Hände gebunden, sondern sie macht einfach mit, weil es alle machen. Sie spielt mit ihren Reizen und dem Begehren des Bürgermeisters, der scheinbar den Umbau des Hotels genehmigen muss.

6.1.1 Sex Sells – Prostitution im Drama

Um dem Gast unauffällig Geld abzuknöpfen, werden auch sexuelle Schranken durchbrochen, so Haid. Die Bötin spielt im Drama auf die sexuelle Freizügigkeit der Moidl an, die damit dem Gast das Geld

abknöpfen möchte.

„nimmt aus den Gast und melkt und melkt so wie die andern auch…

Heb auf, Marie den roten Rock“258

Moidl wird als „leichtes Mädchen“ vorgestellt, welche auch ihren Körper verkaufen würde, wenn der Gewinn dementsprechend groß ist. In der Szene zwischen ihr und Vitus erwähnt Moidl, dass sie den Kredit für einen Liebesdienst bekommen hätte, wobei sie ihre tatsächliche Geldquelle immer noch nicht bekannt gibt. Die Kritik Haids am Massentourismus, für den sogar der eigene Körper verkauft wird, könnte weiterführend auf den zunehmenden Sextourismus angewandt werden.

Die Scheinheiligkeit im katholischen Land Tirol, wo Jugendliche schwanger werden und die Ausbreitung der Prostitution im Land zunimmt259, wird im Stück in einer weiteren Szene ausführlich behandelt.

In der fünften Szene des dritten Akts trifft der Chor der Schneemädchen auf den der Bergböcke. Als keusch und rein, wie der Schnee, werden die Mädchen dargestellt. Die Männer hingegen sind

braungebrannte Burschen, welche dem neuen Gott huldigen, dem Schnee. Der Schnee steht in diesen Reimen als Symbol für das Geld. Dieses beherrscht den Lift, den Knecht und den Hotelier. Die Böcke

257 Sylvia Leodolter/Rudolf Kaske, Tourismus in Österreich: Zukunftsbranche oder Einstieg in die Arbeitslosigkeit?, 2003, S. 102-103,

[https://emedien.arbeiterkammer.at/viewer/rest/pdf/mets/AC03887997.xml/LOG_0003/Tourismus_in_sterreich_18.pdf], eingesehen 03.11.2020.

258 Haid, Tanneneh 1986, S. 6, Zeile 34–36.

259 Haid, Allgemeine Anmerkungen 1987, S. 9–10.

schreien nach dem Lohn und nach den Geißen, wie die Moidl nach dem Seppl schreit.

„sperrt alle Hosen weit weit auf und kommt zum großen Ausverkauf“260

Die Schneemädchen kommen aus der Bar und dienen stets und ganz klar dem Schnee, dem Heimatland.

„Wir sind noch feil und schreien laut SCHI HEIL“261

Die Figuren werden hier zu nicht-menschlichen Tieren degradiert und abwertend als Böcke und Geißen bezeichnet, die nur ihren Trieben folgen. Dieser Trieb ist das Verlangen nach Geld, wie es die Bötin treffend formuliert.

„Sie hat das Loch und er das Glied […]

Sie hat das Mühlrad und er treibt […]

Sie streckt es hin und er bezahlt […]“262

Um Gewinn zu erzielen, benötigt es im Heimatland Schnee, damit die Touristen und Touristinnen ihren Wintersport ausüben können. Kultur und Menschen werden zur Ware, um dem Gast sein Geld

abzuknöpfen und den Tourismussektor im Dorf zu stärken. Die Anspielungen auf Prostitution können auf das Exhibieren intimer Volkskultur bezogen werden.263

6.2 Die Junge – Die Chancenlosigkeit der Jugend

Haid schreibt, dass die Jugendlichen und Kinder im Dorf sich für diese Entwicklung schämen würden. Für die Zukunft bedeutet das, dass sie entweder wegziehen oder zu trinken beginnen. Familienbetriebe werden nicht mehr weitergeführt und von auswärtigen Investoren aufgekauft.264

Diese hart formulierte Zukunftsperspektive der Jugend wird bei Haid nicht näher ausgeführt. Der Kampf gegen die Landflucht in Tirol ist ein aktuelles Thema. Die wachsenden Städte mit ihren zahlreichen Job- und Freizeitangeboten führen dazu, dass gerade junge Menschen ihren ländlichen Heimatort verlassen.

Die Junge ist die Figur im Drama, die bereits durch ihren Namen die Jugend im Dorf repräsentiert. Es gibt weder eine detaillierte Figurenbeschreibung des Autors noch einen realen Besetzungsvorschlag. Es sollte eine ordinäre Marketenderin sein, die im Dialekt beziehungsweise in Umgangssprache spricht.265

Eine Marketenderin hat die Aufgabe der Getränkeversorgung bei Festen von Schützenvereinen und Musikkompanien. Die Scheinheiligkeit und Fassadenmoral der Dorfbewohner und -bewohnerinnen wird,

260 Haid, Tanneneh 1986, S. 68, Zeile 45–46.

261 Haid, Tanneneh 1986, S. 68, Zeile 17–19.

262 Ebd., S. 57, Zeile 5–16.

263 Neue Tiroler Zeitung, Jutta Höpfel, 13.08.1986, Finger auf die Wunde: Hans Haids „Tanneneh“, in: Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Nachlass Hans Haid: Sig. 200-8-7.

264 Haid, Allgemeine Anmerkungen 1987, S. 10.

265 Haid, Tanneneh 1986, S. 10, Regiebemerkung Zeile 3–4.

wie im nachstehenden Zitat ersichtlich, durch die Figur Junge angesprochen.

„a Quatsch lautr Luugn

schauts on des Graffl do auf die Heisr Bluemen, Bluemen olls zum Schein

inwenig drein seins SCHWEIN“266

Wie bereits erwähnt, wurden die Dörfer gerne für Touristen und Touristinnen mit einem einheitlichen Blumenschmuck verschönert. Das Dorf sollte ein gutes Bild abgeben. Was im Privatbereich geschah, wurde nicht nach außen getragen. Für den Tourismus wird das Bild des Dorfes inklusive Bewohner präpariert und gleicht einem Schauspiel. Dieses versteckte „Schwein sein“ unterstützt die Figur mit ihren Handlungen und ihrem sexistischen und ordinären Verhalten. Dabei zeigt sie auf, dass das von den Figuren erwähnte Volkstum nur „Pflanz und Lug“267 sei, alles, um Geld zu verdienen.

Die Junge ist bei der Errichtung des Marterls am Dorfplatz dabei, wenn auch widerwillig. Das Verständnis der Jugend für volkstümliche Traditionen und Kultur sah Haid gefährdet. Diese Figur macht zwar mit, ohne aber sich mit den alten Werten und Traditionen und dem religiösen Glauben zu identifizieren.

Sie kritisiert die Figur Hilde spöttisch als „Betschweschtr“268 die nur Leute abwertet. Sie betont, dass Seppl derjenige sei, der weiß, was er will, und der das Dorf voranbringen möchte.

Wie die Junge die mögliche Zukunft sieht, hält die nachstehende Aussage fest:

„was hilft da is Betn ? an SCHMARRN

GELD UND SCHNEE UND VOLLE BETTN UND VOLLE HOTELS und AUF JEDN SESSL A FETTR HINTRN…

DAS HILFT“269

Die Ideologie von Seppls Zukunft ist auf die Jugend übergegangen. Und Haid zeigt dieses Gedankengut als gefährlich und ideologisch auf, wie bei Seppls Figurenbeschreibung noch deutlich wird. Im letzten Akt wird die Junge zum Symbol des Ausverkaufs, indem sie kitschiges Werbematerial für Seppls Anliegen verkauft.

Laut Regieanweisungen wird die Figur jünger und braun geschminkt.270 Dieses „Braungebrannte“, das Haid immer wieder erwähnt, erinnert an den Nationalsozialismus und die Uniformen der SA mit ihren

266 Haid, Tanneneh 1986, S. 10, Zeile 11–17.

267 Ebd., S. 11, Zeile 16–19.

268 Ebd., S. 11, Zeile 26.

269 Ebd., S. 42, Zeile 23–27.

270 Ebd., S. 59, Regiebemerkung Zeile 5.

Massenaufmärschen als „Braunhemden“.271

Die Scheinheiligkeit, die von der Jungen angesprochen wird, untergräbt der Dorfwirt, indem er ihr eine Schwärmerei für Seppl und alle Böcke im Dorf vorwirft.

„ Der Wirt: könntn nicht genug Böck im Dorf sein Ha: und der SEPPL tat dir gfalln schon vergeben

fix verkauft“272

Die Dorfbewohner- und bewohnerinnen übersehen den Identitätsverlust der jungen Generation durch ihr eigenes Zutun. Die Vorwürfe der Jungen werden nicht reflektiert und sie wird auf einen

hormongesteuerten Teenager reduziert. Dabei ist ein Anreiz für die Figur „Die Junge“, den Ausverkauf zu unterstützen, das Geld.

„Geld zu Geld

die MOIDL stockt ja sackrisch auf. Fufzig Bettn.“273

Dass Geld den sozialen Status des Einzelnen in der Gesellschaft definiert und sogar eine Verbindung zweier Menschen dadurch bestimmt wird, wird in der oben angeführten Aussage „Geld zu Geld“

deutlich. Eine Heirat des Geldes wegen ist ein oft vorkommendes Motiv in Volksstücken, ebenso die Abwanderung der Jugend in die Städte.274 Grund dafür ist der Ausverkauf des Dorfes, der dazu führt, dass Bauern und Bäuerinnen ihr Land verkaufen und selbst zu Pendlern werden. Dass die Jugend ihre Chance nicht in der Übernahme des Hofes sieht, ist ein in Volksstücken oft thematisierter

Generationenkonflikt, wie beispielsweise in „Grummetzeit“ von Josef Feichtinger.

Der Ausverkauf des kulturellen Guts wird dem Publikum aufgezeigt, indem die Junge „zerlegbare

SCHILEHRER, TRACHTENPÄRCHEN; ZUHÄLTER; BERGBÖCKE“275 in vulgärer Manier anbietet. Im dritten Akt ist alles billig und feil und die Figur wird Teil des großen Spektakels. Folgen davon sind der Verlust der künftigen Generationen, die keine Zukunft in ihrem Dorf sehen.

Durch die Figur Moidl und die Junge wird die Aussichtslosigkeit der jungen Generation und die zunehmende Abhängigkeit der Hotellerie von der Tourismusbranche aufgezeigt. Das Anbieten von verkitschter Folklore sowie der Ausverkauf der (Volks-)Kultur war ein weiterer Kritikpunkt Haids, der folgend dargestellt wird.

7. Der Ausverkauf der (Volks-)Kultur

271 dpa, Braun war Farbe der Nazis in der NS-Zeit, in: Focus.de, 17.11.2011,

[https://www.focus.de/politik/deutschland/extremismus-braun-war-farbe-der-nazis-in-der-ns-zeit_aid_685411.html], eingesehen 02.02.2020.

272 Haid 1986, Tanneneh, S. 43, Zeile 15–18.

273 Ebd., S. 43, Zeile 18–19.

274 Mertz 1985, S. 67–69.

275 Haid, Tanneneh 1986, S. 59, Zeile 26–27.

Im Drama wird der von Haid abgelehnte „Harte Folklorismus“ durch die Figur Seppl angesprochen.

Dieser möchte das „Wedln“, also Skifahren, in den Volkstanz integrieren.276 Der Kulturbegriff wird von den Figuren unterschiedlich definiert. Die Kultur ist aus der Sicht der Figur Seppl veränderbar, ausbaubar und vor allem verkäuflich. Für ihn muss Kultur jederzeit abrufbar sein, zur Erzielung von Gewinn und Ansehen. Die Heimatvereine, wie die Plattler und Volkstänzer, gehören zur Kultur.277 Die Figur Hech beinhaltet Kultur, die Landschaft, den Schnee und die Menschen. Für die Bötin beinhaltet der Begriff das Alte, Überlieferte und das geschundene Bauernvolk.278 Interessant ist, dass sie selbst an der Vermarktung teilnimmt, indem sie das heilende Gletscherwasser anbietet.

7.1 Seppl – Die Figur

Die Figur Seppl ist eine der Hauptfiguren und strebt das Amt des Bürgermeisters an. Patriotismus und Militarismus sind dabei notwendige Disziplinen, um seine Ziele zu erreichen. Die Modernisierung des Dorfs und dessen Bewohner und Bewohnerinnen steht in seinem Fokus. Mit Hilfe einer modernen Gesinnung und der „Schnee-Bakterie“ möchte er größeren Gewinn erzielen und den Ort zum Supertourismus-Ort ausbauen. Dabei stehen ihm die Anhänger des „alten Glaubens“ im Weg. Seppl, auch Firnjosef genannt, ist der „technische Direktor der neuen GletscherbahnengesembeHaund CO-KG“279 und wird von der Bötin als „Zuchtwart der Genossenschaft“280 für verschiedene Tierarten bezeichnet. Dieser, besonders in der nationalsozialistischen Zeit, verwendete und heute sehr negativ konnotierte Begriff war, laut R. W. Darré, die Verdeutschung des Wortes „Eugeniker“.281 Seppl ist eine klischeehafte eindimensionale Figur, die durch einen NS-Jargon auffällt. Um seine Ziele zu erreichen, benötigt er nicht denkende und gehorsame Menschen, die ihm blind folgen.

„nicht denken Nur gehorchen!“ 282

Sein Ziel ein „durchtrainiertes Alpenvolk:

stramm und zackig

voller Muskeln….ganze Bündel […]“283

Kerngesunde und starke Körper, die „Künstler der weißen Pisten“284 sind es, die für Seppl an der Spitze der Bevölkerung des Dorfes stehen sollten. Die Verlängerung der Saison durch Gewährleistung

dauerhaften Pistengenusses sowie die Anpassung des Kulturguts an die Wünsche der Touristen und

276 Ebd., S. 22, Zeile 17+18.

277 Ebd., S. 25–28.

278 Ebd., S. 12–13.

279 Haid, Tanneneh 1986, S. 7, Zeile 18–19.

280 Ebd., S. 7, Zeile 28.

281 Cornelia Schmitz-Berning, Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin-New York 2007, S. 708.

282 Haid, Tanneneh 1986, S. 7, Zeile 14–15.

283 Ebd., Zeile 26–28.

284 Ebd., Zeile 21.

Touristinnen sind die Schwerpunktthemen, die die Figur anspricht.285 Den kulturellen Wandel, den sich Seppl wünscht, sieht er in einem Wandel der sozialen Strukturen der Dorfgemeinschaft. Die

Verlängerung der Saison soll die Schnee-Bakterie bringen.

Haid stellt diesen Charakter sehr negativ dar und holt mit dieser Figur die NS-Vergangenheit hervor, worauf noch detaillierter eingegangen wird. Diese klischeehafte Inszenierung der Figur lässt keinen positiven Gedanken an die neue Technologie zu.

Um seine Anhängerschaft zu vergrößern, bedient sich Seppl eines radikalen Führungsstils mit Elementen der Unterdrückung. Mit einer aggressiven, militärischen Disziplin unterstützt er seine Bestrebung nach einer in sich homogenen Dorfgemeinschaft.

Im dritten Akt hält Seppl eine Rede und postuliert die Grundsätze der „Neuen Zeit“. Alle marschieren gemeinsam in die Zukunft und das Schneedenkmal, der Stiefel, erhält seinen Sinn.

„ES GIBT KEIN ZU-RÜCK INS GEST-ERN ES GIBT NUR EIN VOORWÄRTS

MARSCH MARSCH MARSCH“286

In der zweiten Szene wird der Kontrast von archaisch-bäuerlich und alpin-dynamisch nochmals deutlich vorgeführt. Seppl und Moidl suchen nach dem von ihnen gewünschten Volk und definieren die dafür notwendigen Merkmale. Seppls Gegner müssen vor ihm kriechen und werden gegen Ende eingesperrt.287 In weiteren Szenen betont die Figur Reinheit ihrer Rasse und die Notwendigkeit einer „NEUEN Rasse“ für die von ihnen gewünschte „Neue Kultur“.

„RASSISCHE ETHNIEN voller Saft und Kraft und damit können wir unsere geistig-kulturelle Zugehörigkeit zur SCHNEERASSE dokumentieren […]“288

7.1.2 Haids Kritik am Nationalsozialismus

Die Ablehnung des zeitgenössisch vorherrschenden Nationalsozialismus, dessen Reste in Tirol

vorwiegend in den Heimat- und Schützenverbänden vorzufinden waren, drückte Haid in seinem Stück

„Tanneneh“ mehr als deutlich aus. Dabei greift er auf Schlagwörter der NS-Zeit zurück und veranstaltet eine Menschenschau, durchgeführt von der Figur Seppl. Die Suche nach den besten Männern und Frauen basiert auf den nationalsozialistischen Reinheitsgesetzen und dem Ausschluss aller anderen.289 Seppl entspricht einem nationalsozialistisch denkenden Charakter, welcher seine eigene „Rasse“

glorifiziert und nur diese als Anhängerschaft akzeptiert. So sollten laut der Figur Seppl die gewünschten

285 Ebd., S. 25–26.

286 Haid, Tanneneh 1986, S. 61, Zeile 21–23.

287 Ebd., S. 63, 3. Akt, Szene 2.

288 Ebd., S. 75, Zeile 21–23.

289 Ebd., S. 66.

„Älpler“ durchtrainiert und kampferprobt sein.290 Seine Äußerungen sind nationalistisch und rassistisch, wie im nachfolgenden Zitat zu erkennen ist.

„Nur ein durch und durch durchtrainiertes Volk kann in den Zeiten des Wedelns und Tretens standhalten. Das Heranzüchten kerngesunder Körper macht unser Volk zum Unterschied von den Völkerun ringsum, im Osten und im Weste, im Norden und Süden vergleichsweise zu einem uerschütterlichen starken, unbeugsamen, gestählten VOLKSGANZEN. […] Die Haflinger unter den Menschenrassen, sozusagen.“291

In diesem Auszug aus dem Drama reduziert die Figur Seppl den Menschen auf einen Körper, der je nach belieben gezüchtet werden kann. Dabei wird ein Vokabular eingesetzt, wie „Menschenrassen“, das in der Zeit des Nationalsozialismus verstärkt mit einer negativen Bedeutung aufgeladen wurde. Das

Heranzüchten von kerngesunden und starken Körpern lässt sich mit der betriebenen Eugenik, während des Nationalsozialismus, in Beziehung setzen. Die Figur verkörpert einen geldgierigen und

nationalsozialistischen Schilehrer und technischen Seilbahndirektor, der sich als zukünftiger

Bürgermeister der Gemeinde sieht und dabei auf repressive Elemente aus der NS-Ideologie zurückgreift, um seinen Willen durchzusetzen. Die Kritik an einer Politik, die Technisierung und Maschinisierung zum Nachteil der Natur zulässt, wird durch Seppls Transformation zum Schneemandl aufgezeigt und im nächsten Punkt detaillierter ausgeführt.

7.1.3 Seppls Transformation

Die Figur wird im zweiten Akt zum von Haid kritisch betrachteten „Schneemandl“. Das bekannte Maskottchen, welches für die Olympischen Winterspiele 1976 in Innsbruck kreiert wurde, wird in

„Tanneneh“ zum Symbol für die zunehmend absurden Marketingstrategien Tirols. Damals wurden etliche Werbeartikel hergestellt, um die Olympischen Winterspiele zu bewerben. Die enormen ökologischen und ökonomischen Folgen sind bis heute sichtbar. Die kitschige Vermarktung der Spiele fand ihren

„Tanneneh“ zum Symbol für die zunehmend absurden Marketingstrategien Tirols. Damals wurden etliche Werbeartikel hergestellt, um die Olympischen Winterspiele zu bewerben. Die enormen ökologischen und ökonomischen Folgen sind bis heute sichtbar. Die kitschige Vermarktung der Spiele fand ihren