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DIE GRENZE DER EHEVERBOTE: ZWEITER ODER VIERTER GRAD?

II. KIrchE und staat In KonKurrEnz

3. DIE GRENZE DER EHEVERBOTE: ZWEITER ODER VIERTER GRAD?

zuweisen und künftighin selbst derlei unstatthafte Gesuche geradehin negative zu verbescheiden, keineswegs aber solche zu Vermehrung überflüssiger Schreiberei anher zu unterstützen“.56

Ab 1790 war wiederum das Urteil der Bischöfe ausschlaggebend. Wenn sie zu-sagten, aus eigener Vollmacht dispensieren zu wollen, mussten die Landesstellen die landesfürstliche Eheerlaubnis „ohne weiteren“ erteilen. Damit fand die Be-gutachtung von deren Seite ein Ende, und das abstrakte und kaum zu erfüllende Kriterium des „gemeinen Wohles“ verlor an Gewicht, auch wenn es da und dort noch als Referenz in Empfehlungen und Berichten auftauchte.57 Gesamt gesehen, war die Logik der politischen Behörden, insbesondere auf den höheren Ebenen des Guberniums und der Hofkanzlei, deutlich anderen Vorstellungen als den Be-darfslagen jener Männer und Frauen, die ein Ansuchen stellten, gefolgt. Der Vor-rang ökonomischer Argumente dürfte mit der Hoffnung verbunden gewesen sein, damit am ehesten den neuen staatlichen Erfordernissen nachkommen zu können.

Solche als situativ und kontextuell identifizierbaren inhaltlichen Gewichtungen machen einmal mehr deutlich, dass Empfehlungsschreiben und Bittbriefe nicht einfach lebensweltliche Situationen abbildeten, sondern sich an der vermuteten Erwartungshaltung des Gegenübers orientierten und dem entsprechend auf be-stimmte Aspekte fokussierten.

3. DIE GRENZE DER EHEVERBOTE: ZWEITER ODER VIERTER GRAD?

Das Ehepatent vom 16. Januar 1783 reduzierte die Verpflichtung, um eine Ehe-dispens anzusuchen, auf den ersten und zweiten kanonischen Grad und nahm damit zwei Grade gegenüber der kirchenrechtlichen Regelung zurück.58 Der im 56 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 57 Placetum Regium, 1786–1789, lfd.

Fasz. Nr. 1621, 1789, Nr. 29. Das viele Schreiben wird öfter thematisiert. Reinhard Stauber sieht in der „Vielschreiberei“ eine „Hydra“ der habsburgischen Verwaltung. Stauber, Der Zentralstaat, 233f.

57 Der Kreishauptmann von Bozen etwa schloss ein sehr langes Empfehlungsschreiben im Juni 1795 mit dem „Staatsinteresse“ und Nutzen: „Wenn man diese Ehe mit Rücksicht auf das Staatsinteresse betrachtet, so erscheint selbe aus dem Grunde nützlich zu seyn, weil ei-nerseits eine mittellose Person eine Versorgung erhält, und weil andererseits bey dem Um-stande, wo der Bräutigam wohlstehend, die Braut aber arm ist, die Absicht einer gleicheren Vertheilung der Güter erreicht wird.“ TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 64 Ehesachen, 1796, lfd. Fasz. Nr. 313, Nr. 2.

58 Blutsverwandtschaft bis zum zweiten kanonischen Grad betraf Ehen zwischen Onkel und Nichte, Tante und Neffe (erster und zweiter ungleicher Grad), die allerdings sehr selten möglich waren, sowie zwischen Cousin und Cousine ersten Grades (zweiter Grad). In der Schwägerschaft fielen darunter die Verbindungen zwischen Stiefeltern und Stiefkindern (erster Grad gerader Linie) – auch hierfür gab es keine Dispensen –, mit einer Schwester (erster Grad), einer Nichte (erster und zweiter ungleicher Grad) oder Cousine (zweiter

116 Jahr 1785 anonym erschienene, Johann Bernhard Horton (1735–1786) zuge-schriebene Band „Ist es wahr, daß die k. k. Verordnungen in Ehesachen dem Sak-ramente entgegen stehen“ begründete die Aufhebung dieses als von einer „frem-den Macht“ erlassenen Gesetzes aus zivilrechtlicher Sicht in extenso.59 Von der

„Beförderung und Erleichterung“ der Ehen hänge „die Bevölkerung der Staaten“

und damit „der vorzüglichste Grund des gemeinen Wohlstandes ab“.60 Die Verbote würden sich „ohne Noth, ohne Nutzen, und aus bloßer Willkür so weit“ erstre-cken. Dadurch werde die Freiheit des Menschen verletzt. Den „untadelhaften Nei-gungen der Unterthanen“ würde Zwang angelegt, und deren Glückseligkeit insge-heim untergraben.61 Das Gesetz lege einem im Grunde „die Verbindlichkeit auf“, alle Verwandten bis zum vierten Grad ausfindig zu machen, denn „man könne sich nicht vor etwas hüten, wenn man das, vor was man sich hüten solle, nicht vorher kennt“.62

Die Schwierigkeiten und Mühen, die es mit sich bringen würde, die eigenen

„Vorältern“ bis zu den Ur-Urgroßeltern zurückreichend auszuforschen, wurden in der Folge fast genüsslich durchexerziert und ausgebreitet.63 Bei den „altadelichen Geschlechtern“ könne dies zwar leicht fallen, bei den „andern Klassen der Unter-thanen“ aber sei es mit großem Aufwand verbunden, die Geburts- und Trauungs-orte für sechzig „Vorältern“ ausfindig zu machen.64 „Wie viele Reisen muß er nicht machen, wie viele Zeit muß er nicht zersplittern, und wie viele Unkosten muß er nicht aufwenden?“65 Das gelte allein schon für die Rekonstruktion der Blutsver-wandten, noch schwieriger, wenn nicht gar unmöglich, sei die der Verschwäger-ten. Daraus ergäbe sich „die traurige, aber doch richtige Folge [...], daß unter so vielen tausend in jedem Staate bestehenden Ehen mit Ausnahme der altadelichen Familien, keine einzige sich einer zuverläßigen Sicherheit getrösten könne“.66 Denn, und das war der brisante Aspekt von Ehehindernissen, ein übersehenes

Grad) der verstorbenen Frau beziehungsweise umgekehrt mit einem Bruder, Neffen oder Cousin des verstorbenen Mannes.

59 [Johann Bernhard Horten], Ist es wahr, daß die k. k. Verordnungen in Ehesachen dem Sak-ramente entgegen stehen?, Wien 1785, 3. Dolliner, Handbuch, 1813, 188, bezieht sich in seinen Ausführungen ebenfalls darauf.

60 Die Beseitigung von Ehehindernissen galt Bevölkerungstheoretikern des 18. Jahrhunderts, wie Johann Peter Süßmilch, als vordringliche Aufgabe, um die „Glückseligkeit des Staates“

zu befördern. Vgl. Josef Ehmer, Heiratsverhalten, Sozialstruktur, ökonomischer Wandel.

England und Mitteleuropa in der Formationsperiode des Kapitalismus, Göttingen 1991, 34–36.

61 [Horten], Ist es wahr, 133f.

62 [Horten], Ist es wahr, 135.

63 [Horten], Ist es wahr, 144–156.

64 [Horten], Ist es wahr, 157.

65 [Horten], Ist es wahr, 161.

66 [Horten], Ist es wahr, 164.

117 3. Die Grenze der Eheverbote: zweiter oder vierter Grad?

Ehehindernis machte eine Ehe ungültig. Die kanonische Ausdehnung der Ehehin-dernisse führe, so Horten, demnach zu einer beständigen Unsicherheit bezüglich der Gültigkeit einer Ehe, während die staatliche Gesetzgebung Rechtssicherheit biete.

Nun konnten Ehen zwischen Verwandten und Verschwägerten im dritten und vierten Grad also ungehindert geschlossen werden. Doch löste dies das Problem nicht, denn eine solche Ehe war aus kirchlicher Sicht trotzdem ungültig, und die Eingrenzung der Dispenspflicht damit ein zweischneidiges Schwert. Dass diese nicht so ohne Weiteres akzeptiert werden würde, war offenbar rasch abzusehen.

Denn bereits in der zur Versendung an die Diözesen gedruckten Version des Ehe-patents wurde am Schluss ein Passus angefügt, der als Zusatz eine nachträglich erlassene Hofentschließung enthielt. Diese ließ die Option für eine kirchliche Dispens in den gerade freigegebenen Graden offen. Es wurde also sehr schnell zu-rückgerudert. „Partheien, die aus einem zu zärtlichen Gewissen um Erhaltung der Dispens in einem durch vorstehendes Patent nicht verbotenen Grade sich dem nach an die Bischöfe wenden, soll die angesuchte Dispens allzeit, ohne selbe ie-mals abzuschlagen, unentgeltlich ertheilt werden“,67 hieß es darin.

Eine Einschätzung dessen, wie groß die Gewissenskonflikte von im dritten und vierten Grad verwandten Männern und Frauen tatsächlich waren, ohne Dispens eine Ehe einzugehen beziehungsweise wie groß der Kreis jener war, die die herabgesetzte Grenze als bürokratische Erleichterung zu sehen vermochte, ist schwierig. Dokumentiert ist jedenfalls, dass solche Dispensansuchen weiter-hin gestellt wurden,68 vor allem aber, dass Geistliche auf lokaler Ebene massiv Druck ausgeübt haben. Kirchenvertreter begegneten in Tirol den josephinischen Reformen und Änderungen insgesamt höchst widerstrebend. Im Bereich der Ehe-schließungen hielten sie ohnehin die Zügel in der Hand, da es keine Alternative zu einer kirchlichen Trauung und damit auch kein Entrinnen vor dem kirchlichen Zugriff und Einfluss im Kontext einer Eheschließung gab. Zugleich sah sich der

67 Hofentschließung vom 6. März 1783, zit. nach Joseph Kropatschek, Handbuch aller unter der Regierung des Kaisers Joseph II. für die k. k. Erbländer ergangenen Verordnungen und Ge-setze in einer sistematischen Verbindung, Bd. 2, 1780–1784, Wien 1785, 170. Diese Verordnun-gen und Gesetze sind zugänglich auch über „Alex – historische Rechts- und Gesetzestexte online“, ein Portal der Österreichischen Nationalbibliothek, unter http://alex.onb.ac.at/ in der Rubrik Justizgesetzsammlung 1780–1848 (Zugriff: Mai 2010).

68 Im April 1783 suchten beispielsweise zwei Paare, die einen im zweiten und dritten unglei-chen Grad blutsverwandt, die anderen im zweiten und dritten ungleiunglei-chen Grad verschwä-gert, bei der Landesstelle um das placetum regium „zu Einhohlung der Ehe Dispensen“ an.

Ihnen wurde beschieden, dass sie sich der soeben „erläuterten allerhöchsten Willens-Mei-nung zu erfreuen“ hätten, „und also unter das Verbotte der Verehelichung nicht mehr be-griffen“ seien. TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Gubernialratsprotokolle, Ecclesiastica, Fasz. 213, 1783 (März–Juli), Ein- und Auslauf, Bd. 4, ohne Nr.

118 Gesetzgeber aber auch veranlasst, die politischen Behörden auf Linie zu bringen.

Ein Hofdekret vom 31. Mai 1783 stellte klar, dass jene, welchen kein Ehehindernis im Wege stehe, „niemalen durch Verbescheidung an den Ordinarium verwiesen werden sollen“, da es ihnen nun freistehen würde, ob sie sich an ihren Bischof wenden wollten.69

Die Beachtung der „allerhöchsten Verordnung“ galt es „gegenwärtig zu hal-ten“. Sofern sich Brautpaare beim Gubernium beschweren würden, dass sie „der Pfarrer nicht zusammen geben“ wolle, solle dieser „durch erforderliche Zwangs Mittel zur priesterlichen Einsegnung verhalten“ werden.70 Diverse Beschwerden gingen diesbezüglich von Seiten der Kreisämter in Innsbruck ein: Das Kreisamt Oberinnthal zeigte 1792 an, „daß in dem Gericht Naudersberg und Glurns die im 3ten oder 4ten Grade verwandten oder verschwägerten Brautleute alzeit von den Seelsorgern verhalten werden, bey dem Vikariate oder Ordinariate die Dispense einzuhohlen“. Das Kreisamt ersuchte um Anweisung, „wie diesem Gebrauche ohne Erregung eines Aufsehens am besten abgeholfen werden dürfte.“ Im Schrei-ben wird auch davon gesprochen, dass ein „Zwang der Geistlichkeit Platz greife“:

„In der Brixnerischen Diözese werde, soviel dem Kreisamt bekannt“ sei, „jedem Seelsorger die Gewalt in solchen Verwandtschaften zu dispensiren, expresse de-legirt“.71 Das würde heißen, dass das bischöfliche Ordinariat als Notmaßnahme gewissermaßen den Geistlichen auf der unteren Ebene Dispensvollmachten er-teilt hatte.

In der zitierten Anfrage kommt ein zeitgenössisch virulentes und mit den neuen Regelungen verbundenes schier unlösbares Problem zur Sprache: Die In-kompatibilität zwischen kanonischem und zivilem Recht sollte in der Öffentlich-keit, „bey dem Volke“, nicht allzu deutlich werden und möglichst kein Aufsehen erregen, was nach Lage der Dinge keine leichte Aufgabe darstellte. Im Septem-ber 1783 war eine entsprechende Ermahnung an die Bischöfe gegangen, sich in Bezug auf die Gültigkeit von Ehen „vor aller Erregung einiger Collision auf das sorgfältigste zu hüten“, zugleich aber auch die Forderung, „in den Fällen, wo das Ehepatent die Ehe einzugehen erlaubt, und also kein gesetzliches Hinderniß ob-waltet, den Brautleuten keine Schwierigkeiten zu machen, den priesterlichen Bei-stand nicht zu versagen, alle Verzögerungen und Gemüthsunruhen bei der Aus-spendung des Sacramentes zu beseitigen“.72

69 Dies sollte „zur Wissenschaft und Benehmung“ dienen. TLA Innsbruck, Protocolla in Geistli-chen Co[mmissi]ons-SaGeistli-chen vom 19. Februar bis Ende Dezember 1783, 18. Juni 1783, fol. 400.

70 TLA Innsbruck, Protokoll Geistliche Kommission, 1785, 1. Teil, Nr. 1.022, fol. 123–124.

71 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 57 Placetum Regium, 1790–1793, lfd.

Fasz. Nr. 1.622, 1792, Nr. 12.

72 Hofdekret vom 4. September 1783, zit. nach Michel, Beiträge zur Geschichte, 25.

119 3. Die Grenze der Eheverbote: zweiter oder vierter Grad?

Sebastian Hueber aus Innichen hatte sich beim Gubernium beschwert. Anläss-lich seiner im Jahr 1794 geplanten Eheschließung mit Anna Valtiner, mit der er im zweiten und dritten ungleichen Grad verwandt war, sei ihm „von dem fürst-bischöflich Brixnerischen Consistorio eine zwar unentgeltliche Dispens, jedoch bey sonstiger Verweigerung der priesterlichen Einsegnung aufgedrungen wor-den“. In einer sehr ausführlichen Replik wurde dem Seelsorger Schutz garantiert, falls er das Brautpaar ohne Dispens trauen würde, und zugleich vor „Spaltungen zwischen der obersten Landesherrschaft und dem Hirtenamte“ gewarnt, die das

„den allerhöchsten Verordnungen“ zuwiderlaufende „bischöfliche Benehmen“

nach sich ziehen würde, zumal es bei „dem Volke“, dem „derley Collisionen“ nicht verborgen blieben, „einiges Aufsehen erwecken dürfte“. Es folgte der Aufruf, der Bischof möge sich „in Zukunft“ an die landesfürstlichen Gesetze halten, „welche das Wohl des Volkes ohne mindeste Schmälerung der ächten geistlichen Rechte zur Absicht haben“ und nicht durch seine „unzeitigen Einstreuungen und einseiti-gen Verfüguneinseiti-gen zu Beunruhigung des Volkes“ beitraeinseiti-gen.73

In den von lokalen Geistlichen, die sich geweigert hatten Trauungen zu voll-ziehen, angeforderten Erklärungen zeigt sich, dass sie auf dem Standpunkt be-harrten, das Verbot des dritten und vierten Grades sei von der Kirche „jeder Zeit beibehalten“ worden und daher seien die Pfarrer von den Bischöfen „zur Begeh-rung der Dispensation angewiesen“.74 Der eingangs zitierte Kann-Paragraph im Ehepatent wurde in der Praxis offensichtlich zu einem Muss-Paragraphen um-interpretiert. Der k. k. Landrichter und Pfleger von Naudersberg kommentierte dies im Stil eines aufgeklärten Beamten: „In Ansehen des zweyten Grundes ste-cken die Herrn Geistlichen in einem dichten Irrsal, da sie einen Rath, den die setzgebung dem Engbrüstigen giebt, ganz fälschlich beurtheilen. Denn die Ge-setzgebung macht es Niemand zur Schuldigkeit, sich an die Geistliche Gehörde um Dispensatzion zu wenden; sondern sie lässt es dem Unaufgeklärten frei, zu Beruhigung seines schwachen Gemüths die Dispens bei der Geistlichkeit ein-zuhohlen, so sich von den Wörtern des Gesetzes nur zu klar ergiebt. Wer wird sich’s wohl beigehen lassen, den Wörtern können, mögen, die nämliche Bedeu-tung, wie jenen sollen, müssen zu geben.“ Solche Dispensen seien demnach „eine unnöthige Sache“ und blieben „lediglich dem Engbrüstigen unbenohmen“.75 Der Landrichteramtsverwalter für Glurns und Mals gab an, in Erfahrung gebracht 73 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 64 Ehesachen, 1794–1795, lfd. Fasz. Nr.

312, 1794, Nr. 90.

74 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 57 Placetum Regium, 1790–1793, lfd.

Fasz. Nr. 1.622, 1792, Nr. 12, Schreiben des Pfarrers aus Haid vom 21. Februar 1792.

75 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 57 Placetum Regium, 1790–1793, lfd.

Fasz. Nr. 1.622, 1792, Nr. 12, Schreiben des k. k. Landrichters und Pflegers von Naudersberg vom 23. Februar 1792, Hervorhebung im Original unterstrichen.

120 zu haben, dass es die Geistlichen nicht wagen würden, ein Paar ohne Dispens zu trauen.76

So erging die Weisung an die in diese Fälle involvierten Bischöfe von Brixen und Chur, „sich nach den bestehenden Ehevorschriften genauer als bisher zu benehmen“.77 Dies sollte nicht die einzige Ermahnung in dieser Sache bleiben.

Denn das Ordinariat in Brixen sprach dem kanonischen Recht ungerührt weiter-hin eine übergeordnete Rolle zu. Auf eine Anzeige aus dem Jahr 1798 lautete die Erwiderung von bischöflicher Seite lapidar: „Ob die Dispens-Ertheilung im 3ten Grade der Blutsfreundschaft [...] nothwendig gewesen, müssen wir als Ordinarius selbst wissen“.78 Doch auch das Kreisamt Schwaz leitete als weltliche Institution ein Dispensansuchen im dritten Grad, jenes des Bäckermeisters Franz Rummler und der Anna Schnaggerin, an das Gubernium weiter und erhielt als belehrende Antwort, dass in diesem Fall „in Folge des höchsten Ehepatens“ keine Dispens nötig sei und sich das Kreisamt nun „in ähnlichen Fällen künftighin ohne weitere Anfrage von selbst zu benehmen wisse“.79

Divergierende Positionen gab es hinsichtlich des zweiten und dritten unglei-chen Grades nach kanonischer Zählung. Die Kirche behandelte solche Zwisunglei-chen- Zwischen-grade ausgehend vom näheren Grad, in der genannten Konstellation also am zweiten Grad orientiert, während das Ehepatent vorsah, den zweiten und dritten ungleichen Grad wie einen dritten anzusehen und damit frei von jeder Dispens-pflicht.80 So gab es auch diesbezüglich Machtgeplänkel und Unsicherheiten. Die Verordnung vom 11. Mai 1782 hatte Ehehindernisse, die den zweiten Grad be-rühren, erwähnt, sie aber von der Forderung ausgenommen, sich auch dafür von

76 Vgl. TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 57 Placetum Regium, 1790–1793, lfd.

Fasz. Nr. 1.622, 1792, Nr. 12, Schreiben vom Landrichteramtsverwalter für Glurns und Mals vom 8. März 1792.

77 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 57 Placetum Regium, 1790–1793, lfd.

Fasz. Nr. 1.622, 1792, Nr. 12, Replik vom 29. März 1792 auf die zuvor genannte Anzeige des Kreisamtes.

78 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 64 Ehesachen, 1797–1798, lfd. Fasz. Nr.

314, 1798, Nr. 14.

79 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 57 Placetum Regium, 1786–1789, lfd.

Fasz. Nr. 1.621, 1788, Nr. 19.

80 Der Bischof von Brixen holte sich diesbezüglich Rückversicherung über den Agenten Gior-gio Merenda in Rom, der ihm bestätigte, dass eine allgemeine Übereinstimmung herrsche, dass der nähere Grad den ferneren „an sich ziehe“: „In tanto io le dirò, che sembra ad ogni uno insussistente secondo il Gius commune, come in deto foglio Pro-memoria, che il grado più remoto tragga a se il più prossimo. Tutti bensì convengono, che il più prossimo grado trae a se il più remoto, e siccome, quando nel grado terzo concorre il secondo, questo è il più prossimo, cosi il secondo deve tirare a se il terzo perché il più rimoto e con distinto ossequio mi confermo.“ DIÖAB, Konsistorialcodices Romana, ab anno 1764 inclusive Mense Majo us-que ad annum 1861, 151–152, 152.

121 3. Die Grenze der Eheverbote: zweiter oder vierter Grad?

Rom Dispensvollmachten geben zu lassen.81 Auf dieser Grundlage versuchte der Fürstbischof von Brixen, diese Paarkonstellationen weiterhin nach kirchlicher Lo-gik und Norm zu behandeln.82 Eine Anordnung, den im zweiten und dritten Grad verwandten Simon Maldoner und Ursula Lechleitnerin aus Stanzach im Lechtal

„keine weitern Anstände“ zu machen, da dieser Grad „gar nicht unter jene Ehehin-dernisse“ gehöre, „die eine Dispensation des bischöflichen consistorii erfordern“, ging auch an den Bischof von Augsburg. Ihm wurde angedroht, dass man ansons-ten „unbeliebig vorzugehen veranlassen würde“.83

In Anbetracht des Umfanges der Diözesangebiete, die dem Gubernium in Inns-bruck unterstellt waren, und der relativ weiten Verbreitung von Eheprojekten im dritten und vierten Grad waren es letztlich relativ wenige Beschwerden, die bis zur Landesstelle vordrangen. So manches ist vermutlich auf den unteren Ver-waltungsebenen hängen geblieben. Wer waren jene Personen, die sich beschwert haben? Sebastian Hueber aus dem Markt Innichen, der sich, wie zuvor zitiert, mit einer Beschwerde an das Gubernium gewandt hatte, könnte durchaus repräsen-tativ sein für diese offensichtlich eher kleine Gruppe. Er war ein Handelsmann und stammte aus einer angesehenen Familie des Marktortes. Sein Vater, sein Großvater, Brüder und Cousins hatten in Innichen und Umgebung über Jahr-zehnte und Generationen diverse Gerichtsfunktionen ausgeübt: als Gerichtsob-rigkeit, Gerichtspraktikanten oder Gerichtsschreiber. Er stammte also aus einem familialen Umfeld, das mit Recht und rechtlichen Neuerungen ebenso wie mit Verfahrensläufen bestens vertraut war.84

Im April 1791, acht Jahre nach Einführung des Ehepatents, ließ Leopold II.

(1790–1792), Nachfolger Josephs II., in Reaktion auf diverse Beschwerden von Seiten der Bischöfe Bilanz ziehen. Aus der entsprechenden Note geht hervor, dass neben den Eheversprechen die Dispensen in den verbotenen Graden jener vom Ehepatent betroffene Bereich war, der die größten Schwierigkeiten verursachte.

Konstatiert wurde darin, dass „die weltliche Macht das über diesen bürgerlichen Vertragsgegenstand ihr allein zustehende Bestimmungsrecht nunmehr wirklich in Ausübung gebracht“ habe und dass sich diese Ausübung eben nur bis auf den zweiten Grad der Seitenverwandtschaft ausdehne. Dennoch scheint es Diskus-81 Vgl. Verordnung vom 11. Mai 1782, in: Sammlung in Publico-Ecclesiasticis vom Jahre 1767 bis

Ende 1782, 203–205, 203f.

82 Vgl. TLA Innsbruck, Protocolla cum Indice in Geistlichen Co[mmissi]ons-Sachen vom ersten Jänner bis Ende Juni 1784, 17. März 1784, fol. 299.

83 TLA Innsbruck, Protocolla cum Indice in Geistlichen Co[mmissi]ons-Sachen vom 1. Juli 1785 bis Ende Juni 1786, 12. November 1785, fol. 1819.

84 Vgl. dazu auch Margareth Lanzinger, Von der Macht der Linie zur Gegenseitigkeit. Heirats-kontrakte in den Südtiroler Gerichten Welsberg und Innichen 1750–1850, in: dies., Gunda Barth-Scalmani, Ellinor Forster u. Gertrude Langer-Ostrawsky, Aushandeln von Ehe. Heirats-verträge der Neuzeit im europäischen Vergleich, Köln/Weimar/Wien, 20152, 205–326, 210–212.

122 sionen darüber gegeben zu haben, ob es dabei belassen werden sollte. Schließ-lich fand man es jedoch nicht „räthSchließ-lich“, „das Verbot nunmehr wieder auf weitere Grade, als in dem Ehepatente bestimmt worden, zu erstrecken, denn theils gäbe eine [sic] solche Wankelmuth nur gleichsam selbst zu erkennen, als ob Man an der Rechtmäßigkeit der ausschließenden Gesetzgebungsgewalt in diesem Punkte zweifelte, und nun in der Gleichstimmung des weltlichen Gesetzes mit den vormal

122 sionen darüber gegeben zu haben, ob es dabei belassen werden sollte. Schließ-lich fand man es jedoch nicht „räthSchließ-lich“, „das Verbot nunmehr wieder auf weitere Grade, als in dem Ehepatente bestimmt worden, zu erstrecken, denn theils gäbe eine [sic] solche Wankelmuth nur gleichsam selbst zu erkennen, als ob Man an der Rechtmäßigkeit der ausschließenden Gesetzgebungsgewalt in diesem Punkte zweifelte, und nun in der Gleichstimmung des weltlichen Gesetzes mit den vormal