• Keine Ergebnisse gefunden

6 S TUDIE I –D REHRICHTUNGSBASIERTER S IMON E FFEKT ?

6.2 E XPERIMENT 1: D REHBEWEGUNG EINER EINFACHEN GEOMETRISCHEN F IGUR

6.2.3 Diskussion

Die visuelle Wahrnehmung einer Drehbewegung im oder gegen den Uhrzeigersinn hat nur unter bestimmten Bedingungen einen Einfluss auf die Handlungssteuerung des Beobachters.

Die Ergebnisse von Experiment 1 zeigen keinen generellen drehrichtungsbasierten Simon Effekt über alle Bedingungen des Experiments hinweg, da seine Generierung stark von den Faktoren Farberscheinungsort und SOA abhängig ist. Der drehrichtungsbasierte Simon Effekt tritt vor allem dann auf, wenn der relevante Reiz (Farbwechsel in Rot oder Blau) in vier von

330,0 340,0 350,0 360,0 370,0 380,0 390,0 400,0 410,0 420,0

200ms 400ms 600ms 800ms 200ms 400ms 600ms 800ms

Hintergrundbedingung Objektbedingung (Vordergrund)

Reaktionszeit (ms)

inkomp. komp.

acht um eine externe Achse rotierenden Kreisen erscheint. Im Gegensatz dazu tritt kein drehrichtungsbasierter Simon Effekt auf, wenn der irrelevante Reiz vom relevanten Reiz flankiert wird (Hintergrundbedingung). Der Wahrnehmungseindruck einer leicht abbrem-senden Drehbewegung durch das Erscheinen der Farbe in den Kreisen (flash-lag-effect) hat die Generierung eines drehrichtungsbasierten Simon Effekts somit nicht verhindert.

In der Hintergrundbedingung lässt sich kein drehrichtungsbasierter Simon Effekt über alle Bedingungen hinweg feststellen, während der größte Effekt in der Objektbedingung beo-bachtet wurde. Möglicherweise ist eine Trennung der relevanten und irrelevanten Informa-tionen in einen statischen und einen dynamischen Anteil dafür verantwortlich. In der Ob-jektbedingung transportiert der irrelevante den relevanten Reiz und somit setzt sich der dy-namische Reiz unter anderem aus den Merkmalen rund, rechts, rot, etc. zusammen. In der Hintergrundbedingung erfolgt eine Trennung des Farbmerkmals von den übrigen Merkma-len, so dass z.B. das Attribut rot nicht zu den Merkmalen des dynamischen Reizes zählt.

Könnte diese Merkmalstrennung für das Ausbleiben eines drehrichtungsbasierten Simon Effekts in der Hintergrundbedingung sein? Unterstützung für diese Annahme bieten die Be-funde von Driver und Baylis (1989): Sie konnten zeigen, dass in einem Eriksen-Flanker-Paradigma (Eriksen & Eriksen, 1974) sich mit dem Target bewegende Distraktoren mehr In-terferenz verursachen als nähere statische Objekte. Der in den Kreisen stattfindende Farb-wechsel wird von den Probanden möglicherweise als ein Merkmal wahrgenommen, welches in Beziehung zu dem irrelevanten Reiz steht, d.h. hier wird eine perzeptuelle Gruppierung vorgenommen (Gruppierungshypothese visueller Aufmerksamkeit, vgl. Duncan, 1984; Prinz-metal, 1981), während dieser Gruppierungsmechanismus in der Hintergrundbedingung aus-bleibt.

Die unterschiedlichen Ergebnisse der Kreis- und Hintergrundbedingung könnten auch ein Hinweis darauf sein, dass die Generierung des drehrichtungsbasierten Simon Effekts nicht unabhängig von Aufmerksamkeitsprozessen ist. Aus der Sicht der attentional-shift-hypothesis (ASH, vgl. Kapitel 3.3.1.2) wäre die laterale Verschiebung der Aufmerksamkeit eine notwendige Voraussetzung für die Generierung eines Simon Effekts. Somit müsste bei der visuellen Wahrnehmung einer Drehbewegung IU eine Verschiebung der Aufmerksamkeit nach rechts erfolgen, während die visuelle Wahrnehmung einer Drehbewegung GU mit einer Verschiebung der Aufmerksamkeit nach links einhergehen würde. In der Objektbedingung wird diese laterale Aufmerksamkeitsverschiebung nun durch den Auftritt des Farbreizes in

vier Kreisen evoziert bzw. eine bereits bestehende Tendenz bestärkt. In diesem Fall käme der vermeintlich drehrichtungsbasierte Simon Effekt wohl eher auf Grund einer räumlichen Positionskodierung zustande. Da in diesem Experiment keine Kontrolle der Blickbewegungen stattgefunden hat, kann diese Annahme an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden. Stüt-zende Befunde für diese Annahme stammen jedoch aus Studien, die die Einschätzung der Geschwindigkeit einer Drehbewegung untersuchten. Für die Bestimmung der Bewegungsge-schwindigkeit eines rotierenden Objekts wird neben der WinkelgeBewegungsge-schwindigkeit auch die Tangentialgeschwindigkeit der rotierenden Elemente genutzt (Barraza & Grzywacz, 2002;

Werkhoven & Koenderink, 1991). Eine Neigung zur Nutzung der Tangentialgeschwindigkeit einer visuell wahrgenommenen Drehbewegung besteht, wenn (wie hier) nur wenige Ele-mente rotieren (Barraza & Grzywacz, 2002). Das bedeutet, dass die lineare Geschwindigkeit eines Kreises abgeschätzt wird, wenn er sich tangential zur Kreisbahn bewegen würde. Dabei befand sich die Aufmerksamkeit der Probanden bei der Wahrnehmung des hier verwende-ten Stimulus möglicherweise weniger zentral, sondern eher auf der Bewegungsbahn der ro-tierenden Kreise und somit an verschiedenen Positionen auf dem Computerbildschirm.

Farbwechsel sind höchst saliente Ereignisse, die, ob aufgabenrelevant oder nicht, die Auf-merksamkeit der Perzipienten auf sich ziehen (Gellatly & Cole, 1999; Lu & Zhou, 2005). In der Hintergrundbedingung wird die Aufmerksamkeit der Probanden höchstwahrscheinlich vom irrelevanten Reiz hin zum relevanten Reiz verschoben. Da hier der Farbreiz eine relativ große Fläche einnimmt, könnte von den Probanden eine zooming-out-Prozedur (Eriksen & St. Ja-mes, 1986; Eriksen & Yeh, 1985) durchgeführt worden sein, um den Farbbereich als Ganzes visuell abzuscannen. Da man bei solchen Prozeduren jedoch davon ausgeht, dass sie von einem räumlich neutralen Kode kontrolliert werden (Hommel, 1993c), hätte hier kein Ein-fluss der Bewegungsrichtung auf die Handlungsauswahl erkennbar sein dürfen.

Betrachtet man jedoch die individuellen drehrichtungsbasierten Simon Effekte (s. Abb. 33), dann lässt sich erkennen, dass bei vielen Probanden auch in der Hintergrundbedingung ein positiver drehrichtungsbasierter Simon Effekt generiert wird. Da jedoch ähnlich viele Pro-banden einen negativen Effekt aufweisen ergibt die Berechnung des Mittelwerts nur noch einen marginalen Effekt. Weil der irrelevante Reiz bis zum Auftreten des Farbreizes keinen Unterschied zur Objektbedingung aufweist, liegt die Vermutung nahe, dass der großflächig erscheinende Farbreiz in der Hintergrundbedingung zu unterschiedlichen Aufmerksamkeits-strategien führt, die die Generierung von entweder keinem, einem negativen oder einem

positiven drehrichtungsbasierten Simon Effekt bewirken. Ein ähnliches Ergebnis ist in Expe-riment 3 bei Guiard (1983) zu finden, als die Probanden die Lenkraddrehung mit beiden Händen an der 6:30-Uhr-Position durchführen sollten (s. Kapitel 6.1).

Abb. 33 Übersicht über die individuellen drehrichtungsbasierten Simon Effekte aller Probanden in Abhängigkeit der Faktoren Farberscheinungsort und SOA des Experiments 1. Die schwarze Line stellt den Mittelwert dar.

Des Weiteren ist die Generierung des drehrichtungsbasierten Simon Effekts von dem zeitli-chen Abstand zwiszeitli-chen dem Erscheinen des irrelevanten und des relevanten Reizes abhän-gig. Es zeigt sich, dass ein Effekt auftritt, wenn der zeitliche Abstand nicht zu klein, aber auch nicht zu groß ist. Der Effekt stellt sich am größten dar, wenn der zeitliche Abstand bei 400ms liegt (16ms in der Objektbedingung). Die Größe des Effekts in der Objektbedingung ist dabei vergleichbar zu den Ergebnissen von Zwaan und Taylor (2006), obwohl deren Effekt (18ms) auf einer breiteren Eigenschaftsüberlappung zwischen dem visuellen Reizereignis und den intendierten Handlungen besteht (s. Kapitel 6.1). Die vergleichbaren Effekte passen zu den Ergebnissen von Experiment 1a bei Bosbach (2004), die ebenfalls zeigen konnte, dass eine breitere Eigenschaftsüberlappung (räumliche Dimension vs. räumliche und dynamische

Di--80 -60 -40 -20 0 20 40 60 80

200ms 400ms 600ms 800ms 200ms 400ms 600ms 800ms

Hintergrund Objekt

richtungsbasierter Simon Effekt (ms)

mension) zwischen dem visuellen Reizereignis und den intendierten Handlungen keinen Ein-fluss auf die Größe des richtungsbasierten Simon Effekts ausübt (s. Kapitel 3.3.3). Diese Be-funde deuten drauf hin, dass hier die Eigenschaftsüberlappung vor allem auf den räumlichen Merkmalen des Reizes und der Reaktion beruhen. Für die kürzeste SOA von 200ms zeigt sich nur ein kleiner Reaktionszeitvorteil für kompatible gegenüber inkompatiblen Durchgängen.

Hier war die Zeitspanne vor dem Auftreten des relevanten Stimulus möglicherweise nicht lang genug, um die Drehbewegung zu kodieren. Aus Studien zur Untersuchung von Einfach-reaktionszeiten auf den Beginn einer Bewegung ist bekannt, dass Reaktionszeiten von der Geschwindigkeit der Bewegung abhängen. Je höher die Geschwindigkeit der Bewegung, des-to schneller kann auf die Bewegung reagiert werden (Allik & Dzhafarov, 1984; Ball & Sekuler, 1980; Tynan & Sekuler, 1982). Eine mögliche Interpretation dieses Phänomens ist, dass Be-wegung von unserem visuellen System erkannt wird, wenn sie eine kritische Strecke absol-viert hat. Diese kritische Strecke wird früher erreicht, wenn die Geschwindigkeit des Objekts höher ist (Tynan & Sekuler, 1982). Hier hat ein Kreis in 200ms eine sehr kurze Strecke auf der Kreisbahn (Winkel 45°) bewältigt (Einnahme der Ausgangsposition des benachbarten Krei-ses). Diese Streckenlänge hat möglicherweise nicht ausgereicht, um eine vollständige Eigen-schaftsüberlappung der räumlichen Dimension von Ereigniskode und Handlungskode zu er-zeugen.

Für eine SOA von 600ms ist eine Umkehrung des drehrichtungsbasierten Simon Effekts von -7,5ms erkennbar. In einer zweiten ANOVA, in der nur die drehrichtungskompatiblen und – inkompatiblen Versuchsdurchgänge der Objektbedingung und die SOA’s 400ms und 600ms berücksichtigt wurden, zeigt sich eine hochsignifikante Interaktion zwischen den Faktoren drehrichtungsbasierte Kompatibilität und SOA [F(1, 19) = 9,42, p = 0,006, ɳp2

= 0,331]. Ein Post Hoc Tukey Test zeigt [HSD5% = 15,4ms, HSD1% = 19,6ms], dass Reaktionen auf drehrich-tungskompatible Versuchsdurchgänge hochsignifikant langsamer unter SOA600 (396ms) als unter SOA400 (372ms) erfolgen, während für drehrichtungsinkompatible Versuchsdurchgänge kein Unterschied zwischen den Stufen des Faktors SOA besteht (s. Abb. 32). Dieses Ergebnis könnte dadurch zustande kommen, dass mit längerem Abstand zwischen dem Erscheinen des irrelevanten und relevanten Reizes eine Verlagerung des Blickfokus oder der ortsbasier-ten Aufmerksamkeit (Posner, 1980) vom oberen Teil (oberhalb der Drehachse) zum unteren Teil der Drehbewegung, vergleichbar zum Lesen eines Textes rechtsläufiger Schrift (Morika-wa & McBeath, 1992), vorgenommen wird. Im unteren Teil der Drehbewegung ist – bei

demselben Drehsinn – die relative Bewegungsrichtung der rotierenden Kreise entgegenge-setzt zur relativen Bewegungsrichtung der Kreise im oberen Teil. Wenn nicht der Drehsinn der Bewegungsrichtung ausschlaggebend ist für die Verarbeitung räumlicher Informationen einer Drehbewegung, sondern die relativen Bewegungsrichtungen entsprechend der aktuel-len ortsbasierten Aufmerksamkeit die entscheidende Rolle spieaktuel-len, dann wäre es möglich, dass der tendenziell umgekehrte Simon Effekt dadurch generiert wird, dass die Probanden mit zunehmender SOA stärker den unteren Teil der Drehbewegung beachten. Ferner könnte die visuelle Verfolgung eines Kreiselements dazu führen, dass nach 600ms die Aufmerksam-keit der Probanden auf dem unteren Teil der Drehbewegung liegt. Ein Kreis legt hier in 600ms einen Kreisbogen mit einem Winkel von 135° zurück. Das bedeutet, dass in dieser Zeit z.B. bei einer Kreisbewegung IU der 12-Uhr-Kreis bis auf die 16/17-Uhr-Position gewandert ist. Wenn die Annahme stimmt, dass die visuelle Wahrnehmung des Drehsinns einer Kreis-bewegung die ortsbasierte Aufmerksamkeit nach rechts bzw. links provoziert, dann würde die Verarbeitung der relativen Bewegungsrichtung im unteren Teil der Drehbewegung schließlich zu einer Umkehrung des drehrichtungsbasierten Simon Effekts im Hinblick auf den Drehsinn der Drehbewegung führen. Diese Annahmen bleiben ohne Kenntnisse über die Blickstrategien der Probanden hochspekulativ und sollen deshalb hier nicht weiter vertieft werden.

Der umgekehrte Simon Effekt unter SOA600 bleibt in seinem Betrag dem positiven Effekt un-ter SOA400 unterlegen. Dieser Umstand könnte auf eine Ereigniskode-Überschreibung zurück zu führen sein. Die Daten legen die Vermutung nahe, dass die visuelle Aufmerksamkeit zu-nächst auf dem oberen Teil der Drehbewegung liegt und sich im Zeitverlauf auf den unteren Teil verlagert. Dadurch wird zu Beginn der visuellen Wahrnehmung dieser Bewegung der räumliche Kode entsprechend der relativen Bewegungsrichtung im oberen Teil der Bewe-gung aktiviert, während dieser mit fortschreitender Zeit im selben Versuchsdurchgang (onli-ne, s. Fußnote 22) wieder gehemmt und durch die Aktivierung des gegenteiligen räumlichen Kodes überschrieben wird. Möglicherweise führt die Überschreibung von zwei zeitlich dicht aufeinanderfolgenden Kodes derselben Dimension zu einer weniger starken Aktivierung des aktuellen Kodes oder die Überschreibung bleibt unvollständig (Spapé & Hommel, 2010).

Eine uneinheitliche Datenlage für die Betätigung der linken und rechten Taste nach einer SOA von 800ms könnte auf ein Verblassen der automatischen Reaktionstendenz zurückzu-führen sein (Hommel, 1993b; Hommel, 1994b). Ein Blick auf die individuellen

drehrichtungs-basierten Simon Effekte in Abbildung 33 lässt des Weiteren die Vermutung zu, dass hier – vergleichbar mit der Hintergrundbedingung – eine große Variabilität in der ortsbasierten Aufmerksamkeit vorliegt, so dass der Effekt im Mittel marginal ausfällt.

6.3 Experiment 1a: Drehbewegung einer einfachen geometrischen Figur mit