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DAS PLACETUM REGIUM – EINE „FORMALITÉ SI HUMILIANTE POUR L’EGLISE“

II. KIrchE und staat In KonKurrEnz

1. DAS PLACETUM REGIUM – EINE „FORMALITÉ SI HUMILIANTE POUR L’EGLISE“

Für Ehedispensen in den nahen Graden der Blutsverwandtschaft und Schwäger-schaft war grundsätzlich Rom zuständig. Um eine solche zu erlangen, hatte es in der Frühen Neuzeit mehrere Möglichkeiten gegeben. Thomas Dolliner charakte-risierte diese „erste Epoche“ – vielleicht etwas zu großzügig – in einer Rückblende Anfang des 19. Jahrhunderts als eine, die zahlreiche Handlungsoptionen geboten hatte: „Es war die Gewohnheit, daß man weder die weltlichen Behörden, noch den Bischof von dem Geschäfte etwas wissen ließ. Wer die Nachsicht von einem Ehehinderniße brauchte, verfügte sich entweder selbst nach Rom, oder schickte Jemanden dahin, oder wandte sich an den päpstlichen Nuntius, oder an einen an-deren Römischen Agenten, und verschaffte sich so die Dispensation. Wenn er diese alsdann vorzeigte, konnte er von dem Pfarrer getrauet werden.“13 In den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts standen nahe verwandten und verschwäger-ten Paaren diese Wahlmöglichkeiverschwäger-ten nicht mehr offen. Die Frage, von wem eine Dispens erteilt werden sollte, wurde zu einem Streitpunkt in der Konkurrenz zwi-schen kirchlicher und weltlicher Macht.14 Begonnen hat es damit, dass der „Rekurs“

nach Rom nun generell und so auch in Dispensangelegenheiten der staatlichen Kontrolle unterstellt wurde: Ein placetum regium, eine landesfürstliche Genehmi-gung, sich an die römische Kurie wenden zu dürfen, war nunmehr erforderlich.

11 Adalbert Theodor Michel, Beiträge zur Geschichte des österreichischen Eherechtes, Graz 1870, 59.

12 Vgl. dazu Hersche, Muße und Verschwendung, Bd. 2, 1013–1015; vgl. für Deutschland in dieser Zeit Hull, Sexuality, State, and Civil Society.

13 Thomas Dolliner, Erläuterung des 83. § des bürgerlichen Gesetzbuches über die Ehe- Dispensen, in: Carl Joseph Pratobevera (Hg.), Materialien für Gesetzkunde und Rechtspflege in den Oesterreichischen Erbstaaten, Wien 1815, 56–99, 57.

14 Vgl. dazu auch Margareth Lanzinger, Staatliches und kirchliches Recht in Konkurrenz. Ver-wandtenehen und Dispenspraxis im Tirol des ausgehenden 18. Jahrhunderts, in: Geschichte und Region / Storia e Regione 20, 2 (2011), 73–91.

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Kaiserin Maria Theresia hatte mit der Verordnung vom 27. September 1777 festgesetzt, „daß unter schwerer Strafe allen, und jeden verboten sey, sich ohne landesfürstliche Erlaubniß wegen eines Dispensations-Falls in Ehesachen persön-lich nach Rom zu begeben“.15 Sowohl Laien als auch Geistlichen war damit „der unmittelbare Verkehr mit Rom“ untersagt.16 Vor dem Einreichen eines jeden Dispensansuchens in Rom musste bei der zuständigen politischen Landesstelle das placetumregium eingeholt werden. Begründet wurde dies in der Verordnung vom 11. Mai 1782 mit Bezug auf die Bestimmungen des Konzils von Trient, dass Dispensen in den nahen Graden „nur selten“ und zudem nur für einen auserwähl-ten Personenkreis „statt haben“ sollauserwähl-ten. Daraus schloss die Verordnung – reprä-sentativ für das Selbstverständnis von Joseph II. –, dass „derley Beweggründe aber [...] am sichersten allein von der politischen Seite [...] eingesehen und be-urtheilet werden“ könnten. Daher sollten künftig all jene, die um eine Dispens in den nahen Graden ansuchen wollten, zuerst die landesfürstliche Erlaubnis hierzu

„bewirken“ und sich erst dann an den für sie zuständigen Bischof wenden.17 Aus kirchlicher Perspektive handelte es sich dabei um eine „formalité si humi-liante“, eine äußerst demütigende Formalität, die den Kirchenvertretern weder notwendig noch sinnvoll erschien. Sie sei „absolument superflue“, gänzlich über-flüssig, und letztlich gefährlich, eine Versklavung der Kirche. Mit diesen Worten legte der Erzbischof und Kurfürst von Trier Clemens Wenzeslaus von Sachsen in einem Briefwechsel seinem „cousin“18 Joseph II. seine Sichtweise dar. Abgedruckt ist er in einer kleinen Schrift aus dem Jahr 1782.19 Joseph II. argumentierte seine Position kurz und bündig, dass er über das, was der Vatikan erlasse, unterrichtet sein müsse, um darauf Einfluss nehmen zu können.20 Das placetum regium sollte

15 Verordnung vom 27. September 1777, in: Sammlung der Kaiserlich-Königlichen Landesfürst-lichen Gesetze und Verordnungen in Publico-Ecclesiasticis vom Jahre 1767 bis Ende 1782, Wien 1782, 104–105, 104. Hervorhebung der Verfasserin. Vgl. dazu auch Johannes Mühlstei-ger, Der Geist des Josephinischen Eherechtes, Wien/München 1967, 43–47.

16 Michel, Beiträge zur Geschichte, 8. Vgl. auch Christian Steeb u. Birgit Strimitzer, Österreichs diplomatische Vertretung am Heiligen Stuhl im Spiegel der k. (u.) k. Vatikanpolitik im 19.

Jahrhundert, in: Hans Paarhammer u. Alfred Rinnerthaler (Hg.), Österreich und der Heilige Stuhl im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. u. a. 2002, 35–63.

17 Verordnung vom 11. Mai 1782, in: Sammlung in Publico-Ecclesiasticis vom Jahre 1767 bis Ende 1782, 203–205, 204. Zur tridentinischen Entsprechung siehe Jemolo, Il matrimonio, 64.

18 Clemens Wenzeslaus von Sachsen war ein Sohn von Erzherzogin Maria Josefa, Tochter Kai-ser Josephs I.

19 Österreichisches Staatsarchiv (ÖSTA), Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA), Rom Varia 1778–1784, K. 58, Ins. 2. Correspondence entre S. Maj. L’Emperéur Joseph II. et S.A.R. L’Elec-teur de Tréve touchant les édits impériaux en matiere de religion, Philadelphia 1782, 4f.

20 ÖSTA, HHStA, Rom Varia 1778–1784, K. 58, Ins. 2. Correspondence entre S. Maj. L’Emperéur, 18: „Quant au Placitum regium il m’a paru, que quand le Chef (comme Elle l’apelle,) visible de l’Eglise, fait émaner quelqu’ordre du Vatican aux fideles de mes Etats, leur Chef, très

palpab-104 bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Zusammenhang mit römischen Dispens-ansuchen erforderlich sein. Die Bitte darum war in der Regel ein Formalakt – al-lerdings mit hoher symbolischer Bedeutung aufgeladen.

Dieser Schritt in Richtung einer stringenten landesfürstlichen Kontrolle be-deutete zugleich eine Zentralisierung des Dispenswesens insgesamt.21 Sich auf-grund verschiedenster Anliegen und auch über weite Distanzen auf den Weg nach Rom zu machen, war nicht nur in Spanien, sondern auch im deutschsprachigen Raum seit dem Mittelalter verbreitete Praxis gewesen, vor allem im Kontext von Straf- und Sühnewallfahrten.22 Hans Hochenegg verweist auf die gar nicht sel-tenen Ablassbriefe „mit zahlreichen anhängenden Siegelabdrücken römischer Kardinäle“, die Rom-Reisende für Pfarrkirchen und Bruderschaften in Tirol mitgebracht hatten.23 So manches Paar dürfte auch in Ehe- und Dispensangele-genheiten den direkten Weg nach Rom gewählt haben. Jedenfalls lautete ein Ar-gument unter anderen für den Eingriff in diese Belange, dass es „für den Staat unmöglich gleichgiltig seyn“ könne, „wenn seine Bürger in entfernten Ländern, mit grossen Kösten, durch verderbliche Reisen, und vervielfältigte Umwege die nöthige Dispens ansuchen“ müssten.24 Auch indirekte Wege waren vielfach ge-nutzt worden. Suppliken gingen über so genannte „Prokuratoren“ vermittelt an die päpstliche Kurie. Die beeindruckende Zahl von 114.480 Bittbriefen nennt Ludwig Schmugge, die zwischen 1455 und 1492 aus der gesamten katholischen Welt bei der päpstlichen Pönitentiarie eingelangt und dort von den Schreibern re-gistriert worden waren, darunter 6.387 aus dem Gebiet des Deutschen Reiches.25 Ein Circularschreiben, am 3. November 1777 an die Säkular- und

Regulargeist-le & réel comme moi, en doit être instruit & y influer pour quelque chose.“ Zurückgehen soll das placetum regium auf das in der hochmittelalterlichen Kanonistik formulierte Prinzip

„Quod omnes tangit debet ab omnibus approbari,“ woraus folgt, dass für die Verbindlichkeit kirchlicher Entscheidungen die Zustimmung der weltlichen Machtinhaber als Vertreter des Volkes notwendig sei. Vgl. Rudolf Pranzl, Das Verhältnis von Staat und Kirche/Religion im theresianisch-josephinischen Zeitalter, in: Reinalter, Josephinismus als Aufgeklärter Abso-lutismus, 17–52, 35.

21 In diesem Punkt treffen Kontrolle und Zentralisation unweigerlich zusammen. Helmut Rei-nalter sieht „im Kampf um die Oberhoheit des Staates über die Macht der Kirche“ die Frage der Kontrolle im Vordergrund. Reinalter, Josephinismus als Aufgeklärter Josephinismus – ein Forschungsproblem, 23.

22 Vgl. Louis Carlen, Straf- und Sühnewallfahrten nach Rom, in: Helfried Valentinitsch (Hg.), Recht und Geschichte. Festschrift Hermann Baltl zum 70. Geburtstag, Graz 1988, 131–153.

23 Hans Hochenegg, Wallfahrten über die Landesgrenzen. Ein Beitrag zur religiösen Volkskun-de, in: Tiroler Heimat 12 (1948), 7–23, 10.

24 Ernst Valentin Schwaigers rechtliche Abhandlung von dem Rechte und der Pflicht der Bi-schöfe in allen Fällen zu dispensiren da der Landesfürst die Dispensreserven abschaffet.

Nebst angehängten Lehrsätzen aus der gesammten Rechtsgelehrsamkeit, Wien 1784, 62f.

25 Schmugge, Ehen vor Gericht, 15.

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lichkeit26 der Diözese Brixen versandt, erklärte, dass Dispensen, die nicht unmit-telbar vom bischöflichen Ordinariat erwirkt worden seien, in Zukunft nicht mehr angenommen würden. Dieses Schreiben wandte sich „vorzüglich“ an die „Ordens Vorsteher“.27 Neben päpstlichen Gesandten und Ordinarien waren in der Frühen Neuzeit vornehmlich Orden mit besonderen päpstlichen Vollmachten ausgestat-tet, allerdings sollen darin kaum Ehedispensfakultäten enthalten gewesen sein, es sei denn im Kontext der Mission,28 so dass angenommen werden kann, dass sie vor allem als Vermittler tätig gewesen waren.

Direkt in Rom dürfte es allerdings, den Forschungen von Marina D’Amelia nach zu schließen, nicht ganz einfach gewesen sein, eine Dispens zu erlangen. Insbe-sondere der Datarie sei es kein Anliegen gewesen, den Grad an Unsicherheiten zu reduzieren und sich um geregelte Abläufe zu bemühen. Vielmehr habe ein Informationsdefizit bezüglich der Spielregeln und des tatsächlichen finanziellen Aufwands – über die aufgelisteten und in gedruckter Form zugänglichen Kanz-leigebühren hinaus – geherrscht. Der gesamte Komplex der Erteilung von Gna-den habe sich letztlich als ein einziges Labyrinth dargestellt. Doch war unter Gna-den Katholiken allgemein bekannt, dass der Papst die Gnadengewalt in unzähligen Belangen innehabe. Damit einem diese auch tatsächlich zuteil wurde, benötigte man Agenten und Mittelsmänner vor Ort. Dies konnte jemand sein, der dort lebte und Zugang zur Datarie hatte oder jemand, den man eigens nach Rom entsandte.

Bestechungsgelder flossen reichlich; immer wieder wurden Dispensbreven auch gefälscht.29 Die Untersuchung von Marina D’Amelia ist zwar im 16. und 17. Jahr-hundert angesiedelt, doch dürfte dem darin vermittelten Bild in den Grundzügen auch darüber hinaus eine gewisse Gültigkeit zukommen. Vor diesem Hintergrund mochten geregelte Verfahrensabläufe über die bischöflichen Bürokratien als Hauptakteure, die eine Reise nach Rom ersparten, eine gewisse Erleichterung mit sich gebracht haben. Doch bedeutete die Zentralisierung zugleich, dass Paare nun

26 Der Unterschied zwischen Säkular- und Regulargeistlichkeit liegt darin, dass Erstere terri-torial verortet sind und die Sakramente verwalten, wodurch sie eine öffentliche Funktion – späteren Standesbeamten vergleichbar – ausgeübt haben. Zu letzteren zählen die Ordens-leute, die allein ihrem Abt unterstehen, den Regeln des Ordens und des Klosters unterwor-fen und deshalb praktisch „extra- oder a-territorial“ sind, u. a. zum Missionieren beruunterwor-fen.

Vgl. Elena Brambilla, La giustizia intollerante. Inquisizione e tribunali confessionali in Euro-pa (secoli IV–XVIII), Roma 2006, 21f.

27 Kopie der Circularschrift vom 3. November 1777, TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Gu-bernialratsprotokolle, Ecclesiastica, Fasz. 212, 1783 (Jan.–Feb.), Ein- und Auslauf, Bd. 2, Nr. 42.

28 Vgl. dazu Leo Mergentheim, Die Quinquennalfakultäten pro foro externo. Ihre Entstehung und Einführung in deutschen Bistümern, Bd. 2, Stuttgart 1908 [Nachdruck Amsterdam 1965], 3–38.

29 Marina D’Amelia, Agenti e intermediari tra negozi curiali e merci false (Roma tra Cinque e Seicento), in: Quaderni storici 124 (2007), 43–78, 44–46.

106 gänzlich davon abhängig waren, ob die lokalen und regionalen Geistlichen sowie das für sie zuständige bischöfliche Konsistorium, die entsprechende politische Landesstelle und die Hofkanzlei in Wien bereit waren, deren Ansuchen um eine Dispens in den nahen Graden zu unterstützen.

Ganz abstellen ließ sich der eigenmächtig eingeschlagene Weg nach Rom den-noch nicht. Wer dies wagte, hatte allerdings mit Strafmaßnahmen zu rechnen. Jo-seph Schuster und Maria Nockerin aus dem Gericht Altrasen im Pustertal, Cousin und Cousine, hatten sich im Jahr 1785 „persönlich nach Rom begeben“, um eine Dispens zu erhalten, und waren „nach deren Bewürkung“ dort auch gleich getraut worden. Nach Hause zurückgekehrt, wurde das Paar verhaftet und in einem „ab-gesönderten, jedoch ganz gemässigten Arrest gehalten“. Der beim Gubernium in Innsbruck angezeigte Vorfall wurde an die Hofkanzlei in Wien weitergeleitet.

Diese bestätigte im April 1785 die Rechtmäßigkeit des Vorgehens und gab dem Gubernium die Anweisung, die Trauungsurkunde aus Rom „unverzüglich“ zwecks Überprüfung an die Hofkanzlei zu senden. Dies geschah offensichtlich nicht, denn im Juli desselben Jahres erfolgte die Aufforderung, einen Bericht nebst „Certifi-cats der zu Rom würklich geschehenen Kopulation“ einzusenden, und zwar „ohne allen Verzug“, da das Paar so lange in Arrest bleiben müsse, bis die höchste Ent-schließung erfolgt sei. Diese traf dann im August 1785 ein: Seine Majestät habe

„für diesesmal gnädigst zu erlauben geruhet, daß der Civil Contract30 des Joseph Schuster und der Maria Nockerin [...] revalidiret, und somit beide von ihrem or-dentlichen Pfarrer zusammen gegeben werden mögen“. Die Trauung musste also wiederholt werden, obwohl die Ehe im Petersdom, dem Zentrum der katholi-schen Welt schlechthin, geschlossen worden war – aber eben nicht vom eigenen Pfarrer (Ehepatent 1783, § 29) und ohne das im Ehepatent auch von weltlicher Seite vorgesehene Prozedere der obligaten drei Aufgebote (Ehepatent 1783, § 31). Wegen ihrer „ausser Landesgehung ohne Obrigkeitlicher Erlaubniß“ wurde das Paar unter Berücksichtigung des bereits abgesessenen Arrests mit sechs Wo-chen öffentlicher Arbeit bestraft, die vor ihrer „Recopulirung“ zu leisten war.31

In den 1820er Jahren findet sich ein expliziter Aufruf an die Dekanate zur Überwachung der Leute. Kontext war das so genannte „Jubiläum“, das alle 25 Jahre ausgerufene Heilige Jahr, in dem ein besonderer Sündenablass erlangt wer-den konnte. Ein solches Jahr nahmen viele Katholiken und Katholikinnen zum An-lass, nach Rom zu pilgern – und dabei auch noch anderes zu erledigen. „Priester

30 Die Definition der Ehe als „bürgerlicher Vertrag“ ist das Kernstück des Josephinischen Ehepa-tents von 1783, mit dem zwar nicht die Zivilehe eingeführt wurde, von dem sich aber die nun-mehr allein in staatliche Kompetenz fallenden rechtlichen Voraussetzungen und Folgen der Ehe ableiteten. Die obligaten Aufgebote unterstanden damit nun ebenfalls dem zivilen Recht.

31 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Geistliche Sachen, Fasz. 434, 1785, Akten und Protokol-le, Zl. 6.596, Nr. 1.072; Zl. 10.895, Nr. 1.731; Zl. 12.086, Nr. 1.902 ½.

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von einer Nachbar-Diözese“ hätten sich dazu verleiten lassen, „einem zum Jubi-läum nach Rom wallenden Bauern Briefe und Gesuche an den päpstlichen Stuhl zur Erlangung und Verlängerung von geistlichen Vollmachten und Dispensen etc. mitzugeben“, daher trage das k. k. Landespräsidium dem Klerus der Diözese Brixen auf, dass „bey Gelegenheit des heurigen Jubeljahres in Rom der Verband mit dem römischen Stuhl auf keine der Hierarchie überhaupt und dem Österrei-chischen Kirchenrechte insbesondere zuwiderlaufende Art benützt werde“. Aus Sicht des Konsistoriums war diese Sorge unbegründet. Vielmehr würde durch das Publikmachen „einer so allgemeinen Erinnerung“ nur „der Reitz zur Umgehung des ordentlichen Weges“ geweckt. So sprach es sich dafür aus, dass die Dekane

„auf ganz geheimen Wege [...] zur geeigneten Ueberwachung über diesen Gegen-stand aufgefordert werden“ sollten.32

Nicht nur zu Beginn eines Dispensverfahrens schalteten sich die politischen Behörden ein, sondern auch nach Eintreffen des Dispensbreves aus Rom. Die Vordnung vom 26. März 1781 sah vor: „Da alle von dem Päpstl[ichen] Stuhl er-lassende Bullen, Breven, oder anderweitige Verordnungen einen Bezug auf den Statum publicum haben können; so finden Wir für nothwendig, daß deren Inhalt nachträglich vor der wirklichen Kundmachung Uns zur Ertheilung Unseres Lan-desfürstlichen Placiti Regii, oder Exequatur allemal vorgeleget werde.“33 Als dafür zuständiges Organ nannte die Verordnung die politischen Landesstellen. Die in Form von Breven erteilten Dispensen waren demnach, bevor die Eheschließung stattfinden konnte, von den bischöflichen Ordinariaten zuerst an die zuständi-gen Landesstellen zu senden und dort mit dem exequatur – „er vollziehe“ – zu versehen. Im Zuge dessen wurde auch die landesfürstliche Dispens erteilt. Eine solche war notwendig, da das Ehepatent Ehen bis zum zweiten Grad der Bluts-verwandtschaft und Schwägerschaft verbot und daher ebenfalls in die Aufhebung des Verbots einwilligen musste.

Die Bischöfe agierten jedoch immer wieder nach eigenem Ermessen. Der Ton-fall, in dem das ordnungsgemäße Vorgehen angesichts solcher Vorfälle erklärt und eingefordert wurde, war sehr bestimmt. Als widerspenstig zeigten sich nicht nur die geistlichen Herren des romtreuen Konsistoriums in Brixen, sondern auch andere Bischöfe, deren Diözesen im ausgehenden 18. Jahrhundert zum Teil auf österreichischem Territorium lagen und die sich nur unwillig den diversen ge-setzlichen Neuerungen unterwarfen.34 Das Innsbrucker Gubernium erhielt immer 32 ADF, GA, Ehesachen I, 1820–1850, 1825, Fasz. 58.

33 Verordnung vom 26. März 1781, in: Sammlung in Publico-Ecclesiasticis vom Jahre 1767 bis Ende 1782, 124–125, 124.

34 Dies betraf Teile der Diözesen Augsburg, Chur, Konstanz und St. Gallen. Eine entsprechende Karte findet sich bei Josef Gelmi, Geschichte der Kirche in Tirol. Nord-, Ost- und Südtirol, Innsbruck/Wien/Bozen 2001, 235.

108 wieder die Order aus Wien, entsprechende Anweisungen weiterzuleiten. In ei-nem Schreiben vom 12. Mai 1804 adressierte die Hofkanzlei beispielsweise einen Ordnungsruf an den Bischof von Augsburg in Hinblick auf Dispensbreven: „Da von keiner römischen Urkunde eher Gebrauch gemacht werden darf, als bis das Placetum Regium darüber angesucht und ertheilt worden ist, so hat das Guber-nium vor allem das päpstliche Dispens breve in originali von dem augspurger Or-dinariat abzufordern, und das Placetum regium in der gewöhnlichen Form, näm-lich insoweit der Inhalt desselben den landesfürstnäm-lichen Gesetzen nicht entgegen ist [...], zu ertheilen. Erst wenn dieses geschehen seyn wird, kann das Ordinariat die ihm von dem päpstlichen Stuhle eingeräumte Dispensbefügniß in Ausübung bringen, und das Gubernium den genannten Brautpersonen zur gültigen Schlies-sung des bürgerlichen Ehevertrages die Bewilligung geben.“35

Die Direktiven bezüglich der Verfahrensabläufe änderten sich relativ bald, und zwar im Kontext der Auseinandersetzung um die Dispensvollmachten der Bischöfe und die angestrebte Unabhängigkeit von Rom in Ehedispensangelegen-heiten. Da sich die Bischöfe nicht ohne Weiteres darauf einließen, war zunächst deren schriftliche Zusage erforderlich, dass sie aus eigener Vollmacht dispensie-ren würden. Die Brautleute mussten eine entsprechende Erklärung ihrem Gesuch beilegen, dann durfte ihnen die Landesstelle ihrerseits die Heiratserlaubnis er-teilen. Am Ende eines jeden „Militär Jahres“ – dieses endete mit Oktober – sollte ein Verzeichnis der vergebenen Ehedipsensen nach Wien gesandt werden.36 Fünf Jahre später galten wiederum neue Regelungen, die zum Zentralismus zurück-kehrten. Nun war „in Fällen, wo die Bischöfe aus eigener Ordinariats-Macht selbst dispensiren“ würden, „das Placetum zur Bischöflichen Dispens nicht mehr von der Landesstelle zu ertheilen, sondern jederzeit bey diesen Directorio einzuho-len“.37 Gemeint war damit die Hofkanzlei in Wien, die im Vorfeld von Dispenser-teilungen nun wieder zu informieren und zu konsultieren war und die offensicht-lich selbst Kontrolle ausüben wollte. In den Jahren dazwischen, unmittelbar nach Erlass des Ehepatents von 1783, hatten die poltischen Behörden für einige Jahre über die Dispenswürdigkeit von Paaren geurteilt und dabei besondere Maßstäbe angelegt.

35 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 64 Ehesachen, 1804, lfd. Fasz. Nr. 318, Nr.

66.

36 Hofdekret vom 8. Februar 1790, TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 57 Place-tum Regium, 1790–1793, lfd. Fasz. Nr. 1.622, 1790, Nr. 7.

37 TLA Innsbruck, Jüngeres Gubernium, Hauptgruppe 64 Ehesachen, 1794–1795, lfd. Fasz. Nr.

312, 1795, Nr. 17. Schreiben der Hofkanzlei in Wien an das Oberösterreichische Gubernium vom 2. Januar 1795.

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