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Scheller (Erfahrungsbezogener Unterricht) Wallrabenstein (Offener Unterricht )

4 Methodik aus systemisch-konstruktivistischer Sicht

4.1 Allgemeine Methodik

Stand der M e t h o d e n d i s k u s s i o n in der Mitte der 90er Jahre war, daß die bisherigen Methoden zwar im Bereich der Vermittlung von Fakten, Begriffsketten und Merkmalslisten „erfolgreich“ waren, soweit es in Klausuren und Prüfungen zu reproduzieren war, daß es sich dabei jedoch um „träges Wissen“ handelte, das versagte355, wenn komplexe Problemsituationen flexibel bewältigt werden sollten.356 Weitgehende Einigkeit bestand auch darin, daß die fragend-entwickelnde Methode mit ihrer unechten Fragehaltung357 durch offenere, gleichberechtigtere Gesprächsformen abzulösen und der Frontalunterricht insgesamt zugunsten von handlungsorientierten Methoden zurückzunehmen sei. Eine kontroverse Diskussion gab und gibt es jedoch immer noch zwischen den rein „ H a n d l u n g s o r i e n t i e r t e n “ und den

„M e t h o d e n w e c h s l e r n “.

Die „ H a n d l u n g s o r i e n t i e r t e n “358 lehnen auf Grund der Erkenntnisse der pädagogischen Psychologie generell lehrerorientierte Vermittlungsmethoden ab, weil eine „Übertragung von Wissen“ nicht möglich ist.

Die M e t h o d e n w e c h s l e r plädieren hingegen für einen Wechsel zwischen konventionellen und handlungsorientierten Methoden. Dafür werden u.a. folgende Argumente vorgetragen:

- Eine Überstrapazierung von handlungsorientierte Methoden führt zu einer neuen methodischen Monokultur, die bei den Schülern wiederum Langeweile erzeuge;

- Handlungsorientierte Methoden sind so zeitintensiv, daß sie aus zeitökonomischen Gründen nur sporadisch angewendet werden könnten, wenn das Ausbildungsniveau gehalten werden soll;

- Leistungsschwächere Schüler werden bei den „neuen“ Methoden benachteiligt, weil sie sowohl durch die komplexe Struktur der Inhalte und Prozesse überfordert sind wie auch durch den Anspruch, ihr Lernen selbständig und selbstverantwortlich zu organisieren. Sie müßten an die neuen Methoden behutsam, herangeführt werden;

355 Die darüber hinausgehenden Kritik an der Unterrichtspraxis wurde schon in Kap. 3 verdeutlicht.

356 vgl. Backes -Haase, A. (1998), S. 165

357 Also mit Lehrerfragen, bei denen der Lehrer die Antwort weiß.

358 Es würde den Rahmen diese Arbeit sprengen, auf die vielfältigen Veröffentlichungen zum „handlungsorientierten Unterricht einzugehen. Auf dem Stand von 1999 stellt H. HANSIS fest, daß handlungsorientierte Lehrverfahren sowohl für den fachgebundenen als auch für die fächerübergreifenden Lehrabschnitte selbstverständlich sind;

konkret genannt werden u.a. Simulationen, Planspiel und Rollenspiel; vgl. Hansis, H. (1999), S.29; eine Kennzeichnung findet sich schon bei in Gudjons, H. (1987), S. 11f; eine unterrichtspraktisch nützliche Zusammenfassung gibt H. MEYER: vgl. Meyer, H. (1994); eine sehr einseitige Akzentuierung hat sich aber gerade im berufspädagogischen Bereich etabliert, z.B. bei HENSGEN/KRECHTI NG: „Als Handlungskompetenz bezeichnet man [...] die Anzahl und die Güte der allgemeinen beruflichen Handlungsmuster (Handlungsschemata), die eine Person auf Abruf zur Verfügung hat [...] ”, vgl. Hensgen, A u. Krechting, B (1998), S. 14; Die KMK formuliert hingegen: Handlungskompetenz „wird hier verstanden als die Bereitschaft und Fähigkeit des einzelnen, sich in gesellschaftlichen, beruflichen und privaten Situationen sachgerecht, durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten.“, vgl. Rahmenlehrplan für den berufsbezogenen Unterricht der Berufsschule.

- Nicht ausreichend vorgebildete Lehrer können bei handlungsorientierten Methoden die ausgelösten innerpsychischen Prozesse und Perturbationen der Schülern nicht beherrschen und somit mehr Schaden als Nutzen stiften.359

Wie sind nun diese kontroversen Positionen aus konstruktivistischer Sicht zu bewerten?

BACKES-HAASE, verweist auf folgende systemisch-konstruktivistische Betrachtungsperspektive: Konstruktivistisch kann nur vom „Paradigma der Selbstorganisation von Wahrnehmen und Erkennen“ an Stelle „des Modells der (Außen-)Lenkung und der Annahme (mono-)kausaler Beeinflußbarkeit solcher Prozesse“360 ausgegangen werden. Lernen ist damit abhängig vom Aufbau eines anpassungsfähigen persönlichen Problembewußtseins. Dieses beruht auf zahlreichen inneren Faktoren.361 Die Aufgabe des Lehrers ist es, „freibleibende“ Angebote zu machen, die einerseits Anschluß an die Wissensstruktur finden können, andererseits aber auch auf problembezogenes Zusammenhangswissen und auf solche Dispositionen verweisen, die für Problemlösungen wichtig sind. „Die Lernvoraussetzungen und der Lernprozeß selbst werden damit zu den entscheidenden Größen bei der Planung von Lernen.“362

Es stellt sich nun die Frage, welches denn spezifisch konstruktivistische Unterrichtsmethoden sind und ob diese genügend differenziert und flexibel sind, um dem Einwand einer „Monokultur widerlegen zu können. Hierzu sollen beispielhaft die Ansätze zweier prominenter Vertreter des systemischen Konstruktivismus, H. SIEBERT

und K: REICH, in ihren wesentlichen Zügen vorgestellt werden, um dann auf die Methodik der S i m u l a t i o n s s p i e l e , dem Gegenstand dieser Arbeit, besonders einzugehen.

SIEBERT weist zurecht darauf hin, daß die Prinzipien einer konstruktivistischen Wahrnehmung durch keine Unterrichtsmethode außer Kraft gesetzt werden können:

„Auch bei einem fachlichen Vortrag oder einem autoritär geführten Lehrgespräch machen sich die Teilnehmer ‘ihre eigenen Gedanken’363, die Autopoiese und Emergenz der Kognition können nicht ausgeschaltet werden.“364 Wichtig sei vor allem die Haltung des Pädagogen, eine mentale Aufgeschlossenheit für Erfahrungen und Sichtweisen anderer und für die Eigendynamik einer Gruppe.365 Dennoch, so räumt SIEBERT ein, sei es berechtigt, „reformpädagogische Methoden“ wie Projektunterricht, Planspiele oder

359 vgl. auch Backes -Haase, A. (1998), S. 165

360 a.a.O., S. 167

361 Dieses müßte dann wohl auch die Einsicht in die Selbstverantwortlichkeit von Lernprozessen erfassen. Solche Einsichten sind, so kann man zufügen, von der Biographie des Schülers abhängig und damit im Berufschulunterricht nur in Grenzen veränderbar.

362 vgl. Backes -Haase, A. (1998), Ss. 167

363 „Die Reden des Dozenten“, so schränkt er ein, sind allerdings für die Teilnehmer „nur kognitives Rauschen“; vgl.

Siebert, H. (1999), S. 148

364 vgl. Siebert, H. (1999), S. 141

365 a.a.O., S. 142

entdeckendes Lernen zu bevorzugen366, also Methoden, die die

„Selbsterschließungskompetenz“ anregen.367 „Es handelt sich dabei nicht um neue Methoden, aber bekannte Methoden werden konstruktivistisch ‘neu’ akzentuiert und begründet.“368

SIEBERT nennt eine Vielzahl methodischer Anätze, im Detail sind diese Hinweise jedoch wenig ausdifferenziert. Er verweist auf Kognitive Landkarten (Mind map)369, das sokratische Gespräch370, „Übungen“371 wie Rollenspiele, Planspiele, Expertenbefragungen, Medienanalyse, Pro- und Contra-Diskussion, Fish-bowl372 sowie auf die „guided autobiography“, als eine themenzentrierte narrative Selbstbeobachtung in Form von Partnerinterviews.373 Insgesamt schätzt SIEBERT - im Gegensatz zum Verfasser - die B e d e u t u n g d e s K o n s t r u k t i v i s m u s für die M e t h o d i k und für die E v a l u a t i o n recht gering ein, in einer 8-stufigen „Pyramide der Bedeutsamkeit“ nehmen diese nur die beiden letzten Plätze ein!374

Am ausführlichsten hat sich K. REICH mit konstruktivistischen Methoden auseinandergesetzt.375 Zur Verdeutlichung des Ansatzes arbeitet er am Beispiel C. FREINET heraus, daß es sich nicht einfach um eine Weiterführung der reformpädagogischen Bewegung handelt. Zwar ähneln dessen Lehr- und Lerntechniken einem „impliziten Konstruktivismus“376: „Er (FREINET – Anm. d. Verf.) spricht von tastenden Versuchen seiner Schüler, die durch Selbsterfahrung in ein Probieren und Konstruieren übergeleitet werden.“377 Durch umfassende Selbsttätigkeit und Selbstverantwortung sollen die Schüler lernen, auch politisch autonomer zu handeln.

Ein „individueller Wochenarbeitsplan“ erinnert an das Prinzip des „offenen Unterrichts“378.

Im Unterschied zum konstruktivistischen Ansatz sind aber die Perspektiven der Lösung vom Lehrer vorstrukturiert379, die wissenschaftsgläubigen Kategorien „richtig“ und

„falsch“ also noch gültig. Vor diesem Hintergrund warnt REICH zurecht vor

366 vgl. Siebert, H. (1999), S. 141

367 Arnold, R. (1996), S. 6, zitiert nach . Siebert, H. (1999), S. 146

368 Siebert, H. (1999), S. 146

369 a.a.O., S. 155

370 a.a.O., S. 162

371 Der Begriff „Übungen“ für unter konstruktivistischen Aspekten besonders bedeutsame Methoden, die bei ihm auf nur einer Seite zusammengefaßt wurden, ist etwas befremdlich; vgl. Siebert, H. (1999), S. 167

372 Auch „Aquariumsmethode“ genannt: Ein innerer Teilnehmerkreis diskutiert ein Thema. Ein äußerer Kreis beobachtet die Diskussion unter bestimmten gruppendynamischen bzw. kommunikationstheoretischen Kriterien.

Anschließend werden Selbst- und Fremdbeobachtung in beiden Gruppen ausgetauscht; vgl. Siebert, H. (1999), S.

167

373 a.a.O., S. 170 f.

374 a.a.O., S. 190

375 Reich, K. (1997)

376 a.a.O., S. 217

377 ebd.

378 vgl. Kap. 3.1.8

379 vgl. Reich, K. (1996), S. 220

methodischen Konzeptionen, bei denen unter „dem Mantel der Selbsttätigkeit“ die Vermittlung bestimmter Weltbilder mit ausschließlich eindeutigen Problemlösungen intendiert ist.380 Offene Methoden hingegen legen die Lösungswege nicht fest. Als Beispiele beschreibt REICH u.a.: Freies Arbeiten, Wochen- Monats- und Jahrespläne, Werkberichte, Medienwerkstatt, Stellwandtechnik (Metaplantechnik), Klassenzeitung, Arbeitsateliers, Aufführungen, Ausstellungen, Klassenrat und Schulselbstverwaltung381, also Methoden, die an die „Produktion“ (im Sinne von GIESECKE382) und an

„Demokratie im kleinen“ erinnern.

Bedeutsamer und für die Schulpraxis innovativer sind die aus der systemischen Therapie stammenden von REICH vorgeschlagenen „systemischen Methoden“.383 Diese sind besonders auch für den Evaluationsbereich von Belang, also die Ebene, für die nach SIEBERT der Konstruktivismus bisher noch am wenigsten Anregungen geliefert hat.

Als erstes beschreibt REICH die Technik des z i r k u l ä r e n F r a g e n s , das lange Zeit als Herzstück der systemischen Therapie galt und auf das er besonders ausführlich eingeht. Dabei wird so gefragt, daß der Partner nicht direkt oder verkürzt antworten kann, „sondern ein Kontext mit zu bedenken ist, so daß aus der kontextbezogenen Antwort neue Informationen und daraus neue Beobachtungsperspektiven entstehen können. Der Kontext aber bedeutet, daß sowohl der Frager als auch der Antwortende die Rückkopplungen und damit bedeutsame Wirkungen in der Kommunikation mit reflektieren.“384 Er modelliert seine Beispiele so, daß „weniger der therapeutische als vielmehr ein pädagogischer Horizont sichtbar wird.“385 Auf zi r k u l ä r e Art gefragt werden kann beispielsweise .386

- nach B e d i n g u n g e n: „Martina, was meinst Du,

o welche Verhältnisse hätte Franz benötigt, um anders vorzugehen/Dich besser zu verstehen?

- nach E r k l ä r u n g e n :

o warum erlebte dich Franz so [...] ?/was willst Du Franz sagen, damit er das nächste Mal [...] ?

- nach Ü b e r e i n s t i m m u n g e n / U n t e r s c h i e d e n:

o wer hat Franz anders/genauso erlebt wie Du?/Wird Franz das nächste Mal genauso/anders vorgehen? 387

380 a.a.O. S. 224

381 a.a.O., S. 227 ff.

382 vgl. Giesecke, H. (1974), S. 47 ff.

383 vgl. Reich, K. (1997), S. 235 ff.

384 a.a.O., S. 237

385 a.a.O., S. 239

386 Hier verkürzt und z.T. sinngemäß widergegeben.

387 vgl. Reich, K. (1996), S. 239 f.

Solche Fragen erfüllen für REICH u.a. folgende Funktionen388:

- Sie knüpfen Kontexte und verbinden diese mit Emotionen, weil sie sich auf widersprüchliches Erleben von Beziehungen einlassen.

- Sie helfen Informationen über die Unterschiede zu gewinnen.

- Sie helfen Veränderungen aus der Sicht verschiedener Beobachter zu erkennen.

- Sie erwecken - gerade in einer größeren Runde - Neugier auf die Antworten.

- Sie entmoralisieren, da sie sich nicht kausal nach Schuld oder Ursachen orientieren (auf diese Weise kann der Fragesteller eine offene Position im Beziehungskontext beibehalten)389.

Damit entspricht das zirkuläre Fragen dem systemisch-konstruktivistischen Prinzip eines nicht linearen Denkens. Während bei einer l i n e a r e n D e n k w e i s e Beziehungen wie Sachen gesehen werden, Experten die Prozesse durchblicken und Veränderungen daher als steuerbar und vorhersehbar angesehen werden, sind bei einer z i r k u l ä r e n D e n k w e i s e Dinge immer im Beziehungskontext zu sehen, können Experten allenfalls Beziehungen transparenter und reflektierbarer machen, aber Veränderungen nicht vollständig vorhersagen.390

Für die Thematik dieser Arbeit ist von Bedeutung, daß die zirkuläre Perspektiverweiterung auch für fiktive Rollen, also auch in Simulationsspielen einsetzbar ist. „So ließen sich (im Rollenspiel – Anm. d.Verf.) alle Schüler als Stellvertreter ihrer Personengruppe befragen, was ihre Ansicht für eine andere Gruppe bedeutet. Etwa: ‘Was denkst du als Bauer, was verändert sich für die Arbeiter, wenn [...]’.“391

Andere von REICH genannte Methoden sind in der Schulpraxis bekannter, so die auch im Rahmen dieser Arbeit betrachteten R o l l e n s p i e l e und die S k u l p t u r e n392, aber auch das B r a i n s t o r m i n g und d i e B i o g r a p h i s c h e A r b e i t . Die methodischen Anregungen aus systemischer Sicht sind jedoch lesenswert. Das gilt besonders für die Vorschläge an R e f l e c t i n g t e a m s393, wie sie in Simulationsspielen z.B. die Beobachtergruppen darstellen. Während Reflecting teams in pädagogischen Prozessen die Funktion des Innenbeobachters wahrnehmen, geht es bei der S y s t e m i s c h e n S u p e r v i s i o n um die Außenbeobachtung, wie sie etwa in den Aufgabenreich eines Seminarleiters fällt. Dieser Supervisor sollte aber, das ist REICH

388 hier verkürzt und z.T. sinngemäß widergegeben.

389 vgl. Reich, K. (1996), S. 238 f

390 a.a.O., S. 238

391 a.a.O., S. 241

392 in dieser Arbeit „Standbild“ genannt

393 vgl. Reich, K. (1996), S. 250 ff.

gerade bei pädagogischen Institutionen wichtig, „frei von institutionellen Zwängen und Anpassungen an das beobachtete System“394 sein.

Bewertung: In einer zusammenfassenden kritischen Betrachtung muß der Kritik von TERHART nachgegangen werden, „daß die konstruktivistische Didaktik keine wirklich radikal neuen Formen für die Praxis des Unterrichtens anzubieten hat, sondern sich an solchen (bekannten) methodischen (!) Formen orientiert, die selbständiges, entdeckendes Lernen, praktisches Lernen, kooperatives Lernen in Gruppen sowie erfahrungs- und handlungsorientiertes Lernen fördern wollen.“395

Es sind also noch erziehungswissenschaftliche Forschungsbemühungen erforderlich, um neue, dem konstruktivistischen Ansatz adäquate Methoden zu entwickeln, bzw.

bekannte Methoden so aufzubereiten und in einen konstruktivtisch-didaktischen Kontext zu stellen396, daß sie in der Schulpraxis als Baustein für ein „Neuerfinden von Schule397“ Eingang finden können.