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Die Sonderstellung der bayerischen Rheinpfalz

Die Justizreform in Bayern 1848 1 Georg Heiß (Regensburg/München)

III. Die Sonderstellung der bayerischen Rheinpfalz

Reformbestrebungen im Königreich Bayern hatten aufgrund der Sonderstellung der Pfalz nicht selten ihre Wurzeln dort, was insbesondere für die Justizreform Mitte des 19.  Jahrhunderts galt.3 Zum besseren Verständnis ist daher vorab auf die bayerische

2 Dickopf, Karl, Georg Ludwig von Maurer, 1790 – 1872, Eine Biographie, Kallmünz 1960, S. 83.

3 Karl, Scherer, in: Fenske, Hans, Die Pfalz und Bayern 1816 – 1956, Speyer 1998, S. 10, 14, 16 f.

Pfalz, deren Rechtsordnung sowie Gerichtsorganisation einzugehen. Durch den Staats-vertrag zu München zwischen dem Königreich Bayern und dem Kaiserreich Österreich vom 14. April 1816, der Folge der territorialen Neuordnung durch den Wiener Kongress war, fiel die Pfalz am 30. April 1816 im Tausch gegen Salzburg und einige oberöster-reichische Gebiete an Bayern und wurde am 1. Mai 1816 feierlich in Besitz genommen.4 Bereits vor 1816 war sie mit Bayern durch das Herrscherhaus Wittelsbach dynastisch verbunden gewesen, fiel jedoch im Jahre 1797 an Frankreich. Damit einher ging die Ein-führung des damaligen französischen Rechtssystems und Gerichtsorganisation im Jahre 1798, sowie die Einführung des materiellen und prozessualen französischen Rechts; also der Cinq Codes. Das französische Recht kannte bereits damals keinerlei ständische Privi-legien mehr und die Trennung von Justiz und Verwaltung hatte bereits vollständig in al-len Instanzen stattgefunden.5 Dadurch, dass die rechtlichen Errungenschaften der fran-zösischen Revolution bereits in der Pfalz verankert waren, hatten die Pfälzer berechtigter Weise beim Anschluss an das bayerische Königreich Interesse am Erhalt ihrer Rechtsin-stitutionen, welchen das Königreich aber schon durch das Besitznahmepatent vom 3.Mai 1816 sowie nochmals durch die Verfassung von 1818 dahingehend Rechnung trug, dass den Pfälzern ihre Institutionen garantiert wurden.6 Das französischepfälzische Recht galt in der Pfalz bis zur Einführung des BGB im Jahre 1900.

Die französischpfälzische Gerichtsorganisation stellte erstinstanzlich für jeden Kan-ton, die unterste Stufe der Verwaltungsbezirke, Friedensrichter7 auf, die den französi-schen „juges de paix“ entsprachen und welche auf strafrechtlichem Gebiet die Polizei-gerichtsbarkeit, auf zivilrechtlichem Gebiet die Friedensgerichtsbarkeit ausübten. Im Unterschied zu Frankreich wurde allerdings das Richteramt von gelehrten Juristen und nicht von gewählten Bürgern ausgeübt.8 Zuständig waren die Friedensgerichte in vermö-gensrechtlichen Streitigkeiten bis zu einem bestimmten Streitwert von 100 Fr., sowie in bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Rechtsstreitigkeiten – sie nahmen als unterste In-stanz damit die Bagatellgerichtsbarkeit war.9 Bei den übrigen Rechtsstreitigkeiten, für die sie keine Zuständigkeit als entscheidendes Gericht hatten, oblag ihnen die Stellung eines Vermittlers, der eine gütliche, außergerichtliche Einigung anstreben sollte. Weiter hatten die Friedensrichter bestimmte Funktionen der freiwilligen Gerichtsbarkeit inne, soweit

4 Weiler, Heinrich, Zur rheinland-pfälzischen Justizgeschichte, Anmerkungen über die Entstehung des Landgerichte Landau nebst einem Hinweis auf das Appellations- und Kassationsverfahren, Frankenthal 1984, S. 71 ff.

5 Becker, Hans-Jürgen, Die bayerische Rheinpfalz und das Rheinische Recht, in: Wadle, Elmar (Hrsg.), Philipp Jakob Siebenpfeiffer und seine Zeit im Blickfeld der Rechtsgeschichte, S. 27 f.

6 Horlacher, Michael, Der Wert der Pfalz für Bayern und das Reich, Zugleich Erinnerungsschrift zur Hun-dertjahrfeier der Wiedervereinigung der Pfalz mit Bayern 1816 – 1916, Diessen 1920, S. 13.

7 Die Umbezeichnung der französischen Gerichtsbezeichnungen ging noch auf die Verordnung vom 13. Dezember 1815 der K. u. K. Österreichischen Civil-Administration zurück.

8 Fellner, Christoph, Die Reform der bayerischen Zivilrechtspflege von den ersten Anregungen des Land-tags im Jahre 1819 bis zur Gründung des Deutschen Reichs, München 1986, S. 18.

9 Becker, Hans-Jürgen, Das Rheinische Recht und seine Bedeutung für die Rechtsentwicklung in Deutsch-land im 19. Jahrhundert, in: Juristische Schulung 1985, S. 339; Heintz, Karl Friedrich, in: Verhandlungen der Kammer der Reichsräte des Königreichs Bayern 1849, Beilagenband 3, S. 94 ff.

diese nicht in den Zuständigkeitsbereich der Notare fiel. So waren die Friedensgerich-te beispielsweise zuständig für die Abhaltung der Familienratsberatungen10 oder die Ver-siegelung von Nachlassakten. Die Friedensgerichte waren mit einem Friedensrichter und einem Gerichtsschreiber besetzt.

Die Bezirksgerichte auf der Ebene der Bezirke, die als Verwaltungsbezirke über den Kantonen standen, waren in den Bezirkshauptstädten11 angesiedelt und waren den fran-zösischen „tribunaux de première instance“ vergleichbar, womit sie an sich erstinstanz-lich für Zivil- und Strafsachen zuständig waren, wenn der Sachverhalt nicht in die Zu-ständigkeit der Friedensgerichte fiel – also oberhalb der Bagatellschwelle lag. Hatte aber zunächst ein Friedensgericht in der Sache zu entschieden, so kam dem Bezirksgericht die Funktion eines Berufungsgerichts zu, wenn der Streitwert den Betrag von 50 Fr. über-stieg oder der Streitwert unbestimmt war. Weiter waren in der Pfalz die Bezirksgerich-te zuständig für die Handelsgerichtsbarkeit in ersBezirksgerich-ter Instanz, womit auch in Handelssa-chen gelehrte Juristen als Richter entschieden. Dies wieder im Gegensatz zu Frankreich wo die Handelsgerichtsbarkeit durch die „tribunaux de commerce“ ausgeübt wurde, die ausschließlich mit Kaufleuten, also Laienrichtern, besetzt waren. Personell besetzt wa-ren die Bezirksgerichte mit einem Gerichtspräsidenten, vier Richtern, einem Assessor, zwei Staatsanwälten und zwei Gerichtsschreibern. Zudem waren bei jedem Bezirksge-richt zwischen sechs und zehn Advokaten angesiedelt.

Auf Verwaltungsebene der Departements, der Kreise, wurden in Frankreich die Ap-pellationsgerichtshöfe gebildet, welche als reine Berufungsgerichte für die Urteile der Bezirksgerichte wirkten. In der bayerischen Pfalz, die nur aus einem Kreis12 bestand, existierte nur das Appellationsgericht in Zweibrücken. Zuständig war das Appellations-gericht Zweibrücken als letzte Instanz für Berufungen gegen die Urteile der Bezirksge-richte, wenn der Streitwert 1.000 Fr. überstieg oder der Streitwert unbestimmt war. War das nicht der Fall, so war gegebenenfalls das Bezirksgericht die einzige Instanz. Das Ap-pellationsgericht war mit einem Direktor, zehn ApAp-pellationsgerichtsräten, einem Gene-ralstaatsanwalt, zwei Staatsanwälten, einem Obergerichtsschreiber und zwei Unterge-richtsschreibern besetzt. Da die Anwälte die beim Bezirksgericht angesiedelt waren auch vor dem Appellationsgericht auftraten und in Zweibrücken auch ein Bezirksgericht an-sässig war wurde lediglich die Zahl der Anwälte gegenüber den andern Bezirksgerichten etwas erhöht. Organisatorisch teilte sich das Gericht in zwei Kammern, von denen die eine Zivilrecht und die andere Strafrecht bearbeitete.

10 Als Rest der alten Sippenvormundschaft war der Familienrat ein dem französischen Familienrecht des Code Civil (Conseil de famille, §§ 405 ff. CC) entlehntes Institut im Vormundschaftswesen. Er wurde unter Vorsitz des örtlichen Friedensrichters in einzelnen vormundschaftlichen Angelegenheiten beson-ders zusammengesetzt und einberufen und hatte die Interessen des Mündels zu wahren. Das Institut ging auch in das BGB ein (§§ 1858 – 1881 BGB a.F.), wo es die Rechte und Pflichten des Vormundschafts-gerichts besaß und bis zum Jahre 1979 bestanden hat. Vgl. Creifelds, Carl, Rechtswörterbuch, 2. Aufl., München 1970, S. 371.

11 Frankenthal, Landau, Zweibrücken und Kaiserslautern.

12 Dem Rheinkreis (diese Bezeichnung führte die Pfalz bis 1838).

Gegen die letztinstanzlichen Entscheidungen, unabhängig davon ob es Entscheidun-gen der Appellationsgerichte, der Bezirksgerichte oder in Ausnahmefällen gar der Frie-densgerichte waren, konnte nach französischen Recht das Kassationsgericht in Paris an-gerufen werden. In Ermangelung dessen Zuständigkeit nach dem Anschluss der Pfalz an Bayern wurde das Kassationsgericht für die Pfalz zunächst am Appellationsgericht in Zweibrücken angesiedelt, was diesem eine Sonderstellung unter den bayerischen Appel-lationsgerichten verschaffte,13 bis schließlich der Kassationshof für die Pfalz am 1. De-zember 183214 beim Oberappellationsgericht in München angesiedelt wurde.15 Der Kas-sationshof konnte dann von den Parteien angerufen werden, wenn bestimmte im Gesetz aufgeführte Anfechtungsgründe gegeben waren.

IV. Das Ministerium Maurer/ZuRhein und der Landtag