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II. KIrchE und staat In KonKurrEnz

5. KEINE DISPENSEN MEHR AUS ROM?

Dispenspraxis einer gewissen Revision. Dessen Nachfolger Karl Franz von Lodron (1791–1828) hingegen sei aus Sicht der Wiener Hofkanzlei und des Innsbrucker Guberniums „als ‚Papalist‘ als der ‚Ultramontane‘ verschrien“ gewesen und habe

„die Zuschriften der Landesstelle unbeantwortet, die Hofdekrete unbefolgt gelas-sen“.126

Bischöfe dieses Profils, aber auch solche, die dem Josephinismus weniger abgeneigt gegenüber standen, gerieten durch das Ehepatent in einen Konflikt:

Denn die Forderung, in den nahen Graden selbst zu dispensieren, wäre der inner-kirchlichen Logik nach nur auf Grundlage einer von Seiten des Papstes erteilten Vollmacht legitim gewesen. Sie standen also zwischen zwei ‚Herren‘. Die neuen Vorgaben hatten Parallelstrukturen in den Verwaltungsabläufen zur Folge. Die bischöflichen Konsistorien loteten und testeten Umwege aus, darauf mussten die zivilen Behörden ihrerseits reagieren. Nicht zuletzt gerieten dabei die in jener Zeit um eine Ehedispens ansuchenden Paare in die Mühlen der nach unterschied-lichen Logiken agierenden kirchunterschied-lichen und weltunterschied-lichen Bürokratien und waren dem entsprechend immer wieder mit neuen Unwägbarkeiten konfrontiert. Die administrativen Abläufe wurden mehrfach geändert und nachjustiert. Fallweise war die Dispenserteilung sogar blockiert. Infolgedessen stellte sich über mehr als zwei Jahrzehnte lang keine Routine in den Abläufen auf dem Weg zu einer Ehe-dispens mehr ein.

5. KEINE DISPENSEN MEHR AUS ROM?

In Bezug auf Heiratsvorhaben unter Verwandten und Verschwägerten hatte der Brixner Fürstbischof Joseph von Spaur im Januar 1780 unter Punkt drei der ihm übertragenen Fakultäten das Dispensrecht im dritten und vierten einfachen und vermischten Grad erhalten, und zwar „cum pauperibus“, für die einfache Bevöl-kerung.127 Um die Dispensvollmacht auch für Begüterte und Adelige zu erlangen, wie es das Hofdekret vom 11. Mai 1782 vorsah, hatte er im selben Jahr angesucht, wie er in einem späteren ausführlichen an das Gubernium gerichteten Schrei-ben erklärte.128 Bedingt durch das Inkrafttreten des Ehepatents im Januar 1783 ließ er später durch Giorgio Merenda, jenen Agenten in Rom, mit dem das Kon-sistorium in Brixen in regelmäßigem Kontakt stand, die Möglichkeit einer Aus-dehnung der Fakultäten auf den zweiten und dritten ungleichen Grad ausloten.

Der Agent zeigte sich in seinem Schreiben vom März 1784 diesbezüglich sehr 126 Rainer, Die Diözese Brixen, 16.

127 Vgl. DIÖAB, Konsistorialcodices Romana, ab anno 1764, 96–101, 97.

128 Vgl. TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 57 Placetum Regium, 1790–1793, lfd. Fasz. Nr. 1.622, 1790, Nr. 1. Vgl. auch DIÖAB, Konsistorialcodices Romana, ab anno 1764, 123–129, 125.

134 skeptisch. Er habe mit dem Zuständigen, dem „officiale deputato“, in der Datarie gesprochen. Dieser habe ihm versichert, nichts davon gehört zu haben, dass der-gleichen Fakultäten an Bischöfe in den deutschen Territorien übermittelt worden seien. Damit habe er sich nicht zufrieden gegeben und auch den Sekretär gefragt, der für die „Brevi ad Principes“ zuständig sei. Auch dieser wisse nichts davon, dass der Papst deutschen Bischöfen solche Vollmachten erteilt habe, und er habe ihm im Vertrauen gesagt, dass diese, wenn sie einem erteilt würden, auch allen anderen erteilt werden müssten. Daraus habe er geschlossen, dass ein solches Ansuchen „gefährlich“ sei; in Anbetracht dessen habe er nicht darum angefragt und würde dies ohne ausdrücklichen Auftrag auch nicht tun.129 An dieser Recht-fertigungsrhetorik ist die nicht ganz einfache Position der Bischöfe zwischen kirchlichem und weltlichem Auftrag deutlich abzulesen. Sie waren einerseits zwi-schen die Fronten von Staat und Kirche geraten, andererseits hatten sie in dieser Zeit in Brixen, Trient und Salzburg – bis zur Säkularisierung Anfang des 19. Jahr-hunderts – selbst eine doppelte Position inne: als kirchliche Repräsentanten und zugleich als territoriale Fürsten.

Die Sichtung der Einträge in den Brixner Dispensregistern ab 1780 zeigt, dass Dispensen im zweiten und dritten ungleichen Grad in den meisten Fällen zu-nächst von der Nuntiatur in Wien erteilt worden sind. Ab dem Jahr 1784 finden sich nur mehr vereinzelte Hinweise darauf. In der Folge dürfte der Bischof selbst dafür zuständig gewesen sein. Vornehmlich handelte es sich dabei um Dispensen für Brautpaare aus dem Territorium des Hochstiftes Brixen, für die weiterhin das kirchliche Reglement galt, nicht das staatliche Ehepatent.130 Gekennzeichnet ist dieser bischöfliche Jurisdiktionsbereich in den Dispensregistern mit der neben den Namen des betreffenden Brautpaares vermerkten Spezifizierung:

„Territo-129 „Il medesimo m’ha assicurato, che non è al di Lui Notizia, che ad alcuno de Vescovi della Germania sia stata mandata facoltà alcuna di dispensare sopra il grado in 3° quando tocca il Secondo. Non contento di ciò ho parlato con M[onsi]g[no]r Segretario de Brevi ad Principes per sentire dal medesimo se mai ad alcuno de Vescovi di Germania per Breve ad Principes fosse stata mandata dal Papa in dirittura una tal facoltà. Mi assicurò di nò. Il medesimo, con cui ho servitù particolare, in discorso mi disse, che se nostro Signore concede ad uno de Vescovi di Germania tal facoltà, deve indispensabilmente allora concederla a tutti li altri. Da ciò io deduco essere cosa assai pericolosa di fare una tal istanza; e questa io non ho fatta in vista di ciò, ne la farò senza ordine espresso.“ DIÖAB, Konsistorialcodices Romana, ab anno 1764, 151–152.

130 Die staatlichen Regelungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts und so auch die Bestimmun-gen des Ehepatents galten nur für die österreichischen Untertanen, das heißt im konkreten Untersuchungsraum für die Einwohnerinnen und Einwohner der Kreise Oberinntal, Unter-inntal und Wipptal, Pustertal, Burggrafenamt und Vinschgau, An Etsch und Eisack sowie An den Welschen Konfinen mit Sitz in Rovereto. Sie galten nicht für jene, die der territorialen Herrschaft der drei geistlichen Fürstentümer – der Hochstifte Brixen und Trient und des Erzstifts Salzburg – unterstanden.

135 5. Keine Dispensen mehr aus Rom?

rii Brixinensis“.131 Offensichtlich war die Dispensvollmacht des Brixner Fürstbi-schofs in dieser Zeit erweitert worden.

Für die nahen Grade blieb es der staatlichen Gesetzgebung zufolge zunächst dem Gewissen überlassen, ob sich die Bischöfe nach Rom um eine Dispens wen-den wollten.132 Diese Abschwächung, die bereits 1784 erfolgt war, barg jedoch ein Problem in sich: Sie war nämlich an das unentgeltliche Erteilen einer Dispens gekoppelt. In der Praxis war es jedoch unmöglich, dieser Forderung nachzukom-men.133 Daher lag in diesem Punkt ein weiteres Konfliktfeld begründet. Wenn das „Einschreiten“ in Rom bewilligt wurde, war das Wort „unentgeltlich“ in den Schreiben des Guberniums und der Hofkanzlei zumeist unterstrichen, also nach-drücklich betont. Peter Beykircher, Bauer in Sistrans, hatte vom Brixner Ordina-riat die Mitteilung erhalten, dass die Dispens nicht unentgeltlich erwirkt werden könne. In dieser Aussichtslosigkeit appellierte er, vergeblich allerdings, an die

„landesfürstliche Machtvollkommenheit“, auf deren Grundlage ihm die „Hey-rathsbewilligung“ erteilt werden solle.134 Wie in einem internen Bericht des Gu-berniums vom Oktober 1796 vermerkt ist, blieb in solchen Fällen nur die lapidare Schlussfolgerung: Wenn die Ehedispens in Rom nicht unentgeltlich erlangt wer-den könne und der Bischof diese auch nicht aus eigener Vollmacht erteilen wolle, so müssten die „Partheien mit ihrem Gesuch abgewiesen werden“.135

131 DIÖAB, Dispensationes matrimoniales ab anno 1774 usque ad annum 1794 inclusive, 193ff;

ebd., Dispensationes matrimoniales ab anno 1795 usque ad annum 1829 inclusive, 1ff.

132 Vgl. TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Geistliche Sachen, Fasz. 433, 1784, Akten, Nr. 1.282 und fast identisch Nr. 6.546: „Übrigens aber ohnehin jedem H[err]n Bischofe freygelas-sen hätten, alles das von sich selbst oder mit Verordnung nach Rom zu veranlasfreygelas-sen, was diesfalls jeder nach seiner Überzeugung und Gewissen nöthig zu sein erachtet, wovon al-lerhöchst dieselben keine Rechenschaft forderten, sobald hierunter nichts gegen die aus-drückliche allerhöchste Anordnung geschehe, [...].“

133 Adalbert Theordor Michel schreibt im Rückblick, dass die „Beseitigung dieser ‚Zahlungen an das Ausland‘“ zwar angeregt, „jedoch über Antrag des Directoriums ddto. 4. Juli 1794 fallen gelassen“ worden sei. Denn aus amtlichen Berichten des Grafen Heržan, des Botschafters in Rom, ginge hervor, dass in dem zwischen Pius VI. und Josef II. im Jahr 1782 geschlossenen Übereinkommen „keineswegs ausgemacht“ worden sei, „daß die noch fortan dem Papste vorbehaltenen Ehedispensen unentgeltlich und blos von der römischen Pönitentiarie soll-ten ausgefertigt werden.“ Zudem sei hervorgehoben worden, „daß die aus ganz Oesterreich nach Rom bezahlten Taxen nach einem mehrjährigen Durchschnitte den geringen Betrag von nur 1.000 Scudi jährlich ausmachten, während alle anderen katholischen Ländern ohne Vergleich größere Summen dahin schickten, so z. B. Portugal 12.000 Scudi und Spanien das Doppelte in einem einzigen Monate.“ Michel, Beiträge zur Geschichte, 39.

134 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 64 Ehesachen, 1799–1800, lfd. Fasz. Nr.

315, 1798, Nr. 12.

135 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 64 Ehesachen, 1796, lfd. Fasz. Nr. 313, Nr. 40. Nach Brixen wurde kommuniziert: „Man könne nicht gestatten, daß für derley Ehe-dispensen, wie solche vom Sebastian Tusch […] angesuchet worden, die Partheyen in einem

136 Der Brixner Fürstbischof blieb bei seiner Position und sprach 1790 in einem sehr ausführlichen Schreiben davon, dass er eine Dispens im zweiten Grad „ohne Beleidigung des päpstlichen Stuhles nicht ertheilen“ könne.136 Er war nicht der einzige, der eine solche Haltung vertrat. Im selben Jahr erging nochmals eine Or-der von Wien aus an alle Ordinariate und Kreisämter sowie den Stadtmagistrat in Innsbruck, dass die Bischöfe aus eigener Macht dispensieren müssen. Dies war die Reaktion auf ein Schreiben des Salzburger Konsistoriums, das Jahre nach Inkraft-treten des Ehepatents um Aufklärung bezüglich der geltenden Verordnungen er-sucht hatte.137 In den Diözesen Trient und Chur wurden die Dispensregelungen des Ehepatents und der diesbezüglichen Hofdekrete und Verordnungen ebenfalls nicht ohne Weiteres umgesetzt.

Als Folge davon war die Aussicht auf eine Dispens in diesen Jahren wenig kal-kulierbar. Die Antworten des Guberniums in Innsbruck beschränkten sich nun zu-meist darauf, den Paaren standardmäßig zu bescheiden, dass sie sich zuerst an das zuständige bischöfliche Ordinariat um die schriftliche Zusage zu wenden hätten, dass ihnen die Dispens aus eigener Ordinariatsmacht erteilt werde. Diese Zusage erfolgte zumeist jedoch nicht. Der Fürstbischof von Brixen wiederholte vielmehr gebetsmühlenartig, dass es nicht in seiner Macht stünde, im ersten und zweiten Grad zu dispensieren. Auch der Bischof von Chur fand „Bedenken, den Bittstellern aus eigener Ordinariatsvollmacht die Dispens“ zu erteilen und ersuchte, diese in Rom erwirken zu dürfen.138 Ebenso berichteten die politischen Stellen aus Trient, dass der Fürstbischof Dispensen „von Ordinariatswegen zu ertheilen sich verwei-gert habe“, was den Repräsentanten des Kreisamtes Rovereto zu dem lakonisch Fazit bewog: „Wenn ein Bischof seine eigenen bischöflichen Rechte nicht kennt, und die ihm nach ächten kanonischen Grundsätzen würklich zustehende Macht selbst bezweifelt, so bleibt dem Kreisamte nichts anders als der Wunsch übrig, daß ihn Gott durch seine Gesalbten erleuchten lassen möchte.“139

Aufwand versetzet werden; wenn also die Dispens von Rom nicht zu erhalten wäre, und der H[er]r Fürstbischof zu Brixen sich seiner eigenen Macht zu dispensiren, welche von so vielen anderen Herren Ordinarien ganz unbedenklich geschieht, nicht bedienen wollte, so würden die Dispenswerber mit ihrem Gesuche abgewiesen werden, welches, wenn die bischöfliche oder unentgeltliche römische Dispensazion nicht erfolget, auch zu geschehen hätte.“

136 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 57 Placetum Regium, 1790–1793, lfd.

Fasz. Nr. 1.622, 1790, Nr. 1, Bericht „Geistliche Sache“ vom 25. Februar 1790. Das betreffende Dispensansuchen von Karl Anton Weller aus Sterzing lief bereits seit vier Jahren.

137 Vgl. TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 57 Placetum Regium, 1790–1793, lfd.

Fasz. Nr. 1.622, 1790, Nr. 7, Schreiben des Salzburger Konsistoriums vom 10. März 1790.

138 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 57 Placetum Regium, 1790–1793, lfd.

Fasz. Nr. 1.622, 1790, Nr. 24.

139 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 57 Placetum Regium, 1790–1793, lfd.

Fasz. Nr. 1.622, 1791, Nr. 1.

137 5. Keine Dispensen mehr aus Rom?

Franz von Riccabona, Vertreter des Kreishauptmannes Anton von Zoller vom Kreisamt Bozen, brachte das Dilemma der in jenen Jahren um eine Dispens ansu-chenden Paare auf den Punkt, indem er auf die Beschwerde eines abgewiesenen, eigentlich bereits im Stadium des Einreichens blockierten Paares rekurrierte:

„[D]enn, sagen sie, wenn einerseits die politische Behörde über derlei Ehedispen-sations-Gesuche nicht anders einschreittet, als wenn der Bischof vorläufig die kirchliche Ehedispens und zwar aus eigener Vollmacht ertheilet, und wenn ande-rerseits der Bischof sagt, daß er diese Ehedispens zu ertheilen nicht berechtiget sey, so ergibt sich der Fall, wo eine solche Ehedispensatzion zur unmöglichkeit wird.“ Er schloss, dass man die Berechtigung eines solchen Einwandes kaum „ver-kennen“ könne.140 Aus Trient tauchten in der Folgezeit dennoch Dispensen auf – allerdings ohne die geforderte Formulierung, dass sie „aus eigener Ordinariats-macht“ erteilt worden seien.141 Umgehungsstrategien begannen Platz zu greifen.

Eine Möglichkeit, Dispensen zu erteilen, ohne Rom zu „beleidigen“, bestand darin, sich Dispensvollmachten von Rom delegieren zu lassen,142 was staatli-cherseits allerdings keineswegs vorgesehen war. Die ersten Reaktionen darauf um das Jahr 1790 herum fielen sehr streng aus, doch fand sich die Wiener Hof-kanzlei bald bereit, dies in einem gewissen Rahmen letztlich doch zu akzeptieren.

Thomas Dolliner bringt die Möglichkeit einer delegierten päpstlichen Vollmacht bereits mit dem Besuch Pius VI. im Jahr 1782 in Wien in Verbindung und erklärt diese aus Sicht des bürgerlichen Rechts als einen „Rückschritt“. Dieser sei deshalb nötig gewesen, da die „Vollziehung“ der staatlichen Verordnungen „in der Schüch-ternheit der Bischöfe, und in den Vorurtheilen der Seelsorger und des Volkes un-sägliche Schwierigkeiten“ gefunden habe.143

In der Diözese Trient hatte es zunächst den Anschein, dass der Fürstbischof sogar im ersten Grad der Schwägerschaft selbst Dispensen erteilen würde, doch stellte sich heraus, dass die Dispensvergabe de facto nicht aus eigener Ordinari-atsvollmacht erfolgt war. In zwei Dispensurkunden aus dem Jahr 1790 war näm-lich hinter dem Namen des Fürstbischofs Peter Michael Vigilius von Thun-Hohen-stein (1776–1800) handschriftlich die verräterische Formel „tamquam a Sancta Sede delegatus“ eingefügt, ein Ausdruck, den das Ordinariat – wie der Kreis-hauptmann von Rovereto schrieb – „bey anderen derley Dispensen beseitiget“

140 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 64 Ehesachen, 1796, lfd. Fasz. Nr. 313, Nr.

2.

141 Vgl. TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 57 Placetum Regium, 1790–1793, lfd.

Fasz. Nr. 1.622, 1791, Nr. 20.

142 Zur Delegation von Dispensvollmachten vgl. Brandhuber von Etschfeld, Über Dispensation und Dispensationsrecht, 53–72.

143 Dolliner, Erläuterung des 83. §, 60f.

138 habe.144 Das Gubernium verweigerte daraufhin die landesfürstliche Zustimmung.

Die Dispensurkunden wurden zu den Akten gelegt. Bei nächster Gelegenheit er-klärte der Fürstbischof von Trient, keinerlei Befugnis zu haben, im ersten und zweiten Grad zu dispensieren. Johann Clementi und Dorothea Brugnara klagten im Jahr 1793 darüber in ihrem an die „Sacra Maestà“ adressierten Bittschreiben:

„Ma il Vescovo Principe di Trento vocalmente rispose, di non tenere per il Grado primo e secondo Delegazione alcuna per emender simile Dispensa“.145 Im dar-auffolgenden Jahr 1794 dispensierte er wieder und übersandte zum Ärger des Guberniums gleich die Urkunde über die erteilte Dispens, ohne vorher bei der Landesstelle um entsprechende Erlaubnis angesucht zu haben. Das Gubernium schrieb dieses Fehlverhalten dem „Bittsteller“ zu.146 Das geschilderte Problem der nicht eingehaltenen offiziell vorgesehenen Reihenfolge trat in diesen Jahren noch öfter auf.

Im Jahr 1791 setzte der Fürstbischof von Konstanz Maximilian Christoph von Rodt (1775–1799) eine abweichende Formel ein. Er schrieb nicht, wie vor-gesehen, dass er die Dispens „ex aucthoritate propria“ – „aus eigener Macht“ – erteilt habe, sondern aus Sicht des Guberniums nur „ex aucthoritate apostolica specialiter sibi delegata“, das heißt, aus kirchlicher Macht, die ihm ausdrücklich übertragen worden sei. Damit war auch hier der Papst wieder mit im Spiel. Die Geistliche Kommission im Gubernium sah sich veranlasst, diesbezüglich bei der k. k. Hofkanzlei in Wien nachzufragen „in Betreff einiger von dem H[err]n F[ürst]

B[ischof] zu Konstanz bey Ertheilung zur Dispens zur Verehelichung im zweyten Grade der Blutsfreundschaft und Schwagerschaft gebrachter Ausdrücke“. Wien erteilte im konkreten Fall zwar die Erlaubnis zur Eheschließung, verwies den Konstanzer Bischof aber darauf, dass Dispensen in Ehehindernissen „auch Kraft der von Euer E[xzellenz] erhaltenen Authoritate apostolica ertheilt werden“ kön-nen.147

In den Folgejahren gab es immer wieder Kritik an abweichenden Formulie-rungen, das heißt auch am abweichenden Agieren, denn die benützten Varianten

144 Dabei handelt es sich um Anton Girardelli und Maria Gobbi sowie Anton Martinelli und Ka-tharina Tonioli, jeweils im zweiten Grad blutsverwandt. TLA Innsbruck, Jüngeres Guberni-um, Hauptgruppe 57 Placetum RegiGuberni-um, 1790–1793, lfd. Fasz. Nr. 1.622, 1792, Nr. 38.

145 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 57 Placetum Regium, 1790–1793, lfd.

Fasz. Nr. 1.622, 1793, Nr. 26. Schreiben an das Kreisamt von Rovereto vom 3. Juni 1794, ge-zeichnet von Trentinaglia. Im Konzept lautete der letzte Passus: „[...] nach vorläufig allen-falls erhaltener höchster Dispense einzugehen gesonnen sey“.

146 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 64 Ehesachen, 1794–1795, lfd. Fasz. Nr.

312, 1794, Nr. 28.

147 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 57 Placetum Regium, 1790–1793, lfd.

Fasz. Nr. 1.622, 1791, Nr. 22 und 1792, Nr. 3.

139 5. Keine Dispensen mehr aus Rom?

ließen eindeutig auf Rücksprache mit Rom schließen.148 Die Hofstelle in Wien war jedenfalls misstrauisch geworden. Zusammen mit einer Order, die Dispensfälle halbjährlich in einer Aufstellung nach Wien zu melden, wurde verfügt, dass da-bei die Dokumente der Ordinariatsdispensen selbst da-beizulegen seien, „damit man auch hierorts die Uiberzeugung erhalte, daß in solchen nicht etwa, wie es schon öfters gescheen, Ausdrücke und Klauseln gebraucht werden, die in die Majestäts-rechte eingreifen.“149 Das Problem wurde damit nicht beseitigt. Im Jahr 1803 sah sich das Gubernium einmal mehr veranlasst, eine in Brixen ausgestellte Dispens-urkunde nach Wien zur Überprüfung zu senden. Dort wurde dies nunmehr als Übereifer abgetan und das Gubernium darauf aufmerksam gemacht, dass es im Fall von unentgeltlich erteilten Dispensen nicht länger nötig sei, diese der Hofstelle vorzulegen.150

Eine zweite Strategie, die Bestimmungen des Ehepatents zu umgehen, war, Dispensen über die Nuntiatur in Wien zu organisieren. Zuvor hatte dies zu de-ren üblichen Agenden gezählt.151 Aus dem späten 17. Jahrhundert ist ein Wiener Nuntiatur-Reglement überliefert, in dem erklärt wird, Ehedispensen kämen hier unter anderem deshalb zahlreich vor, „perché in Germania sono facili ad impa-rentarsi fra di loro“ – da man sich hier leicht miteinander verwandt mache be-ziehungsweise verschwägere.152 Mit dem Streit um die Nuntiaturen als ‚fremde‘

148 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 64 Ehesachen, 1794–1795, lfd. Fasz. Nr.

312, 1794, Nr. 50.

149 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 64 Ehesachen, 1796, lfd. Fasz. Nr. 313, Nr.

86.

150 Vgl. TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 64 Ehesachen, 1803, lfd. Fasz. Nr.

317, Nr. 122. Der Fürstbischof hatte erklärt, nur „mit außerordentlicher Mühe von Rom aus die sonderheitliche Gewalt erhalten“ zu haben, um „den Brautleuten gedachte Dispense zu ertheilen“.

151 Das Sichten der älteren Brixner Register zeigt, dass die Mehrheit der nicht vom Bischof er-teilten Dispensen und vor allem jene, die den zweiten Grad berührten, über die Nuntiatur in Wien gingen. Bei einzelnen ist als Zusatz angeführt: „ex commissione ap[osto]l[i]ca ro-mana“. Vgl. DIÖAB, Registratura Dispensation[um] Matrimonial[ium] inc[o]hoata anno 1690 [bis 1730]; ebd., Registratura Dispensation[um] Matrimonial[ium] inc[o]hoata anno 1733 us-que ad annum 1752; sowie ebd., Registratura Dispensation[um] Matrimonial[ium] anno 1753 usque ad annum 1768.

152 Archivio dell’Ufficio delle celebrazioni liturgiche del Sommo Pontefice, vol. 47, Regolamento per la famiglia del nunzio di Vienna, fol. 344, zit. nach Alexander Koller, Nuntienalltag. Über-legungen zur Lebenswelt eines kirchlichen Diplomatenhaushalts im 16. und 17. Jahrhundert, in: Rupert Klieber u. Hermann Hold (Hg.), Impulse für eine religiöse Alltagsgeschichte des Donau-Alpen-Adria-Raumes, Wien/Köln/Weimar 2005, 95–108, 99. Einen Eindruck über den Umfang der Dispenstätigkeit können auch die in dem von Walter Wagner erstellten Be-standsverzeichnis des Wiener Nuntiaturarchivs genannten Ehedispensregister vermitteln.

Walter Wagner, Die Bestände des Archivio della Nunziatura Vienna bis 1792, in: Römische

Walter Wagner, Die Bestände des Archivio della Nunziatura Vienna bis 1792, in: Römische