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Die Idee der Kultur des Werdens als heilendes Myzel

X, kündigen an, auf diese Weise das Altern und den Tod abzuschaffen (vgl.

dazu das 2014 gestartete Projekt „Endet das Altern und den Tod“). In ihrer festen und unerschütterlichen Wahrnehmung „helfen“ sie dem Menschen. Sie meinen es ernst mit ihrer Mission der materiell begründeten Verbesserung des Menschen und der Welt. Folgerichtig wurde in den USA bereits die

„Transhumanistische Partei“ gegründet.

gewinnorientierten Ausbeutung mittels digitalisierender Technologien“ be-zeichnet werden. Der Mensch, sein Körper, sein Leben wird darin zum ge-brauchten Objekt für die Realisierung von ökonomischen Interessen im digi-talisierten Zeitalter. Dabei lässt sich über die Programmierung der Schnitt-stellen „Gehirn-Computer“ und die Installation von „smarten“ Umgebungen auch erreichen, den Menschen umfassend, Tag und Nacht und an jedem Ort der Erde, zu steuern – er wird durch das von diesen Akteuren, zum Beispiel den transhumanistischen Protagonisten, programmierte Leben „geführt“ und wird schließlich „mit Freuden“ glauben, es sei das von ihm selbst erfundene

„glückliche“ Leben.

Der Weltentwurf der jetzt dominanten „Kultur der fremdbestimmten Beherr-schung und ökonomisch gewinnorientierten Ausbeutung mittels digitalisie-render Technologien“ lässt sich vielleicht veranschaulichen durch die Meta-pher des Myzels. Wenn wir im Wald einen „Pilz“ sehen, dann sehen wir lediglich den Fruchtkörper, der aus dem „eigentlichen“ Pilz, dem unterirdi-schen Myzel emporsprießt. Das Myzel durchwuchert den Waldboden mit einem feinen Geflecht von Fäden, den Hyphen, das die Fläche von einem Quadratkilometer erreichen kann. Die jetzige „Kultur der fremdbestimmten Beherrschung und ökonomisch gewinnorientierten Ausbeutung mittels digi-talisierender Technologien“ ist mit einem derartigen unsichtbaren Myzel zu vergleichen: Es ist vorhanden, es wirkt im Verborgenen, es bringt die Frucht-körper von Produkten hervor, von denen wir glauben sollen, sie seien nicht nur nützlich, „essbar“, „schmackhaft“ und „begehrenswert“, sondern eigent-lich für die alltägeigent-liche Lebenspraxis schon jetzt unverzichtbar. Eine zukünf-tige Lebenspraxis sei ohne sie nicht nur unvorstellbar, sondern auch sinnlos.

Das „Myzel“ dieses Weltentwurfs bleibt für uns in der Regel im Alltag ver-borgen. Unser Blick wird von den „Pilzkennern“ auch mit hohem Sanktions-druck nur auf die „essbaren“ Fruchtkörper gelenkt. Das Gift, das dieses My-zel von Weltentwurf großflächig und fortwährend mit fast unvorstellbaren Kosten produziert, wird verharmlost, nicht zur Kenntnis genommen oder als im Rahmen einer Gewinn-Verlust-Rechnung hinnehmbar deklariert.

(Vgl. dazu das geradezu harmlose Beispiel des Ausschlusses von der Teilhabe am öffentlichen Leben für bestimmte Bevölkerungsgruppen – z. B. die Steuererklärung ist mittels ELSTER elektronisch abzugeben – oder die sog. Internetkriminalität und ihre sozialen und ökonomischen Folgen für das private, öffentliche oder wirtschaftliche Handeln).

Mit dem Projekt „Die Kultur des Werdens“ wird ein grundlegend anderer Ansatz vorgestellt. Es könnte sich zu einem alternativen Myzel entwickeln.

Wir verbinden damit die Hoffnung, dass es nach und nach auch zu einem selbstverständlich vorhandenen Geflecht werden könnte. Die „Fruchtkörper“

des privaten und öffentlichen Lebens würden aus dem immer schon vorhan-denen Geflecht dieser Kultur des Werdens emporspießen und würden damit auch weniger Vergiftungen hervorrufen.

Die Idee des Werdens wäre dann im individuellen Lebensvollzug nicht nur eine Sehnsucht, die nach einer langen Leidenszeit in einem Endstadium der Vergiftung auftaucht. Depressive Verstimmungen oder Burn-out-Sympto-matiken sind beispielsweise als „Fruchtkörper“ dieser „Kultur der fremdbe-stimmten Beherrschung und ökonomisch gewinnorientierten Ausbeutung mittels digitalisierender Technologien“ zu interpretieren. Die unersättliche Gier nach Macht und nach Anhäufung von finanziellem Kapital bei den

„Wenigen“ ist derzeit zum resignativ hingenommenen bzw. zum politisch offen akzeptierten und geförderten Strukturmodell sowohl des individuellen wie auch des unternehmerischen Handelns geworden. Das Myzel einer sol-chen Kultur vergiftet aber auch durch ihr mafiös kriminelles Agieren die Grundlagen des kulturellen Lebens (siehe die obigen Beispiele 3 und 6).

Die Kultur des Werdens repräsentiert einen qualitativ anderen Ansatz, dessen Basissätze und dessen Setzungen sich nicht quasi ergänzend mit Annahmen über den Menschen in der „Kultur der fremdbestimmten Beherrschung und ökonomisch gewinnorientierten Ausbeutung mittels digitalisierender Techno-logien“ vereinbaren lassen. In der letzteren wird zwar immer wieder versucht, durch die Propagierung ethischer Mindeststandards das „Schlimmste“ abzu-federn, aber es bleibt die grundsätzliche Berechtigung erhalten, dass Wenige ihre ökonomischen Interessen und ihre Machtinteressen über Viele ausüben dürfen (vgl. dazu die Aufrufe, Unternehmen gemäß den Leitlinien der Corpo-rate Social Responsibility (CSR) auszurichten).

Zur Veranschaulichung sei hier ein Auszug aus dem Zeitungsinterview mit dem Vorstand eines Universitätsklinikums in einer deutschen Großstadt ein-gestreut, in dem es um die Ausrichtung von „Resilienz-Tagen“ geht.

Frage: Herr Dr. X, die Gesundheitswirtschaft ABC und das Klinikum Y möchten mit den Thementagen Resilienz mithelfen, das Thema innere Wi-derstandskraft bekannter zu machen und Strategien zur Erhaltung dieser inneren Stärke aufzeigen. Was war für das Klinikum der Antrieb, sich in diesem Bereich zu engagieren?

Dr. X: Das Leben, ob im Beruf oder im Privaten, wird immer hektischer und belastender. Wir als … Krankenhaus fühlen uns nicht nur der Gesundheit unserer Patienten und Mitarbeiter verpflichtet, sondern wollen auch die Menschen zu Hause unterstützen, damit sie dem Druck besser standhalten können und gesund bleiben.“

Quelle: Zeitung Z, Nr. 246, 20.10.2016, S. 10.

In dem Entwurf der Kultur des Werdens wird dem Menschen ein Potenzial zugesprochen, das sich manifestieren und realisieren möchte. Der Mensch soll also nicht vorrangig so erzogen oder biotechnologisch „enhanced“

umgebaut werden, damit er die kulturell-gesellschaftlichen Anforderungen (selbstoptimierend oder fremdoptimiert) duldend hinnimmt und immer besser erfüllen kann. Vielmehr wird umgekehrt gefragt werden, wie müssen vorran-gig die kulturellen und gesellschaftlichen Kontexte gestaltet werden, damit sich die einzigartigen Potentiale der Menschen – in sozial verträglicher Weise – zeigen und mit Würde entfalten können. Welche Werteordnung ist – an-fänglich zumindest in zugestandenen und gesellschaftlich akzeptierten sozi-alen Nischen – eine notwendige Voraussetzung, damit eine solche Kultur des Werdens überhaupt entstehen kann?

Für eine neu zu etablierende Kultur des Werdens braucht es also Orte, an denen ein solcher potential-orientierter Entwurf des individuellen Werdens als „geleibte“ Praxis erfahrbar wird. An diesen Orten kann in einer vertrau-ensvollen Atmosphäre sozial erlebt werden, wie eine Zeitspanne „meines“

Lebens zu einer Teilhabe an der Feier des Lebens wird – jenseits der derzeit gültigen marktkonformen, ökonomisch gewinnorientierten Interpretation.

Diese Zeitspanne eines „humanen“ Menschseins wird vermutlich noch nicht einen ganzen Tag umfassen, aber vielleicht zeigt sie sich, wie in der medita-tiven Praxis, in den besonders glückhaften Momenten. Wer kennt es nicht, wie in der heilsamen meditativen Atmosphäre dysfunktional gewordene ich-hafte biografische Muster des Habenwollens oder Überlegen-sein-Wollens nach und nach dahinschmelzen und Qualitäten des Demütigseins, des Dank-barseins, des Berührtseins, des Berührtseins von purer Schönheit, von einem Lächeln, vom unmittelbaren Dasein sich zeigen und sich in den Alltag hinein tasten.

Anmerkungen:

1. Als aktuelle leicht zugängliche Belege für das Konzept der Ökonomisierung und die Intention der Gewinnerzielung und damit der Wandlung des „Gesundheits-wesens“ in eine „Gesundheitswirtschaft“ sei verwiesen auf die folgenden beiden Beiträge im Magazin DER SPIEGEL:

Die eingebildeten Kranken – Über eine Heilkunde, die zu viel sieht und zu wenig ver-steht. Nr. 50/2016, 116–118;

In der Krankenfabrik – Ausgelieferte Patienten, ausgebeutete Ärzte: Innenansicht eines Klinik-Konzerns. Nr. 51/2016, 14–22.

2. In welch grotesken Formen sich das Konzept der Ökonomisierung zeigen kann, ist einem Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden des Airbus-Konzerns Tom Enders zu entnehmen. Man möge den folgenden Interview-Auszug inhaltsanaly-tisch decodieren („Verschwende nie eine Krise“. SPIEGEL-Gespräch in DER SPIEGEL, Nr. 51/2016, S. 64–67).

SPIEGEL: Trump fordert, dass die Europäer mehr Geld für Verteidigung ausgeben.

Das könnte Ihr Rüstungsgeschäft beleben.

Enders: Trump hat recht: Sie können keinem Amerikaner erklären, und mir auch nicht, weshalb die EU-Staaten nicht in der Lage sind, mindestens zwei Prozent ihres Bruttosozialprodukts für Verteidigung auszugeben. Deutschland, das wirtschaftlich stärkste Land Europas, ist übrigens bei nur knapp 1,2 Prozent. Innerhalb der Nato entfallen mehr als 70 Prozent der Verteidigungsausgaben auf die USA. Für den Fort-bestand des transatlantischen Bündnisses ist das ein unhaltbarer Zustand. Ich hoffe, dass Trump in dieser Frage hart bleibt.

Im Klartext: Tom Enders sagt verschlüsselt, Konflikte müssen häufiger auf militäri-sche, kriegerische Weise bearbeitet werden. Oder: Wir brauchen mehr kriegerische Auseinandersetzungen, damit eine gesteigerte Nachfrage nach den militärischen Produkten von Airbus entsteht, die aus dem erhöhten Rüstungsbudget der EU-Staaten („… mindestens zwei Prozent …“), darunter Deutschland, finanziert wird. Gewalt-same, kriegerische Auseinandersetzungen ermöglichen und sichern verlässlich das

„Rüstungsgeschäft“ – das ist ein rein ökonomisches Kalkül. Vermutlich wird es den Bürgern damit nahegebracht und „legitimiert“, dass das „Rüstungsgeschäft“ Arbeits-plätze schaffe und sichere. Je häufiger Konflikte angezettelt werden und als politisch unlösbar erklärt werden können, je häufiger gewaltsame Vorgehenswiesen als bes-tes/“einzig wirksames“ Mittel der Problemlösung als „normal“ in den Köpfen von Politikern, Interessengruppen und dann diesen nahestehenden Einzelpersonen implan-tiert werden können, desto umfänglicher wird der lukrative Absatz von Produkten der Rüstungsindustrie. „Je mehr Kriege zeitstabil stattfinden, desto sicherer sind die Arbeitsplätze.“ „Je mehr terroristische Gewaltakte zeitstabil stattfinden, desto besser ist die Auslastung der Unternehmen der Rüstungsindustrie.“ Mit gleichem Recht könnte die Spirituosen-Branche fordern, die Bürger sollten mehr Alkohol trinken – dies würde die Arbeitsplätze dieser Branche sichern. Die Ärzteschaft könnte fordern, die Bürger sollten mehr rauchen, damit mehr Krebserkrankungen entstehen und damit in deren Folge wiederum die Nachfrage nach ärztlichen Dienstleistungen ansteigt. Die Autoindustrie könnte fordern, dass auf den Straßen schneller gefahren wird – die Zahl der Fahrzeuge, an denen durch Unfälle ein Totalschaden entsteht, wird gesteigert und damit der Nachfrage nach Neuwagen angekurbelt … Es lebe die Ökonomisierung des menschlichen Zusammenlebens …

3. Um in die Kultur des Werdens einzuführen, wurde von der Kooperative Werden die weiterbildende Ringveranstaltung „Die Kunst der Werdens-Begleitung“

durchgeführt.

4. Orte für die Erfahrung einer Kultur des Werdens können „Auszeithäuser“ und

„Auszeiträume“ werden. Die Kooperative Werden ist offen und dankbar für die Unterstützung bei der Realisierung solcher Projekte.

Bildnachweis:

Alle Fotos: © Wilfried Belschner Tuschmalerei: © Ingelberga Scheffel