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II. EMPIRISCHER TEIL

7 Methodisches Vorgehen der Erhebung

7.1 Das Erhebungsinstrument

Der Fragebogen setzt sich aus eigens für die Befragung entwickelten Fragen sowie bereits in anderen sozialwissenschaftlichen Studien bewährten Fragen zusammen. Insbesondere die Erhebung des sozialen Netzwerks der Bewoh-ner inBewoh-nerhalb wie außerhalb des Wohnprojekts stützt sich auf einschlägige Instrumente der sozialen Netzwerkanalyse, die im nächsten Abschnitt näher dargelegt werden. Fragebögen über Wohnprojekte waren nicht verfügbar, da zu dieser Thematik bislang lediglich qualitative Interviews erfolgt waren.

Weiterentwickelt und diskutiert wurde der Fragebogen mit einer Expertin aus dem professionellen Kontext gemeinschaftlicher Wohnprojekte.

7.1.1 Erhebung der sozialen Netzwerke

Zur Erforschung sozialer Integration in Wohnprojekten müssen die Bezie-hungsstrukturen der Dimensionen Freundschaft und soziale Unterstützung in jeder Wohngruppe erfragt werden. Diese Datenerhebung erfolgt demnach innerhalb eines Gesamtnetzwerks. Um die Sozialbeziehungen in Wohnpro-jekten im Kontext des gesamten persönlichen Umfeldes der Befragten bewer-ten zu können, werden auch wichtige soziale Kontakte erfragt, die der Be-wohner außerhalb des Wohnprojektes pflegt. Daher wurden an dieser Stelle egozentrierte Netzwerke der Bewohner erhoben.33

Grundlegende Bestandteile bei der Erfassung sozialer Netzwerke sind Namensgeneratoren und -interpretatoren. Namensgeneratoren fragen nach den Namen der Alteri des Befragten. Namensinterpretatoren fragen den Ak-teur nach den Eigenschaften dieser Alteri oder der ermittelten Beziehung (Burt 1984: 296f.). Bei Namensgeneratoren unterscheidet Pfenning (1995:

46ff.) zwischen interpersonalen Generatoren und Globalgeneratoren, wobei letztere keine konkreten Namen, sondern lediglich Interaktionskontexte erhe-ben und somit für diese Arbeit, die an der Analyse konkreter Sozialbeziehun-gen interessiert ist, keine Relevanz haben. Die Erfassung einzelner Dyaden erfolgt stattdessen über interpersonale kontext- oder stimulusbezogene Na-mensgeneratoren. Die Erhebung von Sozialkontakten über Kontexte bedeu-tet, dass Ego jeweils nach seinen Beziehungen in Familie, Nachbarschaft oder Freundeskreis gefragt wird. Bei stimulusbezogenen Namensgeneratoren werden Kontaktpersonen über die Nennung bestimmter Interaktionen gene-riert, wie etwa das später vorgestellte Instrument von Fischer. In Gesamt-netzwerken fällt der Erhebungsaufwand für Namensinterpretatoren insofern geringer aus, da Charakteristika der Kontaktpersonen von diesen selbst er-fragt werden und so lediglich Merkmale der ermittelten Beziehung (z.B.

Intensität) von beiden beteiligten Akteuren erhoben werden müssen.

Für jeden Namensgenerator muss entschieden werden, ob die Anzahl der Kontaktpersonen, die der Befragte nennen kann, begrenzt wird oder nicht. Es hat sich gezeigt, dass eine offene Abfrage ohne Obergrenze (‚free choice design‘) zu zuverlässigeren Resultaten führt als ein ‚fixed choice design‘

(Kossinets 2006: 252f.; Prell 2012: 78; Wasserman/Faust 1994: 59): „So 33 Dargelegt werden lediglich quantitative Erhebungsverfahren der sozialen Netzwerkanalyse,

die in dieser Arbeit verwendet werden. Nicht berücksichtigt werden die in den letzten Jahren an Bedeutung gewinnenden Methoden der qualitativen Netzwerkanalyse (vgl. hierzu vor al-lem den Sammelband von Hollstein/Straus 2006).

kann es durchaus sein, dass viele Personen gar keine drei oder acht engen Freunde haben, aber durch die Befragungsanweisung dazu gedrängt werden, so viele Freunde zu nennen“ (Jansen 2006: 78).

Für die Erfassung von Dyaden gibt es zwei Möglichkeiten. Sie können innerhalb des Sozialsystems unabhängig voneinander erfragt werden, indem der Befragte die Charakteristika der Beziehung jeweils für jede Kontaktper-son beschreibt. Eine andere Option ist die Frage nach einem Ranking der Kontaktpersonen, etwa bezüglich der Beziehungsintensität (Prell 2012: 75ff.;

Wasserman/Faust 1994: 48). Dies ist jedoch deutlich anspruchsvoller für die Befragten – auch mit Blick auf die teils hohe Gruppenstärke der Wohnpro-jekte von mehr als 60 Bewohnern –, weshalb Rankings für diese Arbeit nicht in Betracht gezogen wurden.

Des Weiteren kann bei der Erhebung von Gesamtnetzwerken den Befrag-ten eine vollständige Akteursliste vorgelegt oder die Alteri frei abgefragt werden (Jansen 2006: 76f.; Prell 2012: 69ff.). In dieser Arbeit liegt den Be-fragten bei der Erhebung eine Liste aller Gruppenmitglieder vor. Dies ist notwendig, damit jeder Bewohner auch tatsächlich Angaben zu jedem ande-ren Bewohner macht. Überdies kann besonders in den großen Wohnprojekten nicht davon ausgegangen werden, dass die Bewohner zum Zeitpunkt der Befragung alle Mitbewohner präsent haben.

Für die konkrete Erhebung bestand die Wahl zwischen diversen Erhe-bungsinstrumenten (Pfenning 1995: 42ff.). Von diesen werden bis heute besonders die von Burt und Fischer und am Rande von Wellman in der einen oder anderen adaptierten Form verwendet (z.B. Alterssurvey; Familiensur-vey; Hollstein 2002; ISSP 2001; Kecskes/Wolf 1996: 37ff.; Petermann 2002;

Schenk 1995). Wellman (1979: 1209) erhob die persönlichen Netzwerke der Befragten über die Frage nach den Personen, die Ego emotional am nächsten stehen. Eine ähnliche Frage findet sich im Instrument von Fischer (1982:

315ff.) bzw. McCallister und Fischer (1978: 137). In der 1985 im General Social Survey eingesetzten Version von Burt (1984: 331) lautet sie: „From time to time, most people discuss important personal matters with other peo-ple. Looking back over the last six months [...] who are the people with whom you discussed an important personal matter?“. Das Instrument von Fischer ist umfassender und beinhaltet acht Namensgeneratoren, die die fol-genden drei Dimensionen abbilden: Geselligkeit (gemeinsame Aktivitäten wie z.B. Ausgehen, über Hobbies reden), praktische Hilfe (bei Abwesenheit nach dem Rechten sehen, Hilfe im Haushalt, Geld leihen) und Kommunikati-on (Arbeitsangelegenheiten besprechen, persönliche Dinge besprechen, Rat bei wichtigen Entscheidungen).

Bei allen drei Erhebungsinstrumenten kamen diverse Interpretatoren zum Einsatz, wie Geschlecht, Alter und Religion der Alteri sowie weitergehende

Informationen zur Beziehung, etwa Dauer, Kontakthäufigkeit, Wohnentfer-nung, emotionale Nähe oder besprochene Themen.

Zur Bewertung der Datenqualität der Netzwerkinstrumente zeigt sich, dass über die Instrumente von Burt und Wellman relativ kleine, homogene soziale Netzwerke generiert werden, die einen hohen Anteil starker Bezie-hungen zu engen Familienangehörigen und engen Freunden beinhalten (Wolf 2006: 248). Bemängelt wird eine nicht ausreichende Variation sozialer Kon-texte und Interaktionen (Pfenning 1995: 172). Dagegen werden mit dem Fischer-Instrument größere, heterogenere und weniger dichte Netzwerke mit anteilig weniger Verwandtenbeziehungen und mehr schwachen Beziehungen erhoben (Campbell/Lee 1991: 210f.; Diaz-Bone 1997: 84f.; Pfenning/Pfen-ning 1987: 67). Nach Barrera et al. (1985: 11) zeigen bei verschiedenen Unterstützungsformen jene mit zunehmender Konkretheit die höchste Validi-tät, d.h. eher materielle und körperliche Hilfeleistungen als Formen emotio-naler Unterstützung. Studien zu Freundschaftswahlen ergaben weniger valide Resultate unter der Annahme einer reziproken Freundschaft (Marsden 1990:

448). Es zeigte sich ebenso, dass Angaben von Individuen zufrieden stellen-der sind, wenn nach starken Beziehungen sowie häufigen Interaktionen und weniger nach einzelnen unbedeutenden Interaktionen in kurzen Zeiträumen gefragt wird (Diaz-Bone 1997: 70ff., Marsden 1990: 446f.; Prell 2012: 77).

Pfenning (1995: 182f.) urteilt: „Das mehrstufige Fischer-Instrument besitzt im Vergleich mit dem uniplexen Burt-Instrument die bessere methodische Güte. Der Burt-Namensgenerator erweist sich nicht als eigenständiges Erhe-bungsverfahren, sondern als äquivalente Messung der latenten Interaktions-dimension ‚Vertrauen‘, die auf emotionaler Nähe […] beruht“.

Neben der Prüfung der methodischen Güte der Namensgeneratoren wur-den auch die diversen Namensinterpretatoren einem Methowur-dencheck unter-zogen. Die Qualität der Angaben des Befragten zu Merkmalen seiner Alteri hat in dieser Arbeit keine Bedeutung, da jene Daten von den Egos selbst erhoben werden. Von Interesse sind folglich Interpretatoren zu relationalen Merkmalen wie Bekanntheitsdauer, Kontaktfrequenz oder emotionale Nähe.

Deren Datenqualität wurde von mehreren Quellen als gut beurteilt (Hammer 1984; Marsden 1990: 452; Pfenning 1995: 180, Wolf 2006: 261), so dass sie in dieser Arbeit verwendet werden können.

Zur Erhebung der sozialen Unterstützung in den Wohngruppen wurden Generatoren eingesetzt, die auf das Fischer-Instrument zurückgehen, ange-passt auf die speziellen Gegebenheiten in Wohnprojekten. Bei den abgefrag-ten zehn Hilfeleistungen handelt es sich primär um praktische, alltägliche Hilfeleistungen. Neben instrumentellen Unterstützungsleistungen (z.B. klei-nere Gefälligkeiten, sachliche Beratung, Hilfe im Haushalt, bei Kinderbe-treuung oder Pflege) werden auch Aspekte emotionaler Unterstützung erfragt

(persönlicher Rat bei wichtigen Entscheidungen, Trost spenden). Erfasst werden folglich in diesem Zusammenhang die Dimensionen ‚praktische Hil-fe‘ und ‚Kommunikation‘ von Fischer. Bei den Hilfeleistungen wurde sowohl die vom Akteur geleistete als auch die erhaltene Hilfe erfragt.

Zur Analyse von Freundschaften wurde einerseits nach engen Freunden in der Gruppe gefragt und andererseits zu jedem anderen Bewohner34 die Stärke der Beziehung gemessen (s. auch Kap. 5.1). Bei allen Dimensionen wurde keine Unter- oder Obergrenze bezüglich der Anzahl zu nennender Interaktionspartner vorgegeben (‚free choice design‘). Im Anschluss an das Konzept starker Beziehungen werden die Bewohner gefragt, wie eng sie sich mit den Mitbewohnern verbunden fühlen auf einer endpunktbenannten Skala von 1 ‚überhaupt nicht eng‘ bis 7 ‚sehr eng‘. Diese Operationalisierung der Beziehungsstärke wurde in ähnlicher Form in anderen Studien verwendet (Alterssurvey; Schenk 1995; SOEP), wobei bislang nur 5er-Skalen zum Ein-satz kamen. Aufgrund von Erkenntnissen aus dem Pretest wird nun eine 7er-Skala eingesetzt (Kap. 7.1.2). Die unterschiedlichen Formulierungen „Meine Beziehung zu dieser Person ist …“ im SOEP und „Wie eng fühlen Sie sich mit …heute verbunden?“ im Alterssurvey führen nach Szydlik (2000: 105) zu vergleichbaren, validen Resultaten. In beiden Surveys wurde die emotio-nale Nähe ordinalskaliert abgefragt (‚sehr eng‘, ‚eng‘, ‚mittel‘, ‚weniger eng‘,

‚überhaupt nicht eng‘). Lediglich Schenk (1995: 269) verwendete eine end-punktbenannte Skala, die den Vorteil intervallskalierter Daten aufweist (Porst 2008: 92). Diese Operationalisierung über die emotionale Nähe zwischen den Interagierenden hat im Gegensatz zu einer Operationalisierung über den Begriff Freund/in den Vorteil, dass eine derart erhobene Beziehung bereits auf die Funktionen verweist, die sie für die Akteure haben kann im Sinne des mobilisierbaren sozialen Kapitals (Kap. 5.1). Zudem ist ein Kernkriterium der Freundschaft die Stärke der Beziehung, weshalb eine derartige Operatio-nalisierung für eine Freundschaft als legitime, gute Lösung angesehen wird.

Zur Abbildung der Beziehungen außerhalb der Wohnprojekte wird der kontextbezogene Ansatz angewendet. Als relevante Kontexte gelten Lebens-partner und Kinder außerhalb des Haushalts, Eltern, Geschwister und enge Freunde. Folglich liegt der Fokus auf den wichtigsten, emotional nahe ste-henden Bezugspersonen der Befragten. Zu den externen Kontakten der Be-wohner wurden jeweils Wohndistanz, Kontakthäufigkeit und emotionale Nähe sowie teils Geschlecht und Alter der Alteri erfragt.

34 Der eigene (Ehe)Partner sollte nicht bewertet werden, um Verzerrungen zu vermeiden. So wird angenommen, dass Bewohner, die ihren Partner zusammen mit den anderen Bewoh-nern bewertet hätten, andere Urteile zu den übrigen BewohBewoh-nern abgegeben hätten als wenn sie ihren Partner unberücksichtigt lassen, auch im Vergleich zu alleinlebenden Bewohnern.

7.1.2 Pretest

Der Pretest wurde in einem Mehrgenerationenprojekt durchgeführt. Diesem Wohnprojekttyp wurde für den Pretest der Vorzug gegeben, da der Schwer-punkt der Erhebung auf Mehrgenerationenprojekten liegt. Zudem konnten auf diese Weise sowohl junge Eltern als auch alleinstehende Bewohner über 70 Jahre mit ihren spezifischen Wahrnehmungen und etwaigen Schwierigkei-ten beim Umgang mit dem Fragebogen befragt werden. Aus dem kontaktier-ten Projekt konnkontaktier-ten vier erwachsene Bewohner für die Teilnahme am Pretest gewonnen werden.

Gegenüber dem eher passiven Verfahren des klassischen Pretests, bei dem der Befragte nicht über die Testsituation informiert ist und Rückschlüsse zum Verständnis nur aus den Antworten und eventuellen Reaktionen der Befragten gezogen werden können, waren die Teilnehmer über die Testsitua-tion informiert (‚participating pretest‘) (Porst 1998: 36f.). Dieses Pretest-verfahren, was sich am ehesten den häufig empfohlenen kognitiven Techni-ken zurechnen lässt (Mohler/Porst 1996: 11ff.; Prüfer/Rexroth 2000, 2005), ließ Aussagen über die folgenden Aspekte zu: Verständlichkeit von Fragen, Begriffen und Filterführung, Vollständigkeit und Angemessenheit von Ant-wortkategorien, Vermissen von ‚weiß nicht‘-Kategorien, Abwehrhaltung gegenüber einzelnen Fragen, Handhabung der Liste mit den Codes der Grup-penmitglieder und Zeitaufwand für den Fragebogen. Die detaillierten, kon-struktiven Anregungen der Teilnehmer des Pretests trugen erheblich zur Optimierung des Fragebogens bei.

Der Fragebogen umfasst letzlich drei Themenblöcke mit 71 Fragen:

1. Fragen zum Leben im Wohnprojekt, 2. Fragen zur Lebenssituation und den persönlichen Beziehungen, 3. Allgemeine Fragen zur Person35