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2   Elektrische Schnittstellen im Zentralnervensystem

2.2   Biokompatibilität

2.2.1   Gewebeverträglichkeit von elektrischen Schnittstellen

2.2.1.9   Chronische Implantation

Typische entzündliche Zellen oder Blutungen fanden sich in histologischen Untersuchungen zu späteren Zeitpunkten nicht mehr[52]. Lediglich einige Makrophagen konnten noch 16 Wochen nach Implantation um die Stichkanäle diagnostiziert werden[60, 62, 87, 93]

.

Wurden in tierexperimentellen Studien penetrierende Elektrodenträger kurzzeitig inseriert und sogleich explantiert, konnten nach mehreren Monaten nicht einmal mehr Stichkanäle nachgewiesen werden, was als ein Beleg für die Reversibilität dieser mechanisch induzierten Schädigungen betrachtet wird[45, 52, 58, 82, 93, 94]. Folglich sollte die anhaltende Präsenz von neuroelektrischen Schnittstellen im ZNS eine erweiterte Gewebsreaktion nach sich ziehen.

2.2.1.9 Chronische Implantation

Die Gewebsreaktion auf chronisch implantierte Materialien im ZNS würde weniger ein Problem darstellen, wenn sich die oben beschriebenen, initialen zellulären Prozesse nach einigen Wochen – analog bei erlittenen Stichwunden – rückläufig darstellen würden. Histologisch ist jedoch festzustellen, dass nach Abklingen dieser ersten Reaktion auf implantierte Elektrodenträger eine chronische Fremdkörperreaktion, auch als “foreign body reaction” bezeichnet, zu beobachten ist.

Es gibt unterschiedliche Zellpopulationen, die an der chronischen Gewebsreaktion im ZNS beteiligt sind. Neben den Neuronen, die weniger als 25 % der Zellen im Gehirn ausmachen[95], besteht das ZNS vornehmlich aus Gliazellen (Oligodendrozyten, Astrozyten und Mikroglia) und gefäßassoziiertem Gewebe.

Kapitel 2 Elektrische Schnittstellen im Zentralnervensystem

22 Gliose führen, bei stimulierten Form, Frequenz und Stärke der einlaufenden elektrischen Reize.

Mehrere Forschungsgruppen haben sich mit der von Edell et al. beschriebenen “kill zone” beschäftigt. Die Angaben über das Ausmaß dieser Region variieren zwischen 1 µm und mehr als 100 µm[60, 87, 116]

.

Änderungen der Neuronendichte um Bioimplantate werden auch durch Hydratation und Ödembildung verursacht. Druckänderungen im Gewebe konzentrieren sich an den Elektrodenspitzen. Gewebepulsationen (z.B. Atmung, Blutdruck) führen zu einer Zerstörung an die Elektrode angrenzender Neurone. Diese Zellen werden abgebaut und durch Glia ersetzt. Dadurch wächst die Distanz zwischen Elektrodenspitze und stimulierbarem Gewebe[51, 82, 92]. Normale Neurone finden sich nach Stimulation im Bereich der Elektrodenspitze weiter entfernt als im Bereich des Schaftes[56].

Die Arbeitsgruppe um Roy Biran kam mit chronischen Insertionsversuchen zu dem Ergebnis, dass dieser Zellverlust letztlich in direkter Verbindung mit der oben beschriebenen Fremdkörperreaktion zu sehen ist[93].

2.2.2 Gewebeverträglichkeit der elektrischen Stimulation

2.2.2.1 Reversible Ladungstransferlimits

Durch die elektrische Stimulation des Zentralnervensystems mittels biokompatibler Stimulationselektroden fließt Ladung in das biologische Zielgewebe. Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung sprechen dafür, dass dabei für verschiedene Elektrodenträgermaterialien unterschiedliche Grenzwerte für jene Ladung existieren, die reversibel in das Gewebe eingebracht werden kann. In diesem Zusammenhang stellt die Reversibilität alle chemischen Prozesse dar, die während einer Stimulationsphase ablaufen und durch eine Phase entgegen gesetzter Polarität wieder aufgehoben werden.

Neben dem Material hängen diese so genannten reversiblen Ladungstransferlimits (RLTL; engl.: „reversible charge injection limit“) maßgeblich von der Größe und der Form des Elektrodenträgers im Zentralnervensystem ab.

Ferner nehmen die Zusammensetzung des umgebenden Mediums als auch die bei

elektrischer Stimulation verwendeten Parameter einen direkten Einfluss auf die Höhe dieses Grenzwerts[21].

Bezogen auf die effektive oder geometrische Fläche des Elektrodenträgers erfolgt die Angabe als Ladungsdichte pro Phase (µC/cm2/Phase). Brummer und Turner (1997) beispielsweise ermittelten bei einer Pulsdauer von >600 µs ein reversibles Ladungstransferlimit von 300 ± 20 µC/cm2 für eine anodennahe sowie 350 ± 50 µC/cm2 für eine kathodennahe Stimulation mit Platinelektroden[117].

Kommt es zu einer Überschreitung dieser zulässigen Grenzwerte ist mit einer Schädigung des biologischen Zielgewebes oder der Stimulationselektrode zu rechnen[21]. wobei werden, die im nächsten Kapitel behandelt werden.

2.2.2.2 Mechanismen der Gewebeschädigung

In der Wissenschaft werden zwei mögliche Mechanismen der Gewebeschädigung in Betracht gezogen. Bei der Massenaktionstheorie („mass action theory“) wird von der Annahme ausgegangen, dass eine massive Aktivierung von Neuronenpopulationen durch intrinsische biologische Prozesse Gewebeschäden verursacht. Aus der elektrisch über eine längere Zeitspanne induzierten Hyperaktivität vieler Neuronen würden dieser Hypothese nach durch Sauerstoff- bzw.

Glucosemangel oder Änderungen der intra- sowie extrazellulären Ionenkonzentrationen (z. B. einem Anstieg der extrazellulären Kaliumkonzentration) – ähnlich wie bei prolongierten zerebralen Krampfanfällen - Gewebeläsionen entstehen. So kann infolge einer Überstimulation von erregenden Neuronen eine übermäßige Freisetzung von Neurotransmittern wie Glutamat zu einer so genannten Exzitotoxizität führen, wodurch das umgebende Nervengewebe geschädigt werden kann. Gemäß der Massenaktionstheorie gilt: Je mehr Neurone massenaktiviert und überstimuliert werden, desto größer ist der resultierende Gesamtschaden des Gewebes.

Der zweite Mechanismus der Gewebeschädigung berücksichtigt die Annahme, dass im Rahmen elektrochemischer Prozesse bei Stimulation eine Anhäufung toxischer Redoxprodukte an der Elektrodenoberfläche entsteht. Übersteigt diese das physiologisch tolerierbare Maß, treten auch hier Schäden im Bereich des Zielorgans auf.

Kapitel 2 Elektrische Schnittstellen im Zentralnervensystem

24 Zusätzlich störend für die Effektivität einer neuroelektrischen Schnittstelle sind die ebenfalls durch elektrochemische Vorgänge an der Elektrode ausgelösten Veränderungen in Form von Korrosion. Ein Beispiel für eine solche Reaktion stellt die Korrosion von Platin in einem chloridhaltigen Medium wie der extrazellulären Flüssigkeit dar (vgl. Abb. 13).

Pt + 4Cl- => [PtCl4]2- + 2e

-Abb. 13 Elektrochemische Reaktion der Korrosion

Redoxreaktion der Korrosion von Platin in einem chloridhaltigen Medium[96].

Die elektrochemische Reaktion der Korrosion stellt dabei einen irreversiblen Prozess dar. Die entstehenden Produkte können entweder gelöst ins umgebende Gewebe gehen (und hier ebenfalls eine Reaktion hervorrufen) oder durch Bildung einer festen Oxidschicht auf der Elektrode eine Veränderung der Stimulationsoberfläche bewirken, die zu einer messbaren Beeinträchtigung der Funktion des Elektrodenträgers führen kann.

In einer tierexperimentellen Studie mit identischen Stimulationsparametern jedoch unterschiedlichen Elektrodenträgermaterialien (Platin vs. Tantalpentoxid) stellte die Arbeitsgruppe um Douglas McCreery (1988) fest, dass der elektrisch induzierte Gewebeschaden am Kortex der Katze sich über die unterschiedlichen Materialien statistisch nicht signifikant unterschied[115]. McCreery et al. folgerten daraus, dass das Auftreten neuronaler Schädigung durch die Stimulation weniger von den elektrochemischen Reaktionsprodukten, die sich am Elektrolyt-Gewebe-Übergang anhäufen[21], als vielmehr von jenen Prozessen, die im Zusammenhang mit dem Fluss des Stimulationsstroms durch das Gewebe entstehen, zu begründen sei. Die Forschungsgruppe um Agnew kam zu ähnlichen Ergebnissen[27, 118]. In Studien zur elektrischen Stimulation am Kortex der Katze beschrieb sie einen histologisch gesicherten morphologischen Schaden durch intrakortikale Stimulation mit zwei von elf eingebrachten Mikroelektroden. Allerdings setzten sie diesen Gewebeschaden im Gegensatz zu McCreery zusätzlich noch zu toxischen Redoxprodukten von Platin und Iridium in Beziehung, da sie bei der Stimulation mit reinen Iridium-Elektroden keine Gewebeläsion nachweisen konnten.

2.2.2.3 Betrachtung von Schädigungsschwellen

In weiterführenden Studien stellte die Arbeitsgruppe um McCreery 1990 fest, dass bei konstanter Reizfrequenz (50 Hz) und Dauer der Stimulation (7 Stunden) mit Oberflächen- und Tiefenelektroden am Kortex der Katze die Ladungsdichte (charge density) sowie die Gesamtladung pro Phase (charge per phase) die entscheidenden Determinanten für die Schädigung von neuronalem Gewebe sind[28]. Im Hinblick auf die „mass action theory“ bestimmt die Ladung pro Phase das Gesamtvolumen innerhalb welcher Neuronen angeregt werden und die Ladungsdichte den Anteil der aktivierten Neuronen in unmittelbarer Nähe zum Elektrodenträger.

Die Daten von McCreery et al. zeigten, dass sobald sich die Gesamtladung pro Phase erhöhte, die Ladungsdichte für eine sichere und somit gewebsverträgliche Stimulation sank. Ist die Gesamtladung pro Phase – wie bei einer penetrierenden Mirkoelektrode – klein, kann folglich eine relativ große Ladungsdichte für eine sichere Stimulation verwendet werden.

Shannon et al. gelang es, die von McCreery ermittelten Daten aufzubereiten und einen mathematischen Ausdruck für die Schädigungsschwelle im Zentralnervensystem zu entwickeln[119]. Dabei wird diese durch das Verhältnis der Kofaktoren Ladungsdichte und Gesamtladung pro Phase bestimmt (vgl. Abb. 14)[28,

115].

log (Q / A) = k - log (Q)

Abb. 14 Schädigungsschwelle im Zentralnervensystem

Mathematischer Ausdruck der Schädigungsschwelle im ZNS wobei Q die Gesamtladung pro Phase (µC pro Phase), Q / A die Ladungsdichte pro Phase (µC/cm2 pro Phase) darstellen.

Unterschiedliche Forschungsgruppen[28, 32, 120, 121] wiesen bei der Stimulation mit elektrischen Schnittstellen im Zentralnervensystem nach, dass sich histologische Schädigungen in einem Bereich fanden, bei dem der Parameter k stets größer als 2 war[115] (vgl. Abb. 15).

Abb. 16 SIDNE in Abhängigkeit von der Stimulationsrate und dem Stimulationszyklus Graphische Darstellung der Abhängigkeit von SIDNE von der Rate und dem Zyklus einer siebenstündigen Stimulation[31]. Unter SIDNE wird ein höherer Stimulationsstrom benötigt, um Potenzialänderungen elektrisch evozieren zu können.

Obwohl SIDNE nach mehreren Tagen reversibel ist und ohne histologisch nachweisbare Gewebeschädigung auftritt, ist sie bei der Gestaltung von elektrischen Schnittstellen im Zentralnervensystem zu berücksichtigen. Um Potenzialänderungen elektrisch evozieren zu können, wird unter SIDNE ein höherer Stimulationsstrom notwendig. Im Rahmen einer chronisch hochfrequenten Stimulation würde dies eine kontinuierliche Erhöhung der Gesamtladung erfordern – mit entsprechenden Folgen für die Biokompatibilität der Stimulation.

In einer experimentellen Machbarkeitsstudie zur Entwicklung von humanen Gehörprothesen führte die Gruppe um McCreery aktivierte Iridiumelektroden in den Nucleus cochlearis ventralis (NCV) der Katze ein. Im Rahmen der mehrtägigen Untersuchung der neuronalen Erregbarkeit – hierzu wurden die Potenzialschwankungen des Colliculus inferior als Antwort auf den auslösenden elektrischen Reiz im NCV herangezogen – stellten McCreery et al. fest, dass sich in Intervallen während der Dauerstimulation auch eine vorübergehende Refraktärität der neuronalen Erregbarkeit (SANR, short-acting neuronal refractivity) nachweisen ließ, die kürzer anhält, als die oben beschriebene SIDNE. SANR wurde bisher in ihrem zeitlichen Ausmaß noch nicht ausreichend charakterisiert, allerdings zeigte sie in dieser Versuchsanordnung – wie SIDNE – eine Proportionalität zur Stimulationsrate und –zyklus der elektrischen Stimulation[122].

Kapitel 2 Elektrische Schnittstellen im Zentralnervensystem

28 2.2.2.5 Histologische Beurteilung

In der aktuellen Literatur existiert bislang kein einheitlicher Standard, um das Ausmaß der durch elektrische Stimulation des ZNS resultierenden Gewebereaktion zu beurteilen.

Aufgrund erheblicher Unterschiede in den Versuchsanordnungen der einzelnen Forschungsgruppen in Bezug auf die biologischen (zugrundeliegendes Tiermodell) und physikalischen Variablen (verwendete Elektroden, Handhabung, Implantation, Fixierung sowie Stimulationsparameter) ist eine Vergleichbarkeit der erzielten Ergebnisse nur eingeschränkt möglich[32, 43, 56, 86, 123]

.

Ferner sind viele der Experimente nicht innerhalb kontrollierter Studien und oft unter Verwendung einer zu geringen Anzahl von Tieren durchgeführt worden.

Aussagekraft und Evidenzgrad solcher Untersuchungen sind daher eingeschränkt [56,

63, 124]

.

Alle bisher vorliegenden histologischen Bewertungsschemata sind ursprünglich mithilfe großflächiger, inaktiver Oberflächenelektroden erstellt worden[32]. Weiterführende tierexperimentelle Studien unterschiedlicher Arbeitsgruppen passten dann diese so genannten „Damage Scores“ für penetrierende neuroelektrische Schnittstellen an[43, 56, 86, 125-127]

.

Die Arbeitsgruppe um David Edell beispielsweise führte die Dichte von Neuronen im Zielgewebe als sensibelste morphologische Veränderung für die chronische Funktionsfähigkeit von inaktiven neuroelektrischen Schnittstellen auf. In diesem Zusammenhang führte sie den Begriff einer sogenannten „kill zone“ ein, in der die Neuronendichte auf dem statistischen 10 % Niveau signifikant niedriger als in der Region um die Schnittstelle zu erwarten war (vgl. Kap. 2.2.1.9)[56, 93, 114].

Analog der Gewebsreaktion auf chronisch inaktive Implantate konnten bei aktivierten bzw. elektrisch das umgebende Zielgewebe stimulierenden Mikroelektroden ebenfalls histologische Veränderungen festgestellt werden. In den in der aktuellen Forschung vorliegenden tierexperimentellen Stimulationsstudien fanden sich neben einer Astrozyten- und Gliafaserproliferation sowohl eine deutliche neuronale als auch eine interstitielle Reaktion als Antwort auf die elektrische Stimulation des Zielgewebes[10, 97, 114]

. In unmittelbarer Nähe der aktiven Schnittstellen fielen Neurone durch eine generelle Schwellung und durch eine Hyperchromasie, einhergehend mit

einer Schrumpfung ihres Zellleibs, auf. Im umgebenden Interstitium kam es zu einer ödematösen Anschwellung mit hyperplastischen Gefäßen, gesteigerter Gefäßpermeabilität mit Hämorrhagien unterschiedlichen Ausmaßes sowie einer Einwanderung von Plasmazellen, Fibroblasten, Makrophagen und einer großen Anzahl von Lympho- und Granulozyten.

Um Schädigungsmuster in Kaninchenhirnen durch chronisch implantierte inaktive Kunststoffelektroden klassifizieren zu können, führte die Arbeitsgruppe um Stensaas und Stensaas 1976 eine histologische Typeinteilung der Gewebsreaktion ein[87]. Sie unterschieden dabei drei Typen von penetrierten Zielgeweben:

Typ 1 war durch eine fehlende Schädigung, allenfalls eine dezente Gliose charakterisiert.

Typ 2 fiel durch eine reaktive astrozytäre Zone um das Implantat auf

und

Typ 3 wies eine kompakte Bindegewebsschicht zwischen der reaktiven astrozytären Zone und dem Implantat auf, wobei eine Verdrängung von Neuronen um mehr als 100 µm von der Schnittstelle erkennbar war.

Aufbauend auf dieser Typisierung nahm das Forschungsteam vom Huntington Medical Research Institute 1998 eine dreiteilige Gradeinteilung der Gewebsreaktion vor[123]. Agnew und McCreery integrierten hierbei auch die von ihnen beschriebenen funktionellen Veränderungen durch aktive chronisch implantierte neuroelektrische Schnittstellen im ZNS wie SIDNE bzw. SANR:

Grad 1 ist durch eine (vorübergehende) Depression der neuronalen Erregbarkeit (SIDNE, SANR) ohne histologisch nachweisbare Gewebeschädigung gekennzeichnet,

Grad 2 ist durch histologische Veränderungen charakterisiert, die nicht zwangsläufig auf eine neuronale Schädigung hinweisen (z.B. Einwanderung von Lymphozyten in das Zielgewebe um die elektrische Schnittstelle)

und

Grad 3 weißt hingegen histologische Veränderungen auf, die eindeutig als Schädigungsreaktion des Zielgewebes zu deuten sind und darüber hinaus einen Schwellenanstieg für elektrisch evozierte Potenziale zur Folge haben.

Kapitel 2 Elektrische Schnittstellen im Zentralnervensystem

30 Anhand dieser Klassifikation der Schädigungsmuster können repräsentative Studien zur Gewebsverträglichkeit der elektrischen Stimulation mit penetrierenden Mikroelektroden unterschieden werden (vgl. Tab. 1).

Arbeitsgruppe Stimulations-ort / (2) auftretende Erosion der Kontakte

(3) Klassifikation nach Huntington Medical Research Institute (2)

Tab. 1 Gewebsverträglichkeit der elektrischen Stimulation

Modifizierte tabellarische Darstellung von repräsentativen Studien zur Gewebsverträglichkeit der elektrischen Stimulation mittels penetrierenden Mikroelektroden im ZNS[20].

3 Fragestellung und Zielsetzung

Eine effektive Stimulation mittels neuroelektrischer Schnittstellen ist nur dann durchführbar, wenn die anatomische Zielstruktur durch Elektroden und elektrische Reizung möglichst wenig beeinträchtigt wird. Um dieses Prinzip umzusetzen, müssen zwei grundsätzliche Fragekomplexe beantwortet werden:

Welche Elektrodenmaterialien bzw. -designs sind am besten für eine chronische Implantation geeignet? (Biokompatibilität der elektrischen Schnittstelle) und Bis zu welchen Grenzen ist die elektrische Reizung im ZNS biologisch unbedenklich? (Biokompatibilität der elektrischen Stimulation).

Daraus ergab sich für die vorliegende Arbeit eine doppelt gestaffelte Zielsetzung.

A. Untersuchung der Gewebeverträglichkeit von nicht-stimulierten Elektrodenträgern und Elektrodenkontakten im parietalen Kortex.

In dieser ersten Versuchsphase sollten nach Entwicklung eines den anatomischen Gegebenheiten der Ratte angepassten Elektrodendesigns sowohl die Gewebeverträglichkeit während des Implantationsvorgangs als auch die histologischen Veränderungen nach chronischer Implantation analysiert werden (Kontrollgruppe / Versuchsgruppe I).

B. Bestimmung von Schwellenwerten für die reversible und irreversible histologische Schädigung von Neuronen, Glia und Interstitium durch elektrische Stimulation.

Zur Klassifizierung der Gewebeschädigungen und zur Ermittlung der Schädigungsschwelle als Reaktion auf die elektrische Tiefenstimulation im parietalen Kortex erfolgte in einer zweiten Versuchsphase bei jeweils 12 bzw. 11 Tieren eine 6-stündige Dauerstimulation mit unterschiedlichen Stimulationsparametern (Elektrodenträger mit maximaler bzw. halbmaximaler Reizstärke / Versuchsgruppen II bzw. III).

Beantwortet werden sollten damit folgende Fragen:

1. Entsteht durch Implantation der Elektroden und/oder durch das Verweilen der Elektrode im parietalen Cortex der Ratte ein Gewebeschaden?

Kapitel 3 Fragestellung und Zielsetzung

32 2. Welche morphologischen Gewebeläsionen treten bei welchen Schwellenwerten der elektrischen Stimulation mit diesen Elektroden auf?

Kapitel 4 Material und Methoden

34 Der in die Elektrodenträger eingearbeitete Platin-Iridium-Draht hat einen Durchmesser von 76,2 µm (vgl. Abb. 18). Der Draht wurde in der gewünschten Tiefe der Stimulationskontakte (2 mm) rechtwinklig nach außen gebogen und abgeschert (vgl. Abb. 18).

Abb. 18 Nadelelektrode mit eingelegtem Platin-Iridium-Draht (7-fache Vergrößerung) Der Elektrodenkontakt kann bei diesem Design prinzipiell an jeder beliebigen Stelle aus dem Elektrodenträger herausgeführt werden. Für diese Studie erfolgte die Ausleitung nicht an der Spitze, sondern im Winkel von 90 Grad 2 cm vom Elektrodensockel entfernt.

Die kreisförmige Kontaktfläche an der Seite des Elektrodenschafts ergab eine geometrische Oberfläche des Stimulationskontakts Ageom von 4560 µm2 bzw. 4,56⋅10-5 cm2. Die effektive Oberfläche Aeff des Kontaktes – also die elektrochemisch aktive Fläche – wurde nach der Methode von Brummer[117, 128]

bei einer Messfrequenz von 25 Hz und einem Strom von 100 µA mit 140⋅10-5 cm2 bzw.

0,14 mm2 bestimmt. Der Unterschied zwischen der geometrischen und der effektiven Fläche ergibt sich aus der natürlichen Rauhigkeit des Materials und aus einer zusätzlichen Oberflächenveränderung durch den Herstellungsprozess der Elektrodennadeln.

An das überstehende Ende des im Elektrodenschaft eingelegten Platin-Iridium-Drahts wurde ein 25 µm starker, zugelastisch gewendelter 90/10 Platin-Iridium-Draht in der Mitte angeschweißt. Da zu Beginn der Versuchsreihe vereinzelt Drahtbrüche auftraten, wurde zur Sicherheit die Zuleitung doppelt geführt (vgl. Abb. 19).

Kapitel 4 Material und Methoden

36 die Messung in einer Elliot’s B Lösung (7,30 g/l NaCl, 1,90 g/l NaHCO3, 0,229 g/l Na2SO4, 0,2 g/l NaH2PO4 ⋅ 7H2O) durchgeführt.

Abb. 21 Elektrodenimpedanz in Abhängigkeit von der Frequenz

Beispiel einer Insertionselektrode mit einer geometrischen Oberfläche von 4,4*10-5 cm2.

Nachträglich wurde der Epoxydharz-Stecker der Zuleitung mit einer angepassten Silikonkappe bestückt, so dass während der mehrwöchigen Implantation im Subkutangewebe Verwachsungen und Korrosion der Steckkontakte weitgehend vermieden werden konnten.

4.1.2 Verbiege- und Insertionskraft

Zur Prüfung auf Bruchfestigkeit und Elastizität der Elektroden wurden umfangreiche Belastungs- und Insertionstests durchgeführt. Bei keinem der durchgeführten Tests trat ein Bruch der Nadel auf, auch nicht bei stärkerer Biegebelastung während der Insertion. Die mittlere maximale Verbiegekraft bei Druck der vollständigen Elektroden gegen Metall lag im Bereich zwischen 1.34 N (Epo-Tek 353ND + Pt-Ir-Draht) und 1.51 N (Hysol® EE0079 / HD0070 + Pt-Ir-Draht). Die mittlere, maximale Insertionskraft (Insertion in einer reifen Avocado als Hirngewebeäquivalent[129] mit einer Insertionsgeschwindigkeit von 0.5 mm/s über 2 mm) unterschritt diesen Wert mit 0.05 N (< 1/30 der Verbiegekraft) deutlich[20].

4.1.3 Verwendete Materialien

Die bei Herstellung des Elektrodendesigns verwendeten Materialien wie Polyester-Netze, Silikon oder Platin-Iridium-Drähte, haben bei vorangegangenen

Versuchreihen unterschiedlicher Forschungsgruppen eine sehr gute Gewebeverträglichkeit gezeigt[26, 27, 29, 43, 126, 127, 130]

. Als neuartige Trägermaterialien für den Stimulationskontakt kamen bei der Entwicklung dieser neuroelektrischen Schnittstelle die Epoxyd-Harze Hysol® EE0079 / HD0070 und Epo-Tek 353ND zur Anwendung.

Hysol® EE0079 / HD0070

Zweikomponentiges (4:1), ungefülltes Epoxyd-Harz, das bereits zur Verkapselung von Herzschrittmachern erfolgreich erprobt wurde.

Epo-Tek 353ND

Ebenfalls zweikomponentiges (10:1), ungefülltes Epoxyd-Harz, welches bereits nach USP-Klasse IV zertifiziert ist[23].

4.2 Versuchstiere und Gruppeneinteilung

Sämtliche Experimente wurden im Rahmen eines durch die Bezirksregierung Hannover genehmigten Tierversuchsvorhabens durchgeführt (Genehmigungsbescheid 509.6-42502/7 vom 19.06.2000).

Als Versuchstiere dienten zwei Monate alte, männliche Wistar-Ratten, mit einem mittleren Gewicht von 200 g (± 50). Die Implantation der Elektroden wurde im rechten parietalen Kortex durchgeführt. Die elektrische Stimulation erfolgte frühestens acht Wochen nach operativer Implantation der Elektroden.

Zur Analyse der auftretenden Läsionen wurde eine Versuchsgruppeneinteilung vorgenommen. Dabei galt es zum einen Läsionen, die durch das Elektrodenmaterial selbst und durch den Implantationsvorgang hervorgerufen wurden, von solchen zu trennen, die durch die elektrische Stimulation bedingt waren. Zum anderen war das Ausmaß der Schädigung bei unterschiedlichen Reizstärken zu bestimmen.

Um die morphologische Schädigungsschwelle eingrenzen zu können, wurde eine systematische Untersuchung an zwei Gruppen mit Reizstärken im Sättigungsbereich des Implantats von 300 µA („maximaler“ Stimulationsstrom) und 150 µA („halbmaximaler“ Stimulationsstrom) vorgenommen.

Insgesamt konnten 38 Versuchstiere der histologischen Auswertung zugeführt werden. Dabei entfielen 15 Tiere auf die Gruppe der nicht stimulierten

Kapitel 4 Material und Methoden

38 Elektrodenträger (Gruppe I / Kontrollgruppe) und 11 bzw. 12 Tiere wurden den Gruppen mit Elektrodenträger der halbmaximalen bzw. maximalen Reizstärke (Gruppe II bzw. III) zugeordnet (vgl. Tab. 2).

Versuchsgruppen

Implantation 8 Wochen 8 Wochen 8 Wochen

Stimulationsstrom

[µA] - 150 300

Tab. 2 Versuchsgruppeneinteilung

Tabellarische Übersicht der Versuchsgruppen mit den für die Einteilung beschriebenen Hauptkriterien.

4.3 Chirurgische Vorgehensweise

4.3.1 Perioperatives Management

Präoperativ wurden die Tiere durch eine intramuskuläre oder intraperitoneale Injektion von Ketamin (80 mg/kg pro KG) und Xylazin (14 mg/kg pro KG) in Narkose versetzt. Nach Erreichen einer ausreichenden Narkosetiefe, welche durch Überprüfung des Zehen- und Kornealreflexes abgeschätzt wurde, erfolgte eine großflächige Rasur des Operationsfeldes. Mit Hilfe einer stereotaktischen Halterung („Stereotakter“, Firma Stoelting, USA), bestehend aus stumpfen Metallstiften für die beiden äußeren Gehörgänge und einer Oberkieferunterstützung, konnte eine sichere Fixierung des Schädels gewährleistet werden. Während des operativen Eingriffs wurde durch Ketamin intraperitoneal (i.p.) im Bolus die benötigte Narkosetiefe sichergestellt. Über eine Rektalsonde konnte eine kontinuierliche Messung der Körpertemperatur gewährleistet werden. Zum Schutz vor Austrocknung und Cornealulzera erfolgte ferner die Applikation von Augensalbe.

4.3.2 Implantation

Nach der Positionierung der Tiere im Stereotakter und der Kontrolle ihrer Vitalparameter erfolgte über der Sagittalnaht eine gerade, in Längsrichtung verlaufende 3 cm lange Hautinzision. Der Schnitt wurde dabei bis auf das Periost vertieft, welches über der Parietalregion beiderseits nach lateral abgeschoben wurde.

Kapitel 4 Material und Methoden

40 Nach der bei einer Frequenz von 10 kHz durchgeführten Impedanzmessung wurde die Wunde mit Einzelknopfnähten verschlossen. Eine erneute, postoperative Impedanzmessung erfolgte acht Wochen nach Implantation der Elektroden.

4.3.3 Perfusion und Explantation

Bei den 15 Tieren der Versuchsgruppe I (Kontrollgruppe) erfolgte acht Wochen nach Implantation die intravitale Perfusion und Organentnahme. Durch diese

Bei den 15 Tieren der Versuchsgruppe I (Kontrollgruppe) erfolgte acht Wochen nach Implantation die intravitale Perfusion und Organentnahme. Durch diese