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6.3 Ergebnisse aus den qualitativen Interviews

6.3.4 Arbeitnehmerperspektive

6.3.4.1 Einstellung der Arbeitnehmer zu vernetzungsrelevanten primärpräventiven Bemühungen

„Man soll sich nichts wünschen, was eh´ nicht kommt.“

Viele Arbeitnehmer erleben ihren beruflichen Alltag als teilweise erheblich belastend.

Dabei werden nicht nur körperliche Einschränkungen sondern auch teilweise trauma-tisch erlebte Berufsbiographien angeführt.

Vor allem wurde auf den oftmals als gering erlebten Handlungsspielraum am Arbeits-platz samt den dazu gehörenden Belastungen hingewiesen. Auch wurde durchweg an-gegeben, dass an den Arbeitsplätzen Gesundheitsbelange wenig oder kaum bei der Gestaltung der Arbeitsprozesse und Arbeitsplätze berücksichtigt wurden. Die von betrieblicher Seite eher gering ausgeprägte Gesundheitskultur und die niedrig ausge-prägte Problemvermeidung wurden v. a. für den Bereich der Kleinbetriebe erwähnt.

Der oftmals nur verhaltene Wunsch von Arbeitnehmern nach einem frühzeitigen Auf-greifen von Krankheiten kann vor dem Hintergrund interpretiert werden, dass Arbeit-nehmern der Zweck von Maßnahmen und Fragen zum weiteren Vorgehen unklar sind und diese mangelnde Transparenz zur Angst vor Nachteilen und sozialen Folgen durch Krankheit beiträgt.

Diese Ängste lassen sich anhand des GKV-Monitors 2003 (WidO-Newsletter59) auch in Daten ausdrücken. Die auf Seiten der Arbeitnehmer teilweise erhebliche Angst um den Arbeitsplatz führt dazu, dass man Krankmeldungen zurückhält, mit Nachteilen rechnet, wenn man sich häufig krank meldet und trotz Krankheitsgefühl zur Arbeit geht.

In den Interviews kam dies so zum Ausdruck: Man soll sich „als Arbeitnehmer mit seiner Krankheit eher zurückhalten (...), sonst ist man raus.“ „Mitarbeiter wurden meist schnell wieder gesund gemacht, aber es wird nicht auf Probleme geachtet“.

Auf die Frage, ob den Befürchtungen nach einer krankheitsbedingten Kündigung sei-tens der Arbeitgeber irrationale Ängste zugrunde liegen würden, wurde von betriebs-ärztlicher Seite geantwortet: „Ob irrational zeigt sich erst hinterher, diese Ängste sind

59 www.wido.de

teilweise oft nicht unbegründet. Arbeitnehmer wollen teilweise oft nicht auffällig werden, Krankheit ist negativ (...) und die haben dann Ärger usw.“

Zum Anliegen der Vernetzung befragt wurde von Arbeitnehmern angegeben:

„Gesundheit und Arbeit ist eine sensible Grenze. Gesundheit ist Sache des Einzelnen und da ist es schwierig, zu intervenieren.“

„Arbeitnehmer empfinden Krankheit oder Beschwerden oft als persönlichen Mangel und halten sich damit hinter dem Berg.“

„Mit Krankheit nicht hausieren gehen. Versuchen, es selbst auf die Reihe zu kriegen.“

Zu Betriebsärzten gab es nach Auskunft der Arbeitnehmer (auch bei arbeitsbedingten Belastungen) infolge der Unkenntnisse der Angebote und Leistungen der Betriebsärzte keine oder kaum Kontakte, weder im Vorfeld einer Erkrankung noch bei der Krankheits-bearbeitung. V. a. wurde moniert, dass „Betriebsärzte nicht von sich aus auf Arbeitneh-mer zukommen, ArbeitnehArbeitneh-mer würden das gerne in Anspruch nehmen.“ „Betriebsärzte interessieren sich vor allem für banale Sachen – wenn es ans Eingemachte ging, dann war Schweigen im Walde.“

Auch wurden an die Arbeitnehmer herangetragene Aufforderungen, die Sachlage durch einen Betriebsarzt begutachten zu lassen, als impliziter Auftrag des Arbeitgebers an den Betriebsarzt verstanden, Anträge oder ärztliche Atteste eines Arbeitnehmers auf deren Arbeitsplatzrelevanz hin zu überprüfen. Insofern sind die in Untersuchungen ge-machten Erfahrungen nachvollziehbar, nach denen sich nur ein geringer Prozentsatz von Arbeitnehmern an Betriebsärzte wendet, sofern diese vorhanden sind. Der Großteil wendet sich insbesondere bei psychosozialen Problemstellungen an Betriebsräte oder direkte Vorgesetzte (Marstedt et al., 1993).

Erste und oftmals auch die einzigen Ansprechpartner der Arbeitnehmer für gesundheit-liche Belange sind die Hausärzte. „Habe keinen Bock auf irgendeinen Arzt, gehe zu meinen niedergelassenen Arzt“, ist eine so oder ähnlich immer wieder formulierte Ein-stellung, die, bedenkt man, dass viele Arbeitnehmer Krankheiten im Kontext mit am Ar-beitsplatz wahrgenommen Belastungen sehen, nicht unbedingt nachvollziehbar ist (vgl.

Brucks et al., 2002, S. 54 und Marstedt et al., 1993). Gleichzeitig allerdings monieren die Arbeitnehmer auch die erwähnten Informationsdefizite der Hausärzte hinsichtlich arbeitsplatzrelevanter Fragen.

Hinsichtlich der Kontaktaufnahme zu den Arbeitgebern werden von den professionellen Akteuren Hilfen bei der Argumentation erwartet. Es bedürfte hier, so aus Sicht der Ar-beitnehmer, angemessener Informationen an die Arbeitgeber in Fragen der Krankheit

und Behinderung, behinderungsgerechter Arbeitsplatzgestaltung und -organisation so-wie einer Unterstützung bei der Organisation der Hilfsmittelversorgung. Vor allem aber wurde auf Seiten der Arbeitnehmer Handlungsbedarf in Richtung sozialer Kompetenzen und Skills im Umgang mit Behinderung und dem Aufbau informeller Hilfs- und sozialer Unterstützungsnetzwerke benannt.

„Eine Zusammenarbeit zu niedergelassenen Ärzten und Betriebsärzten“, so die Arbeit-nehmer „muss man im Einzelfall entscheiden“, wobei die Bekanntheit und das Ver-trauen in die Betriebsärzte eine wesentliche Rolle spielen.

Ziel einer Vernetzung soll es nach ihren Wünschen u. a. sein, die Arbeitnehmer in De-tailfragen zu informieren. Aus Sicht der Arbeitnehmer ist dabei auch wichtig, sie nicht mit professionellen Angeboten zu überfrachten.

Schlussfolgernd kann zur Perspektive der Arbeitnehmer zu Belangen der Gesundheit und Arbeit gesagt werden:

Gesundheit wird primär als Sache des Einzelnen angesehen, zwischen Gesundheit und Arbeit besteht eine sensible Grenze. Daraus resultieren Ängste von Arbeitnehmern, sich als gesundheitlich eingeschränkt zu erkennen zu geben. Dies hat unmittelbar damit zu tun, dass es unklar ist, welche Auswirkungen ein drohenden Behinderungen und welchen Zweck professionelle (betriebsärztliche) Maßnahmen haben und wie das wei-tere therapeutische Vorgehen erfolgt. Maßnahmen zur Früherkennung werden von Ar-beitnehmern deshalb eher verhalten gewünscht. Allerdings besteht eine grundsätzliche Bereitschaft zu primärpräventiven Bemühungen. Hier allerdings bedarf es gezielter In-formation, Klarheit in der Definition von Zielen und einer Einbindung der Arbeitnehmer als Experten ihrer jeweiligen Erkrankungen.

6.3.4.2 Datenschutz hinsichtlich vernetzungsrelevanter Aktivitäten

In den Interviews mit Beschäftigten wurden auch Datenschutzfragen, die ärztliche Schweigepflicht und Fragen zur Datensicherheit gestellt (vgl. dazu auch Unfallkasse Baden-Württemberg, 2002).

Das vom Bundesverfassungsgericht festgelegte Recht auf „informationelle Selbstbe-stimmung“ und der „Erlaubnisvorbehalt“ wurde von den meisten Interviewpartnern als wichtig erachtet.

Von den Interviewpartnern wurde die Dokumentation der Behandlung durch den Arzt und die Weitergabe von Daten als Grundlage einer Vernetzung als wichtig eingeschätzt.

Insofern wollten die meisten Arbeitnehmer den automatischen Übermittlungsvorgang

von Daten als die für sie selbstverständlichste und günstigste Variante für eine Ver-netzung. Ohnehin, so meinten die meisten Arbeitnehmer „sei mit dem Arztbesuch eine pauschale Genehmigung für die Weitergabe von Daten verbunden“.

Gegenüber Betriebsärzten bestand auf den ersten Blick, so in den Interviews, von Sei-ten der Arbeitnehmer dennoch ein gewisser Informationsvorbehalt. „Betriebsärzten haftet der Makel der Handlanger der Arbeitgeber an“. Hier scheint wegen der Nähe der Betriebsärzte zum Arbeitgeber das Datenschutzproblem evidenter als bei niedergelas-senen Ärzten zu sein. Insbesondere wird befürchtet, dass Informationen „informell“

weitergegeben werden. „Der Betriebsarzt sitzt zwischen den Stühlen zwischen Arbeit-geber und Arbeitnehmer – da weiß man dann nicht immer, was weitergegeben wird.“

Dies betrifft z. B. Ängste der Arbeitnehmer, wenn Betriebsärzte sich ankündigende Ein-schränkungen ihrer Leistungsfähigkeit beim Arbeitnehmer diagnostizieren und diese

„dann wegen der Krankheit wegrationalisiert werden.“ Konkret haben Arbeitnehmer Zweifel, ob „Betriebsärzte auf ihrer Seite stehen“, wobei von Seiten der Betriebsärzte dem entgegengehalten wird, dass „die Bedenken irrational sind, da der Betriebsarzt ei-ner Schweigepflicht unterliegt.

„Allerdings wird schon durch eine häufige Konsultation eines Betriebsarztes Spielraum frei für Interpretationen, wonach ein Arbeitnehmer gesundheitlich eingeschränkt sei.“

Daher: „Irrationale Ängste von Arbeitnehmern - das zeigt sich erst hinterher“. Jedenfalls wollen „Arbeitnehmer teilweise nicht auffällig werden, Krankheit ist negativ (...) und die haben dann Ärger.“

Aber auch diese Bedenken im Blick behaltend äußern Arbeitnehmer, „vorausgesetzt der Betriebsarzt weist ein gewisses Aktivitätsniveau auf“ v. a. auch bei psychischen Prob-lemen nur gute Erfahrungen gemacht zu haben. Möglicherweise sehen viele Arbeit-nehmer bei psychischen Auffälligkeiten gute Mitwirkungsmöglichkeiten der Betriebs-ärzte oder meinen, ihren diesen Störungen oft zugrunde liegenden eingeschränkten Handlungsspielraum mit Hilfe der Betriebsärzte ausweiten zu können.