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4.2 Ergebnisse in Europa

4.2.3 Versorgungsprogramme

4.2.3.1 DMP „Diabetes“ in Deutschland

Zur Verbesserung der Versorgung chronisch Kranker hat der vom Ministerium für sundheit eingerichtete "Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im deutschen Ge-sundheitswesen" im Jahre 2000 organisatorische Verbesserungen im Übergang zwischen

den Versorgungssektoren, den Institutionen und den Professionen des deutschen Ge-sundheitswesens gefordert. Insbesondere die Verbesserung der Prozess- und Ergebnis-qualität und eine stärkere Strukturierung des Behandlungs- und Betreuungsprozesses bei Diabetes mellitus sollte mit der Festlegung individueller Behandlungsziele im Mittelpunkt stehen.

Die daraus entstandenen Disease Management Programme (DMP) sind Vereinbarungen zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen der Regionen und den gesetzlichen Kran-kenkassen, die im Hinblick auf die Versorgung von Diabetes mellitus und anderen chroni-schen Krankheitsbildern geschlossen wurden. Die Krankenkassen müssen in diesem Rahmen die Programme entwickeln und haben die erforderlichen Verträge mit Ärztin-nen/Ärzten, Krankenhäusern und anderen Leistungserbringern abzuschließen. Die Anfor-derungen an solche strukturierte Behandlungsprogramme gemäß § 137f SGB 5 (Sozial-gesetzbuch) wurden durch den Gemeinsamen Bundesausschuss der Selbstverwaltung er-arbeitet und dem deutschen Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung zur Festlegung in einer Rechtsverordnung empfohlen. Diese Rechtsverordnung trat am 1.

Juli 2002 in Kraft. Inhalte der zu erfüllenden Forderungen sind:

Regelung der Einschreibung der Versicherten in das Programm, einschließlich Dauer der Teilnahme (z. B. drei Jahre)

Behandlung nach evidenzbasierten Leitlinien Dokumentation

Ständige Qualitätssicherungsmaßnahmen

Schulungen der Leistungserbringer und der Versicherten Evaluation

Grundsätzlich ist das folgende Prozedere vorgesehen: Geeignete Patientinnen und Patien-ten werden für das Programm nach vorgegebenen Einschreibekriterien ausgewählt. Im Zentrum stehen Hausärztin/Hausarzt und Patientin/Patient, die das DMP gemeinsam durchführen und kooperativ Therapieziele und Behandlungsverlauf auf der Basis einer in-dividuellen Risikoabschätzung festlegen. Der Ärztin bzw. dem Arzt kommt die Rolle der Koordinatorin/des Koordinators in einem Netzwerk von Therapeutinnen/Therapeuten zu ("Disease Manager"). Mit der Teilnahme am DMP verpflichtet sie/er sich zur Einhaltung eines strukturierten Behandlungsprogramms und zur Anerkennung evidenzbasierter the-rapeutischer Leitlinien, wobei die Leitlinien einen Behandlungs-„Korridor“ vorgeben, in-nerhalb dessen die Therapiefreiheit der Ärztin/des Arztes zur Berücksichtigung individuel-ler Bedürfnisse erhalten bleibt. Bei Vorliegen bestimmter Indikationen muss eine Über-weisung der Patientin oder des Patienten zur jeweiligen Fachärztin/zum jeweiligen Fach-arzt bzw. in eine diabetologische Schwerpunktpraxis/-einrichtung erfolgen.

Die Teilnahme der Patientinnen und Patienten am DMP ist freiwillig und kann jederzeit ohne Angabe von Gründen beendet werden. Die Krankenkassen sehen allerdings finan-zielle Anreize und Bonuspunkte als "Belohnung" vor.

Im Rahmen der Programme sind sowohl Schulungen der Patientinnen/Patienten als auch der Leistungserbringer vorgesehen. Jede Patientin und jeder Patient hat Zugang zu ei-nem strukturierten, evaluierten, zielgruppenspezifischen und publizierten Schulungs- und Behandlungsprogramm, in dem sie/er Beratung und Information u. a. über Ernährung, Bewegung, Risiken des Rauchens und Durchführung der Stoffwechselkontrolle bzw.

In-reichung der vertraglich vereinbarten Versorgungsziele und sind Voraussetzung für die Teilnahme am DMP.

Mit Hilfe einer kontinuierlichen und strukturierten Dokumentation soll der Krankheits- und Behandlungsverlauf langfristig erfasst werden. Die am DMP beteiligten Ärztinnen und Ärzte erhalten im halbjährlichen Abstand Auswertungen zu den Behandlungsergebnissen ihrer Patientinnen/Patienten in sogenannten Feedback-Berichten. Diese Berichte zeigen den Erreichungsgrad der Therapieziele und geben im Sinne eines Benchmarkings einen Überblick über die Behandlungsergebnisse im Vergleich zu allen am DMP beteiligten Arzt-praxen. Die Versicherten haben das Recht, die sie betreffenden Unterlagen jederzeit ein-zusehen.

Durch regelmäßige Evaluation soll die Qualität der Behandlungsprogramme langfristig gesichert werden. Im Rahmen der Evaluation wird insbesondere auf die Therapiezielerrei-chung, die Einhaltung der Einschreibekriterien und ökonomische Effizienz geachtet, aber auch die Sicherstellung der Versorgung von nicht am Programm teilnehmenden Patien-tinnen bzw. Patienten untersucht.

3.079 Disease Management Programme für Patientinnen und Patienten mit Typ 2-Diabetes wurden bis Juli 2005 vom Bundesversicherungsamt zugelassen und in allen Bundesländern implementiert. Es nehmen fast 1,6 Millionen Patientinnen und Patienten (das sind ca. 25% aller Personen mit bekanntem Typ 2-Diabetes in Deutschland) teil und innerhalb eines Jahres von 2004 auf 2005 konnte die Teilnehmerzahl um ca. 50 Prozent gesteigert werden (Stand 18. August 2005).

4.2.4 Primärprävention

Der Primärprävention wird in den meisten Ländern große Bedeutung beigemessen. Elf Länder berichteten über nationale Aktionspläne oder Strategien (vgl. auch Punkt 4.2.1), die den Stellenwert der Primärprävention betonen. Es handelt sich dabei zum einen um diabetesspezifische Aktionspläne, die sich auch auf die Primärprävention beziehen (Dä-nemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Malta, Rumänien, Schweden; in Vorberei-tung: Polen). Zum anderen gibt es einige Länder, die auf breitere Präventionsprogramme – meist mit Schwerpunkt auf Ernährung – verweisen, die auch eine Referenz für die Pri-märprävention von Typ 2-Diabetes darstellen (italienischer Präventionsplan 2005 bis 2007, slowenisches Ernährungsprogramm für 2005 bis 2010, spanische Strategie für Er-nährung, physische Aktivität und Prävention von Adipositas).

Mehrere Länder (z. B. Polen, Rumänien, Slowenien, Spanien) nennen im Zusammenhang mit Strategien und Maßnahmen der Primärprävention ihre Teilnahme am CINDI-Programm (Countrywide Integrated Noncommunicable Diseases Intervention) der WHO, im Rahmen dessen Strategien und integrierte Ansätze zur Prävention von nicht-übertragbaren chronischen Erkrankungen (inklusive Diabetes) entwickelt und umgesetzt werden. Am CINDI-Netzwerk von WHO Europa sind die meisten EU-Mitgliedsländer betei-ligt, zumindest ein Teil befasst sich in diesem Rahmen auch mit Gesundheitsförderung und Primärprävention im Bereich Diabetes.

Es wurde über keine existierenden Leitlinien oder Qualitätsstandards zur Primärpräventi-on vPrimärpräventi-on Typ 2-Diabetes berichtet. In Großbritannien sind solche aber derzeit in Entwick-lung und sollen in Kürze vorliegen.

Bei mehr als der Hälfte der erfassten Länder (Belgien, Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Italien, Lettland, Luxemburg, Niederlande, Malta, Polen, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Zypern) wird Primärprävention als einer der Schwerpunkte der Maßnahmen zur Prävention von Typ 2-Diabetes genannt.

Neun Programme wurden als besonders wichtige Maßnahmen ausführlicher dargestellt.

Der Schwerpunkt aller angeführten Programme liegt auf der Vermittlung von Informatio-nen bezüglich eines gesunden Lebensstils (vor allem Ernährung, Bewegung). Sie richten sich meist an die Gesamtbevölkerung, zum Teil über das Setting Schule spezifisch an Kinder und Jugendliche. So gibt es beispielsweise in Slowenien mit „My Knowledge About Diabetes“ (vgl. auch Punkt 4.2.8.1) ein Programm für Schülerinnen und Schüler, das jährliche Wettbewerbe zur Erhebung des Wissens in Quizform beinhaltet. Italien berichtet über eine Kampagne zur Prävention von Diabetes, die mit massenmedialen Mitteln (TV-Werbespots, Plakate, Website) arbeitet. Das britische Programm „Choosing Health. Ma-king healthy choices easier“ (vgl. Punkt 4.2.4.1) zielt neben unspezifischer Primärprä-vention durch Information der breiten Öffentlichkeit auch auf SekundärpräPrimärprä-vention durch die Unterstützung von neu diagnostizierten Diabetikerinnen und Diabetikern ab. In den Niederlanden finden sich die beiden Programme „Nederland in beweging“ und „Nederland maak je niet dik“, die sich an übergewichtige Personen richten und mittels Medienkam-pagnen über die Gefahren von Bewegungsmangel und Übergewicht informieren und da-mit indirekt auch einen Beitrag zur Diabetesprävention leisten wollen. Das dreistufige deutsche Projekt PRAEDIAS (Prävention des Diabetes – Selbst aktiv werden) inkludiert einen einfachen Test zur Bestimmung des persönlichen Risikos, Informationen zu günsti-gem Ernährungs- und Bewegungsverhalten sowie zur Gewichtsabnahme und regelmäßige Kontrolluntersuchungen mit persönlichem Risikoprofil und Informationen über geeignete Gegenmaßnahmen.

Obwohl bzw. gerade weil der Primärprävention große Bedeutung beigemessen wird, wird in diesem Bereich eine Reihe von Defiziten und Verbesserungsnotwendigkeiten gesehen.

Die Expertinnen/Experten von sieben Ländern haben derartige Probleme und Defizite auf ihrem Fragebogen vermerkt. Angeführt wird dabei Mangel an finanziellen Ressourcen so-wie an qualitätsgesicherten und standardisierten Programmen, ungenügende Information der Bevölkerung über präventive Maßnahmen sowie generell, dass zu wenig Augenmerk auf Primärprävention von Typ 2-Diabetes gelegt wird.

Entsprechend wird bei den Empfehlungen häufig die Notwendigkeit von verstärkten Prä-ventionsmaßnahmen genannt. Mehr als die Hälfte der Länder sieht diesbezüglichen Ver-besserungsbedarf. Empfohlen werden insbesondere intensivierte Aktivitäten zur Präventi-on vPräventi-on Übergewicht und Adipositas – unter anderem durch Ernährungsschulungen und Förderung der „Mittelmeerdiät“ und eine verbesserte Koordination bzw. Vernetzung der Präventionsebenen. Weiters wird darauf hingewiesen, dass präventive Maßnahmen früh-zeitig beginnen sollten und die Schule daher ein wichtiges Setting darstellt.

Eine Diabetesinitiative auf Ebene der Europäischen Union wird als ein möglicher Beitrag zur Verbesserung und zum Ausbau der Primärprävention gesehen. Insgesamt sieben Länder sehen eine diesbezügliche Rolle der EU bzw. der Europäischen Kommission. Ange-regt wird dabei beispielsweise die Entwicklung von Leitlinien für Prävention, der Aus-tausch von "Models of good practice", die Etablierung von EU-weiten Präventionsmodel-len oder auch Reglementierungen der Nahrungsmittelindustrie.

Es gibt eine Reihe von Primärpräventionsprogrammen, die sich entweder mittelbar oder spezifisch mit Diabetes befassen. Interessant im Bereich der unspezifischen Primärprä-vention ist das „Choosing Health White Paper“ aus Großbritannien, das einen Versuch darstellt, alle vorhandenen Primärpräventionsmaßnahmen zu bündeln und zu standardi-sieren bzw. dort, wo Maßnahmen fehlen, neue zu etablieren.

4.2.4.1 „Choosing Health“: Unspezifische Primärprävention in Großbritannien Mit "Choosing Health" stellte das britische Gesundheitsministerium ein sehr ausführliches Konzept vor, dessen deklariertes Ziel es ist, der Gesamtbevölkerung bei der Entschei-dung, ein gesünderes Leben zu führen, durch Empowerment-Maßnahmen zu helfen. Das Konzept enthält eine große Menge detaillierter Einzelprogramme, die mit Zeithorizonten, Verantwortlichkeiten und Ressourcen geplant sind. Die Programme sind leicht verständ-lich aufgearbeitet und an alle Einwohnerinnen/Einwohner gerichtet. Sie bieten jedem In-dividuum die Möglichkeit, selbst zur Erreichung des Ziels beizutragen. Zudem werden Schulen, Unternehmen und andere wichtige Institutionen mit eigenen Programmen aktiv eingebunden.

Entsprechend der komplexen Aufgabe und um ein möglichst hohes Maß an Akzeptanz zu erzielen, wurden die Programme nicht nur auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnis-sen entwickelt, sondern der Entwicklung Konsultationsprozesse mit Entscheidungsträge-rinnen/Entscheidungsträgern und Befragungen der Bevölkerung vorangestellt. Sowohl der Entscheidungsweg als auch die Beweggründe jedes einzelnen Programms wurden transparent dargestellt.

Die einzelnen Kapitel von "Choosing Health" orientieren sich an bestimmten Lebensum-ständen, die in den nächsten Jahren beeinflusst werden sollen. Nachfolgend werden ein-zelne Kapitel, die sich direkt mit Diabetes oder mit diabetischen Risikofaktoren beschäfti-gen, beschrieben:

Das Kapitel „Health in the Consumer Society“ behandelt ausführlich das Verhältnis Ge-sundheit und Marktwirtschaft, wobei hinsichtlich der besseren Ernährung auf den Mecha-nismus „Angebot und Nachfrage“ gesetzt wird. Ein Teil dieses Kapitels ist das „5 A Day“-Programm, ein Gütesiegel, das auf Lebensmittelverpackungen angebracht ist und Kon-sumentinnen/Konsumenten helfen soll, gesunde Lebensmittel zu kaufen. Das Gütesiegel zeigt fünf aneinandergereihte Quadrate, die entweder ausgefüllt oder leer sind. Je nach-dem, wie „wertvoll“ das Lebensmittel ist, sind mehr oder weniger Quadrate ausgefüllt.

Ziel ist es, dass jede Person pro Tag Nahrung zu sich nimmt, die zusammen fünf ausge-füllte Quadrate ergibt. Andere Programme beinhalten die Kennzeichnung von Tabakpro-dukten mit entsprechenden Bild-Warnhinweisen oder die Bereitstellung von Nahrungsmit-telinformationen durch die Industrie sowie Medienkampagnen.

Das Kapitel „Children and young people - starting on the right path“ enthält Programme, die sich gezielt an Kinder und ihre Eltern richten. Viele der Initiativen zielen darauf ab, Fettleibigkeit durch Anregung zu körperlicher Aktivität und gesunder Ernährung zu ver-meiden. Die Programme reichen von einem erleichterten Zugang zu entsprechender In-formation über ein erweitertes Schulkrankenschwestern-System, Ernährungsvorschriften für Schulkantinen, regionale Pläne zur Einrichtung von gesicherten Schulwegen unter dem Aspekt "Gehen bzw. Radfahren statt mit dem Auto gebracht werden" bis hin zur Förderung des "out-door"-Schulsports. Weiters gibt es medizinische und sozialmedizini-sche Programme (z. B. „Healthy Start“, „Home Start“, „Children’s Trusts“, etc.), die den Zugang zur medizinischen Versorgung erleichtern sollen. Der Kern der Programme ist der

„Children and Young People’s Plan“, der regionale Programme, deren Zielgruppe Kinder und Jugendliche sind, bündeln und koordinieren soll.

Das Kapitel „Local communities leading for health“ verfolgt einen dezentralen “Public Health”-Ansatz. Die enthaltenen Programme und Initiativen sollen Wege aufzeigen, wie man – auf regionale und sozioökonomische Bedürfnisse angepasst und mit standardisier-ter Qualität – über Gesundheit informieren und lokale Aktivitäten unstandardisier-ter Einbindung der Betroffenen initiieren kann. Dies basiert auf der Idee, dass die Bevölkerung über dezen-trale Maßnahmen effektiver zu gesünderem Verhalten motiviert werden kann als über groß angelegte überregionale Programme. Regionale Verwaltungseinheiten, sowohl aus dem medizinischen Bereich (National Health Service – NHS), als auch der Verwaltung werden als Organisatoren und Unterstützer dieser Maßnahmen eingebunden.

Das Kapitel „A health-promoting NHS“ zeigt den Weg auf, den das NHS mit seinen Ein-richtungen gehen wird, um die Empfehlungen des National Service Framework (NSF) und des National Institute for Clinical Excellence (NICE) umzusetzen. Dabei sind u. a. Schu-lungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des NHS vorgesehen, durch die ein Umden-ken von der „krankheitsorientierten“ Behandlung hin zur Erhaltung der Gesundheit voll-zogen werden soll. Zusätzlich werden 3.000 "Case-Manager" aufgebaut, die sich speziell um chronisch erkrankte Personen kümmern sollen. Ein wesentliches Ziel dieser Maßnah-men ist die verbesserte Betreuung von Diabetikerinnen/Diabetikern und eine verstärkte Prävention von Risikofaktoren wie Adipositas, mangelnde körperliche Aktivität und Rau-chen.

Das Kapitel „Work and Health“ zielt im Wesentlichen auf arbeitsmedizinische Präventi-onsmaßnahmen ab. Ein Teilaspekt ist die Aufforderung an Unternehmen, sich an Pro-grammen zur Förderung der körperlichen Aktivität der Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter zu beteiligen.