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Die ‚Converso’-Problematik: Eckdaten einer Entwicklung

1 IDENTITÄTS- UND ALTERITÄTSENTWÜRFE IN DER LITERATUR DER ‚CONVIVENCIA’

VII: STRAFRECHT- RECHTE UND PFLICHTEN DER MINDERHEITEN

2 IDENTITÄTS- UND ALTERITÄTSPROBLEMATIK IN DER LITERATUR DES 15. JAHRHUNDERTS

2.1 Vicente Ferrer: Konversion oder Segregation

2.2.1 Die ‚Converso’-Problematik: Eckdaten einer Entwicklung

„Constatamos que en el caso español el grupo étnico cuya integridad se puso en peligro con las conversiones reaccionó levantando una nueva frontera étnica. Concretamente, a raíz de la cuestión conversa, se crearon en el seno de la casta cristiana dos subcastas: los cristianos nuevos y los viejos.”254

„Se producía el paso del problema judío al problema converso.“255

Beide Zitate beschreiben die Entwicklung, die in Spanien im 15. Jahrhundert in Folge der Massenkonversionen ihren Lauf nahm.

Alle bisher analysierten Texte drehten sich um die Frage der Grenzdefinition zwischen den Gruppen der Christen und den Alteritätsgruppen der Juden und Mauren. Das letzte Kapitel verdeutlichte, dass sich am Übergang zum 15.

Jahrhundert diese Grenzdefinition zunehmend radikalisierte und dass die Fremdgruppen immer mehr einen Platz außerhalb der Gesellschaft einnahmen.

Eine Lösung, die den zwei Gruppen der Juden und Mauren wieder einen Platz innerhalb der Gesellschaft garantieren sollte, schien die Konversion.

Die Entwicklung, die die Ethnizitätsproblematik im 15. Jahrhundert nahm, zeigt, dass gerade die Konversionspolitik von Kirche und Staat den Anstoß zur spanischen Ethnogenese und damit zur Ideologie des ‚Casticismo’ darstellte.

Die Grenzlinie gegenüber den bisherigen Alteritätsgruppen verschob sich in Richtung der Gruppe der ‚Conversos’, die, nachdem sie nun nicht mehr durch die Berufs- und Handelsverbote eingeschränkt waren, zunehmend in der gesellschaftlichen Hierarchie aufstiegen und wichtige Posten bei Hof und Kirche besetzten.

Netanyahu beschreibt diese, von den Altchristen als Bedrohung empfundene Konkurrenzsituation folgendermaßen: „Como resultado, la población viejocristiana de las ciudades estuvo sometida a constante presión por los

254 Stallaert, 1998, S. 57

255 Monsalvo Antón, 1985, S. 262

recién llegados, cuya fuerza competitiva se hizo sentir sin tardanza en las manufacturas, profesiones liberales y cargos oficiales.“256

Zu dieser wirtschaftlichen und sozialen Konkurrenzsituation kam der Vorwurf seitens der Altchristen, dass die ‚Conversos’ weiterhin im Geheimen der abgelegten Kultur und Religion anhingen und somit nur aus Berechnung zum Christentum konvertiert seien. Dieser doppelte kulturelle und religiöse Code wurde zweifelsohne auch noch dadurch begünstigt, dass viele der ‚Conversos’

in ihren bisherigen Vierteln wohnen blieben, was ihre religiöse und kulturelle Assimilation erschwerte und einen Nährboden für die Vorwürfe des

‚Kryptojudaismus’ darstellte.

Betrachtet man diesen Prozess des Vordringens einer ethnischen Gruppe, die bisher als Alterität galt, in die Bereiche der Identität aus dem Blickwinkel der Identitätstheorien, treffen die von Poliakov und Titzmann aufgestellten Prinzipien genau den Kern257. Jede Annährung der Alterität an die Identität löst – gerade innerhalb einer Gesellschaft, deren Basis die ethnischen Trennungslinien sind – die Suche nach einer neuen Trennungslinie aus. Wie Titzmann betont, bietet sich hierbei, gerade wenn die bisherigen religiösen, kulturellen und ethnischen Grenzen nicht mehr greifen, die Biologisierung der Grenze an: „Erst eine Biologisierung des Identitätskonstrukts garantiert die Unüberschreitbarkeit der Grenze.“258

Beide Prozesse, also die Entstehung einer neuen Trennungslinie gegenüber den ‚Conversos’ einerseits und die darauffolgende Biologisierung dieser Trennungslinie andererseits, nehmen im 15. Jahrhundert in Spanien ihren Lauf.

Diese Entwicklung hin zur Ideologie des ‚Casticismo’ lässt sich an einigen Ereignissen ablesen, die ab der Jahrhundertmitte die zukünftige Entwicklung Spaniens nachhaltig prägen sollten.

Der erste Vorfall, der die zunehmend konfliktreiche Beziehung zwischen Altchristen und ‚Conversos’ dokumentiert, ereignete sich in Toledo im Jahre 1449. Auf eine Steuererhöhung, die der ‚Converso’ Alvaro de Luna im Auftrag des Königs Juan II in Toledo durchsetzen sollte, brachen in der Stadt

256 Netanyahu, 1999, S. 185; vgl. hierzu auch Kamen, Henry: La Inquisición española. Una revisión histórica, Barcelona 1999, S. 40 ff.

257 vgl. Poliakov, 1995; Titzmann, 1999

258 Titzmann, 1999, S. 107

bürgerkriegsähnliche Zustände aus: der ‚Converso’ Alonso Cota, der die Steuer eintreiben sollte, wurde von der Menge ermordet. Daraufhin richtete sich die Volkswut gegen das Viertel der reicheren ‚Conversos’, das geplündert und zerstört wurde. Die Ausschreitungen, die sich sowohl gegen die Zentralmacht der Krone, als auch gegen die wohlhabenden ‚Conversos’ richteten, konnten erst durch das Eingreifen der königlichen Truppen beigelegt werden.

Ohne in den komplizierten Kontext dieses Vorfalls – der auch von internen Machtstreitigkeiten geprägt ist – eindringen zu wollen, verdeutlichen die Ereignisse die grundsätzliche spannungsreiche Beziehung der Altchristen zu den ‚Conversos’, die als Handlanger der Krone betrachtet werden: aus einem Aufstand gegen die königliche Macht wird ein Volksaufstand gegen die hohe gesellschaftliche Stellung der ‚Conversos’.

Ähnliche Ausschreitungen wiederholten sich in den folgenden Jahrzehnten, und zwar vorwiegend in den Städten – wie Toledo, Córdoba und Sevilla –, in denen der Anteil der ‚Conversos’ überdurchschnittlich hoch war.

Angesichts dieses wachsenden Konfliktpotentials, das auch die Durchsetzung der königlichen Macht zunehmend erschwerte, entstanden in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zwei Institutionen, die beide den umstrittenen Status der

‚Conversos’ innerhalb der christlichen Gesellschaft regeln sollten: die ‚Estatutos de limpieza de sangre’ und das Inquisitionstribunal.

Wie bereits erläutert (vgl. S. 46 f.), stellten die ab der Jahrhundertmitte erlassenen ‚Estatutos’ ein Ausschlussinstrument dar, das den ‚Conversos’ den Zutritt zu höheren Funktionen im Bereich der Kirche und des Militärs, später auch zu Staatsämtern, verwehren sollte.

Interessant ist neben dieser sozialpolitischen Zielsetzung die Begründung, die die zunehmende Durchsetzung der Ideologie des ‚Casticismo’ verdeutlicht:

einziges Kriterium ist das der Rasse, der ‚reinen’ altchristlichen Identität, die als biologische Kategorie definiert wird.

Neben diesem Ausschlussinstrument erschien zumindest anfangs das 1478 gegründete Inquistitionstribunal als Assimilationsinstrument, da es das Ziel verfolgte, die Orthodoxie der ‚Conversos’ zu überwachen und diese somit von den gefürchteten ‚jüdischen Einflüssen’ fernzuhalten. Im Grunde kann man auch die Vertreibung der Juden 1492 als letzte radikale Konsequenz dieser Zielsetzung betrachten.

Es wurde bereits auf dieses paradoxe Nebeneinander zwischen Assimilationsbestrebungen und Segregation hingewiesen (vgl. S. 46 f.), das zumindest teilweise auf die unterschiedliche Zielsetzung zwischen Krone, die durch das Inquistitionstribunal die Kontrolle des Konflikts an sich binden wollte, und altchristlicher Bevölkerung, die die ‚Conversos’ aus dem Inneren der christlichen Gesellschaft vertreiben wollte, zurückzuführen ist.

Dass gerade die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts innerhalb der spanischen Ethnogenese eine entscheidende Rolle spielt, belegt – neben den beschriebenen Ereignissen - die Intensität, mit der die öffentliche Diskussion um die Rolle und den Status der ‚Conversos’ geführt wurde.

Gerade im Zusammenhang mit den Vorfällen in Toledo 1449 erschienen zwei Texte, die die neue Grenzziehung und Definition der ‚Conversos’

dokumentieren.

Beide Texte sind aus der Perspektive der toledanischen Aufständischen geschrieben und richten sich somit einerseits gegen die Zentralmacht, bzw.

ihren Vertreter Alvaro de Luna, und andererseits gegen die Gruppe der

‚Conversos’.

Der erste Text aus der Feder Pero Sarmientos, erschienen im Jahre 1449, wird in der Forschung als erster ‚Estatuto de limpieza de sangre’ angesehen, der zwar zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchgesetzt wurde aber zweifelsohne über die schon damals kursierenden Ideen Aufschluss gibt.259

Netanyahu schreibt über die weitreichende Bedeutung dieses ersten ‚Estatuto’

folgendes: „Su impacto no quedó limitado solamente a su época. En verdad, pocos documentos del siglo XV pueden igualarse con la sentencia en la duración de su influjo en el conflicto entre cristianos viejos y nuevos.“260

Diese sogenannte Sentencia-Estatuto gibt den Anlass zu einer umfangreichen Polemik gegenüber der Gruppe der ‚Conversos’.261 Aus der Vielzahl der Texte verdeutlicht vor allem das Memorial des Marcos García de Mora das Entstehen einer neuen, auf biologischen Kategorien basierenden Gesellschaftsstruktur.

259 Vgl. Caro Baroja, 2000, S. 133 ff. und Sicroff, 1985, S. 51 ff.

260 Netanyahu, 1999, S. 332

261 Eine sehr detaillierte Darstellung über den Verlauf dieser Polemik, die ebenfalls die Reaktionen seitens der Conversos dokumentiert, bietet Netanyahu, 1999, S. 317-598

Als Verteidigungsschrift gegenüber König und Papst konzipiert, stellt es eines der wichtigsten Dokumente auf dem Weg zur Ideologie des ‚Casticismo’ dar.

Neben der öffentlichen Diskussion über den Status der ‚Conversos’ findet man ebenfalls Texte, die das Thema aus parodistischer Perspektive beleuchten und dadurch wesentlich zu dem Entstehen konkreter Fremdbilder beitragen.

Hierbei ist vor allem das in den 70er Jahren entstandene Libro del Alboraique zu erwähnen, in dessen Zentrum eine parodistische Beschreibung der Figur des ‚Conversos’ steht.

Dokumentieren diese drei Texte primär die Perspektive des Volks, so stellt das 1492 erlassene Expulsionsedikt die Position der Krone dar. Als radikaler Schlussstrich unter das Kapitel der Juden in Spanien konzipiert, läutet es jedoch lediglich eine neue Runde in der konfliktreichen Beziehung zu ihren Nachkommen, den ‚Conversos’, ein.

Jeder dieser vier Texte ist ein exemplarisches Beispiel für die spanische Ethnogenese im 15. Jahrhundert. Gerade auf dem Hintergrund der bisherigen Analyseergebnisse soll die neue Grenzdefinition gegenüber der Gruppe der

‚Conversos’ untersucht werden.

Da die Texte innerhalb dieser Problematik eine thematische Einheit bilden, wurde auf eine chronologisch strukturierte Analyse verzichtet. Sie werden im Folgenden daher nicht in getrennten Kapiteln, sondern kontrastiv anhand drei zentralen Fragen analysiert werden.

Inwiefern verschiebt sich das Problem von den Juden hin zu den ‚Conversos’?

Welche Argumente werden in den Texten eingesetzt und welche Zielsetzungen verfolgen sie? Inwiefern trägt jeder der Texte zu dem Entstehen neuer Codes kollektiver Identität und Alterität bei?