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Zur Darstellung der Funktion der Kopula

So sehr in den letzten Jahren auch das Interesse auf Bedeutung und Funktion des Perfekts ge- lenkt wurde - s. die nicht unbeträchtliche Zahl von Spezialmonographien für die verschie- densten Sprachen zu diesem Thema - , so wenig wurde in den Darstellungen die Struktur des als Perfekt bezeichneten Konstrukts, das mich in dieser Arbeit interessiert, einer tiefgründigen Analyse unterzogen. Das Gesagte ist vor allem auf die Kopula zu beziehen,115 während man sich hinsichtlich der Funktion des Partizips im wesentlichen einig zu sein scheint.

Der am weitesten verbreitete Standpunkt geht von einer temporalen Funktion der Kopula aus, die laut Kerschbaumer die Zustandsaussage ״zeitlich verankert“ (1993: 36) bzw. nach Meinung von Trummerden ״ Zustand in die Gegenwart verlegt“ ( 1971: 54). Auch Jagić (1900:

57, 60) vertrat die Meinung, daß mit Hilfe der Kopula das Vorliegen bzw. die Existenz des durch das Partizip ausgedrückten Zustandes bis in die Gegenwart hinein zum Ausdruck kommt:

״ ...hebt [...] den damit ausgedrückten Zustand als eine dem Subject im gegebenen Zeitpunkte zukommende Eigenschaft1 6 hervor“.

Aus heutiger Sicht wird das Bestehen eines mit dem Perfekt wiedergegebenen Sachverhalts, der obligatorisch mit einem konkreten Resultat oder einer Zustandsveränderung des Subjekts im Redemoment gleichzusetzen ist, immer häufiger in Frage gestellt.

Engel z.B. vertritt die Ansicht, daß das Präsens des Auxiliars keine Konsequenzen hinsicht- lieh der zeitlichen Fixierbarkeit der Handlung nach sich zieht, sondern diese als ״ wirklich“

1 1 5 Als Bestätigung dieses Zustandes kann die Arbeit von Stcttbergcr (1993) dienen, in der fast nur am Rande

auf die Rolle von *sein* bei der Tcmpusbildung cingegangcn wird, obwohl er nicht ausdrücklich zwischen 'Kopula* auf der einen und z.B. 'Auxiliar* auf der anderen Seite unterscheide(.

1 1 6 Diese Idee findet auch bei Bcnveniste Bestätigung, der in der Kopula быть ein Mittel sieht, den .Zustand

des Existierenden, dessen, der selbst etwas ist**, also ein Identitätsverhältnis, sprachlich wiederzugeben (zit.

nach Бенвенист 1974: 215). Bei Zugrundelegung einer solchen Tempusdefinition wird die Grenze zwi- sehen Kopulafunktion im engeren Sinne und Auxiliarfunktion zweifellos aufgehoben.

bzw. für den Sprecher ״ von Belang“ kennzeichnet (19%: 495)117. Auf diese Weise würde der Kopula 11Яeine temporale Funktion ab- und eine mehr oder weniger kommunikative zugespro- chen.

Nachdem die Wirkung der Kopula aufgrund ihrer Explizierung innerhalb der Perfektperi- phrase im Mittelpunkt stand, möchte ich mich den wenigen Meinungsäußerungen zuwenden, die ihrer Auslassung in der /*Periphrase gewidmet sind.

An einem Beispiel aus dem Makedonischen:

(44) Odi kaj tatko mu*, reče Jana, ‘pa kaži mu Sto ti rekol Stavre! [Geh zu meinem Vater, sagte Jana, und sag ihm, was dir Stavre gesagt hatīļ י

versucht u.a. Galton zu verdeutlichen, daß der zeitliche Zusammenhang der entsprechenden Äußerungshandlung keine Rolle spielt (1962: 24), die kllP also ebenso in der Lage ist, zeitli- che Unbestimmtheit zu explizieren.

Folgt man im Vergleich dazu den Aussagen von Grickat zur Semantik des in dieser Arbeit der kllP entsprechenden краЬи перфекат [kurzen Perfekts]:

״To je [значен>е краЬог перфекта), сажето речено, изношеіье радн>е више у н>еном статичном него динамичном аспекту, а затим значен>е скретаіьа или заустаальагьа пажн>е на вршеььу или извршеѣу радн>е са извесним истицан>ем н>еног значен>а, али не и претериталности.“ (Грицкат 1954: 77) [Die Bedeutung des kurzen Perfekts stellt die Handlung mehr in ihrem statischen als dynamischen Aspekt dar, außerdem lenkt die Bedeu- tung den Fokus auf den Vollzug bzw. die Vollendung der Handlung mit einer gewissen Her- vorhebung dieser Nuance und nicht der Nuance der Präteritalität.]

und stellt ihnen die bereits oben zitierte Auslegung der Bedeutung der kelP gegenüber:

״У приповедаіъу пуним перфектима (свршених глагола) занемаруіе се моменат ре- зултативности, радн»а одмиче одмах дал>е, без зауставл»ан»а на достигнутом резул- тату״ .а (a.a.O. 1954: 45) [Bei der Erzählung mit einem vollen Perfekt (von vollendeten Ver- ben) wird der Moment der Resultativität vernachlässigt, die Handlung geht sofort weiter, ohne beim erreichten Resultat zu verharren.],

so gründet sich der Unterschied zwischen beiden Periphrasen in den Merkmaloppositionen:

statisch und dynamisch bzw. Vollzogensein und Prozeß, Vollzug, die durch den Wegfall bzw.

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1 , 7 Eine vergleichbare Feststellung trifft Steube, die in bezug auf das resultative generelle Tempus davon

spricht, daß der Sachverhalt ,.zumindest in der subjektiven Vorstellung des Sprechers - in die Gegenwart hineinragt“ (1980: 182).

1 1 8 Die Übersetzung (griech.: oúv6eo1ç) in der Bedeutung ,das Verknüpfende, Verkettende*, deren Funktion

bereits laut Aristoteles von *sein* (griech.: eipat) ausgeftilk wurde (vgl. Stettberger 1993: 10), macht dar- Über hinaus plausibel, warum in dem Fall nicht notwendigerweise zwischen Kopula und Auxiliar unter*

schieden weiden muß. weil diese Ursprungsbedeutung in beiden Fällen von den entsprechenden Verben realisiert wird.

das Vorhandensein der handlungsvorantreibenden Kopula erzeugt werden.

Bei Giinz (1969: 54) ist eine Bestätigung dieser Sichtweise zu finden, weil er nicht das

״ Temporale“ im Sinne von ,jetzt geltend und verifizierbar - nur erinnert“ als das eigentliche Wesensmerkmal des Perfekts betrachtet, sondern seine Grundinformation darin besteht, daß

״ die Handlung... als (schon) vollzogen gekennzeichnet wird...“ Der Kopula kommt bei der Kennzeichnung dieses Vollzugs die Schlüsselfunktion zu, da das Perfektpartizip ausschließ- lieh für den erreichten Zustand bzw. das Ergebnis als solches steht. Brinkmann (1959: 182) untermauert das Gesagte mit einem Beispielsatz für das deutsche Plusquamperfekt: Ingeborg hatte ihre schmal geschnittenen Augen abgewandt, an dem er mit Hilfe der Substitution von hatte durch hielt nachweist, daß allein die Kopula den Aspekt der Bewegung119 bzw. Verande- rung in die Aussage einbringt, während das Lexem halten die zustandsexplizierende Bedeu- tung des Partizips unterstreicht und bewahrt.

Auch wenn üblicherweise bei einer solchen Palette unterschiedlichster Standpunkte zu ei- nem Thema das Problem der Entscheidung für die eine oder andere Seite ansteht, darf ein der- artiger Schritt nicht übereilt werden. Diese Position ist der Einsicht geschuldet, daß jede der hier vorgebrachten Lösungen als zutreffend unter einem bestimmten Gesichtspunkt - darunter ist entweder eine konkrete Entwicklungsstufe bzw. die Gesamtentwicklung einer Sprache überhaupt zu verstehen - verifiziert werden kann.

Ohne der auf bestimmte Punkte konzentrierten Darstellung der Genese von Perfekt bzw. /- Periphrase vorgreifen zu wollen, sei in bezug auf die Rolle der Kopula schon hier angedeutet, daß diese in Abhängigkeit von der Semantik der in der kelP eingebundenen Verben im oben beschriebenen Sinne variieren bzw. auch bestimmte Vorstellungen künstlich erzeugen kann.

In bezug auf die kllP würde die gewonnene Erkenntnis bedeuten, daß sie sich semantisch durchaus im Wirkungskreis des Perfekts bzw. Plusquamperfekts bewegen kann, in dem die sog. e-Formen bereits voll aufgegangen sind.

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1 1 9 Dieser Aspekt kommt auch bei Stettberger (a.a.O.: 77) zur Sprache, allerdings nicht im Zusammenhang mit

der Tempusbildung durch 'sein*. Welche Abstriche in dieser Hinsicht zu machen sind, wird in Abschnitt 7.3. diskutiert.

1.4. Hypothesen

Die in den vorangegangenen Abschnitten geführte Diskussion über die mit der kllP verbünde- nen Bed./Fkt. und das semantische sowie strukturelle Umfeld skizzieren bereits einen deutli- chen Lösungsansatz, den es im folgenden ausführlich herauszuarbeiten und nachzuweisen gilt.

Das gemeinsame semantische Verbindungsglied, das meiner Ansicht nach in Form der Zustandskonstatierung in einem noch genau zu definierenden Sinne dieses Begriffes vorliegt, ist innerhalb der Tempora angelegt, die im Laufe der Entwicklung des bulgarischen morpho- logischen Systems Formvarianten für das P e r f e k t ([-c&A</־/־PeriphraseA0ry11np.) und damit auch für das P l u s q u a m p e r f e k t (бил /-cb״w/־/-Periphrase логлтр. ) 1 2 0 im Sinne eines ‘plus- quamperfectum status’ (non-dynamic-diagnostic item) bzw. 'plusquamperfectum actionis’

(dynamic-historical item) nach Johanson (2000b: 106) ausgebildet haben, wodurch ein be- stimmtes, in der Sprachgemeinschaft entstandenes kommunikatives Bedürfnis befriedigt

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de. Den Weg dahin kann man sich vereinfacht so vorstellen, daß der Ausdruck der zu unter- suchenden BedVFkt. über die Explizierung eines Zustandes, der das momentane Ergebnis ei- ner in der Vergangenheit eingesetzten Handlung darstellt, realisiert wird. Auf mögliche Moti- ve für eine solche Assoziation wird an anderer Stelle zuriickzukommen sein.

Da die Realisierung dieser Bedeutung zum gegebenen Zeitpunkt bereits mit einem be- stimmten Tempus erfolgte, dessen Grundbedeutung mit anderen morphologischen Merkmalen bzw. Tempora als inkompatibel galt, setzte die sog. Perfekxivierung des gesamten Tempussy- stems ein. Nur auf diese Weise war es möglich, daß die mit den anderen, nichtperfektivischen Tempora zum Ausdruck kommenden Sichtweisen auf das Geschehen bzw. bestimmte Merk- male des Handlungsverlaufs erhalten bleiben konnten. Der Terminus Perfektivierung ist des- halb zunächst hypothetisch zu verwenden, weil es im Hinblick auf die бил-Formen erst einer endgültigen Klärung bedarf, ob eine entsprechende ״ Umformung“ des präsentischen Teils der /־Periphrase in einen perfektivischen einmalig erfolgt ist bzw. laut Andrejčin [Andrejczyn 1938] immer wieder neu erfolgt. Viel wahrscheinlicher ist die Annahme, daß die бил [~сьм]4- Periphrase im Rahmen des geschilderten Perfektivierungsprozesses einen ״einmaligen“

Schöpfungsakt durchlaufen hat und von da ab als ganzheitliches Konstrukt dem Muttersprach- 1er zur Verfügung steht, auf das er nach Bedarf zuriickgreift.

12 0 Die Qualifizierung dieses morphologischen Konstrukts, das ein perfektivisches Perfekt darstellt, als *Plus- quamperfckt* erfolgt auf der Grundlage der inhärenten Merkmale ,Vorzeitigkeit* bzw. ,entfernte Vergan- genheit’.

12 1 Dieses шив keinesfalls im Ausdruck der renarrativischen Bedeutung liegen.

Die Funktion des бил-Partizips dürfte darin liegen, das Geschehen noch ״ tiefer in die Vergan- genheit zurückzuziehen“, sprich Vorzeitigkeit bzw. in bezug auf ausgewählte Zusammenhänge eine entfernte Vergangenheit auszudrücken. Unter Umständen ist das auch der Auslöser für die im Rahmen des Renarrativs mit der бил /-c&w7־/־Periphrase in Verbindung gebrachte di- stanzierte Haltung des Erzählers zum Dictum, vgl. Johanson (2000: 63), die es an späterer Stelle näher zu beleuchten gilt.122

Der im Prinzip fakultativ zu wertende Kopulaausfall, sehr gut nachzuvollziehen am fol- genden Textbeleg:

(45) Учили сме, че Валенщайн е бил предател. (Дори и то не е установено.) ]•״[

Учили сме, че Цицерон бил благороден мъж, а Катилина л о т . (Дори и то не е установено.) (Тухолски / Клио с калема - Übers, aus dem Deut.) [Wir haben gelemt, Wallenstein sei ein Verräter gewesen. (Nicht einmal das steht fest.)

}■״{

Wir haben gelemt, Cicero sei ein braver Mann gewesen und Catilina ein schlech- ter. (Nicht einmal das steht fest.)] (Tucholsky / Klio mit dem Griffel),

und sich in einer sehr häufig vorkommenden Verbindung mit der Bed./Fkt. ‘Renarrativ* wi- derspiegelt, übernimmt innerhalb des beschriebenen Prozesses aller Wahrscheinlichkeit nach die Funktion der Manifestierung des Eindruckes einer Zustandserreichung oder mit den Wor- ten von Sadnik ausgedrückt: die Fingierung (1966: 22) derselben, wie bereits im Laufe der Entwicklung mit den nichtresultativen Verben in bezug auf die Nachwirkung der Handlung geschehen. Es könnte sich faktisch als eine Art gegenläufiger Prozeß zur immer stärker voran- schreitenden Entresultativierung des bulgarischen Perfekts, d.h. als ein Prozeß mit semanti- scher Ausgleichsfunktion, heraussteilen, der die Entwicklung des Perfekts von einem Resul- tativ zur Vergangenheit schlechthin (Litvinov/Nedjalkov 1988: 4) teilweise zurücknimmt.123 Mit geringen Abstrichen gilt das Gesagte auch für das бил-PIusquamperfekt.

Würden sich die oben formulierten Hypothesen in ihrer Gesamtheit bestätigen, hätte das weitreichende Konsequenzen für das bisher postulierte Verbalsystem und seine Darstellung im Bulgarischen - nicht nur, weil damit eine Reformierung des Tempussystems verbunden wäre, sondern auch der Wegfall eines oder mehrerer Modi, die aus der oben beschriebenen Entwicklung hervorgegangen sein sollen.

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12 2 In Kapitel 2 wird gezeigt, daß im Deutschen ein vergleichbarer Mechanismus funktioniert.

12 3 Diese Entwicklung ist auch für das Russische bezeugt (vgl. Соболев 1998: 77).

Die erforderlichen Beweise sind sowohl auf struktur- sowie äußerungsanalytischem Wege aus diachroner bzw. synchroner Sicht als auch auf kontrastivem Wege. d.h. über vergleichbare Erscheinungen in anderen Sprachen, zu erbringen. Über die genaue Art der anzuwendenden Untersuchungsmethoden wird im nächsten Abschnitt informiert.

1.5. Methoden

Bei dem Versuch, die scheinbare Verbindung mehrerer Bedeutungen mit ein und derselben morphologischen Form zu erklären, ist es einerseits notwendig, die historische Entwicklung der Form-Bedeutung-Beziehung einer sprachlichen Entität, in unserem Fall die kllP, zu be- leuchten, vgl. dazu die Begründung von Potebnja:

"Прежде созданное в языке двояко служит основанием новому: частью оно пере־

страивается заново при других условиях и по другому началу, частью ж е изменяет свой вид и значение в целом единственно от присутствия нового.״ (Потебня - zit.

nach Бабайцева 2000: 35) [Das in der Sprache früher Geschaffene dient zweifach der Schaf- fung von Neuem: teilweise wird es unter anderen Bedingungen und Voraussetzungen wieder umgeformt, teilweise verändert es seine Form und die Bedeutung im Ganzen allein aufgrund des Vorhandenseins von etwas Neuem.]

und andererseits Gründe dafür zu suchen, warum unter Umständen eine bestimmte sprachli- che Form zur Wiedergabe verschiedener Konzepte herangezogen wird. Die linguistischen Ursachen für eine solche Entwicklung liegen laut Babajceva zum einen in der noch nicht er- folgten vereinheitlichten Versprachlichung des entsprechenden Konzepts und zum anderen im Bestreben nach effektiver Ausnutzung des vorhandenen sprachlichen Potentials (vgl.

Бабайцева 2000: 180), das sich aus semantischer Sicht in der Fähigkeit der Sprache wider- spiegelt, ״ ...die sich historisch herausgebildeten Wechselbeziehungen zwischen Form und Inhalt für eine genauere und treffendere Wiedergabe der Sprecherintention zu verändern.“

(a.a.O.: 189 - Übers, von mir).

Grundsätzlich führen zwei Untersuchungsetappen zu diesem Ziel. Die erste beruht auf der Strukturanalyse der Grundeinheit von kllP und kelP - des /־Partizips, dessen Zusammenset- zung aus bestimmten morphologischen Markern Hinweise auf seine abstrakte Gesamtbedeu- tung gibt. Dasselbe ist für die anderen Bestandteile der kllP bzw. kelP zu wiederholen und zu einem semantischen Ganzen zusammenzufügen, d.h., die sich im Laufe eines entsprechenden Entwicklungsprozesses herausgebildete Bedeutung einer morphologischen Struktur, vgl. Ba- bajceva:

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"Соответствие формы и содержания характерно для ядерных (типичных) грамма- тических единиц.״ ״ (Бабайцева 2000: 7) [Die Entsprechung von Form und Inhalt ist cha- rakteristisch für typische grammatische Kemeinheiten.],

im konkreten Fall die Bedeutung des in eine /-Periphrase eingebundenen /-Partizips, bringt diese in die Gesamtbedeutung der jeweiligen kommunikativen Einheit ein, an der sie dann mit unterschiedlichem Grad, d.h. spürbar oder nicht, beteiligt ist.

Inwieweit diese konkrete, grammatisch manifestierte Bedeutung eine semantische Domi- nanz in einem Satz bzw. einer Äußerung auszuüben vermag, hängt nicht zuletzt auch von der Rolle der anderen Konstituenten und der Art und Weise der Erzeugung der Gesamtbedeutung ab. Diese Zusammenhänge werden auf der zweiten Etappe einer Analyse unterzogen, d.h., es wird die situative bzw. kontextuelle Einbettung des entsprechenden Konstrukts untersucht.

Innerhalb des semantischen Rahmens der wörtlichen Gesamtbedeutung der einzelnen Kon- stituenten können sich mehrere Anwendungsbereiche bzw. kommunikative Funktionen (Defi- nition s.u.) abzeichnen124, die sich aufgrund ihrer Konstanz im Laufe der Zeit durchaus als stabil erweisen können, vgl. Gak:

"Следует отметить, однако, что при частоте и регулярности явления употребление может перейти в одну из функций языкового факта... (Гак 1998: 182) [Es ist jedoch festzuhalten, daß durch eine gewisse Häufigkeit und Regelmäßigkeit die Verwendung in eine der Funktionen übergehen kann],

d.h., eine ganz bestimmte Funktion (oder auch mehrere) werden automatisch mit einer be- stimmten morphologischen Struktur in Verbindung gebracht und umgekehrt125, vgl.:

"Содержание более подвижно, более изменчиво, нежели форма, фиксирующая момент стабильности, устойчивости, поэтому неизбежен конфликт содержания и формы, который разрешается или полным отказом от старых форм, или исполь- зованием старой формой, приспособляющейся к выражению нового содержа- ния..." (Бабайцева 2000: 7). [Der Inhalt ist beweglicher, eher zu Veränderungen geneigt als die Form, die Stabilität und Festigkeit fixiert, deshalb ist ein Konflikt zwischen Inhalt und Form unausweichlich, der entweder durch den vollständigen Verzicht auf die alten Formen oder durch die Verwendung der alten Form, die sich dem Ausdruck des neuen Inhalts ange- paßt hat, gelöst wird.]

In dem von Gak sowie Babajceva geschilderten Idealfall vom Übergang einer kommunikati- ven Funktion in die Bedeutung per se einer sprachlichen Entität wird die Stufe des

Wechsel-124 An dieser Stelle sei besonders betont, daß die sich herausbildenden Funktionen gewisse Berührungspunkte mit der Ausgangsbedeutung aufweisen müssen. Im Laufe der Entwicklung ist es natürlich möglich, daß die- se dann immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird und verblaßt.

123 Oder mit anderen Worten: die Funktion wird zur wörtlichen Lesart, d.h. zur Bedeutung, der entsprechenden morphologischen Struktur.

seitigen Identifizierungsprozesses erreicht, bei der der Kontext für die Signalisierung der ak- tuellen Bedeutung aus einer Auswahl von mehreren Möglichkeiten überflüssig wird. Meine Aufgabe sehe ich u.a. darin zu prüfen, ob ein solcher Funktionswechsel in bezug auf irgendei•

ne der zur Diskussion stehenden Bedeutungen stattgefunden hat.

,»Funktion*4 einer prädikativ verwendeten morphologischen Form ist dabei im Sinne der funktional-strukturellen Betrachtungsweise als Mittel bzw. Verwendungszweck zu verstehen, um eine bestimmte Bedeutung auf der Äußerungsebene zu realisieren, und nicht als Bedeu- tung der Form selbst. Von einer kommunikativen Funktion ist dann auszugehen, wenn die be- treffende Form wesentliche Aspekte ihrer Bedeutung in die Satz- bzw. Äußerungsbedeutung einbringt.

Dient dagegen allein der situative Kontext zur Identifizierung einer Äußerungsbedeutung, die mit der wörtlichen, d.h. grammatischen, Bedeutung in keinem unmittelbaren Zusammen- hang steht - also der andere Extremfall - , hat man es mit einer pragmatischen Verwendung bzw. Funktion126 zu tun.

Spätestens an diesem Punkt muß man sich vergegenwärtigen, daß die Grenzen zwischen den einzelnen Bedeutungs- bzw. Funktionsbereichen nicht immer klare Konturen bilden und es durchaus zum Einschub von Übergangsbereichen bzw. Grenzfallen bei der Interpretation kommen kann.

Eindeutig distanzieren möchte ich dabei von einer Auffassung, wie sie Koschmieder ver- tritt, der die Äußerungsbedeutung in jedem Fall der Funktion des Verbs gleichsetzt, vgl.:

״Dadurch drücken wir zunächst mal etwas anderes aus als wir meinen, dann aber [.״ ] geben wir der im Leerlauf eingesetzten grammatischen Kategorie eine Funktion (im Sinne von ,Be- deutung’ - Anm. von mir), die sie als Gmndfunktion gar nicht hat.“ (1945: 10)

aber nicht zu erklären vermag, wie diese Bedeutungsübertragung praktisch verläuft. Auf kei-nen Fall kann es zu einer Bedeutungsübertragung kommen, wo es keine semantischen Berüh-rungspunkte gibt, und ist auch bei deren Vorhandensein zwischen kommunikativer Funktion

É

und Bedeutung per se in der Mehrzahl der Fälle sehr gut zu unterscheiden.

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12 6 Als *pragmatisch’ betrachte ich in Anlehnung an Bierwisch (1979: 70), die Faktoren, die in Verbindung mit der wörtlichen Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks die Äußeningsbedeutung bilden, aber über die Ge- setzmäßigkeiten der Grammatik hinausreichen, vgl. auch die Ausführungen von Helbig/Helbig in demselben Sammelband bzw. Brandt et al. (1992) und Fries (1995).

12 7 Ein Prozeß wie dieser wird immer durch einen Qualitätssprung ausgelöst, d.h., entweder ist eine Entität bereits mit einer bestimmten Bedeutung zu verbinden oder nicht Für die Beurteilung ist immer die Meinung der Mehrzahl von Sprachträgem entscheidend, um okkasionelle Bildungen prinzipiell aus der Betrachtung auszuschließen.

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Vor diesem Hintergrund ist durch Eliminierung bestimmter Indikatoren für eine spezielle Be- deutung, die zunächst auf der Äußerungsebene zur Geltung kommt, zu ermitteln, ob bzw. - wenn ja - welche der zur Diskussion stehenden Bedeutungen allein durch die kllP wiederge- geben wird. Es wird also neben der Form-Bedeutung-Beziehung der kllP ihre kom m unikative Einbettung a u f der Äußerungsebene, d.h. in einen konkreten Sprechakt, ins Blickfeld ge- rückt und damit das Ziel verfolgt, einen Zusammenhang zwischen dem konkreten Baustein einer Äußerung und der Äußerung selbst, d.h. konkret einen Zusammenhang zwischen kllP und Zustandskonstatierung, Renarrativ, Konklusiv, Admirativ, Optativ sowie Imperzeptiv im Bulgarischen herzustellen, um entsprechende Rückschlüsse auf die Bedeutung(en) bzw.

Funktion(en) der kllP selbst zu ziehen. Bestärkt in diesem Vorhaben werde ich durch die be- reits 1978 geäußerten Worte von Steube, die ihre Gültigkeit bis heute nicht verloren haben:

״ Damit soll auch eine Lücke in den modernen Kategoriengrammatiken geschlossen werden, die sich weitgehend auf die Funktion der Einzelausdrücke in der semantischen Struktur des Satzes beschränken, ihre Bedeutung aber entweder als gegeben voraussetzen oder nur sehr unvollständig definieren.״ “ (S. 2)

Die bereits in groben Zügen dargestellte Entwicklung entsprechender Kategorien des bulgari- sehen Verbalsystems, die in vielerlei Hinsicht anders verlaufen ist als die anderer slavischer Sprachen oder Mitglieder des sog. Balkansprachbundes, bewirkte in der einschlägigen Litera- tur natürlich eine Konzentration der Aufmerksamkeit auf die betreffende Sprache selbst. Un- abhängig davon, ob man die Herausbildung des sog. Renarrativs dem Bulgarischen oder Tür- kischen zuschreiben möchte, wird diese Erscheinung in der Bulgaristik bisher vor allem auf diese Sprache bzw. Sprachen beschränkt betrachtet. Dabei hat sich die Erforschung und Dar- Stellung der renarrativischen Bed./Fkt. der kllP verselbständigt und den Blick auf andere prä- dikative Verwendungsweisen dieses Konstrukts verstellt.

Um den Nachweis führen zu können, daß der Renarrativ nur eine Bed./Fkt. - wenn auch die zahlenmäßig überwiegende - der kllP darstellt, ist ein entsprechendes Korpus von Kontex- ten, die diese morphologische Form enthalten, anzulegen.

Als Quelle sind bulgarische Prosatexte bestens geeignet, weil sie in der Sprachgemein- schaft allgemein vorkommende kommunikative Situationen unterschiedlichster Art wiederge- ben. Dabei spielt es eine untergeordnete Rolle, daß diese Situationen durch das Prisma des Individualstils und Sprachgebrauches des jeweiligen Autors gebrochen werden, weil in ihnen dennoch zahlreiche allgemeine Hinweise auf den Gebrauch der kllP enthalten sind und die mit dem Korpus repräsentierte Menge in der Lage ist, voneinander abweichende, okkasionelle

Verwendungsweisen zu neutralisieren.

Sehr aufschlußreich in bezug auf bestimmte extrakommunikative Begleitumstände, die zur Verwendung der kllP führen, sind darüber hinaus Texte aus dem dramatischen Genre, bei de-

Sehr aufschlußreich in bezug auf bestimmte extrakommunikative Begleitumstände, die zur Verwendung der kllP führen, sind darüber hinaus Texte aus dem dramatischen Genre, bei de-