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Die Pathogenese der Leberdegeneration, ein Überblick

Bei der „reaktiven Hepatitis“ oder „reaktiven Hepatopathie“ handelt es sich um eine Kombination degenerativer und entzündlicher Veränderungen in der Leber. Um die reaktive Hepatitis gesamthaft zu erfassen, müssen demnach Mechanismen und Ursachen der Degeneration und der Entzündungsreaktion betrachtet werden. Pathogenetisch treten hepatozelluläre Degenerationen als Ausdruck eines isolierten Leberleidens oder als Folge von Allgemeinerkrankungen auf (HOLLE 1974). Da die Leber im gesamten Stoffwechselgeschehen eine zentrale Rolle einnimmt, wirken sich metabolische Läsionen stets auch auf die Leber aus. Es treten vielfältige klinische und pathologische Symptome auf, die aufgrund der enormen Reservekapazität der Leber erst spät in Erscheinung treten (WEBSTER 2005).

Bei einer stoffwechselgestörten Zelle ändern sich nicht die Mechanismen des Stoffwechsels.

Die Stoffwechselleistungen laufen hier nur unvollständig oder im Übermaß ab. Damit eine Zelle ihren Funktionen nachgehen kann, sind einige Grundvoraussetzungen nötig: In der Zelle sollten die Zufuhr und der Abtransport von Substraten und Metaboliten gegeben sein, damit es nicht zur Mangelversorgung oder Akkumulation dieser kommt. Um die Stoffwechselleistungen zu garantieren, müssen die Enzymsysteme der Zelle funktionstüchtig sein. Ferner muss die notwendige Energie für die Arbeit der Zelle bereitstehen. Weiterhin sind intakte Zell- und Organellenmembranen wichtig für die Erhaltung der Zellhomöostase (DÄMMRICH u. LOPPNOW 1990).

Meist greift eine Störung primär bei einem der genannten Mechanismen an, löst aber eine Reihe von weiteren Störungen aus, so dass es trotz der vielfältigen Ursachen und Noxen, die zu einer Hepatose führen, eine begrenzte Anzahl morphologischer Reaktionsformen gibt (DÄMMRICH u. LOPPNOW 1990, TRAUTWEIN 1991). Damit ist die Leberdegeneration ätiologisch oft vielfältig (TRAUTWEIN 1991).

Stoffwechselstörungen in der Zelle werden in angeborene und erworbene Hepatosen eingeteilt. Die erworbenen Hepatosen gehen mit Substanzablagerungen in der Leber einher und teilen sich in folgende Bereiche auf: Störungen des Wasserhaushaltes, Kohlenhydrat-, Lipid- und Eiweißstoffwechsels, Ablagerungen von Pigmenten und die toxischen Hepatosen.

2.3.1 Der Mechanismus der akuten degenerativen Zellschädigung

Der Hauptangriffspunkt an der Zelle ist die Zellatmung, die in den Mitochondrien der Zelle unter Bildung von ATP stattfindet. ATP kann in der Zelle nicht mehr bereitgestellt werden, wenn Sauerstoff für die oxidative Energiegewinnung der Zelle fehlt (= Hypoxidose). Auch eine chemisch-toxische Schädigung der notwendigen Enzymsysteme für die Zellatmung kann einen ATP-Mangel hervorrufen. ATP wird in der Säugetierzelle entweder durch die oxidative Phosphorylierung oder durch den weniger effizienten zweiten Weg der anaeroben Glykolyse erzeugt (DÄMMRICH u. LOPPNOW 1990, KUMAR et al. 2005). Die Leber ist, wie auch die Skelettmuskulatur, das Herz und die Niere in der Lage, Kohlenhydrate in Form von Glykogen zu speichern. Bei Sauerstoffmangel wird der Glykogenvorrat der Leber zur Bereitstellung von ATP über die anaerobe Glykolyse verbraucht (BÜTTNER u. THOMAS 2003).

Da die Natrium-Kalium-Pumpe unter ATP-Verbrauch arbeitet, fällt sie bei ATP Depletion aus. Natrium wird nun nicht mehr aus der Zelle transportiert und Wasser folgt dem osmotischen Gradienten in die Zelle (KUMAR et al. 2005). Diese Störung des Wasserhaushaltes wird licht- oder elektronenmikroskopisch erfasst und eingeteilt. Nach fortschreitender Wassereinlagerung unterscheidet man zuerst die trübe Schwellung (Mitochondrien), die mit progressiver Wassereinlagerung zu einer vakuolären Degeneration (Mitochondrien und Endoplasmatisches Retikulum) und zur hydropischen Degeneration (Zytoplasma) wird (HERMANNS 1999, CULLEN et al. 2006).

Durch eine vermehrte Bildung von Laktat aus dem anaeroben Glukoseabbau verringert sich der intrazelluläre pH–Wert der Zelle. Eine eingeschränkte Enzymaktivität ist die Folge (JONES et al. 1997, KUMAR et al. 2005). So entgleisen viele Stoffwechselvorgänge in der Zelle, insbesondere die Proteinbiosynthese wird gehemmt. Fehlende Strukturproteine führen zu einer Permeabilitätsstörung der Zellmembran und einer Beschädigung der Zellorganellen.

Weiterhin werden wichtige Lipoproteine zum Abtransport von Neutralfetten nicht mehr bereitgestellt (DÄMMRICH u. LOPPNOW 1990). Verminderter Abtransport und verminderte Fettsäureoxidation durch Sauerstoffmangel führen folgend zu einer Verfettung der Zelle (HERMANNS 1999). Im weiteren Verlauf des Zellunterganges spielen ein erhöhter Calciumeinstrom sowie die Bildung zellschädigender Radikale eine entscheidende Rolle (KUMAR et al. 2005). Diese Mechanismen können auch am Anfang der Zellschädigung stehen. So können freie Radikale die DNA, die Zellorganellen oder die Integrität der

Zellmembran schädigen. Ein Verlust der Calciumhomöostase durch ischämische oder toxische Schädigung führt zu einer Aktivierung zellschädigender Enzyme (DANCYGIER 2003).

Die Membranintegrität kann auch durch eine Reihe anderer Faktoren gestört werden, so z.B.

durch Toxine inklusive Endotoxine, Strahlung und das Komplementsystem. Aber auch eine Unterversorgung mit Vitamin E und Selen kann zu einer Membraninstabilität führen (SLAUSON u. COOPER 2002). Sauerstoffradikale oxidieren unter anderem mehrfach ungesättigte Fettsäuren zu Peroxiden. Folglich wird die Funktion der Lipiddoppelschicht der Biomembran, die Fluidität der Membran und ihre Transport- und Rezeptorfunktion beeinträchtigt (GEROK u. BLUM 1995). Die Zelle verfügt normalerweise über verschiedene Möglichkeiten, um sich gegen freie Sauerstoffradikale zu schützen. Dem Schutz dienen Antioxidantien wie Glutathion, s-Adenosylmethionin, Vitamin E, Superoxid Dismutase, und Ubiquinon Q10 (CENTER 1999). Nach CENTER (1999) ist die Lipidperoxidation ein wichtiger Mechanismus in der Leberzellschädigung bei toxischen Hepatosen, Gallengangsverschlüssen, chronischen Hepatitiden und den Eisen- und Kupferspeicherkrankheiten. Bei einigen dieser Krankheiten ist die Lipidperoxidation das erste pathologische Charakteristikum (TRIBBLE et al. 1987). Kapitel 2.8 zeigt diese Pathomechanismen im Einzelnen auf.

Geht die Zelle zugrunde oder ist eine erhöhte Membranpermeabilität vorhanden, sind hydrolytische Enzyme im Blut nachweisbar und als Indikator des Zellunterganges zu beobachten (DÄMMRICH u. LOPPNOW 1990).

2.3.2 Abwehrmechanismen der Leber, die Entzündungsreaktion

Die Leber nimmt im Blutkreislauf eine besondere Stellung ein, da sie zwei versorgende Gefäßsysteme, das arterielle und das Pfortadersystem, besitzt. Das Pfortaderblut macht fast 80% des hepatischen Blutflusses aus und bringt absorbierte Substanzen aus dem Intestinum zur Leber (MEYER u. TWEDT 2000). Über die Pfortader erreichen Substanzen und z.B.

Entzündungsprodukte des Gastrointestinaltraktes, des Pankreas und auch Substanzen aus der systemischen Zirkulation die Leber. Zur unspezifischen Abwehr von belebten Krankheitserregern und der Beseitigung unbelebter Partikel dienen die ortsständigen Kupfferschen Sternzellen der Leber als Teil des Monozytären Phagozytose Systems (MPS).

So werden Bakterien und deren Endotoxine, Viren, Makromoleküle und größere Partikel, die über die Pfortader die Leber erreichen, von den Kupfferschen Sternzellen phagozytiert und abgebaut (GROSS et al. 1995, CENTER 1999). Bei einer unspezifischen akuten Schädigung des Organismus werden von den Kupfferschen Sternzellen Gewebsabbauprodukte aufgenommen und Signalstoffe des Akut-Phase-Systems abgegeben (GROSS et al. 1995).

Besondere Bedeutung bei der Aktivierung von Kupfferschen Sternzellen besitzt das Endotoxin, die Lipopolysaccharid-Membran (LPS) von gram-negativen Bakterien (CENTER 1999). Endotoxin ist ein potenter Aktivator von Thrombozyten, Makrophagen und neutrophilen Granulozyten und erhöht somit die Freisetzung von Tumor-Nekrose-Faktor-α (TNF-α), schädigenden Enzymen und proinflammatorischen Eicosanoiden (CENTER 1999).

Dies stärkt die Freisetzung von freien Radikalen, wie z.B. Stickoxid, welches zytotoxisch wirken kann (LOSSER u. PAYEN 1996). Die Kupfferschen Sternzellen setzen nach Stimulierung durch Endotoxine Zytokine frei, welche die neutrophilen Granulozyten anlocken und ihre Einwanderung ins Parenchym bewirken (CENTER 1999). Die Kupfferschen Sternzellen verstärken gleichzeitig die Plättchenaggregation. Diese Faktoren führen letztlich zu Mikrothrombosen in den Sinusoiden, die durch geschwollene Kupfferzellen, adhäsive neutrophile Granulozyten und Vasokonstriktion verengt sind. So kann eine exzessive Zytokin-Produktion durch eine Hypoxie die Leber schädigen (LOSSER u. PAYEN 1996, CENTER 1999). Nach Exposition mit Endotoxin zeigen Hepatozyten geschwollene Organellen und metabolische Veränderungen. Diese Veränderungen beinhalten: Hemmung der Adenylatzyklase, reduzierte Gluconeogenese, verminderte Cytochrom-P-450-Aktivität, Schädigung des Zytoskelettes und reduzierten Transport von Bilirubin und anderen organischen Anionen (CENTER 1999). Besonders IL-1 und TNF-α werden für Zellnekrosen verantwortlich gemacht (WANG et al.1995).

2.3.3 Abwehrmechanismen der Leber, toxische Insulte

Die Leber als Ort der Biotransformation und Entgiftung ist vermehrt Toxinen und Medikamenten ausgesetzt, denn durch ihre Lage werden enteral aufgenommene Substanzen über das Pfortaderblut zuerst der Leber zugeführt (HERMANNS 1999, DANCYGIER 2003).

Bei der Biotransformation werden die meist lipophilen Substanzen in zwei Phasen durch Hydroxylierung und Konjugation mit Glucuronsäure in wasserlösliche Substanzen umgewandelt und damit für die Niere oder die Galle ausscheidungsfähig gemacht. Die

Enzymsysteme der Biotransformation sind überwiegend im Läppchenzentrum (Zone 3) lokalisiert. Einige Substanzen werden erst durch die Transformation aus ungiftigen Vorstufen toxisch, wie z.B. Tetrachlorkohlenstoff (HERMANNS 1999). Die Toxinwirkung auf die Leber wird durch eine direkte Schädigung durch elektrophile Teilchen vermittelt, die kovalent an Proteine binden, oder durch freie Radikale, die eine Lipidperoxidation oder Proteinschädigungen verursachen. So sind direkte Membranschädigungen, Zytoskelettzerstörung, Zerstörung der Mitochondrien, Aktivierung von abbauenden Enzymen oder eine Imbalanz des Ionenhaushaltes möglich (CENTER 1999).

Bei den akuten toxischen Hepatosen trifft man auf eine Reihe von verschiedenen Klassifizierungen der Hepatotoxine. Diese unterteilt man in die Gruppe der obligat (direkte, vorhersagbare, unmittelbar toxisch oder „intrinsic“ wirkende Toxine), und fakultativ (indirekte, unvorhersagbare, mittelbare oder „idiosynkratische“) wirkenden Toxine (REMMELE 1997). Obligat schädigende Substanzen führen dosisabhängig, vorhersagbar und reproduzierbar bei verschiedenen Spezies zu einer Leberzellschädigung. Fakultativ schädigende Substanzen vermögen nur bei einzelnen Individuen eine leberschädigende Wirkung auszuüben und sind damit nicht vorhersagbar und auch dosisunabhängig (HERMANNS 1999, DANCYGIER 2003). Weitergehend werden die fakultativ schädigenden Substanzen unterteilt in direkt und indirekt, d.h. über immunallergische Mechanismen, wirkende Toxine (REMMELE 1997). Im Rahmen einer immunologischen Schädigung der Leber bewirken Toxine, Medikamente und/oder deren Stoffwechselprodukte eine Antigenitätsänderung der Hepatozytenmembran, infolgedessen eine immunologische Abwehrreaktion „gegen sich selbst“ folgt (CENTER 1999, DANCYGIER 2003).

Histologisch äußert sich die Toxineinwirkung in einer Störung des Wasserhaushaltes und einer fettigen Degeneration (HERMANNS 1999). Die wohl häufigste chronisch-toxische Schädigung der Leber ist beim Menschen die alkohol-induzierte Leberverfettung. Sie beruht auf einem erhöhten Sauerstoffverbrauch der Leber für die Oxidation des Alkohols, mit einer Hemmung des Zitratzyklus, der Gluconeogenese und der β-Oxidation (FLEIG 2004).