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Die Abschiebung

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2.5 Die gesetzlichen Rahmenbedingungen

2.5.2 Die deutsche Gesetzgebung

2.5.2.3 Die Abschiebung

In Reaktion auf den IMK-Beschluss fordert der Niedersächsische Flüchtlingsrat den niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann auf, „bis zu einer gesetzli-chen Regelung alle Abschiebungen von Flüchtlingen auszusetzen“390, die von der Bleiberechtsregelung betroffen sein können. Denn trotz laufender Bleiberechtsan-träge finden Sammelabschiebungen weiterhin statt. So z.B. am 13. Februar 2007 in die Türkei. Der EU-Rat spricht von einer positiv zu bewertenden „Steigerung der Abschiebezahlen“391 durch eine „engere Zusammenarbeit“392 der EU-Mitgliedslän-der im Rahmen „gemeinsamer Abschiebeflüge“.393

Durchgeführt werden die Abschiebungen durch die International Organization for Migration (IOM), die dafür zuständig ist, im „Auftrag vieler Regierungen die bei der Abwehr von Unerwünschten anfallenden Arbeiten, etwa die Abschiebun-gen“394 zu organisieren und durchzuführen. Hauptsitz der IOM ist die Schweiz.395 Nach Angaben des BMI zeigt sich eine rückläufige Entwicklung in der Zahl der durchgeführten Abschiebungen aus Deutschland. Während im Jahr 2005 noch 17.773 Abschiebungen gezählt wurden, sank die Anzahl im Jahr 2006 von 38.205 auf 29.036.396

Grundsätzlich besteht ein „Abschiebeverbot“397 nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG zum Einen aufgrund „zielstaatsbezogener Abschiebehindernisse“398 wie z.B. einer „er-heblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit“399, durch Folter, Gefahr der Todesstrafe, Gewalt oder aber Krankheit.

Ein krankheitsbedingtes, „zielstaatsbezogenes Abschiebehindernis“400 nach § 60 AufenthG besteht, wenn in den betreffenden Ländern keine „adäquate Behand-lung“ möglich ist. Eine Abschiebung in dieser Situation bedeutet nach Ansicht des

390 Flüchtlingsrat Nds., 2006

391 Asyl, 2006p

392 ebd.

393 ebd.

394 Benz, 2006a, S. 135

395 vgl. Asyl, 2006p; Benz, 2006a, S. 135; Flüchtlingsrat Nds., 2006; 2007a

396 vgl. Jelpke, 2006

397 BAMF, 2006b

398 ebd.

399 ebd.

400 ebd.

Niedersächsischen Flüchtlingsrates eine „erhebliche Gesundheitsgefährdung“.401 Außerdem ist das Zielland häufig Grund der erlittenen Traumatisierung, das Land, in dem das traumatische Ereignis stattfand.

Zum Anderen ist aufgrund eines sogenannten „inlandsbezogenen Abschiebehin-dernisses“402 nach § 60a AufenthG, eine „vorübergehende Aussetzung der Abschie-bung“403 möglich. Hierbei gilt die fehlende „Flugreisetauglichkeit“404 aufgrund ei-ner möglichen Lebensgefährdung auf der Reise z.B. durch eine Suizidgefährdung.

Während die Entscheidung über ein „Abschiebeverbot“405 das BAMF trifft, urteilt die zuständige Ausländerbehörde unabhängig vom BAMF über eine „vorüberge-hende Aussetzung der Abschiebung“.406

Nach Aussage von Bernd Mesovic von Pro Asyl beinhaltet der Kriterienkatalog der Innenministerkonferenz zur „Flugreisetauglichkeit“407, dass diese “mit allen Mit-teln herzustellen“ ist, da die Betroffenen im „Herkunftsland die größten Heilungs-chancen hätten“408.

Ein Problem dabei sieht der Niedersächsische Flüchtlingsrat, wenn die zuständi-gen Behörden die „Flugreisetauglichkeit“409, trotz ärztlicher Gutachten und Be-scheinigungen, nicht als Abschiebehindernis anerkennen.410 Sie bezweifeln in vie-len Fälvie-len ärztliche Gutachten und Atteste und unterstelvie-len eine Missbrauchsab-sicht, bzw. „wird nicht selten unterstellt, dass mittels Gefälligkeitsgutachten Ab-schiebungen verhindert werden sollen“.411

Nach § 25 der (Muster-) Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte (Stand 2006) haben ÄrztInnen „bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse [...] mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren und nach bestem Wissen

401 Flüchtlingsrat Nds., 2004, S. 12, 114

402 BAMF, 2006b

403 ebd.

404 Deutscher Bundestag, 2006, S. 13. Bei den für die Abschiebung geltenden Bestimmungen über die Rückführung ausländischer Staatsangehöriger auf dem Luftweg (Best.-Rück Luft) handelt es sich um Dienstanweisungen des Bundesministerium des Innern für die bundespolizeiliche Durch-führung (vgl. Flüchtlingsrat Köln, 2005, S. 3).

405 BAMF, 2006b

406 BAMF, 2006b; vgl. BAMF, 2006b; Deutscher Bundestag, 2006, S. 13; Flüchtlingsrat Nds., 2004, S. 12-16, 112; Gardemann, 2006b, S. 27

407 Deutscher Bundestag, 2006, S. 13

408 vgl. Mesovic, 2004, S. 280. Vielgenanntes Zitat von Peter van Krieken; hier aus einem Beschluss des OVG Hamburg (vgl. Mesovic, 2004, S. 280)

409 Deutscher Bundestag, 2006, S. 13

410 vgl. Flüchtlingsrat Nds., 2004, S. 13

411 vgl. Flüchtlingsrat Nds., 2004, S. 13-14, 137

ihre ärztliche Überzeugung auszusprechen“.412 ÄrztInnen sind jedoch an Men-schenrechtsverletzungen beteiligt, wenn sie u.a. Zwangsmedikationen durchfüh-ren, um eine „Flugreisetauglichkeit“413 zu einem Abschiebevollzug zu gewährleis-ten, so die Argumentation von Claus Metz überzeugt. Er kritisiert dabei das Fehlen eines „kritischen Verstandes“414 und des „Mitgefühls“.415 Gegen die Abschiebung von Menschen - z.T. sogar aus Kliniken heraus -, die sich in psychotherapeutischer Behandlung wegen einer Traumatisierung befinden oder von einer Retraumatisie-rung (sog. Flashbacks) bedroht sind, spricht sich auch der Deutsche Ärztetag aus medizinischen wie auch aus ethischen Gründen eindeutig aus und lehnt eine ärztli-che Beteiligung ab. Der Weltärztebund verabschiedete bereits 1998 einen „Be-schluss zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen“ (siehe Kapitel 2.6.2.1; An-hang 7.3). Gardemann betont, dass die „ärztliche Versorgung [...] keinesfalls an der Flugzeugtür“416 endet, sondern „auch die Beförderung in ein geeignetes Kranken-haus“ 417 umfasst.418

Werden die gesundheitlich notwendigen Strukturen im Zielland durch das Aus-wärtige Amt bestätigt, bestehen selten noch ausreichende Abschiebehindernisse, auch wenn den Betroffenen eine Inanspruchnahme der medizinischen Versorgung aus finanziellen Gründen verwehrt bleibt.419

Die Bundesregierung betont, dass „die Verabreichung von Medikamenten [...] stets einer entsprechenden medizinischen Indikation“ bedarf, und nicht ausschließlich dazu eingesetzt werden darf, um die „Flugreisetauglichkeit“420 der Betroffenen her-zustellen.421 Vielmehr muss eine sorgfältige Prüfung des Einzelfalles erfolgen. Es reicht nach Ansicht Leidels nicht aus, dass die notwendigen Behandlungsmöglich-keiten im Zielland vorhanden sind, sondern sie müssen für die/den Betroffenen auch finanzier- und erreichbar sein. „Bleiben Zweifel daran bestehen, dass die Ab-schiebung bzw. Rückführung ohne Gefährdung von Leben und körperlicher Unver-sehrtheit möglich ist, sollte das Gutachten entsprechend abgefasst werden und

412 BÄK, 2007c

413 Deutscher Bundestag, 2006, S. 13

414 Metz, 2007

415 ebd.

416 Gardemann, 2006b, S. 28

417 ebd.

418 vgl. BÄK, 2007c; Dagdelen, Jelpke, Keskin, 2006, S. 1-2; Gardemann, 2006b, S. 28; Lisson, 2006

419 vgl. Flüchtlingsrat Nds., 2004, S. 15

420 Deutscher Bundestag, 2006, S. 13

421 vgl. Deutscher Bundestag, 2006, S. 13

durch seine Formulierungen der Ausländerbehörde nahe legen, von einer Abschie-bung abzusehen“.422

Für die Begutachtung von Flüchtlingen in Bezug auf das Gutachten zur „Flugreise-tauglichkeit“423, hat das Gesundheitsamt Bremen Grundsätze und Empfehlungen entwickelt.424

Während in Deutschland nach § 62 AufenthG ein bis zu 18 Monate dauernder schiebehaftaufenthalt angewandt werden kann, begrenzt die EU-Richtlinie die Ab-schiebehaft auf sechs Monate, insofern „Fluchtgefahr besteht und weniger drasti-sche Zwangsmaßnahmen ihren Zweck nicht erfüllen“.425 Außerdem müssen dem-nach Nichtregierungsorganisationen die Möglichkeit haben, die Abschiebehaftan-stalten zu besuchen und die Haftbedingungen zu überprüfen.

Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily kritisierte 2004 die EU-Richtlinie in Bezug auf die Abschiebehaftbegrenzung und forderte eine „erleichterte Auswei-sung und Abschiebehaft bei bestimmten Personengruppen“.426

Auch Schünemann fordert „ausländerpolitische Verschärfungen“427, wonach die

„Flugreisetauglichkeit“428 bei drohenden Abschiebungen nicht mehr von den Be-hörden nachgewiesen werden muss, sondern vielmehr die „Beweislast umgekehrt“429 werden soll.430

In jüngster Vergangenheit weigerte sich vermehrt das Flugpersonal von Linienma-schinen, Abschiebehäftlinge zu transportieren. Um diesen ´Problemen` bei der Abschiebung vorzubeugen und zusätzlich eine deutliche Kostenreduzierung zu er-reichen, beschlossen im September 2005 die bevölkerungsreichsten EU-Staaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien, gemeinsame Ab-schiebeflüge als regelrechte ´Sammelabschiebungen` durchzuführen. Dazu sollen nach Vorstellungen der Innenminister Charterflüge eingesetzt werden, die

„zu-422 Leidel, 2000, S. 141; vgl. Deutscher Bundestag, 2006, S. 13; Leidel, 2000, S. 140

423 Deutscher Bundestag, 2006, S. 13

424 vgl. Deutscher Bundestag, 2006, S. 13; Zenker, 2004, S. 281-288

425 Migration und Bevölkerung, 2005b, S. 4-5

426 ebd.

427 Reimar, 2006

428 Deutscher Bundestag, 2006, S. 13

429 Reimar, 2006

430 vgl. Deutscher Bundestag, 2006, S. 13; Migration und Bevölkerung, 2005b, S. 4-5; Reimar, 2006

nächst die Abschiebehäftlinge [...] abholen, um sie dann in ihre Heimatländer zu-rückzufliegen“.431

431 vgl. Migration und Bevölkerung, 2005c

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