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Die Dialektik der Furcht

is, in fact, a bluff which we cannot really afford to see called.«32Eine Analyse im Frühjahr 1938 ergab: »The first line is to a considerable extent a faÅade.«33Im Herbst musste die RAF schließlich den Offenbarungseid leisten, was ihre eige-nen Möglichkeiten betraf: »Air forces cannot be said to be in any way fit to undertake operations on a major scale.«34Wäre die Sudetenkrise eskaliert, so hätte die RAF bestenfalls einige (genauer: drei!) ältere Bomber nach Berlin geschickt, beladen ausschließlich mit Propagandamaterial.35

Kurzfristig musste eine solche Bilanz allerdings zur äußersten Vorsicht mahnen. Der Militärtheoretiker Basil Liddell Hart hatte diese ambivalenten Auswirkungen der Angst vor Luftangriffen schon 1936 in einem Zeitungsartikel analysiert: »The uncertainty which exists as to the actual state of various nations’

forces is nothing to the uncertainty which prevails as to their power. If the former engenders the fear which leads to war, the latter justifies fears that may deter the decision to embark upon war.«36Churchill gab daher auch rückblickend den Militärs die Schuld an den – wie er es sah – Fehlern der Appeasement-Politik:

»Before the war we were greatly misled by the pictures they painted of the destruction that would be wrought by Air raids. […] This picture of air de-struction was so exaggerated that it depressed the Statesmen responsible for the pre-war policy, and played a definite part in the desertion of Czecho-Slovakia in August 1938.«37

Diese Schuldzuweisung wurde von vielen Beteiligten nur allzu gerne akzep-tiert. Sobald die Appeasement-Politik in Misskredit geraten war, wurde der Zeitgewinn, den sie England verschafft habe, bis sein Luftverteidigungssystem ausgebaut war, gerne zu ihrer Verteidigung ins Treffen geführt.38Dieses Motiv 32 AIR 9/76, Newall an Swinton, 17. September 1937.

33 AIR 8/237, Scheme L, Newall, 11. April 1938. Als »limiting factor« galt dabei v. a. die Per-sonalfrage, der Mangel an Piloten.

34 CAB 53/37, 697 JP, 19. März 1938.

35 Vgl. AIR 8/251, Employment of Bomber Force in War. Der Chef des Bomber Command, Edgar Ludlow-Hewitt, empfahl 1938/39 deshalb auch ein Abgehen von der Konzentration auf schwere, aber langsame Bomber zugunsten eines leichten Schnellbombers (Smith, Air Strategy, S. 242 f., 293); zu Ludlow-Hewitts Skepsis gegenüber den Plänen des Ministeriums vgl. auch Terraine, Right of the Line, S. 81–91.

36 Liddell Hart Papers 10/36, Artikel für New York Times Magazine, 9. Februar 1936.

37 Sir Charles Webster/Noble Frankland, The Strategic Air Offensive against Germany 1939–

1945, Bd. 1, London 1961, S. 184; auch Liddell Hart teilte diese Einschätzung (King’s College, London, Liddell Hart Papers 450, Brief an Lloyd George, 30. September 1938).

38 Vgl. Viscount Templewood, Neun bewegte Jahre. Englands Weg nach München, Düsseldorf 1955; aber auch Lawrence Marquess of Zetland, ›Essayez‹, London 1956, S. 262 und Viscount Maugham, At the End of the Day, London 1954, S. 386, zwei der »neo-imperialistischen«

Kabinettsmitglieder, die 1938 aus im Wesentlichen ganz anderen Motiven für Chamberlain optiert hatten. Die Kritik »post-revisionistischer« Autoren an dieser Argumentation scheint mir daher berechtigt (vgl. den Hinweis bei David Dutton, Neville Chamberlain, London 2001, S. 184). Wenn man der Luftwaffe keine soüberragende Rolle beimaß, fiel der Verlust

trifft allerdings wohl nicht ganz den Kern der Sache. Zwar gab es einzelne Ka-binettsmitglieder, wie zum Beispiel Hoare oder Winterton, die sich von diesem

»window of vulnerability« schon damals beeindruckt zeigten.39Vor allem aber war dieser Hinweis auf Rüstungsdefizite ein Totschlagargument in Richtung der Kritiker ” la Churchill: Gerade wer ständig auf die Versäumnisse der britischen Nachrüstung hinwies,40konnte doch unmöglich zu einem Krieg raten, der mit unzureichenden Mitteln geführt werden sollte. Die Opposition sah sich in der Schlinge ihrer eigenenÜbertreibungen gefangen.

Chamberlain selbst hat die Furcht vor einem Krieg zwar benützt, wenn er zum Beispiel nach seiner Rückkehr aus Bad Godesberg davon sprach, denselben Weg wie sein Flugzeug hätten auch deutsche Bomber nehmen können.41Er hat die Furcht vor den Auswirkungen eines neuerlichen Krieges auf die Position des Empire aus ganz anderen,ökonomisch-strategischen Erwägungen geteilt;42die Argumente der strategischen Bomber-Schule überzeugten ihn persönlich al-lerdings nicht. Gerade aus den Monaten vor dem Münchner Abkommen findet tschechischer Divisionen (und Produktionskapazität) 1938 natürlich mehr ins Gewicht; vgl.

deshalb die Kritik von Williamson Murray, The Change in the European Balance of Power, 1938–1939. The Path to Ruin, Princeton 1984, S. 91, 262, der freilich die französischen Rüstungsfortschritte in den anderthalb Jahren vor dem Mai 1940 unterschätzt.

39 Zum innenpolitischen dramatis personae unübertroffen: Maurice Cowling, The Impact of Hitler. British Politics and British Policy 1933–1940, London 1975; vgl. auch R. A. C. Parker, Chamberlain and Appeasement. British Policy and the Coming of The Second World War, New York 1993, S. 157 ff.

40 Vgl. Smith, Air Strategy, S. 161, 167, 176 f. für diverse Beispiele Churchill’scher Übertrei-bungen in diesem Sinne; Gill Bennett, Churchill’s Man of Mystery. Desmond Morton and the World of Intelligence, London 2009, S. 172: Morton »sought to counterbalance the tendency to hyperbole […]«.

41 Vgl. CAB 23/95, 42ndMtg. Cab., 24. September 1938;ähnlich wurde von der Mehrzahl der Redner in der Parlamentsdebatte am 6. Oktober 1938 argumentiert (vgl. Smith, Air Strategy, S. 215 f.).

42 »Chamberlain has been the victim of the most prolonged and intense character assassina-tion« (Smith, Air Strategy, S. 306). Die neueren Biographien Chamberlains konzentrieren sich zur Ehrenrettung des Premiers in der Regel mehr auf sein Oeuvre vor 1938: Robert Self, Neville Chamberlain. A Biography, London 2006; Nick Smart, Neville Chamberlain, Ab-ingdon 2010; für das 20. Jahrhundert vgl. Dutton, Chamberlain (aus der Buchreihe »Repu-tations«), der eine »revisionistische« Phase nachÖffnung der Archive und eine »post-re-visionistische« seit Mitte der achtziger Jahre unterscheidet, die zuweilen »full circle« zu den Polemiken der »Guilty Men«-Schule des Jahres 1940 zurückkehrt. Den Höhepunkt der

»revisionistischen« Phase stellte zweifellos die Studie von George Peden, British Rearma-ment and the Treasury. 1932–1939, Edinburgh 1979, dar; für die Gegenbewegung gilt das – neben dem publikumswirksamen Andrew Roberts – zweifellos für Parker, Chamberlain and Appeasement. Er zollt dem Premier mehrfach Anerkennung (S. 326: »hard-working, clear-headed and efficient statesman«, S. 345: appeasement »was not a feeble policy of surrender and unlimited retreat«), schlägt sich aber schließlich doch auf die andere Seite: »this study proposes that the balance of evidence points to counter-revisionist interpretations« (S. 347).

Dabei räumt er ein, dass seine hypothetische Alternative auf einer Kooperationsbereitschaft Stalins beruht,über dessen Absichten wir nach wie vor zu wenig wissen.

sich von ihm eine Stellungnahme, die eine ausgeprägte Skepsis durchblicken lässt: »It might be that in the next war the enemy might aim at a knock-out blow, but the evidence before him did not show that that was likely [to succeed].«43Auf Außenminister Lord Halifax, der während der Sudetenkrise auf eine härtere Linie umschwenkte, hatten die Befürchtungen der »shiver sisters« vielleicht sogar den gegenteiligen Einfluss: Er hielt die Integrität der Tschechoslowakei von vornherein für keinen hinreichenden Kriegsgrund, war aber der Ansicht, das Vereinigte Königreich dürfe sich nicht den Anschein geben, als ob es durch die impliziten Drohungen aus der Luft erpressbar geworden wäre.44

Allerdings: Wäre Chamberlains Politik der friedlichen Koexistenz bei Hitler auf Resonanz gestoßen – und im Anschluss an München tatsächlich ein Rü s-tungsbeschränkungsabkommen zustande gekommen, wie er es wünschte45–, hätten die geschürten Befürchtungen sich als Bumerang für die RAF erweisen können. Denn wenn es zutraf, was Admiralstabschef Backhouse so formulierte:

»The chief menace to world peace, to France and ourselves was the existence of a powerful German airforce«, dann lag die Schlußfolgerung nahe: »If this menace could be removed…surely our position would be far more secure.« Für die RAF argumentierte Newall vergeblich: »If bombing aircraft were eliminated, Ger-many would be placed in a still stronger position unless we were prepared to build up a larger army than at present contemplated.« Denn diese Rechnung kam gegen das Alpha und Omega der britischen Kriegsplanungen nicht auf: »Even so, the war had been won ultimately mainly by the exercise of economic pressure by means of the blockade«, lautete das Credo, das weitüber die Kreise der Marine hinaus geteilt wurde und die Grundlage aller militärischen Lagebeurteilungen der dreißiger Jahre bildete.46

43 CAB 53/90 A, 49thMtg. Cab., 22. Dezember 1937; Parker, Chamberlain and Appeasement, S. 292, 346 kommt zu denselben Schlussfolgerungen.

44 Vgl. Andrew Roberts, »The Holy Fox«. A Biography of Lord Halifax, London 1991, S. 114–

120über Halifax’ »night of insomnia«. Halifax hatte mehrfach (u.a. im Ministerrat vom 30. August und 24. September 1938, CAB 23/95) darauf hingewiesen, dass man die Tsche-choslowakische Republik selbst nach einem siegreichen Krieg in dieser Form wohl nicht wiedererstehen lassen würde, am Ausgang eines solchen Krieges gegen Deutschland zwei-felte er hingegen nicht (Ministerrat 17. September 1938).

45 Vgl. CAB 23/95, 51stMtg. Cab., 31. Oktober 1938.

46 CAB 53/9, 260thMtg. COS, 1. November 1938. Nur die RAF ließhier gelegentlich Skepsis durchblicken, zu Recht, wenn auch nicht zuletzt aus dem Grund, um ihre Mitwirkung an der Auszehrung des deutschen Kriegspotentials nicht allzu peripher erscheinen zu lassen.