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Die Errichtung der Volksgerichte in Bayern

Im Dokument Justizreform im Bürgerlichen Zeitalter (Seite 138-141)

Mareike Preisner (Regensburg)

II. Die Errichtung der Volksgerichte in Bayern

Ein eigener Weg in der Strafrechtspflege war in Bayern beschritten worden. Bereits im November 1918 wurden die rechtlichen Weichen für die Errichtung von Volksgerich-ten gestellt. Damit richtete sich die Laienbeteiligung in der Justizpraxis in Bayern in den Anfangsjahren der Weimarer Republik nicht nach den Reichjustizgesetzen. Abweichend von diesen wurde eine andere Art der Laienbeteiligung, die umfassende Beteiligung ju-ristischer Laien als Richter, eingeführt; den neuen Gerichten war die Zuständigkeit für nahezu alle Delikte übertragen. Im Vergleich mit den anderen Ländern des Deutschen Reiches waren Art und Umfang der Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten der Laien im Strafprozess in Bayern mit Abstand am größten. Es stellt sich daher die Frage, ob der Vorwurf der schief hängenden Waage, der parteiischen Justiz, auch auf die bayerische Ju-stiz der Anfangsjahre der Weimarer Republik zutrifft. Passt dieser Bild nicht oder nicht im selben Maße wie auf die allgemeine Praxis der deutschen Strafrechtspflege der Zeit, lässt dies möglicherweise Rückschlüsse zu, welchen Anteil die weitreichende in ihrer Art

von der in den Reichsjustizgesetzen vorgesehenen Form abweichenden Beteiligung von Laien an der Implementierung einer demokratischen Justiz zugekommen sein dürfte.

Überprüft wird damit letztlich, ob die Hoffnungen und Erwartungen, die mit der Forde-rung nach Laienbeteiligung verbunden waren, erfüllt werden konnten.

Bevor das Verfahrensrecht der bayerischen Volksgerichte in den Blick genommen wird, soll vorab zunächst ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der bayerischen Volks-gerichte geworfen werden: Am 8. November 1918 und damit am Tag vor der Ausrufung der Republik in Berlin proklamierte der unabhängige Sozialdemokrat Kurt Eisner den Freistaat Bayern. Am Folgetag konstituierte sich die provisorische Regierung des Volks-staates Bayern, bestehend aus Mitgliedern der MSPD, der USPD und dem Bauernbund.

Bereits am 19. November 1919 trat die Verordnung über die Errichtung von Volksgerich-ten, vom Ministerrat am 16. November 1919 beschlossen, in Kraft.5 Gleichwohl wurden die Gerichte nicht sofort eingesetzt, die Verordnung selbst stellte auch nur eine Art Rah-menordnung und die Rechtsgrundlage für die Einsetzung der Gerichte dar. Auch war die Zuständigkeit der Gerichte in sachlicher Hinsicht zunächst noch eingeschränkt. Aus ei-nem auf den 26. November 1918 datierten, vom bayerischen Justizminister Timm un-terzeichneten Brief6 heißt es: „Bisher konnten Volksgerichte nicht errichtet werden, weil die Ausführungsvorschriften zu der Verordnung über die Volksgerichte noch nicht fer-tig gestellt waren“. Die Veröffentlichung der angemahnten Ausführungsvorschriften folg-te am 27. November 1919 im Bayerischen Staatsanzeiger;7 die Ausführungsvorschriften traten mit ihrer Bekanntmachung in Kraft. Nicht einmal drei Wochen nach dem Ende der Herrschaft der Wittelsbacher waren damit in Bayern die Voraussetzungen für die Ar-beit der neuen Volksgerichte gelegt. Die Einsetzung der Volksgerichte selbst erfolgte für die einzelnen Landgerichtsbezirke nicht zeitgleich, sondern zog sich über drei Monate hin. Am 6. Dezember 1918 erfolgte zunächst die Errichtung von Volksgerichten für die Landgerichtsbezirke München I, Fürth und Nürnberg.8 Am 11. Januar 1919 folgte die Er-richtung eines Volksgerichts für den Landgerichtsbezirk Regensburg,9 nachdem es dort in den vorangegangen Tagen zu schweren Plünderungen gekommen war. Am 12. Januar 1919 fanden die ersten freien, gleichen und geheimen Landtagswahlen in Bayern statt. 12 Tage später, am 24. Januar 1919 erhielt die Verordnung über die Volksgerichte ihre end-gültige Fassung, in der der Zuständigkeitsbereich der Volksgerichte erheblich ausgedehnt wurde. Die bayerischen Volksgerichte waren von da an – abgesehen von Bagatellkrimi-nalität – für nahezu alle Delikte zuständig, soweit sie denn eingerichtet waren.

Hinsichtlich der Einrichtung äußerte sich der bayerische Innenminister Erhard Auer10 in einem Brief an das bayerische Staatsministerium der Justiz am 12. Februar 1919: „Ich bin mit der Errichtung von Volksgerichten für den Landgerichtsbezirk München II

voll-5 Bayerische Staatszeitung Bekanntmachung des bayerischen Justizministeriums Nr. 269 vom 19.11.1918.

6 Bayerisches Hauptstaatsarchiv MInn 71667.

7 Bayerische Staatszeitung Bekanntmachung des bayerischen Justizministeriums Nr. 27 vom 27.11.1918.

8 Bayerische Staatszeitung Bekanntmachung des bayerischen Justizministeriums Nr. 287 vom 10.12.1918.

9 Bayerische Staatszeitung Bekanntmachung des bayerischen Justizministeriums Nr. 12 vom 13.01.1919.

10 Bayerisches Hauptstaatsarchiv MInn 71667.

ständig einverstanden und hätte vom polizeilichen Standpunkt überhaupt nichts dage-gen einzuwenden, wenn Volksgerichte einheitlich für ganz Bayern eingerichtet würden.

Die Präventivwirkung wäre jedenfalls eine viel größere, wenn die Errichtung dieser Ge-richte mit einem Schlag erfolgen würde.“ Eine Woche später, am 19. Februar 1919 wurde die Errichtung der Volksgerichte im ganzen rechtsrheinischen Bayern durch Verordnung bekannt gemacht.11 Zwei Tage später, am 21. Februar 1919 wurde der noch amtierende Ministerpräsident Kurt Eisner auf dem Weg zum bayerischen Landtag von einem rechts-gerichteten Studenten erschossen; das Manuskript seiner für den selben Tag geplanten Rücktrittsrede trug er bei sich. Die am gleichen Tage stattfindende Sitzung des Landtages ging nach Bekanntwerden der Ermordung des Ministerpräsidenten in einem Tumult un-ter. Zwei Abgeordnete starben durch Schüsse, die vermutlich nicht ihnen gegolten haben.

Innenminister Auer, Führer der Mehrheitssozialdemokraten in Bayern, wurde durch Schüsse verletzt. Wegen der allseits bekannten politischen, wie persönlichen Differenzen, war er als Drahtzieher des Anschlags vermutet worden. Der bayerischen Politik waren damit an einem Tag zwei Persönlichkeiten genommen worden, die die Entwicklung seit den Novembertagen maßgeblich mitgestaltet hatten. Der Landtag lief auseinander. Erst am 17. März 1919 trat der gewählte Landtag wieder zusammen und wählte mit Johannes Hoffmann, Mitglied der Mehrheitssozialdemokraten, einen neuen Ministerpräsidenten, der zugleich mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet wurde. Hoffmann stelle am Folgetage sein neues Kabinett vor. Die Regierungskoalition bestand weiterhin aus Mit-gliedern von MSPD, USPD und Bauernbund.

Die Wahl des neuen Ministerpräsidenten bildete indes nur die Ruhe vor dem Sturm.

Die sich auch in Bayern seit November 1918 gebildeten Rätegremien, hatten ihre Macht-position zunehmend ausgebaut; die amtierende Regierung konnte sich da das Reich sich noch im Krieg befand und damit auch der Oberbefehl über das Heer noch dem Reich zustand auch nicht auf eine militärische Macht stützen. Sie war daher auf eine Zusam-menarbeit mit den Soldaten, die in den Städten kaserniert waren und eben diese hatten sich in Räten organisiert angewiesen. Noch im Februar 1919 hatte der bayerische Räte-kongress sich mit deutlicher Mehrheit für eine parlamentarische Regierungsform aus-gesprochen. In den Wochen nach der Ermordung Eisners konnten die linksradikalen Kräfte ihre Position in den Räten zunehmend ausbauen. Zu einer ersten Machtprobe war es bereits in der Frage um die Regierungsbildung nach der Ermordung Eisners ge-kommen. Der Landtag hatte seine Souveränität aber zunächst verteidigen können. Als nun der Landtag sich am 17. März 1919 nach der Wahl des Ministerpräsidenten, auf un-bestimmte Zeit vertagte, radikalisierte sich die Situation zunehmend. Am 6. April 1919 proklamierte das Leitungsorgan der Räte, der Zentralrat, die Räterepublik Baiern. Sie wurde getragen von Intellektuellen, Linkssozialisten und Anarchisten; ist verbunden mir den Namen Ernst Niekischs, Erich Mühsams, Ernst Tollers und Gustav Landauers. Am 13. April 1919, nach einem gescheiterten Rückeroberungsversuch durch die Republika-nische Schutzwehr, übernahm die Kommunistische Partei unter der Führung von Eu-gen Leviné und Max Levien die Macht in München und rief eine zweite, nach ihrem

11 BayGVBl. 1919 S. 61.

Dafürhalten die wahre, Räterepublik aus. Zwar schlossen sich einige bayerische Städ-te der Münchner RäStäd-terepublik an, ihre Überlebenszeit war aber nur von kurzer Dauer.

Nachdem Ministerpräsident Hoffmann aus dem Bamberger Exil nicht genug bayerische Freiwillige mobilisieren konnte, nahm er das Angebot der Reichsregierung an und Ende April rückten 35.000 Freikorpssoldaten auf München sowie die angeschlossenen Rätere-publiken zu. In einem blutigen Kampf, die Angaben über die Toten schwanken zwischen 500 und 1500, wurde als letztes die bayerische Hauptstadt frei gekämpft. Am 3. Mai 1919 war die Macht der gewählten Regierung wiederhergestellt. In die Folgezeit, die Zeit vom 3. Mai bis zum 31. Juli 1919 fällt die Tätigkeit der Standgerichte, die auf Grundlage des am 25.  April 1919 verhängten Standrechtes12, für die Aburteilung der Teilnehmer der Räterepublik wegen Hochverrats zuständig waren. Am 31. Mai 1919 wurde eine Regie-rungsumbildung notwendig, da die Mitglieder der USPD aus der Regierung austraten.

Die Bildung einer neuen Regierung war nur durch einen politischen Rechtsruck mög-lich. Das neue Kabinett, es wurde weiterhin von Ministerpräsidenten Hoffmann geführt, setzte sich aus MSPD, BVP und DDP zusammen. Unter dieser Regierung der politischen Mitte wurde am 12. Juli 1919 im Landtag das Gesetz über die Errichtung von Volksge-richten bei inneren Unruhen13 beschlossen, es trat zum 1. August 1919 in Kraft. Damit war das zunächst durch Verordnung geregelte Volksgericht auf eine gesetzliche Grund-lage gestellt. Am 19. Juli 1919 erließ die Regierung die Verordnung über die Aufhebung des Standrechtes und die Einsetzung von Volksgerichten mit Wirkung zum 1. August 1919, so dass die Gerichte ihre Tätigkeit ab dem 1. August 1919 auf Grundlage des Ge-setzes ausübten.14

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