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3.4 Physische Folgen von Traumata

3.4.2 Physische Folgen von Trauma

Eine der grundlegenden Studien, die sich mit den Auswirkungen von negativen Kindheitserfahrungen auf die Gesundheit des Menschen auseinandersetzt, ist die Adverse Childhood Experiences (ACE) Studie von Felitti und Kolleg*innen (1998). Die Forscher*innen erstellten eigens für ihre Studie den ACE Fragebogen, der belastende Kindheitserfahrungen in sieben Kategorien erfasst (Felitti et al., 1998). Die Analyse der Daten konnte zeigen, dass negative Kindheitserfahrungen starke Auswirkungen auf die spätere psychische und physische Gesundheit der Menschen haben. Die Autor*innen schließen unter anderem auf einen starken dosisabhängigen Effekt negativer Kindheitserfahrungen und deren Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen beispielsweise in Bezug auf das Selbstmordrisiko oder allgemeine Gesundheitsrisiken wie Adipositas (Felitti et al., 1998).

Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2017 untersucht die Auswirkungen multipler ACEs (Hughes et al., 2017). Traumatische Erfahrungen zogen ein erhöhtes Risiko für gesundheitliche Probleme nach sich wie Erkrankungen der Atemwege, Rauchen, Diabetes und Erkrankungen des Herzens. Ein großes Problem sehen die Forscher*innen darin, dass viele der Folgen von Kindheitstraumata im Erwachsenenalter Krankheiten und Muster hervorrufen, die dazu führen könnten, dass die Kinder von Eltern mit ACEs selbst durch ihre Eltern traumatisiert werden könnten (Hughes et al., 2017).

Eine Kohortenstudie von Dube und Kolleg*innen (2003) zeigte unter anderem, dass Proband*innen mit vier oder mehr ACEs eine dreifach höhere Wahrscheinlichkeit hatten, eine sexuell übertragbare Krankheit zu bekommen. (OR = 2,6 – 3,4) (Dube et al., 2003).

Menschen, die mindestens vier ACEs erlebten, waren außerdem häufiger zumindest zeitweise Raucher (OR = 2,1 – 3,1) und berichteten deutlich öfter von Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit (OR = 5,1 – 10,9) (Dube et al., 2003).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Traumata einen gravierenden Einfluss auf die körperliche Gesundheit des Menschen haben. Sie führen zu zahlreichen Folgeerkrankungen und gefährden so maßgeblich deren Gesundheit.

29 3.5 Soziale Folgen von Traumata

Neben diversen körperlichen und psychischen Folgen von Traumata, gibt es aber noch weitere soziale Folgen von Traumata für Menschen. Diese sollen hier beschrieben werden.

Eine weitere Studie, die sich mit den Folgen von Kindheitstraumata auseinandersetzt, ist die Forschung von Fox und Kolleg*innen aus dem Jahr 2015. Die Wissenschaftler*innen sammelten Daten von straffällig gewordenen Jugendlichen in den Jahren 2007 bis 2012 (Fox et al., 2015). Die Stichprobe wurde über die staatliche Behörde Floridas für Jugendstrafsachen rekrutiert und umfasste insgesamt 22575 Proband*innen. Weiter wurde sie in zwei Gruppen unterteilt: Gruppe eins umfasste 10714 Jugendliche, die als sehr gewaltbereite Wiederholungstäter*innen eingestuft wurden (SVC = severe, violent and chronic offenders).

Die zweite Gruppe bildeten jene 11861 jungen Männer und Frauen, die Einzelstraftaten begingen und dabei keine Gewalt anwendeten (O&D = one and done) (Fox et al., 2015). Um traumatische Kindheitserfahrungen zu messen, verwendeten die Forscher*innen den ACE Fragebogen. Um das Rückfallrisiko einschätzen zu können, wurden zusätzlich Daten von Interviews ausgewertet, die die Straftäter*innen mit ihren Bewährungshelfer*innen führten (Fox et al., 2015). In den Interviews wurde außerdem darauf geachtet, die Historie der Jugendlichen genau zu erfassen, um ein besseres Verständnis der Daten des ACE zu erlangen (Fox et al., 2015). Die Forscher*innen unterschieden insgesamt neun unterschiedliche Traumata: Emotionaler Missbrauch, physische Misshandlung, sexueller Missbrauch, emotionale Vernachlässigung, physische Vernachlässigung, Zeuge*in von häuslicher Gewalt, Drogenmissbrauch im Haushalt, psychische Krankheit im Haushalt und Inhaftierung eines Mitglieds des Haushalts. Jedes Trauma konnte entweder vorliegen (1 = ja) oder nicht vorhanden sein (0 = nein). Aus der Summe der Traumata wurde ein Gesamtscore von maximal 9 errechnet (Fox et al., 2015).

Die erste Analyse der Daten zeigte, dass 91% der SVC männlich waren. Bei den Einzelstraftätern betrug der Anteil der Männer 78% (Fox et al., 2015). SVC Täter waren zu 23% weiß und gehörten dementsprechend zu 77% einer ethnischen Minderheit an. In der Gruppe der O&D waren 43% weiß und 57% einer Minderheit zugehörig (Fox et al., 2015).

Weitere Ergebnisse der Studie waren, dass SVC Jugendliche grundsätzlich aus ärmeren Haushalten stammen als O&D Täter*innen. Zudem neigten sie stärker dazu, antisoziales Verhalten zu idealisieren. Fast doppelt so häufig wurden SVC Täter*innen als hoch impulsiv eingestuft (64% SVC; 29% O&D) (Fox et al., 2015).

Die genaue Betrachtung der Häufigkeiten der einzelnen Traumasubkategorien zeigt interessante Unterschiede. Die Gruppe der schweren Wiederholungstäter*innen hatte in allen

30 Subkategorien signifikant mehr Traumaexposition als die der Einzeltäter*innen (Fox et al., 2015). Für SVC waren hierbei die häufigsten Kindheitstraumata Inhaftierung eines Haushaltsmitglieds (80%), emotionaler Missbrauch (40%), häusliche Gewalt (40%), physischer Missbrauch (34%) und Drogenmissbrauch im Haushalt (30%). Für die Gruppe der O&D Täter*innen waren die häufigsten Traumaarten Inhaftierung eines Haushaltsmitglieds (50%), häusliche Gewalt (22%) und emotionaler Missbrauch (21%). Für die restlichen Subkategorien gaben weniger als 20% der Proband*innen an, diese erlebt zu haben (Fox et al., 2015). Die Korrelation der Subkategorien zeigte, dass einige Traumata nicht isoliert auftreten und signifikante Zusammenhänge bestehen. Der stärkste Zusammenhang konnte zwischen physischem Missbrauch und häuslicher Gewalt (r = .53) identifiziert werden (Fox et al., 2015). Weitere mittlere Effektstärken wurden bei häuslicher Gewalt und physischer Vernachlässigung (r = .35), physischem Missbrauch und physischer Vernachlässigung (r = .33) sowie sexuellem Missbrauch und physischer Vernachlässigung (r = .32) errechnet (Fox et al., 2015). Vergleicht man beide Gruppen weiter, so stellt sich heraus, dass SVC Jugendliche im Schnitt doppelt so viele Kindheitstraumata erlitten haben wie O&D Täter*innen. Dieser Unterschied verstärkt sich, je mehr Traumata vorliegen. Ein Score von vier oder mehr Kindheitstraumata war in der Gruppe der SVC mehr als doppelt so häufig (33% SVC vs. 14%

O&D). Dieser Effekt verstärkt sich weiter ab einem Score von sechs oder mehr Traumata.

Hierbei hatte die Gruppe der SVC mehr als drei Mal so viele Fälle als die Gruppe O&D (10%

SVC vs. 3% O&D) (Fox et al., 2015). 90% der SVC Täter*innen hatte mindestens ein Kindheitstrauma, wobei diese Zahl bei O&D Jugendlichen bei 70% lag (Fox et al., 2015). In einer weiteren Analyse der Daten untersuchten die Forscher*innen, in welchem Maß der Trauma Score in der Lage war, die Zugehörigkeit zur Gruppe der schweren Wiederholungstäter*innen vorherzusagen und dabei die Variablen Geschlecht, Ethnie, Alter bei erster Straftat, Impulsivität, Einfluss der Gleichaltrigen und Familieneinkommen kontrollierten. Sie fanden heraus, dass die Wahrscheinlichkeit ein*e SVC Täter*in zu werden, mit der Zahl der Traumata anstieg (Fox et al., 2015). Sie errechneten, dass jedes weitere Trauma die Wahrscheinlichkeit, ein*e SVC Täter*in zu sein, um 35% erhöht (Fox et al., 2015). Bei einem Score von vier Traumata stieg die Wahrscheinlichkeit um 140%, bei einem Score von sechs Kindheitstraumata um über 200% (Fox et al., 2015).

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4 Schwere und Zeitpunkt des Traumas

Wie oben ausgeführt, erhöhen traumatische Erfahrungen das Risiko für negative soziale Folgen wie Arbeitslosigkeit und Straffälligkeit sowie für körperliche und psychische Erkrankungen. Wie wahrscheinlich solche Folgen nach dem Erleben von Traumata sind, ist Gegenstand langjähriger Forschung. Sowohl Erklärungsmodelle, die eine dosisabhängige Auftretenswahrscheinlichkeit negativer Folgeerscheinungen postulieren (je schwerer die Traumatisierung, desto schwerer die Folgen), als auch Modelle, die nach dem Zeitpunkt des Auftretens der Traumatisierung fragen, werden diskutiert (Schalinski et al., 2016).

4.1 Schwere des Traumas

Es erscheint zunächst intuitiv nachvollziehbar, dass die Schwere des Traumas eine fundamentale Bedeutung für dessen Auswirkungen hat. Dieser Gedanke spiegelt sich auch in der Praxis einer Unterscheidung zwischen Typ I und Typ II Traumata wider (Maercker &

Michael, 2009) (vgl. 3.1).

Dennoch ist der aktuelle Forschungsstand komplex. Arbeiten, die sich explizit mit diesem Thema befassen, kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen (für eine erste Übersicht siehe z.B. (Marriott et al., 2014)): Zunächst finden sich sogar vereinzelt Studien, die nahelegen, dass mit einem höheren Schweregrad auch eine höhere Resilienz einhergehen könnte (Briggs

& Hawkins, 1996; Marriott et al., 2014). In einer Studie mit Männern, die in ihrer Kindheit oder Jugend Opfer von sexuellem Missbrauch waren, konnten Briggs und Hawkins (1996) zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, selbst Täter zu werden, sank, je höher die Frequenz der Missbrauchserfahrungen der Menschen war. Dies interpretierten die Forscher*innen als resilientes Verhalten (Briggs & Hawkins, 1996). Man kann hierbei dahingehend Kritik äußern, dass diese Reduktion auf den Aspekt der Straffälligkeit nicht ausreicht, um wirklich valide Rückschlüsse auf Resilienz zu ziehen. Andere Studien konnten hingegen keinen Zusammenhang zwischen der Schwere des Traumas und den Folgeerkrankungen finden (Dufour & Nadeau, 2001; Lambie et al., 2002; Marriott et al., 2014). Die Mehrheit der Studien fand jedoch eine deutliche Verbindung zwischen der Belastungsschwere und den Folgeerkrankungen (Marriott et al., 2014).

In einer Studie aus dem Jahr 2010 untersuchten Schäfer et al. den Grad dissoziativer Symptomatik in Abhängigkeit von Substanzmissbrauch und Kindheitstraumata. Dazu untersuchten sie 459 Proband*innen, die alle an einer Alkohol- oder Drogensucht litten. Die Studienteilnehmer*innen füllten in der Folge Fragebögen aus, die dissoziative Symptomatik, PTBS und Kindheitstraumata erfassten. Als allgemeinen Risikofaktor identifizierten die

32 Forscher*innen das Vorliegen einer Drogenabhängigkeit gegenüber einer reinen Alkoholsucht. Jedoch fanden sie in einem weiteren Schritt heraus, dass der Einfluss der Substanzabhängigkeit auf die dissoziative Störung gänzlich verschwand, wenn die Schwere der Kindheitstraumata in die Berechnung miteinbezogen wurde (Schäfer et al., 2010). In einer späteren Studie zum Zusammenhang zwischen dissoziativer Symptomatik und Kindheitstraumata bei Patienten mit Schizophrenien konnte erneut gezeigt werden, dass der Grad der Dissoziativen Störung vom Ausmaß der Kindheitstraumata abhing (Schäfer et al., 2012). Die Auswirkungen des Schweregrades von sexuellem Missbrauch untersuchten Glover et al (2010). Die Forschergruppe wies nach, dass die Schwere des Missbrauchs direkt die Symptomstärke von posttraumatischem Stress beeinflusst (Glover et al., 2010).

Untersuchungen von Perroud et al (2008) zum genetischen Einfluss auf suizidale Handlungen zeigten ebenfalls, dass die Belastungsschwere der Kindheitstraumata eine entscheidende Rolle bei der späteren Anwendung von Gewalt sowie bei der Häufigkeit und dem ersten Auftreten suizidaler Handlungen spielte (Perroud et al., 2008). Eine weitere Studie, die die Auswirkung der Belastungsschwere auf die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass vor allem die Anzahl und somit die Schwere der traumatischen Ereignisse die beste Vorhersage für das spätere Auftreten einer PTBS liefern konnte (Wilker et al., 2015). Die Studie von Neuner und Kolleg*innen (2004) zur Dosisabhängigkeit von Traumata und PTBS Symptomatik konnte einen klaren Zusammenhang zwischen den beiden Variablen herstellen. Sie zeigten, dass mit zunehmender Traumaschwere die Symptomatik der PTBS deutlich zunahm (Neuner et al., 2004). Ertl et al (2014) untersuchten eine Stichprobe ehemaliger Kindersoldat*innen und fanden heraus, dass ein dosisabhängiger Effekt zwischen dem Ausmaß der Kindheitstraumata und der Symptomatik von Depressionen und PTBS besteht. Es konnte gezeigt werden, dass mit zunehmender Intensität des Traumas die Schwere der Störungsbilder anstieg (Ertl et al., 2014).

Auch Pietrek et al. (2013) konnten eine dosisabhängige Wirkung von Kindheitstraumata nachweisen. Die Stärke des Traumas hatte hier einen direkten Einfluss auf die Symptome von Depressionen, Borderline Persönlichkeitsstörungen und Schizophrenien (Pietrek et al., 2013).

Eine Studie mit chronisch depressiver Menschen, konnte zeigen, dass Kindheitstraumata ein unabhängiges Merkmal für Depressionen im Erwachsenenalter darstellten (Wiersma et al., 2009). Teicher et al (2006) untersuchten die Auswirkungen von verbaler Gewalt durch die Eltern, häuslicher Gewalt, körperlicher Misshandlung und sexuellem Missbrauch auf die Entwicklung psychiatrischer Symptome. Dazu untersuchten die Wissenschaftler*innen 554

33 Proband*innen im Alter zwischen 18 und 22 Jahren und konnten zeigen, dass jede Form von negativen Kindheitserfahrungen für sich genommen einen Einfluss auf verschiedene Störungsbilder hatte. Die größten Auswirkungen konnten sie jedoch bei der Kombination mehrerer Formen widriger Umstände ausmachen. Dabei überstieg die Effektstärke die reine Summe der Einzeleffekte (Teicher et al., 2006). Zum Beispiel zog die Kombination aus häuslicher Gewalt und verbalem Missbrauch durch die Eltern größere negative Konsequenzen nach sich, als sexueller Missbrauch in der Familie für sich allein genommen (Teicher et al., 2006).

Betrachtet man die Gesamtheit der geschilderten Studien, so wird deutlich, dass Kindheitstraumata und deren Stärke einen maßgeblichen Einfluss auf das Auftreten und die Schwere diverser Störungsbilder haben. Nun stellt sich die Frage, ob neben der Belastungsschwere auch der Zeitpunkt des Traumas eine Rolle spielt.

4.2 Zeitpunkt des Traumas

Es scheint naheliegend, dass neben der Belastungsschwere auch der Zeitpunkt eines Traumaereignisses eine wichtige Rolle spielt. Beispielsweise konnte in einer Studie gezeigt werden, dass traumatische Ereignisse im Alter von 13 und 14 Jahren signifikant dissoziative Symptomatik vorhersagten (Schalinski & Teicher, 2015). Zudem konnte in einer neueren Studie gezeigt werden, dass Vernachlässigung im Alter von zehn Jahren deutlich die positiv Symptomatik einer Psychose vorhersagt (Schalinski et al., 2019). Schalinski (2016) spricht von Erklärungsmodellen, die nach dem Zeitpunkt der Traumatisierung fragen. Die Datenlage erscheint hierzu insgesamt deutlich heterogener zu sein.

Schalinski und Kolleg*innen untersuchten, welchen Einfluss die Art und der Zeitpunkt eines Kindheitstraumas auf die Schwere der Ausprägung einer PTBS, Depression und dissoziativen Störung hat (Schalinski et al., 2016). Sie untersuchten in ihrer Studie 129 stationäre Patient*innen einer psychiatrischen Einrichtung in Deutschland. Zur Erhebung der Daten wurde die MACE Skala von Teicher und Parigger verwendet (Teicher & Parigger, 2015). Fast 42% der Proband*innen waren weiblich und die gesamte Stichprobe wies ein Durchschnittsalter von 26 Jahren auf (Schalinski et al., 2016). Die meisten Proband*innen nahmen zum Zeitpunkt der Studie Medikamente ein: 28 Antidepressiva, 60 typische und atypische Neuroleptika, 22 eine Kombination aus beiden Medikamenten und 19 ohne jegliche Medikation (Schalinski et al., 2016). Die Forscher*innen führten Interviews und verwendeten Fragebögen, um einen genauen Einblick in die Schwere der Erkrankung und Kindheitsbelastungen zu erlangen. Kindheitstraumata wurden detailliert mit dem KERF Fragebogen erhoben (Schalinski et al., 2016). Die große Mehrheit der Proband*innen (90%)

34 erlebte mindestens ein belastendes Kindheitsereignis. Im Schnitt ergaben sich drei verschiedene Traumaarten (Schalinski et al., 2016). Unabhängig vom Zeitpunkt des Traumas waren die häufigsten Kindheitstraumata physische Misshandlung durch Gleichaltrige (53%), emotionaler Missbrauch durch Gleichaltrige (46%) und verbaler elterlicher Missbrauch (44%). Der häufigste Zeitpunkt eines Traumas war das Alter von 13 Jahren (Schalinski et al., 2016). Bei einer Gesamtzahl von vier oder mehr Traumata zeigten sich deutlich stärkere PTBS Symptome im Vergleich zu einer geringeren Zahl.

Der Gesamtscore der Kindheitstraumata korrelierte signifikant positiv mit allen Symptomkategorien der PTBS (r = .58), Dissoziation (r = .39) und Depression (r = .39) (Schalinski et al., 2016). Ebenfalls mit einer höheren Symptombelastung ging ein längerer Zeitraum der Traumaexposition einher. Deutliche Zusammenhänge zwischen der Symptombelastung und den Traumasubskalen ergaben sich zwischen sexuellem Missbrauch und PTBS (r = .51) sowie zwischen emotionaler Vernachlässigung mit Dissoziationen (r = .37) und Depression (r = .32) (Schalinski et al., 2016). Die Berechnung der Zeitpunkte, in denen ein Trauma stattgefunden hat, erbrachte einige sensible Perioden. Physische Vernachlässigung im Alter von fünf Jahren sagte deutlich PTBS Symptome vorher. Des Weiteren führte emotionale Vernachlässigung im Alter von sechs, 14 und 16 Jahren sowie sexueller Missbrauch mit zwölf Jahren und nicht – verbaler emotionaler Missbrauch mit 14 Jahren zu einer deutlich erhöhten PTBS-Ausprägung. Somit kristallisieren sich die Altersstufen 5 – 6 und 12 – 16 als sensible Phasen mit einem erhöhten Risiko einer PTBS heraus. Dennoch merken die Autor*innen an, dass die Gesamtzahl der Traumata eine bessere Vorhersagekraft für eine PTBS besitzt als physische Vernachlässigung mit fünf Jahren (Schalinski et al., 2016). Auch für Dissoziationen konnten sensible Phasen errechnet werden.

Emotionale Vernachlässigung mit 4 bis 6, 8 und 13 Jahren sagte Dissoziationen voraus. Nicht – verbaler emotionaler Missbrauch im Alter von 14 Jahren und sexueller Missbrauch mit 12 Jahren trugen zur Verschlimmerung der Dissoziationen bei (Schalinski et al., 2016). Es zeigte sich, dass emotionale Vernachlässigung in den Altersstufen 3 bis 6 sowie 12 bis 14 besonders starke Konsequenzen nach sich zieht. Außerdem ergab die Berechnung, dass die Vorhersagekraft der emotionalen Vernachlässigung im Alter von 4 bis 5 in Bezug auf Dissoziationen besser war, als die der einzelnen KERF Subskalen (Schalinski et al., 2016).

Insgesamt konnten durch die Variablen emotionale Vernachlässigung mit vier, physische Vernachlässigung mit fünf, sexueller Missbrauch mit zwölf und nicht – verbaler emotionaler Missbrauch durch die Eltern mit 14 fast 27% der Varianz der Dissoziationssymptomatik erklärt werden (Schalinski et al., 2016). Auch für die Depression zeigten sich

35 zeitpunktspezifische Ergebnisse. Hier hatte eine emotionale Vernachlässigung mit 8 bis 9 eine hohe Vorhersagekraft. Dieses Ergebnis deckt sich mit Vorgängerstudien, die herausfanden, dass belastende Kindheitserfahrungen bis zum 13. Lebensjahr starke Auswirkungen auf die depressive Symptomatik haben (Agid et al., 1999; Dunn et al., 2013; Maercker et al., 2004).

Als die wichtigsten Anzeichen einer stärkeren Depression konnten die Forscher*innen das Vorliegen einer F2-Diagnose, die Dauer der Traumaexposition als Kind, emotionale Vernachlässigung mit neun, nicht – verbaler emotionaler Missbrauch durch die Eltern mit 14 und sexueller Missbrauch mit zwölf identifizieren (Schalinski et al., 2016). Dies deckt sich mit einer Vorgängerstudie, die einen emotionalen Missbrauch durch die Eltern mit 14 Jahren als besonders schwerwiegend identifizieren konnte (Khan et al., 2015).

Die Autor*innen schlussfolgern, dass allgemein die Folgen eines Kindheitstraumas größer sind, je früher der Zeitpunkt der Traumatisierung war und je länger sie andauerte. Jedoch sind sie der Meinung, dass es eindeutige sensible Phasen gibt, die traumaspezifisch größere Auswirkungen haben (Schalinski et al., 2016).

Andersen et al. (2008) untersuchten in einer MRT Studie 26 Frauen, die in ihrer Kindheit Opfer von sexuellem Missbrauch waren und verglichen diese mit 17 Frauen ohne Traumaerfahrung. Dabei waren die Gehirnstrukturen Hippocampus, Amygdala, Frontalcortex und Corpus Callosum sowie die Maßeinheit Graue Masse von Interesse (Andersen et al., 2008). Es zeigte sich, dass der Hippocampus bei einem sexuellen Missbrauch im Alter von drei bis fünf Jahren und von elf bis 13 Jahren ein vermindertes Volumen aufwies. Das Corpus Callosum wiederum hatte bei neun bis zehn Jährigen ein geringeres Volumen. Die Ausprägung des Frontalcortex war bei einem sexuellen Missbrauch zwischen 14 und 16 Jahren verringert (Andersen et al., 2008). Die Autor*innen schlussfolgerten, dass einzelne Gehirnregionen spezielle vulnerable Phasen gegenüber Traumata aufweisen (Andersen et al., 2008). In einer weiteren Studie konnte gezeigt werden, dass traumatische Ereignisse im Alter von zehn bis elf Jahren besonders starke Auswirkungen auf das Volumen und die Sensitivität der Amygdala hatten (Pechtel et al., 2014). Probandinnen dieser Gruppe zeigten eine gesteigerte Amygdala-Aktivität. Die Autor*innen stellten fest, dass die Amygdala in ihrer Entwicklung eine vulnerable Phase im Alter von zehn bis elf Jahren aufweist (Pechtel et al., 2014). In einer prospektiven Langzeitstudie untersuchten Kaplow und Widom (2007) 496 Kinder, die vor dem 13. Lebensjahr misshandelt wurden. Dabei unterschieden die Forscher*innen drei Versuchsgruppen. Die erste bestand aus Proband*innen, die fortlaufend Misshandlungen erlebten. Die zweite Gruppe bestand aus Kindern, die im Alter von null bis zu fünf Jahren misshandelt wurden. Als letzte Versuchsgruppe bestimmten die

36 Wissenschaftler*innen Kinder, die zwischen sechs und zwölf Jahren Misshandlungen erlitten (Kaplow & Widom, 2007). Sie fanden heraus, dass ein früher Beginn der Misshandlungen mit Angststörungen und Depressionen zusammenhing. Ein späterer Beginn dagegen stand in Verbindung mit allgemeinen Verhaltensauffälligkeiten, antisozialer Persönlichkeitsstörung und Alkoholabhängigkeit (Kaplow & Widom, 2007). In einer Querschnittsstudie von Rieder und Elbert (2013) wurden 188 Eltern - Kind - Paare befragt. Die Forscher*innen fanden heraus, dass Traumata in der Kindheit eher zu depressiver Symptomatik im Erwachsenenalter führen. Traumatische Ereignisse in der Adoleszenz hingegen hatten häufig eine PTBS als Folge (Rieder & Elbert, 2013).

Zu den Auswirkungen von Kindheitstraumata beschrieben Maercker et al (2004) in einer Studie, dass der Zeitpunkt des Kindheitstraumas einen erheblichen Einfluss auf dessen Folgen hatte. Die Forscher*innen untersuchten 1966 Frauen im Alter von 18 bis 24 Jahren, die ein Kindheitstrauma durchlebt hatten (Maercker et al., 2004). Das Durchschnittsalter der Stichprobe lag bei 21,8 Jahren. In strukturierten Interviews wurden die Art und der Zeitpunkt des Traumas und die psychopathologische Symptomatik erfasst (Maercker et al., 2004). Die Forscher*innen unterteilten daraufhin die Stichprobe nach dem Zeitpunkt des Traumas in Mädchen bis zwölf Jahre und Jugendliche ab 13 Jahren. Die Auswertung der Daten ergab, dass sich die beiden Altersgruppen in Bezug auf die Entwicklung einer PTBS nicht unterschieden. Jedoch waren Depressionen signifikant häufiger, wenn das traumatische Ereignis im Kindesalter (bis zwölf Jahre) stattfand.

Moran und Eckenrode (1992) untersuchten die Auswirkungen von Kindheitstraumata anhand einer Stichprobe aus weiblichen jungen Erwachsenen, die in ihrer Kindheit misshandelt wurden. Dabei interessierte die Forscher*innen, ob die Persönlichkeitsmerkmale Selbstbewusstsein und Kontrollüberzeugung einen Einfluss auf die depressive Symptomatik hatten (Moran & Eckenrode, 1992). Sie stellten dabei einerseits fest, dass die Depression stärker wurde, wenn die genannten Charaktereigenschaften gering ausgeprägt waren.

Andererseits zeigte sich, dass der Zeitpunkt des Ereignisses einen Einfluss auf die Persönlichkeitsmerkmale und die depressive Symptomatik hatte. Erlebten Frauen das Trauma vor ihrem zwölften Lebensjahr, ging dies mit einem geringeren Selbstbewusstsein, externaler Kontrollüberzeugung für Gutes und stärker ausgeprägter depressiver Symptomatik einher (Moran & Eckenrode, 1992).

Die hier geschilderten Studien verdeutlichen, dass die Folgen von Kindheitstraumata stark vom Zeitpunkt ihres Auftretens und der Schwere abhängig sein können. Es stellt sich die

37 Frage, welche Rolle die Resilienz beim Zusammenspiel von traumatischen Ereignissen und

37 Frage, welche Rolle die Resilienz beim Zusammenspiel von traumatischen Ereignissen und