• Keine Ergebnisse gefunden

1 IDENTITÄTS- UND ALTERITÄTSENTWÜRFE IN DER LITERATUR DER ‚CONVIVENCIA’

VII: STRAFRECHT- RECHTE UND PFLICHTEN DER MINDERHEITEN

2 IDENTITÄTS- UND ALTERITÄTSPROBLEMATIK IN DER LITERATUR DES 15. JAHRHUNDERTS

2.1 Vicente Ferrer: Konversion oder Segregation

2.2.2 Der ‚Converso’: die neue Alterität

Betrachtet man die Sentencia-Estatuto des Pero Sarmiento unter rein inhaltlichen Gesichtspunkten, ähnelt sie den 1412 erlassenen Leyes. Auch hier werden Gesetze verkündet, die das Ziel verfolgen, die Alterität so weit wie möglich aus der christlichen Gesellschaft zu verbannen.

Wieder wird als Mittel das der Berufsverbote angewendet. Gerade die einflussreichen Berufe im Bereich der Verwaltung und der Rechtsprechung sollen ausschließlich der christlichen Bevölkerung vorbehalten werden. Soweit die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Texten.

Im Unterschied zu den Leyes, die sich explizit gegen die Fremdgruppen der Juden und Mauren richteten, ist der Adressat der Sentencia-Estatuto die Gruppe der ‚Conversos’. Es scheint fast so, als hätte sich die ganze Aufmerksamkeit von der Diskussion um den Status der Juden und Mauren hin zum dem der ‚Conversos’ verschoben, was der folgende Textvergleich zwischen den Leyes und der Sentencia-Estatuto verdeutlicht:

„[…] Que ninguno nin algunos judíos nin judías, nin moros nin moras non sean arrendadores, nin procuradores, nin almojarifes, nin mayordomos […].“ (Leyes, Paragraph 5)

„ […] que ningún confeso262 del linaje de los judíos no pudiese haber ni tener ningún oficio ni beneficio en la dicha cibdad de Toledo, ni en su tierra, término y jurisdición […].“ (Sentencia-Estatuto, S. 86)263

Des Weiteren wird deutlich, dass die Fremdgruppe der konvertierten Mauren keine große Beachtung findet, was damit zu erklären ist, dass diese – im Gegensatz zu den konvertierten Juden – gerade bezüglich der höheren Staats- und Verwaltungsämter keine Konkurrenz darstellten.

Betrachtet man zum Vergleich den gesellschaftlichen Status, den Vicente Ferrer den ‚Conversos’ zudachte, wird das Ausmaß der Veränderungen deutlich:

„[…] quels deurien abraçar e honralos [los converos] e amarlos; e fets lo contrari, quels menypreau perquè són stats juheus, e nou deveu fer […].“ (Ferrer, S, III, 70)

262 ‚confeso’ wird im 15. Jahrhundert als Synonym von ‚converso’ verwendet.

263 Die Zitate aus der Sentencia-Estatuto stammen aus folgender Edition: Sarmiento, Pero:

Sentencia-Estatuto, ed. von Benito Ruano, Eloy: Los orígenes del problema converso, Barcelona 1976, S. 85-92

Der Pflicht zur Integration und Assimilation bei Ferrer steht bei Sarmiento die ausdrückliche Segregation gegenüber. War für Ferrer das Hauptkriterium noch das der Taufe, das den ‚Conversos’ den vollen Rechtsstatus eines Christen ermöglichte, wird in der Sentencia-Estatuto die Tatsache, dass die ‚Conversos’

in rechtlicher und religiöser Hinsicht Christen sind, völlig außer Acht gelassen.

In dem Text erscheint es als selbstverständlich, dass die Restriktionen, die der Gruppe der Juden galten, nun auf die der ‚Conversos’ übertragen werden, was die sprachliche Parallelität zwischen Sarmientos Estatuto und dem zitierten Paragraph der Leyes unterstreicht.

Der zweite Text, der sich mit dem Status der ‚neuen’ Alterität der ‚Conversos’

beschäftigt, ist das Memorial des García de Mora. Sowohl gegenüber dem König als auch dem Papst soll hier das eigenmächtige Verhalten der Aufständischen in Toledo 1449 als legitim hingestellt werden:

„Digo yo, el dicho Bachiller, por mí e en nombre de la dicha ciudad de Toledo […] que de la dicha conclusión resulta respuesta contra la carta o cartas apostólicas o reales que se diçen ser impetradas contra el señor Pero Sarmiento […] Alcalde mayor que fue en la dicha ciudad, e contra mí el dicho Bachiller Marcos Garçía, e contra otros veçinos de la dicha ciudad, sobre raçon de los mouimientos en ella acaeçidos […].“

(Memorial, S. 106)264

Bereits der Eingangsabschnitt des Textes macht jedoch deutlich, dass es sich hier vielmehr um eine Polemik gegenüber den ‚Conversos’ als um die Rechtfertigung des eigenen Handelns dreht:

„Conosçida cosa sea cómo en las grandísimas e intolerables crueldades e inhumanidades […], causadas, promouidas e incitadas por el aborreçido, dañado [..] género e estado de judíos baptiçados […].“ (Memorial, S. 103)

Sowohl die Verwendung des Superlativs („grandísimas […] crueldades“), als auch die Häufung der pejorativen Adjektive („el aborreçido, dañado […]

género“) verdeutlichen den polemischen Charakter des Memorial.

Neben der Verdrehung der Fakten – die toledanischen ‚Converos’ wurden von den Christen angegriffen und nicht umgekehrt – fällt hier wieder auf, dass sich die Polemik García de Moras primär gegen die Gruppe der ‚Conversos’ richtet.

264 Die Zitate aus dem Memorial enstammen folgender Ausgabe: García de Mora, Marcos: El Memorial, ed. von: Benito Ruano, Eloy: Los orígenes del problema converso, Barcelona 1976, S. 103- 132

Im Gegensatz zu der Sentencia-Estatuto findet hier jedoch eine Gleichsetzung zwischen Juden und ‚Conversos’ statt. An mehreren Stellen wird deutlich, dass sich García de Mora gegen ein Fremdkollektiv richtet, in das er die Gruppe der

‚Conversos’ automatisch integriert:

„los muchos engaños y traiciones de los dichos infieles y judíos“

(Memorial, 104)

„el xénero judaico e de los dél procedientes“ (Memorial, 108)

Ungläubige, Juden und ‚Conversos’ werden somit auf dieselbe Stufe gestellt.

Gerade in Kombination mit dem Text Sarmientos und den Predigten Ferrers wird deutlich, wie zwiespältig die Lage der ‚Conversos’ im 15. Jahrhundert war.

Aus theologischer und juristischer Perspektive waren sie Christen. Die Mehrheit der altchristlichen Bevölkerung stritt ihnen jedoch genau dieses ‚Privileg’ ab und versuchte über rechtliche Einschränkungen eine neue Grenze zu ziehen, was wiederum mit der Gleichsetzung zwischen ‚Converso’ und Juden begründet wurde.

Die extremste Theorie über den Status der ‚Conversos’ befindet sich wohl in dem anonym erschienenen Libro del Alboraique. Das in parodistischem Stil geschriebene Traktat über die Figur des ‚Converso’ bestätigt die Tendenz, als Repräsentant der Alterität nicht mehr den Juden, sondern den ‚Converso’ zu sehen.

Der anonyme Schreiber vergleicht die ‚Conversos’ mit einem tierähnlichen Wesen, dem ‚Alboraique’, das weder Pferd noch Esel sei. Dementsprechend ordnet er sie außerhalb der ethnischen Gruppen und damit außerhalb der menschlichen Wesen im Allgemeinen ein:

„Empero, porque ellos tienen la voluntad y intención como moros, y el sábado como judíos, y el nombre sólo de christianos, y ni sean moros, ni judíos, ni christianos, aun por la voluntad judíos pero no guardan el Talmud ni las ceremonias todas de judíos ni menos la ley christiana, y por esto les fué puesto este sobrenombre […].“ (Libro del Alboraique, S. 391 )265

„[…] ellos son ynumanos […].“ (Libro del Alboraique, S. 394)

265 Die Zitate aus dem Libro del Alboraique entstammen folgender Ausgabe: Libro del Alboraique, ed. von López Martínez, Nicolás: Los judaizantes castellanos y la inquisición en tiempo de Isabel la Católica, Burgos 1954, S. 391-404

Die Zitate beweisen, dass hier eine ganz neue Alteritätsgruppe konstruiert wird, die, da sie weder Christ noch Jude oder Maure ist, aus der menschlichen Gesellschaft herausfällt und in die Kategorie des ‚Nicht-Menschlichen’

eingeordnet wird.

Das Bedürfnis nach Abgrenzung gegenüber der Gruppe der ‚Conversos’

scheint so groß zu sein, dass die Stigmatisierung ‚Jude’ nicht mehr ausreicht.

Im Gegensatz zur Sentencia-Estatuto, die prinzipiell den ‚Converso’ noch als Teil der Gesellschaft betrachtet, findet hier die extremste Form der Segregation statt. Da der ‚Converso’ aus rechtlichen Gründen nur schwer von seiner bisherigen gesellschaftlichen Position zu vertreiben ist, wechselt der anonyme Verfasser hier die Ebene und weist ihm einen Platz nicht nur außerhalb der spanischen Gesellschaft, sondern außerhalb der Menschheit im Allgemeinen zu.

Auch wenn das Libro del Alboraique sich auf parodistische Weise mit dem Status des ‚Conversos’ auseinandersetzt, verdeutlicht es doch die Ideen und Bilder, die im 15. Jahrhundert von der „vil linage“ (Alboraique, 396) existierten.

Im Gegensatz zur Sentencia-Estatuto, zum Memorial und zum Libro del Alboraique verdeutlicht das Expulsionsedikt die ‚offizielle’ Perspektive der Krone. Die Auseinandersetzung findet somit auf einer anderen Ebene statt, da gerade im Bereich der Hofgeschäfte der Anteil der ‚Conversos’ nicht unerheblich war.

Die katholischen Könige mussten einen Weg finden, die zunehmenden sozialen Spannungen zwischen Altchristen und ‚Conversos’ in den Griff zu bekommen und gleichzeitig den sozialen und vor allem beruflichen Status der ‚Conversos’

zu wahren, auf dem ein nicht zu unterschätzender Teil des spanischen Königreichs aufbaute.

Stallaert spricht in diesem Zusammenhang von „la urgencia de una política de asimilación cultural“266.

Die grundlegende Theorie, die sich hinter dem Expulsionsedikt verbirgt, ähnelt den Thesen, die auch schon aus den Leyes und den Predigten Ferrers sprachen: die einzige Möglichkeit, die ‚Conversos’ in die christliche Gesellschaft

266 Stallaert, 1998, S. 31

zu integrieren, besteht in der maximalen Segregation der jüdischen Bevölkerung.

In diesem Sinne richtet sich das Expulsionsedikt auch nicht, wie die drei anderen Texte, gegen die Gruppe der ‚Conversos’, sondern gegen die Juden:

„a todos los judios e personas syngulares dellos asy varones como mugeres de cualquier hedad […].“ (Expulsionsedikt, S. 635)267

„ […] mandamos apartar a los dichos judios en todas las çibdades, villas e lugares de los nuestros reynos e sennorios […], esperando que con su apartamiento se remediaría […].“ (Expulsionsedikt, ebd.)

Die Tatsache, dass einige der ‚Conversos’ im Geheimen weiterhin ihre abgelegte Religion praktizierten, wird ausschließlich auf den Einfluss der Juden zurückgeführt.

„ [..] consta e paresçe el grand danno que a los christianos se ha seguido y sigue con la partiçipaçion, conversaçion, comunicaçion que han tenido e tienen con los judios […].“ (Expulsionsedikt, S. 635 f.)

Es ist auffällig, dass das Edikt an zahlreichen Stellen die problematische Situation der ‚Conversos’ mit medizinischen Begriffen (vgl. hier „remediaría“ und

„danno“) umschreibt. Diese Begrifflichkeit suggeriert, die umstrittene gesellschaftliche Stellung der ‚Conversos’ mit einem Krankheitszustand zu vergleichen, der jedoch durch das entsprechende ‚Mittel’ – die Vertreibung der Juden – verbessert werden könne.

Interessanterweise fällt hier jedoch an keiner Stelle die Bezeichnung

‚Converso’. Im Gegensatz zu den anderen Texten werden die ‚Conversos’

eindeutig zur christlichen Gesellschaft gerechnet. Selbst die sogenannten

‚judaizantes’ werden als „algunos malos christianos“ (S. 635) bezeichnet.

In dieser offiziellen Perspektive erscheint die Vertreibung der Juden als einzige Möglichkeit, die ‚Conversos’ zu integrieren. Dass diese extreme Maßnahme den Kern des Problems nicht trifft, sieht man daran, dass in der öffentlichen Diskussion die Grenze gegenüber der ‚neuen’ Alterität des ‚Converso’ bereits gezogen wurde. In diesem Sinne verstärkte das Expulsionsedikt sogar noch die Spannungen zwischen Altchristen und ‚Conversos’, da nach seinem Erlass zahlreiche Juden konvertierten, um sich vor der Vertreibung zu retten.

267 Die Zitate aus dem Expulsionsedikt entsammen folgender Ausgabe: Edicto de los Reyes Católicos en el que se ordena la expulsion de los judíos de España, ed. von: Méchoulan, Henry: Los judíos de España. História de una diáspora, Madrid 1992, S. 635-638

2.2.3 Religion – soziökonomische Beziehungen – Rasse: Hauptpfeiler der