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Die Oberkategorie dient dazu die Besucher*innenentwicklung in der Covid-19- Pandemie zu rekonstruieren. Es konnten fünf Unterkategorien gebildet werden, die im Folgenden dargestellt werden. Diese sind „UK 3.1 Altersstruktur in den Einrichtungen“, „UK 3.2 Zugriff auf Kontaktdaten, Anonymität und Kommunikation“, „UK 3.3 Zugriff, Kenntnis und Bereitschaft zur Nutzung digitaler Medien“, „UK 3.4 Besuchende in prekären Lebensverhältnissen“ und „UK 3.5 gesundheitliche Aspekte und Beeinträchtigungen von Besucherenden“. Auf die Unterscheidung zwischen den Zeithorizonten der hybriden Öffnungszeit und der Schließzeit wurde verzichtet, weil sich die Aussagen mehrheitlich auf beide Zeithorizonte beziehen.

4.3.1 Altersstruktur in den Einrichtungen (UK 3.1)

In den Einrichtungen können durch die Covid-19-Pandemie Teilzielgruppen nicht erreicht werden. Die Schwierigkeiten betreffen unterschiedliche Altersklassen im Vergleich der Einrichtungen. Eine Teilgruppe, die als schwer erreichbar benannt wird, sind Personen, die sich im Übergang zwischen Kindheits- und Jugendphase befinden. „Schwieriger fand ich so die Gruppe der so 10 bis 12/13/14 Jährigen. Die finde ich auch nach wie vor jetzt, äh, in diesem Lockdown schwierig zu erreichen.“ (I4, Z.211-212). Gründe für den Kontaktabbruch werden im fehlenden Sozialraumbezug und in der mangelnden digitalen Teilhabe dieser

Zielgruppe gesehen (vgl. I4, Z.212-217). Bei digitalen Partizipationsformaten beteiligt sich eine „sehr ausgewählte Gruppe und da fallen die Jüngeren durch“ (I4, Z.259-261). In einer anderen Einrichtung gelten die älteren Jugendlichen als besonders schwer erreichbar. Als Grund werden die Verlagerung in informelle Treffpunkte genannt (vgl. I2, Z.538-540).

Elternarbeit wird verstärkt genutzt, um mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt zu treten, die über die direkte Kommunikation nicht erreicht werden.

„(…) es ist... ist schwierig: Eigentlich soll die Jugendarbeit ja an vielen Punkten ohne Elternarbeit auskommen. Aber gerade in prekären Verhältnissen, wo ich an die Jugendlichen und Kinder in dem Moment nicht mehr rankomme, weil die in den Familien sitzen, da muss ich an die Eltern ran, da muss ich gucken, dass ich darüber die Brücke hinbekomme, um wenigstens erst mal mittelbar was von den Jugendlichen zu erfahren (…)“ (I4, Z.549-553)

Dadurch, dass die digitalen Angebote nicht an einen festen Ort gebunden sind, werden teils weggezogene ehemalige Jugendliche wieder als Zielgruppen erreicht und ermöglichen eine

„Peer to Peer Vermittlung (…) eine Generation weitergedacht“ (I4, Z.823-824). Ein Aspekt der Offenen Arbeit sind die Gelegenheitsstrukturen, die es Kindern und Jugendlichen ermöglichen, unverbindlich die Einrichtungen kennen zu lernen. Dadurch werden aus Gelegenheitsbesuchenden Stammbesuchende. Die strukturierten Rahmenbedingungen verhindern diese Situationen, in denen sich neue Jugendlichen „reinsneaken“ (I4, Z.233), also sich in der Phase des Kennenlernens und Ausprobierens befinden. Die geäußerte Sorge ist, dass dadurch, dass diese Testphase wegfällt, die nächste Generation von Besuchenden gefährdet ist (vgl. 605-608).

4.3.2 Zugriff auf Kontaktdaten, Anonymität und Kommunikation (UK 3.2) Als besondere Herausforderung wird die Kontinuität der Beziehungen mit anonymen Jugendlichen genannt. In zwei der drei Interviews mit Fachkräften aus Einrichtungen sind anonym auftretende Jugendliche fester Bestandteil der Zielgruppe im Regelbetrieb (vgl. I4, Z.180-183; I3, Z.262-265).

„Wir haben einige Jugendliche, wo man den Vornamen kennt oder auch nur den Spitznamen.

Ähm, die bereichern die Jugendarbeit total, das sind nette Leute, dann kommt die F., dann kommt die L. und, äh, die machen hier Spaß und sind klug und haben gute Ideen und sind wichtig für die Gruppe.“ (I4, Z.180-183)

Sowohl in der hybriden als auch in der Schließzeit sind Kontaktdaten Bedingung, um Zugriff auf die Angebotsformate der Einrichtungen zu erhalten. Durch diese Zugangsbarrieren wird die Teilnahme einzelner erschwert oder ausgeschlossen. Diese Bedingungen sorgen dafür, dass Jugendliche aus „besonders destabil[en]“ Verhältnissen stärker vom Ausschluss betroffen sind als Jugendliche aus vergleichsweisen privilegierteren Verhältnissen.

„(…) es gibt auch immer wieder Jugendliche, die hier möglicherweise auch konkret Haftbefehle gegen sich ausstehen haben oder so, wo sie so sagen „Nee ich will hier meinen Namen nicht (Pause) nicht hinschreiben.“. Das heißt, da sind schon einige verschwunden (…)“ (I3, Z.268-271)

Es wird versucht, über die analogen sozialen Netzwerke der Jugendlichen den Kontakt zu anonym auftretenden Jugendlichen herzustellen (vgl. I4, Z.221-223; Z.190-191). Als begünstigender Faktor treten in diesem Zusammenhang jugendliche Übungsleiter*innen auf, die durch ihre Zwischenrolle als Bindeglied zwischen Einrichtung und den jugendlichen Lebenswelten fungieren (vgl. I3, Z.594-599). Eine andere Strategie, um in Kontakt zu treten, ist der Kontakt über Eltern als Mittlerstrukturen. Als begünstigender Faktor werden in diesem Zusammenhang Datenschutzverstöße aus der Vergangenheit genannt.

„Und wir haben einige Jugendliche, die sind uns schon total bekannt, weil die auch mit uns auf Ferienfreizeiten war'n oder sonstiges, das heißt wir haben da auch Kontaktdaten im Notfall, weil wir mal wieder die Anmeldung nicht geschreddert hatten so, ne.“ (I4, Z.183-185)

Um möglichst viele Jugendliche zu erreichen, werden verschiedene Kommunikationskanäle genutzt. Alle Einrichtungen kommunizieren über diverse digitale Medien wie Instagram, WhatsApp, Discord oder Twitch18 und über analoge Kanäle wie der Kommunikation über Multiplikator*innen oder mobile Arbeit im Stadtteil (vgl. I4, Z.725-727). Bei den digitalen Medien werden Kanäle genutzt, die in der Lebenswelt der Jugendlichen bedeutsam sind (vgl.

I1, Z.429-434). In allen Einrichtungen gibt es Angebote zur Beratung während der Schließzeit (vgl. I2, Z.648-653; I3, Z.537-541; I4, Z.714-716)

4.3.3 Zugriff, Kenntnis und Bereitschaft zur Nutzung digitaler Medien (UK3.3)

Das Arbeitsfeld der OKJA hat sich im letzten Jahr digital „neu erfunden“ (I1, Z.526-527). In der Schließzeit wird ein Großteil der Angebote digital umgesetzt und parallel in der hybriden Öffnungszeit weiter betrieben. Zu den digitalen Angeboten lassen sich drei Faktoren feststellen, die den Zugang zu Angeboten begünstigen oder begrenzen.

Erstens erfordern digitale Projekte materielle Voraussetzungen von Teilnehmenden und Einrichtungen: Hierzu zählen Endgeräte, W-Lan und Zugangsdaten. Diese Voraussetzungen können nicht immer erfüllt werden. „(…) da gibt’s kein W-Lan, wenn die auf der Straße wohnen, und auch der Zugriff auf Endgeräte ist auch ein anderer.“ (I3, Z.328-330). Dieser materielle Faktor ist Grundbedingung für das digitale Arbeiten. Eine Einrichtung reagiert auf die schlechten Ausstattungsbedingungen mit der Bereitstellung von Tablets an die Zielgruppe.

18 Digitale Streamingplattform

„(…) die haben zum Glück Tablets aufgemacht, wo die gesagt hatten, wir brauchen den Kontakt zu den zu den Kindern und Jugendlichen. Die haben 80 Tablets rübergegeben, dass wenigstens ein digitaler Kontakt da sein kann.“ (I4, Z.523-525)

Zweiter Faktor ist die Kompetenz im Umgang mit den digitalen Medien. „(…) woran scheiterts zum Teil, an dem Wissen wie man damit umgeht mit den ganzen Gerätschaften und den ganzen Servern.“ (I2, Z.823-824). Mangelnde Ausstattung und Anmeldedaten korrelieren oft mit einer verminderten Umgangskompetenz mit digitalen Medien (vgl. I3, Z.890-893).

„(…) und dann sitzt irgendwo jemand und sagt 'Ja das geht hier nicht und dann muss ich erst mich anmelden per E-Mail, aber das kann ich nicht und Mama und Papa sind arbeiten.', und da hätt' ich auch kein Bock.“ (I2, Z.488-490)

Der dritte Faktor ist die Motivation, an digitalen Angeboten teilzunehmen. Die Lebenswelt von Jugendlichen ist dadurch, dass ein Großteil ihrer Aktivitäten zeitweilig digital stattgefunden hat, digitalisiert. „Ähm, aber die müssen ja für die Schule digitale Päckchen machen, jetzt in der Jugendarbeit noch digitale Päckchen und so weiter.“ (I4, Z.535-536). Es wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen Motivation und Kompetenz. Jugendliche, die in den digitalen Angeboten Selbstwirksamkeit erleben, haben eine stärkere Motivation, an den Angeboten teilzunehmen.

„(…) ist es nicht ansatzweise die Zahl an jungen Menschen, die davon profitiert, wie in unserer präsenten Arbeit, weil einfach ganz viele davon ausgeschlossen sind. (…) Man hört bestimmte Personen, die sich in diesen Beteiligungsformen besser auskennen, ähm, und sich da besser ausdrücken können, die hört man was mehr, während man ganz viele andere gar nicht mehr hört.“ (I3, Z.748-752)

Die neue digitale Charakteristik der Angebote hat zur Folge, dass nur eine Teilgruppe der Besuchenden erreicht wird. Als Erweiterung der analogen Arbeit kann das Arbeitsfeld durch digitale Angebote in Zukunft zusätzliche Zielgruppen erreichen und die Öffentlichkeitsarbeit der Einrichtungen verbessern.

„Also das hat nicht nur den Effekt, ähm, dass die Einrichtungen gesehen werden, sondern das hat glaub ich auch noch mal den Effekt, äh, andere Zielgruppen erreichen zu können, ähm, das Arbeitsfeld irgendwie weiter zu qualifizieren aber auch tatsächlich abzusichern, weil es einfach mehr in den Blick gerät.“ (I1, Z.782-785)

4.3.4 Besuchende in prekären Lebensverhältnissen (UK 3.4)

Das Arbeitsfeld der OKJA hat die Kompetenz im Normalbetrieb, Jugendliche aus prekären Lebenslagen zu erreichen. Grund hierfür ist der niederschwellige Zugang zu Angeboten.

Diese Charakteristik kann durch die neuen Bedingungen nicht in gleichem Maße beibehalten werden. Die Folge ist, dass Einrichtungen Kontaktabbrüche erleben. „(…) viele, zu denen wir aber auch einfach den den Kontakt schon in der ersten Welle schon verloren haben, gerad'

diejenigen, wo wir das Gefühl haben, das ist besonders destabil“ (I3, Z.315-317). „(…) diejenigen, die uns erreichen, die sich beteiligen, von denen wir was hören, das sind eher die Kids, um die wir uns keine Sorgen machen.“ (I3, Z.628-630)

Im Regelbetrieb fungiert Jugendarbeit neben der Funktion als informeller Bildungsort als Brückenfunktion zu anderen Sozialisationsinstitutionen wie Familie und Schule. Durch den Abbruch von Beziehungen im Kontext der OKJA werden formale Bildungsbiografien zusätzlich beeinträchtigt.

„Und die sagen, wenn wir nicht ansonsten da sind, die denen auch immer wieder sagen: Geht zur Schule. Macht was, sonst verbaut ihr euch da was, ähm, dann brechen die ab und diejenigen, die vorher schon so ein bisschen zögerlich waren, ähm, die sind jetzt weg.“ (I4, Z.424-427)

Während der Pandemie wird die Situation von Jugendlichen, die in ihrem häuslichen Umfeld tagsüber alleine sind, als schwierig bewertet (vgl. I2, 532-538). Das betrifft auch Jugendliche aus finanziell privilegierten Verhältnissen, bei denen vor der Pandemie weniger Unterstützungsbedarf gesehen wurde (ebd.). Schutzfaktor wird in Geschwistern gesehen (ebd.).

4.3.5 Gesundheitliche Aspekte und Beeinträchtigungen von Besuchenden (UK 3.5)

Die Pandemie stellt ein besonderes Risiko für Teilgruppen der Gesellschaft dar. Neben dem Alter stellen Vorerkrankungen und Behinderungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der Erkrankung dar (vgl. RKI 2021). Im Präsenzbetrieb werden Jugendliche mit einem erhöhten Krankheitsrisiko ausgeschlossen.

„Also auch da gabs ja klare Regelungen, dass, ähm, bestimmte Menschen dann ausgeschlossen werden, also zu ihrem Schutz, vor Angeboten. Dem sind wir da auch gefolgt, wobei man auch da natürlich sagen muss, letztlich entscheiden die Jugendlichen, ob sie uns sagen, dass sie Asthma haben oder Diabetes oder nicht. So, das können wir natürlich auch nicht kontrollieren“ (I3, Z.672-676)

Neben diesem Ausschluss, der von der Einrichtung ausging, gibt es auch Situationen, in denen die Jugendlichen oder deren Erziehungsberechtigte aus gesundheitlichen Gründen nicht an Angeboten teilnehmen (vgl. I3, Z.711-714). Eine Einrichtung ist von dieser Situation durch ihre Spezialisierung als inklusive Einrichtung besonders betroffen. Erlebte schwere Krankheitsverläufe oder der Tod von Personen im Umfeld der Besuchenden führt in diesem Fall zum Ausschluss.

„Aber dann kam halt auch irgendwann so: 'Nee, jetzt soll ich auch erst Mal nicht mehr kommen, weil, ne, haste schon gehört, ne, da ist auch jemand drum gestorben.' (…) Wo dann auch ganz klar war, wo die Eltern sagten: 'Nee, darfst du nicht.'.“ (I2, Z.747-752)

Die kleineren Gruppen in der hybriden Öffnungszeit und der strukturiertere Rahmen führt in Einzelfällen dazu, dass Jugendliche erreicht werden, für die der Regelbetrieb eine Überforderung darstellt (vgl. I2, Z.452-457).