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7 Handlungsempfehlungen

7.3 Empfehlungen des Auftragnehmers

7.3.1 Der Betrieb als Netzwerkpartner

Arbeitgeber haben durch vielfältige Aktivitäten und unter Nutzung von Instrumenten zur fähigkeitsgerechten Platzierung von Beschäftigten in ihrem Unternehmen die Möglich-keit, Einfluss auf den Krankenstand sowie bei der Früherkennung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen in der Belegschaft zu nehmen. Dies können sie unabhängig von der jeweiligen Betriebsgröße, unter den gegebenen Umständen mit unterschiedlichen Mit-teln realisieren.

Jedes Unternehmen sollte formal in der Lage sein bzw. in die Lage versetzt werden, über einen „Kümmerer“ (Koordinator, Disability-Manager etc.), als verantwortliche Per-son zu verfügen, die in Gesundheitsfragen Schnittstelle im Betrieb, zugleich aber auch Ansprechpartner im Sinne einer auskunftgebenden und auskunftberechtigten Person nach außen hin für Haus-, Fachärzte, Krankenkassen etc. sein kann. Zum Beispiel dann, wenn es darum geht abzuklären, in welchem Ausmaß Erkrankung und gesund-heitliche Beschwerden von einzelnen Beschäftigten mit ihrer Arbeitstätigkeit in Zusam-menhang stehen können. Wichtig ist die Benennung mindestens einer Person, die die-sen Informations- und Datenfluss sicherstellen kann. Dies kann z. B. ein Betriebsarzt in einem Unternehmen leisten. Vor allem aber in den Kleinst- und Kleinbetrieben mit einer Beschäftigtenzahl von bis zu 20 Mitarbeitern, in denen etwa 85% aller Beschäftigten in Deutschland tätig sind und die bislang ohne bzw. nicht ausreichende betriebsärztliche Betreuung sind, wäre seitens ihnen nahe stehender Partner, etwa durch die Hand-werkskammern61, Innungen, Kreishandwerkerschaften und andere, die Befähigung zu

61 Die Interessensvertreter von KMU dieser Größe betreiben ohnehin bereits eine engagierte Öffentlich-keitsarbeit für ihr Klientel und profilieren sich zunehmend in ihrer Rolle als Serviceanbieter und Dienst-leister. Sie wären deshalb geeignete Informationsvermittler, Berater und Multiplikatoren.

erlangen, solche „Kümmerer“ in Betrieben dieser Größe zu stellen, zu beraten bzw. zu schulen. Hierzu sind geeignete Beratungsinhalte, die Gesundheit als Führungsaufgabe im Unternehmen zum Inhalt haben, mit noch zu definierenden Mindeststandards durch dafür zu qualifizierendes Personal zu vermitteln. Wünschenswert wäre die Etablierung von weitergehenden Kooperationsbeziehungen zwischen Integrationsämtern, Arbeits-medizinischen Zentren und Kammern/Innungen und Kreishandwerkerschaften mit einer Serviceleistung, die über eine aktive Ansprache der einzelnen Mitgliedsbetriebe modu-lar oder als Paket angeboten wird. So können Betriebe umfassend dahingehend sensi-bilisiert werden, folgende Aspekte zur Vermeidung von langfristigen, evtl. sich chronifi-zierender Erkrankungen und drohender Behinderung als Frühwarnzeichen zu erkennen und entsprechend frühzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen zu können, aber auch zur verstärkten Integration von behinderten Menschen in die Arbeitswelt angeregt werden:

Beratungsinhalte und Serviceleistungen für Betriebe wären hierbei:

• Gesundheit, d. h. Gesundheitsfürsorge, Gesundheitsschutz, Prävention aber auch Eingliederungsmanagement als Führungsaufgabe über die Schulung von Unter-nehmensleitung, Management, Meistern und anderen Vorgesetzten in Betrieben zu vermitteln und so verbindlich und nachhaltig wie möglich, in der Organisationsstruk-tur des Unternehmens zu verankern,

• Hilfe bei der Suche nach geeigneter arbeitsmedizinischer Betreuung, Ansprechpart-ner sein bei der Vermittlung von Adressen von Arbeitsmedizinischen Zentren, darauf hinwirken, dass die Betreuung regelmäßig und mindestens im gesetzlich vorge-schriebenen Umfang erfolgt,

• Beratung dahingehend leisten, Fehlzeiten zu beobachten, diese richtig interpretieren zu helfen, und bei Handlungsbedarf geeignete Maßnahmen mit dem Ziel der Ar-beitsplatzerhaltung zu vermitteln,

• Sensibilisierung der Geschäftsführung bzw. Personalverantwortlichen, bei Verhal-tensauffälligkeiten einzelner Beschäftigter hinzuschauen, bei unklaren Ursachen in die Lage versetzt zu werden, zu handeln (Kontaktaufnahme mit Betriebsarzt zwecks Konsultation),

• anregen, Gesundheitsgespräche mit Betroffenen zu führen; über mitgeteiltes Betroffenenwissen evtl. wichtige Erkenntnisse zum Arbeitsplatz und zur Ar-beits(platz)belastung erfahren und entsprechend intervenieren zu können,

• anregen, Verfahren und Methoden zur fähigkeitsgerechten Platzierung von behinderten Menschen und von Behinderung bedrohten Beschäftigten am Arbeits-platz und Vergleichsverfahren zur Messung von Anforderung und Fähigkeiten am Arbeitsplatz (IMBA, MELBA) anwenden und bei Abweichungen entsprechend han-deln,

• Unterrichtung über die Möglichkeit und Durchführung von Integrationsvereinbarun-gen, ggf. über Einschaltung des Integrationsamtes als hierzu geeigneter Partner,

• Instrumente, z. B. Mitarbeiterbefragungen und die Einrichtung von Gesundheitszir-keln anzuwenden, hierdurch Gesundheitsziele zu definieren und diese mit der Be-legschaft nachhaltig zu verfolgen,

• Anregungen und Informationen zu Gesundheitsthemen an Mitgliedsbetriebe geben:

Über gezielte präventive Maßnahmen bis hin zu speziellen Themen Informations-veranstaltungen mit durchführenden Gesundheitsdienstleistern vermitteln.

Das Spektrum der aufgezählten Interventionsmöglichkeiten auf der betrieblichen Ebene, hierbei alleine durch Initiative der Unternehmen bzw. Geschäftsführung selbst, ist kei-neswegs vollständig zu nennen. Die aufgezählten Aspekte verdeutlichen jedoch die große Chance, die damit verbunden ist, die Kammern und Innungen als wirtschaftlich beratend nahestehende Interessenvertreter der KMU auch zunehmend in die Rolle als Eingangsberater in Fragen des Gesundheitsschutzes, bei der Integration von Behin-derten am Arbeitsplatz62 sowie im Hinblick auf ein wirksames Ausgliederungsverhinde-rungsmanagement mit einzubeziehen. Hierzu wird empfohlen, finanzielle Anreize und/oder Boni – zunächst möglicher Weise für die Durchführung weiterer Modellversu-che - zu gewähren. Bei positivem Verlauf lassen sich Nachahmereffekte erwarten, wenn eine überzeugende win-win-Situation, etwa in Form einer Aufwertung der Kammern in ihrer Rolle als Dienstleister daraus erwächst. Wie wichtig und überaus wirkungsvoll die feste Etablierung von Ansprechpartnern mit umfassender „Kümmerer“-Funktion für Kleinst- und Kleinbetriebe sein kann, haben nicht nur die Ergebnisse aus den durchge-führten Experteninterviews gezeigt, sondern verdeutlichen auch im großen Maße immer wieder die aktuellen öffentlichen Diskussion bei zahlreichen Tagungen und Veranstal-tungen sowie auch Ergebnisse aus weiteren Projekten63. Die gerade im Handwerk be-reits historisch gewachsene enge Verbindung zu Kammern und Innungen legt es nahe, dass hierüber angebotene Serviceleistungen für die Mitgliedsbetriebe zum einen Be-achtung finden und darüber hinaus hier ein akzeptierter Ansprechpartner für

62 Vereinzelt übernehmen die Handwerkskammern bereits diese Aufgabe in Kooperation mit anderen Partnern, siehe z. B. das von 1996 bis 2000 laufende Modellprojekt der Hauptfürsorgestelle des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe und der Handwerkskammer Münster zur Integration von Schwerbehinderten in das Handwerk (Möllering/Stüer 2000).

63 Ein Andocken einer solchen Beratungsstelle bzw. der Person des „Kümmerers“ bei den Handwerkskammern, Innungen und Kreishandwerkerschaften ist im Projektkontext auf Gesprächseben leider nicht gelungen. Jedoch war die MundA GmbH als Projektnehmer des BMGS nicht mit Kompetenzen ausgestattet, die eine Mitwirkung der Unternehmensvertreter hätte verpflichtend werden lassen können.

nehmensbelange im Allgemeinen existiert. Leider werden die nach SGB IX inzwischen in allen Landkreisen und kreisfreien Städten in Deutschland flächendeckend eingerich-teten Servicestellen, die in vielen der o. g. Aspekten Ansprechpartner wären, von den Unternehmen und auch Beschäftigten noch nicht in erhofftem Maße angefragt. Dies be-ruht zum einen auf der immer noch weit verbreiteten Unkenntnis der potenziellen Nach-frager über deren Aufgaben und dem oftmals geringen Bekanntheitsgrad vor Ort, zum anderen scheinen sie für die betriebliche Ebene als „zu weit draußen“ angesiedelt zu sein. Unternehmensverbände pflegen mit ihren Presseorganen (Mitgliedszeitschriften, Rundbriefen etc.), als Dienstleister seit langem eine „Bringe-Kultur“, auf Grund der vor-gehaltenen „Komm-Struktur“, ohne adäquate Werbemaßnahmen ausgestattet, könnten Servicestellen auf Dauer die ihnen zugedachte Funktion und beabsichtige Wirkung verfehlen.64 Es gilt, den Bekanntheitsgrad der Servicestellen durch geeignete PR-Maß-nahmen zu erhöhen und als Ansprechpartner für Betriebe zu öffnen. Die Nähe der Ser-vicestellen als Kooperationspartner von Kammern und Innungen herzustellen, um hier-über einen verstärkten Unternehmenszugang zu erhalten, wäre daher angeraten.

7.3.2 Der Betriebsarzt als Netzwerkpartner

Betriebsärzte verfügen im Allgemeinen über gute Kenntnisse des Unternehmens, die Arbeitsabläufe und spezifischen Arbeitsanforderung an die dort tätigen Menschen. Dies umso besser, wenn sie nur eine geringe Anzahl von Unternehmen zu betreuen haben.

Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung, aber auch die Wünsche und Anregun-gen im Rahmen des Expertenworkshop haben gezeigt, dass

• Probleme der betriebsärztlichen Versorgung und Versorgungsintensität,

• Imageprobleme und mit der Rolle der Betriebsärzte zusammenhängende sowie

• Akzeptanzprobleme von Betriebsärzten gegenüber niedergelassenen Ärzten

bestehen, aus deren Existenz sich Handlungsbedarfe hin zu einer Abschwächung oder gar Auflösung dieser Probleme ableiten lassen.

Betriebsärzte haben auf Grund ihrer besonderen Rolle einerseits für die gesundheitli-chen Belange der Belegschaft zuständig zu sein, aber ihre Möglichkeiten, in Gesund-heitsfragen und der Durchführung von gesundheitsfördernden Maßnahmen regulierend und steuernd tätig zu werden, hängen letztlich vom Wohlwollen der Unternehmenslei-tung ab. Zur Steigerung der Durchsetzungsfähigkeit angeraten wären gesetzliche

64 vgl. BMGS-Projekt „Jupp Schmitz lässt nach! – Aufbau einer Präventions- und Rehabitationsberatung für kleine und mittlere Unternehmen“, MundA GmbH.

gaben, nach denen Betriebsärzte ein verstärktes Mitspracherecht erhielten. Es ist zu konstatieren, dass aber auch unterhalb des Wunsches nach einer unternehmenspoli-tisch gestaltenden Mitwirkungsmöglichkeit von Betriebsärzten ihr Bekanntheitsgrad bei den einzelnen Beschäftigten oftmals noch zu Wünschen übrig lässt. Je höher der Be-kanntheitsgrad und das Engagement der Betriebsärzte für die Belegschaft, mit dem ein Klima des Vertrauens verbreitet werden kann, desto stärker, so ist anzunehmen, ist auch die Akzeptanz der Beschäftigten und desto eher lassen sich die Beschäftigten für Maßnahmen zur Gesundheitsförderung, die sowohl Lebens- als auch Arbeitswelt mit einbeziehen, erfolgreich durchführen.

Als verbesserungsbedürftig sind die Zeiten der Präsenz von Betriebsärzten, insbeson-dere der in arbeitsmedizinischen Zentren tätigen zu nennen, die häufig eine Vielzahl von Betrieben zu betreuen haben und durch die oftmals jahrelange Abwesenheit im einzelnen Betrieb, kaum in der Lage sind, Frühwarnzeichen für Handlungsbedarfe zu erkennen. Selbst sehr engagierte Betriebsärzte aus Arbeitsmedizinischen Zentren be-richten über die auf Grund beschränkter personeller Ressourcen und der limitierten Verweildauer im einzelnen Betrieb über starke Einschränkungen dessen, was sie dort bewirken können. Innovative Konzepte stoßen nicht immer auf Gegenliebe bei der Be-triebsleitung. Für intensive Überzeugungsarbeit gegenüber der Unternehmensführung und, nachfolgend, die wirksame Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen bleibt jedoch in der Regel keine Zeit. Auch die Einflussnahme im Hinblick auf die fähigkeitsgerechte Platzierung von behinderten und von Behinderung bedrohten Beschäftigten am Arbeits-platz und die Anwendung von Verfahren zur Messung von Anforderungen und Fähig-keiten (IMBA, MELBA), kann in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit bei einer Vielzahl betreuter Betriebe durch externe Betriebsärzte nur selten geleistet werden.

Eine Möglichkeit zur besseren Erfüllung des gesetzlichen Auftrages von Betriebsärzten wäre hier, mehr externe Betriebsärzte mit dem Ziel einer Erhöhung der Verweildauer, vor allem in Kleinst- und Kleinbetrieben, für ihre Aufgaben auszubilden bzw. über ein ggf. zu modifizierendes Finanzierungsmodell zur Verfügung zu stellen. Vorstellbar wäre ein durch die Sozialversicherungsträger fondfinanziertes Modell, aus dem zusätzliche betriebsärztliche Einsatzzeiten zur Realisierung von Konzepten zur Früherkennung ei-nes individuellen Handlungsbedarfs finanziert werden.

Als schwierig gestaltet sich derzeit noch die Partnerschaft von Betriebsärzten mit ihren niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen (Haus- und Fachärzten). Werden die vor-liegenden Untersuchungsergebnisse betrachtet, dann ist sowohl in der quantitativen Analyse als auch im Rahmen der durchgeführten Interviews ein Imageproblem auszu-machen. Soll die Rolle der Betriebsärzte in einem vernetzten System partnerschaftlicher als bislang ausgefüllt werden, so muss ihre Position als Partner der niedergelassenen

Ärzte mehr Gewicht erlangen und eine Aufwertung erfahren. Niedergelassene Ärzte können durchaus von Betriebsärzten lernen. Eine verstärkte und engagierte Vermittlung von arbeitsmedizinischen und arbeitswissenschaftlichen Grundlagen und Fragestellun-gen im Rahmen von FortbildungsveranstaltunFragestellun-gen kann durchaus dazu beitraFragestellun-gen, über ein „Voneinanderlernen“ ggf. vorhandene Vorurteile abzubauen, im Respekt vor dem Tun des anderen die gegenseitige Akzeptanz zu erhöhen und zukünftig enger und part-nerschaftlicher miteinander zu kooperieren. Zur Beseitigung des vorhandenen Image-problems der Betriebsärzte sind sowohl die verschiedenen Standesorganisationen in der deutschen Ärzteschaft in die Pflicht zu nehmen als auch die Verbände der Betriebs-ärzte, die über eine verstärkte Aufklärungsarbeit das Klima gegenüber den niedergelas-senen Ärzten ebenfalls verbessern helfen können.

Ein erwünschter, enger und gut funktionierender Kontakt und die dauerhafte Pflege von konstruktiven Netzwerkbeziehungen zwischen Betriebs- und niedergelassenen Ärzten ist nur mit zeitlichem und auch personellem Aufwand zu betreiben wobei die Frage ei-ner Finanzierung dieses Einsatzes zu thematisieren ist. Eine Vergütungsregelung für die Netzwerkarbeit wäre zu entwickeln oder in den Kontext der bereits bestehenden Honorierung für betriebsärztliche Leistungen zu integrieren. Auch müssten Kriterien er-arbeitet werden, nach denen eine Vergütung der Aufwendungen und Leistungen im Sinne einer Kooperation und Netzwerkpartnerschaft erbracht werden und die Doku-mentation derartiger Leistungserbringung geregelt wird.