• Keine Ergebnisse gefunden

Einflußfaktor IV: Institutionelle Einflußfaktoren

7 Analyse der Simulationsspiele unter dem Aspekt der Leitdimensionen Leitdimensionen

7.1 Diskussionsspiele

7.1.3 Biographischer Kontext (Leitdimension III)

These: Bei Podiumsdiskussionen besteht die Gefahr, daß der Stoff zum Problem und nicht das Problem zum Stoff gemacht wird.

Insgesamt wird aus den Unterrichtsplanungen deutlich, daß das Problem der Komplexität gegenwärtig ist und bewußt angegangen wird. Eine – materialbasierte –

„gute“ Strukturierung erscheint auf den ersten Blick die einfachste Lösungsmöglichkeit zu sein, wie aus Entwurf (17) zu entnehmen ist:

„Die Kontroverse um die Streichung des Schlechtwettergeldes ist ein sehr komplexes Thema, das einerseits den Staat, andererseits sowohl Unternehmen als auch die Beschäftigten der Baubranche gleichermaßen betrifft. Meine Absicht in diesem Unterricht ist es, den Schülern mit Hilfe von vorbereiteten Materialien ein klareres Bild über die Interessenlagen und Standpunkte der Konfliktparteien zu ermöglichen. Auf Grund Äußerungen von Schülern ist mir deutlich geworden, daß die Interessenlagen und Standpunkte nur oberflächlich bekannt und eher unklar sind. Somit bedarf es meiner Meinung nach einer guten Strukturierung, damit wichtige Grundlagen der Komplexität (Herv. d. Verf.) nicht verloren gehen und diese deswegen von den Schülern nicht zu erfassen sind.“ (17, 3)

Dabei wird übersehen, daß das Simulationsspiel an und für sich schon eine Methode zur situativ gebundenen Komplexitätsreduktion ist.

Es handelt sich häufig nicht um allgemeine Themenvorschläge, die ohne große Vorbereitung auf einer Meinungsebene diskutiert werden, sondern um spezielle, wie z.B. die „Ökosteuer“ im Bereich Umweltschutz, oder um „Genfood“ aus dem Gebiet der Gentechnologie, die den Schülern sachlich in ihrer Komplexität nur schwer zugänglich sind. „Die Spieler können weder die verschiedenen politischen Verhaltensalternativen noch die mit deren Realisation jeweils verbundenen Konsequenzen kennen.“657 Deshalb sind sie in der eigentlichen Diskussionsphase nicht in der Lage, auf eigene Argumente zurückzugreifen, sondern auf die vom Lehrer eingebrachten Materialien angewiesen.

I.d.R. geht es um Entscheidungen, die auf höherer politischer Ebene, d.h. im Bundestag oder in der Bundesregierung getroffen werden. Im Spiel werden dabei abstrakte politische Positionen durch „politische Größen“ als Rollenträger personalisiert. Da deren Tätigkeitsfeld nicht zum Umfeld der Schüler gehört, erscheint dieser Bezugsrahmen für die Schüler zwar wegen der vermeintlichen Popularität der gespielten Personen attraktiv, aber auch als Fiktion. Dabei besteht einerseits die Gefahr, daß sich bei den Schülern durch eine starke Rollenempathie das Bewußtsein einer Omnipotenz verinnerlicht, die für sie nicht praxisrelevant ist. Andererseits ist die Übernahme von Rollen aus dem Bereich politischer oder wissenschaftlicher Größen658 problematisch, weil die Schüler auf Grund mangelnder Lebenserfahrung nur vorurteilhaft-emotional agieren können. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich um rigid vorstrukturierte Rollenanweisungen handelt.659

Strukturierungsvorschläge:

• Verfremdungseffekte zur Erzeugung einer bewußten persönlichen Distanz zu nicht der Biographie entsprechenden Rollen,

• Individualisierung der Rollen, d.h. Abstraktion von einer reinen Zugehörigkeit zu einer Interessengruppe,

• Vorrangige Herausarbeitung von Handlungsmöglichkeiten des einzelnen zu den diskutierten Problemen,

• Anpassung der Rollenanweisungen an die Lebenserfahrungen der Schüler.

657 Maidment, R. und Bronstein, R. (1977), S. 88

658 „In erster Linie geht es zwar um die Vermittlung von Informationen im hehren politischen Sinn. Die Faszination der Sendung liegt darin, wie diese vermittelt werden. Denn die Gästeliste kann sich sehen lassen und gleicht, wie es die ARD in einer Informationsschrift genannt hat, einem Who’s Who der Bundesrepublik.“: Lorenz, H. in Informationen zur politischen Bildung, Hrsg. Bundeszentrale für politische Bildung, o. J.

659 HÖHN führt solche Rollenvorgaben auf das – zu kritisierende – Bemühen um eine Komplexitätsreduktion zurück:

„Somit ist es nicht bemerkenswert, daß im Simulationsspiel vorwiegend Honoratioren agieren – Abgeordnete, Funktionäre, Kapitalisten und bisweilen wissenschaftliche Genies.“ vgl. Höhn , K.-H. (1977), S. 218

Aus didaktischen Gründen wird aber ein Verzicht auf Themen, bei denen die Entscheidungskompetenz auf politischer Ebene liegt und die Handlungsmöglichkeiten der Schüler nur gering sind, nicht möglich sein.

These: Die Frage, ob ein Thema bedeutsam ist, entzieht sich einer objektiven Bewertung.

Grundsätzlich wird durch Aussagen in den Unterrichtsentwürfen bestätigt, daß die Schüler dann besonders gut mitarbeiten, wenn die Thematik ihren Erfahrungsbereich betrifft, also an ihre jeweilige Cognitive Map anschlußfähig ist.

„Sofern Themen aus dem unmittelbaren Lebens- und Erfahrungsbereich der Schülerinnen behandelt werden, arbeiten sie im Politikunterricht interessiert mit.“

(109, 3)

Im einzelnen sind aber den Versuchen des Lehrers, die Bedeutsamkeit eines Themas für die Schüler adäquat zu berücksichtigen, enge Grenzen gesetzt. Berufsschullehrer, und dies gilt besonders auch für Lehrer im Fach Politik, unterrichten wenige Stunden in unterschiedlichen Klassen und in Hamburg manchmal zugleich an verschiedenen Schulen. Studienreferendare sind zudem in die Veranstaltungen des Seminars eingebunden. So ist es für den Unterrichtenden schon schwierig, sich alle Namen zu merken. Unmöglich ist es, den persönlichen und sehr heterogenen Lebenshintergrund der Schüler zu erfassen. So heißt es in Entwurf (12):

„ [...] inhaltliche Voraussetzungen, die sich aus den Erfahrungen der Schüler auf Grund ihres Bauberufes bzw. aus der Aktualität des Themas z.B. durch Zeitungsinformationen ergeben, können zwar vorhanden sein, von mir aber nicht im Unterricht vorausgesetzt werden.“ (17, 2)

Zudem ist die Interessenlage unterschiedlich. Während die Schüler ein vorgestelltes kontroverses Thema möglichst gleich diskutieren möchten, ist der Referendar eher an einer ausführlichen sachlichen Vorbereitung interessiert. Für ihn ist es wichtig, daß eine lebhafte Diskussion nicht vorweggenommen, sondern auf die Unterrichtspraktische Übung bzw. auf die Lehrprobenstunde konzentriert wird und dort zudem möglichst sachlich fundiert erfolgt.

Auch eine Orientierung an Lernzielen bei der Konstruktion der Ausgangslage geht an der biographischen Situation der Schüler vorbei, wie ein Referendar bedauert:

„Kriterien dieser Wahl (Der Problemsituation – Anm. d. Verf.) sind nicht nur die vom Lehrer formulierten Lernziele, sondern mehr noch die aus dem

sozio-kulturellen Hintergrund der Schüler erwachsenen Konflikte, Einstellungen, Verhaltensunsicherheiten, Interaktionsprobleme etc.“660

Schwierigkeiten entstehen dadurch, daß junge Lehrer eigene Interessen und Lebenserfahrung auf die Schüler übertragen. Fernsehsendungen aus dem Bereich der Politik, vom Lehrer mühsam ausgewählt und auf Videokassette aufgezeichnet (in Entwurf (133)), sprechen viele Schüler nicht an (Politikverdrossenheit). Relevanz der Thematik für die Abschlußprüfung (in Entwurf 18) berührt die Schüler in den ersten Ausbildungsjahren nur wenig.

Keine Bestätigung findet die Vorstellung, daß der Lernprozeß schrittweise vom praktischen, kontext- und körpergebundenen Handeln hin zum geistigen und theoriegeleiteten Handeln führt.661 Gerade viele Schüler aus den gewerblichen Berufen haben sich für eine Laufbahn entschieden, bei denen sie eher ihre praktischen Fähigkeiten einsetzen können.

Wenn subjektive Schülerinteressen auch schwer zu erfassen sind und in der Spielhandlung auch unbewußt wirken, so sollten doch Möglichkeiten genutzt werden, um persönliche Bedürfnisse, Vorstellungen und Phantasien zum Unterricht zu ermitteln.

Aus der Analyse der Unterrichtsentwürfe ergaben sich folgende Strukturierungsvorschläge:

Fragebogen:

Um mir einen Eindruck bezüglich der unterschiedlichen Erwartungen und dem bereits vorhandenen Vorwissen zu verschaffen, erhielten die Schüler einen anonymen Fragebogen.43, 8), ähnlich (121, 7)

Ein- Punkt- Frage:

Durch die Ein-Punkt-Frage zu Beginn der Stunde sollen die Schüler die Möglichkeit haben, ihre Meinung kundzutun, auch stillere Schüler können durch dieses Verfahren ihre Stellungnahme abgeben und sind somit am Unterrichtsgeschehen beteiligt. (134, 3), (76, 6)

Flipchart oder Plakat:

In Abwesenheit des Lehrers wird ein Flipchart. (168, 5) oder Plakat (167, 5) ausgefüllt

Intuitive Phase:

Im Artikulationsmodell nach TAUSCH662 werden nach der Problemstellung Schüleräußerungen gesammelt. (z.B. 102,4)

Zettelumfrage:

„Jeder Schüler ein persönliches Erlebnis (zum Problembereich – Anm.- d. Verf.) berichten.“ (168,5)

Meinungsbild und Abstimmung:

660 Burak, G. (1976), S. 106

661 Diese Lehrmeinung kritisiert auch Meyer. Meyer, H. (1987), S. 422 ff.

662 vgl. Kap. 3

„Es wird erneut eine Abstimmung vorgenommen und das Ergebnis mit dem ersten Meinungsbild verglichen.“ (138,3)

Entscheidend ist, daß im Unterricht dann auch auf die ermittelten Schülerinteressen Rücksicht genommen wird.

„Es war mein Fehler, die Schüler um ihre Meinung gebeten, diese dann aber nicht ernst genommen zu haben.“ (168, 26)

Merkmalsbereich B: Methodische Anknüpfung

These: Die häufig geringen methodischen Voraussetzungen der Schüler erfordern Konzepte für eine Stärkung der Methodenkompetenz.

Berücksichtigung der Methodenkompetenz der Schüler (Kriterium Nr. 17)

Innerhalb des Abschnittes „Bedingungsfaktoren“ werden methodische Vorerfahrungen im Unterrichtsentwurf meist explizit erläutert. Bei der Einschätzung auf Grund des Analysebogens ergab sich für die Methodenkompetenz der Schüler der auffällig niedrige SK-Wert von 2,2.

Die schülerbezogenen Ursachen werden im Unterrichtsentwurf (173) recht gut beschrieben:

„Auf Grund ihrer Vorerfahrung im Politikunterricht kennen sie (die Schüler – Anm. d. Verf.) kaum eigenes Erarbeiten von Inhalten. Sie können mit Hilfe von Fragen einfache Texte bearbeiten, fühlen sich aber häufig überfordert, wenn sie Argumente sortieren sollen. Aus der Klassensituation ergibt sich auch, daß die Schülerinnen in Partner- oder Gruppenarbeit nicht geübt sind. Vom Lehrer erwarten sie, daß in jeder Stunde ein Tafelbild erstellt wird. (173, 7)

Die lehrerbezogenen Ursachen liegen in der universitären Ausbildung, in der das Training von Unterrichtsmethoden stark vernachlässigt wird. So ist der nachstehende Fall, bei der die Referendarin zum ersten Mal ein Simulationsspiel durchführt, ohne selbst je mit der Methode konfrontiert worden zu sein, keine Ausnahme:

„Diese Methode wurde von mir in der vorhergehenden Stunde kurz vorgestellt. Ich selbst habe diese Methode bisher auch nicht im Unterricht angewendet.“ (20,2) Ein systematisches Kommunikations- und Methodentraining ist demnach unverzichtbar. Eindringlich wird dies in der oben schon erwähnten Ausarbeitung (173) dargestellt:

„Um diese Schwierigkeiten zu vermindern, hilft meines Erachtens nur praktische Übung und mehr Mut zur Umsetzung. Gerade im Politikunterricht lassen sich, trotz

stofforientiertem Lehrplan und Abschlußprüfung, häufig Schülerinteressen in den Mittelpunkt stellen. Sinnvoll wäre es meiner Meinung auch, den Schülerinnen zu Beginn ihrer Ausbildung eine Methodenkompetenz zu vermitteln, auf die in einem Handlungsorientierten Unterricht aufgebaut werden kann. Dies würde auch das Gewohnheitsprinzip ‘Der Schüler als Konsument’ verringern.“

(Fleischereifachverkäufer). (173, 29)

Dabei empfiehlt es sich, verschiedene Qualifikationsstufen zu unterscheiden.

Nach KLIPPERT reichen die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die die Schüler im Leben benötigen:

„ [...] vom freien Sprechen, Berichten, Argumentieren und Vortragen bis zu Partner- und Gruppengesprächen. In der fortgeschrittenen Phase der Kommunikationskompetenz bestehen sie dann im kontrollierten Zuhören, Diskutieren, Debattieren und Verhandeln z.B., in Streitgesprächen, Rollenspielen und Podiumsdiskussionen.“ 663

Es fehlt aber noch an Untersuchungsmethoden um festzustellen, welche Spielformen für die Schüler einfacher oder schwieriger sind. Ein Grund liegt in der unterschiedlichen Auffassung von „Komplexität“ und damit von der Schwierigkeit im Umgang mit dieser.

So behaupten Eckardt/Stiegeler, Stegreifspiele seien „eine gute Vorbereitung auf weitere komplexe (Herv. d. Verf.) Unterrichtsspiele“664, Rollenspiele mit „nach Rollenkarten vorgegebenen (Herv. d. Verf.) Verhaltensmustern“665 seien hingegen eine

„Steigerung“ von Stegreifspielen.

In den Unterrichtsentwürfen finden sich nützliche Beispiele, die als Strukturierungsvorschläge dienen können:

In der Einführungsphase geht es zunächst um eine Selbsteinschätzung:

„Zu Anfang einer Kommunikationsschulung sollten die Schüler zu einer realistischen Selbsteinschätzung ihrer sprachlichen Fähigkeiten gelangen. In dieser Unterrichtsreihe schätzen die Schüler anhand eines anonymen Fragebogens ein, ob ihnen die beschriebenen Leistungen ‘eher schwer’ oder ‘eher leicht’ fallen. Die Anregung für diesen Fragebogen erhielt ich von Klippert666.“ (114, 10)

Dann wird die Methode selbst vorgestellt:

„Welche Voraussetzungen sind bei der Podiumsdiskussion zu beachten und wie kann eine geeignete Strategie entwickelt werden? Welche Zie le sollten mit der Methode erreicht werden? Welche Schwerpunkte und Ziele setzt die Auswertung?“

(136, 3)

663 Klippert, H. (1998), S. 18

664 Eckardt, P. u. Stiegeler, A. (1973), S. 5

665 a.a.O., S. 6

666 Klippert, H. (1998), S. 57

Es folgen „Aufwärmspiele“, bei denen teilweise auf die Anregungen von Van Ments667 zurückgegriffen wird:

• Unterhaltungsgespräch: In Zweier- oder Dreiergruppen wird ein Gesprächsthema vorgegeben. Dabei kann ein Mitglied den Auftrag bekommen, das Gespräch „abzulenken“.

• Überredung: Innerhalb einer Zeitbegrenzung muß ein Teilnehmer überredet werden, (z.B.) etwas herauszugeben.

• Wortkreisel: Eine Geschichte wird in einer größeren Teilnehmerzahl im Kreis mit nur einem Wort weitergeführt.

• Advokaten: Ein Ankläger in der Mitte eines Teilnehmerkreises befragt einen Angeklagten (den Teilnehmer, den er gerade ansieht) nach Informationen zu einem Kriminalfall. Es muß aber immer der links neben ihm sitzende Advokat antworten.

• Diskussionsspiele mit überwiegend spielerischem Charakter als Vorübung, z.B.

Nonsensdebatten.

Für die Durchführungsphase werden folgende Vorschläge gemacht:

Die narrative Darstellung der Konfliktsituation erfolgt vom Lehrer:

„Die Darstellung erfolgt durch den Unterrichtenden selbst, um die Schüler für die Diskussionsphase durch eine Vorleistung der Unterrichtenden zu ermutigen.“

(151,3)

Dann wird die Lernumgebung gestaltet:

„Die Namensschilder, die Einladungen zum Streitgespräch, die Plazierung der Tische, die Becher mit Mineralwasser, das obligatorische Siezen der Streitenden und meine Anmoderation, ähnlich einer Fernsehsendung, sollen das Einfinden in die Rollen erleichtern.“ (119, A1)

Hilfen für die Auswertungsphase werden bei der Besprechung des Kriteriums 27 gegeben.

Insgesamt ist bei den analysierten Diskussionsspielen die Berücksichtigung des biographischen Kontextes nicht sehr ausgeprägt (SK-Wert 2,9 für Kriterium Nr. 18)