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Bekanntschaft mit dem physiokratischen Schrifttum:

Im Dokument „Moderate et prudenter“ (Seite 67-75)

Karl Friedrich wurde nicht, wie gelegentlich in der Literatur angenommen, von dem späteren deutschen „Hauptphysiokraten“ Schlettwein auf die neue ökonomische Schule aus Frankreich aufmerksam gemacht.162 Es war vielmehr der Schweizer Physiokrat und Baseler Orientalist Friedrich Samuel Schmidt von Rossan, der seit 1762 in badischen Diensten stand, unter anderem Mitglied der Berner ökonomischen Gesellschaft war und den Markgrafen mit

158 FA-P-5-46-Heft 5.

159 FA-K-5-38-Stück 82.

160 FA-P-5-46-Heft 5.

161 FA-P-5-46-Heft 10. Die Notiz dürfte Ende der 1770er oder zu Beginn der 1780er Jahre getätigt worden sein.

162 Eine Feststellung, die schon 1909 Krebs unter Hinweis auf Karl Friedrichs agronomische Interessen machte. Siehe Krebs, Hauptphysiokrat, 12.

Zur Physiokratie siehe den Exkurs am Ende der Arbeit. Dort werden insbesondere die naturrechtlichen Prämissen der physiokratischen Theorie sowie die damit verbundenen Volksbildungsbestrebungen der Physiokraten dargestellt.

literarischen und wissenschaftlichen Neuerscheinungen versorgte. Am 9.10.1762 bat Schmidt um Anstellung in badischen Diensten, nachdem er sich schon einige Zeit am Karlsruher Hof aufgehalten hatte. Er begründete sein Ansinnen mit seiner Verbindung zu fremden agriculteurs und artistes, aufgrund derer er in der Lage sei, den Markgrafen mit Entdeckungen und Neuerungen bekannt zu machen. 163 Dieser scheint Schmidt von Rossans zu erwartende Dienste hoch eingeschätzt zu haben, denn schon im November 1762 wurde ihm der Titel Hofrat zuerkannt, zwei Jahre später wurde er zum wirklichen Hof- und Legationsrat ernannt.164 Sein Aufgabengebiet erstreckte sich auch auf französische Angelegenheiten, er wurde aber gleichzeitig zum 1. Direktor der öffentlichen Bibliothek sowie zum Leiter der Münz-, Altertümer- und Naturalienkammer ernannt.165 Schmidt versorgte den Markgrafen unter anderem mit Informationen zum Wirkungsfeld der Berner ökonomischen Gesellschaft sowie zu interessanten Neuerscheinungen. Beispielsweise übersandte er während eines Parisaufenthalts gleich nach dem Erscheinen die französische Übersetzung Morellets von Beccarias Hauptwerk.166 Nachdem er dem Markgrafen des Weiteren am 3.12.1766 ein nicht näher spezifiziertes kleines Werk über das Naturrecht, welches er dem Marquis Mirabeau zuschrieb, zugesandt hatte, machte Schmidt in einem Schreiben vom 8.10.1767 Karl Friedrich auf die Ephemerides du citoyen, das physiokratische Hauptblatt dieser Zeit, aufmerksam.

163 GLA 46/6867.

164 GLA 46/6867. Man wird wohl annehmen dürfen, dass der Markgraf die Ehrenmitgliedschaft der Berner Gesellschaft, die ihm im November 1763 angetragen wurde, Schmidt von Rossan zu verdanken hatte, FA-5-P-18. 165 GLA 76/6899. Vgl. Obser, Tagebuch, 227. Schon kurze Zeit später wurde Schmidt zum Geheimen Legationsrat ernannt, seit 1785 versah er die Geschäfte des Markgrafen beim Oberrheinischen Kreis. Die Ernennung des „Ägypters“ Schmidt zum Legationsrat überraschte Konrad Gottlieb Pfeffel, der im Rahmen eines zeitweilig für Karlsruhe ins Auge gefassten Akademie mit dem führenden Geheimratsmitglied, Johann Jakob Reinhard, in Verbindung stand. Er versuchte durch Übersendung von Literatur den Kontakt mit Reinhard, aber ebenso zur Markgräfin Karoline Luise, aufrecht zu erhalten. Hierbei ließ er in einem Schreiben anklingen, dass er wie in Frankreich üblich, bereit wäre, sich in die eine oder die andere nicht ganz undankbare Gerichtsstelle einzukaufen, die er dann von einem Gehilfen versehen lassen wollte. Der Prinzenerzieher Ring scheint ihn aber davon überzeugt zu haben, dass der Ämterkauf in Baden nicht üblich war und er Reinhard gegenüber besser nicht in diese Richtung sondieren sollte. Hans Georg Zier. Pfeffel und Karlsruhe. In: Gottlieb Konrad Pfeffel.

Satiriker und Philanthrop (1736-1809). Eine Ausstellung der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe in Zusammenarbeit mit der Stadt Colmar. Ausstellungskatalog hgg. von der Badischen Landesbibliothek.

Karlsruhe: 1986, 105-117, hier 109.

Zu den familiären Verbindungen der Familie Pfeffel zur Familie Sander aus Köndringen siehe Gabriel Braeuner. Pfeffel l’Européen. Esprit francais et culture allemande en Alsace au XVIIIe siècle. Straßburg: 1994, 19f.

166 Vgl. Schreiben Schmidts vom 27.12.1765 bzw. vom 10.1.1766: Monseigneur. J’ai fait partir pour Carlsrouhe un petit paquet, contenant à coté de quelques curiosités naturelles le traite des delits et des peines, Les amis de l’humanité qui sont rarement ceux de la jurisprudence, esperent, que cet ouvrage bienfaisant occassonera dans plusieurs gouvernemens des revolutions considérables et avantageuses en fait de droit criminel, GLA 46/6867. Lauts dürfte sich also irren, wenn er meint, dass Karl Friedrich 1766 durch Wilhelm Eugen von Württemberg auf das Werk aufmerksam gemacht worden sei. Lauts, Karoline Luise, 87.

Der Abbé Morellet war ein Anhänger der ökonomischen Schule Jacques Gournays und wie Turgot dem weiteren Umfeld der Physiokraten zuzurechnen. Viguerie, Dictionnaire, 1215f.

Nivernois, Mirabeau und Mercier de la Rivière, so Schmidt, würden daran mitarbeiten und die besten Beiträge aus der Economie politique und rurale dort mitgeteilt werden.167

Man darf demzufolge fast sicher annehmen, dass Karl Friedrich schon in den frühen 1760er Jahren spätestens aber seit 1767 mit den Physiokraten und ihrem Umkreis recht gut vertraut war. Seine intellektuelle Auseinandersetzung mit den philosophischen Strömungen seiner Zeit, die Suche nach festen und anwendbaren Regeln im Sinne einer rationalen Administration, wie auch die praktischen Gegebenheiten und Problemfälle der täglichen Verwaltungsarbeit, führten ihn ganz natürlich zur Übernahme dieses Systems, das nicht nur feste und rationale Grundsätze einer guten und auf die Beförderung des Allgemeinwohls gerichteten Administration lieferte, sondern darüber hinaus die Möglichkeit der Interessenidentität von Landesherren und Untertanenschaft postulierte. 168

Die Frage, ob es Schlettwein war, der den Markgrafen mit der Physiokratie in Bekanntschaft brachte, lässt sich, wie dargelegt, verneinen. Schlettwein selbst wurde unter anderem nach Karlsruhe berufen, um staatswirtschaftliche und ökonomische Vorlesungen zu halten, die sich am gängigen Kameralismus justischer Prägung orientiert haben dürften.169 Nach seiner „Bekehrung“ zur Physiokratie verfocht Schlettwein aber durchaus eigenständige Ansichten und überwarf sich darüber mit dem französischen Physiokraten Samuel Dupont, der dazu ausersehen war, den badischen Erbprinzen Karl Ludwig mit der physiokratischen Lehre vertraut zu machen.170 Da Schlettwein nicht auf ein Korrespondentennetz wie der Markgraf zurückgreifen konnte, wird man vermuten dürfen, dass er sich die entsprechende

167 GLA 46/6867.

168 So bedankte sich der Markgraf in einem Schreiben vom 23.4.1765 an den in französischen Diensten stehenden Hauptmann Johann Rudolf Frey für die Zusendung je eines Briefes von Mirabeau und Zschifelli.

Bezeichnenderweise räumt der Markgraf auch gegenüber Frey ein, dass er als Monarch dem Rat aufgeklärter Personen zu folgen habe: Monsieur, le desir que j’ai de m’instruire dans tout ce qui a rapport a l’Economie civile et rurale doit par lui même me faire naitre de l’empressement a tacher de faire la connoissances des personnes qui s’y distinguent par les lumieres qu’elles y ont acquises; [...] Je ne suis encore que bien foiblement instruits dans ces matieres, qui exigent des connoissances plus etendues, et une experience plus longue et plus suivie que la mienne: c’est dans le commerce des éclairés que je tache d’acquerir ce qui me manque, pour me rendre plus utile aux hommes en general et a ma patrie en particulier, GLA 46/6834.

169 Offensichtlich wurde der Markgraf auf Johann August Schlettwein über den ebenfalls als Kameral- und Polizeiwissenschaftler publizistisch hervortretenden Geheimrat Johann Jakob Reinhard bekannt. Mit einem Schreiben vom 16.11.1762 übersandte Reinhard dem Markgrafen unter anderem ein Büchlein, welches ihm der Magister Schlettwein zugesandt habe. Das mitgehende Schreiben Schlettweins an Reinhard, das Auskunft über den Anlass ihrer Bekanntschaft gab, ließ sich leider nicht mehr ausfindig machen, doch steht zu vermuten, dass diese Kontakte im Rahmen des von Reinhard immer wieder ventilierten Projektes einer badischen Akademie zustande kamen, GLA 46/6861. Zu diesen Plänen vgl. unten Fußnote 1098.

170 Vgl. hierzu auch die Korrespondenz Duponts mit einigen physiokratisch gesinnten Fürsten unten Fußnote 1674.

Zum schwierigen Charakter Schlettweins siehe Karl Konrad Bretschneider. Isaak Iselin. Ein Schweizer Physiokrat des XVIII. Jahrhunderts. Aachen: 1908, 114ff.

physiokratische Literatur beim Markgrafen besorgt hat und erst über ihn mit dieser Wirtschaftslehre bekannt wurde.

Das sehr konkrete Bedürfnis des Markgrafen endlich den Reformen im Agrarbereich eine neue und durchgreifende Dimension zu verleihen, bezeugt ein Schreiben Henri de Goyons aus Autras vom 20.1.1767, das der markgräflichen Korrespondenz eingereiht wurde.171 Da es an einen Monsieur adressiert wurde, wird man annehmen dürfen, dass zuvor ein Mittelsmann des Markgrafen - hier wäre etwa an Reinhard zu denken - den Kontakt hergestellt hatte. In dem Schreiben verwies Goyon auf den Wunsch des Adressaten, ihm ein Werk über die profitablere Einrichtung der Landwirtschaft und Industrie zukommen zu lassen. Er rekurrierte hierbei auf sein fünf Jahre zuvor erschienenes Werk La France agricole et marchande und fasste kurz die darin aufgestellten Hauptthesen zusammen.172 Er sah in der Landwirtschaft - ähnlich wie die Physiokraten - die Hauptquelle des gesellschaftlichen Reichtums, dementsprechend wollte er alle Einschränkungen der Bauern aufgehoben wissen, um sie zu einer besseren Produktionsweise anzuregen. In einem wohlpolizierten Staat, so Goyon, würden sich dann Handwerke und Manufakturen etablieren sowie ein florierender Handel aufkommen.

Dem Landesherren fiel dabei die Aufgabe zu, sich des Eigeninteresses der Bewohner zu bedienen bzw. dessen mitunter zerstörerische Kraft zu kanalisieren. Klare Exempel waren für ihn der Schlüssel zum intendierten Endzweck. Überzeugungsarbeit bei den Bauern kam deswegen eine essentielle Bedeutung zu: Il doit par une conduite mesurée s’attirer la confiance de ses peuples afin de les conduire plus facilement dans les paturages gras et abondants qu’il aura decouvert, car les peuples sont des animaux difficile à conduire et qu’on n’amene vers leurs bien être, qu’avec peine par la crainte où ils sont toujours qu’on n’en veuille au peu qu’ils ont [...] Il est moralement plus aisé à un Prince dont les Etats sont peu etendu et qui est interressé Lui même à les voir prosperer de mettre touts ces diferentes moyens en action pour peu qu’il aye des personnes qui le secondent. Ce point est essentiel

171 FA-K-5-28-Stück G128a.

172 Henri de Laplombanie Goyon. La France agricole et marchande. 2 Bde. Avignon: 1762.

In diesem Zusammenhang scheint der 131 Seiten umfassende Katalog interessant, der nach dem Tod Reinhards anlässlich der Versteigerung seiner Bibliothek gedruckt wurde. Darunter befanden sich unter anderem folgende Autoren: Von Justi, Conring, Moser, Rousseau, Beccaria, Voltaire, Montesquieu, Hume, Darjes, von Sonnenfels, Hirzel, Patullo, de la Salle, Wolff, Burlamaqui. Neben vielen weiteren Autoren sind auch einige Werke Schlettweins, vor allem aus seiner Jenaer Zeit, und viele physiokratische Schriften angeführt. Reinhard war also unter anderem mit den Hauptwerken der Staats-, Kameral-, Polizei- und Rechtswissenschaft vertraut.

Dies unterstreicht, wie sehr man bei den badischen Behörden an den vielfältigen geistigen Strömungen der Zeit Anteil nahm, um die eigene Verwaltungstätigkeit auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen. Michael Macklot.

Verzeichnis der Bücher und andrer Stücke aus der Verlassenschaft des abgelebten markgräflich-badischen Geheimen Rath, Herrn Johann Jacob Reinhard, welche in dessen Behausung zu Carlsruhe [...] versteigert werden sollen. S.l: [1772?].

comme je le fais voir pour amener tout un peuple à se preter de consent pour faire reussir des entreprises qui servent à la cause commune.173

Eher kritisch schätzte Goyon das Manufakturwesen ein, da dort viele Hände, wie er meinte, nutzlos beschäftigt würden und dem er lediglich die Aufgabe zumaß, überflüssige Arbeitskräfte aufzunehmen. In diesem Zusammenhang brachte er zudem moralisierende Argumente vor, da die Luxusproduktion in seinen Augen lediglich die Sitten verdürbe.

Besonders hart ging er mit der schädlichen Brut der Finanzjongleure ins Gericht, da sie das Volk aussaugten und lediglich die Habgier anfachten. Jeder wolle ihnen nacheifern, für einen der reüssiere, so Goyon, scheiterten 1.000. Im Anschluss kam Goyon auf seine eigenen praktischen Versuche im Auftrag des Grafen Damas zu sprechen, welche der Adressat schon selbst in Augenschein genommen habe. Das Angebot, in die Dienste eines deutschen Fürsten zu treten - also wohl diejenigen Karl Friedrichs - schlug Goyon zwar nicht kategorisch aus, forderte aber entsprechende finanzielle Kompensationen. Des Weiteren wollte er diesem nicht genannten Fürsten nur direkt unterstellt sein und die für das landwirtschaftliche Verbesserungsprojekt speziell eingerichtete Kasse sollte unter der Verwaltung seiner eigenen Vertrauten stehen. Offensichtlich gingen dem Markgrafen diese Forderungen zu weit und die ganze Sache zerschlug sich.174 Die Durchführung weitergehender agronomischer und steuerlicher Reformen war aber wohl zu diesem Zeitpunkt schon eine beschlossene Sache, nur die Direktion des Unternehmens war noch nicht gesichert, schließlich würde der Kammerrat Schlettwein das Projekt ausführen - wobei der Markgraf zur theoretischen Absicherung selbst Kontakt zum Marquis Mirabeau aufnahm.

Vielleicht war es erst der Briefwechsel Karl Friedrichs mit Mirabeau, der Schlettwein dazu bewog, sich näher mit der französischen Physiokratie auseinander zu setzen. Denn dass ein regierender Reichsfürst sich persönlich in konkreten Reformfragen an einen ihm bisher

173 FA-K-5-28-Stück G128a.

174 Vgl. hierzu in einem ähnlich gelagerten Fall das Konzept eines Antwortschreibens Karl Friedrichs vom 27.2.1764 an den Geheimrat Faesch aus Berlin, der in Baden mit einem großangelegten Kommerzien- und Manufakturprojekt vorstellig wurde. Ich habe den Plan, den Sie von den Veranstaltungen zu Beförderung des Nahrungsstandes und des Commercienwesens in meinen Landen anher übersendet haben, mit Vergnügen durchgelesen, und wünsche nicht mehr, als dass die Beschaffenheit und Umstände meiner Lande mit der Beschaffenheit und den Umständen derer, auf welche Sie in Ihrem Plane beständig Rücksicht gehabt haben, so weit einerley seyn möchten, dass man alle vorgeschlagene Manufakturen und Fabricken in Gang bringen könnte. Da jenes aber nicht ist, so habe ich zu Verbeßerung des Nahrungsstandes bißhero solche Maaßregeln zu ergreifen für nothwendig erachtet, welche der Lage und allen übrigen Umständen meiner Lande gleichsam angemeßen sind, und besonders suche ich zuförderst die Landwirthschaft zu befördern, und das Genie meiner Unterthanen zum Fleiß und zur Arbeitsamkeit zu bilden, als welches die Gründen der Manufacturen und Fabricken, die meinen Landen die vorträglichsten sind, nachher sehr erleichtern wird. Aus einem nachfolgenden Schreiben Faesch’ an einen ungenannten Regierungsrat ergibt sich, dass die Markgräfin ihm das Interesse ihres Gatten an seiner Anstellung in Baden mitgeteilt habe. Da ihm die Konditionen, die man offerierte, jedoch nicht hinreichten, lehnte Faesch es ab, in badische Dienste zu treten, GLA 74/2831.

nur durch theoretische Schriften bekannt gewordenen französischen Nationalökonomen wandte, scheint doch recht frappierend und darauf hinzudeuten, dass Schlettwein zu dieser Zeit noch mehr als Agronom, denn als Physiokrat anzusprechen war und darum dem Markgrafen die gewünschten physiokratischen Erläuterungen nicht selbst geben konnte. In Hinsicht auf die Klärung konkreter Fragen zur praktischen Umsetzung des physiokratischen Theoriengebäudes konnte der Marquis de Mirabeau dem Markgrafen aber nicht weiterhelfen, die Korrespondenz blieb jahrelang auf einer höflich-freundschaftlichen, aber dennoch abstrakten Ebene, stecken. Im Folgenden soll kurz ein Ausschnitt des markgräflichen Eröffnungsschreibens an den Marquis vom 22.9.1769 wiedergegeben werden, in dem seine aufgeklärte, am Allgemeinwohl orientierte Herrschaftsauffassung, sowie die angestrebten Reformziele pointiert zum Ausdruck kommen. Die unprätentiöse Art, mit der sich der Markgraf hilfesuchend an den „praktischen“ Philosophen wandte, scheint typisch für seine aufgeklärte Herrschaftsauffassung:

Ma qualité d’homme m’autorise à réclamer votre amitié et m’impose le devoir de la mériter en m’appliquant à être utile à mes semblables. Voici, Monsieur, mes titres pour oser à écrire à l’Ami des hommes sans avoir l’honneur de le connaître personellement. Dieu m’a fait naître pour gouverner un pays, qui par la température de son climat et par la fertilité de la plus grande partie de son sol laisse espérer de bonnes récoltes au laboureur industrieux, quand il se trouve en état de faire à la terre les avances nécessaires à sa culture. 175

Der Markgraf führte anschließend die Probleme an, auf die man in Baden bei der Umsetzung der physiokratischen Theorie gestoßen war. Die weit verbreitete kleinbäuerliche Güterstruktur garantierte in schlechten Erntejahren nicht einmal die Existenz der Bauern, ganz zu schweigen von einem nach der physiokratischen Steuerlehre alleine besteuerbaren Reinertrag. Eine gerechte Steuererhebung - so der Markgraf weiter - war zudem wegen der Berechnung des Kulturaufwandes ein diffiziles und kaum zu lösendes Problem. Zwar hatte man ihm geraten, ein Gesetz zum Verbot der weiteren Erbteilung zu erlassen, den dadurch möglicherweise hervorgerufenen Unmut bei den Untertanen scheute er aber, weil er sich nicht befugt sah, in ihre Eigentumsrechte einzugreifen, solange dies nicht auch in ihrem Interesse läge - von einer „absolutistischen“ Herrschaftsauffassung war Karl Friedrich also weit entfernt.176 Da es Pächter in Baden kaum gab, konnte man ebenso wenig auf Pachtzahlungen

175 Knies I, 3.

176 Comme je n’aime pas à faire ce qui peut leur être désagréable en choquant des préjugés reçues depuis longtemps, à moins que je n’y voie évidemment leur propre intérêt, je vous prie, Monsieur, de vouloir bien me dire si vous trouvez qu’une telle loi serait avantageuse à mes sujets et surtout conforme à leur propriété foncière, à la quelle je ne me crois pas autorisé de pouvoir déroger en aucune manière, Knies I, 3f.

als Maßstab für den Steueransatz zurückgreifen. Er erbat sich deswegen darüber Auskunft, wie man, ohne den Eigentümern oder dem Land beschwerlich zu fallen, die Steuererhebung in Zukunft gerecht bewerkstelligen könne. Hierbei setzte er auf die „natürliche“

physiokratische Ordnung, die ihn offensichtlich in ihren Bann gezogen hatte, große Hoffnung.

Mirabeau versuchte er als Ratgeber dadurch zu ködern, dass dieser am Beispiel Badens die universelle Applizierbarkeit der physiokratischen Theoreme beweisen könne und somit der Aufklärung wie der Menschheit einen großen Dienst erwiese: Les sentimens que le publique vous connaît, Monsieur, me font espérer, que vous ne me refuserez pas la satisfaction de vouloir m’instruire sur des matières qui peuvent intéresser un certain nombre d’humains, nos frères. Vous donnerez par là encore plus d’étendue aux Lumières de la science oeconomique en montrant qu’elle est applicable à tous les cas et à toutes les circonstances. Cette science sublime faite par l’auteur de la nature pour tous les climats et pour toutes les nations, pour le bonheur du genre humain, mon peuple et moi nous prendrons part aussi à ce bonheur, et ce sera à vous, Monsieur, et à vos sublimes coopérateurs à qui nous devrons la reconnaissance éternelle de nous avoir guidés dans le chemin de l’ordre naturel, tracé par la main créatrice de notre divin législateur.177

Der Markgraf stellte in seiner Korrespondenz mit den Physiokraten erneut unter Beweis, wie ernst er es mit seiner schon dem Schweizer Physiokraten Frey 1765 gegenüber gemachten Aussage nahm, dass es die Philosophen seien, die die Fürsten leiten müssten.178 Es handelte sich dabei nicht um den höflichen Austausch von Komplimenten im Stile der Korrespondenz Friedrichs II. mit Voltaire, sondern um die Frage der konkreten Steuererhebung in Übereinstimmung mit der physiokratischen Theorie. Die Problematik der Güterabschätzung, der Berechnung des Kulturaufwandes, des Nettoertrages und der davon zu ziehenden Steuer blieben in der Folgezeit die konkreten Hindernisse, an denen man bei der Durchführung der physiokratischen Steuerversuche scheiterte.

Die Korrespondenz mit Mirabeau zog sich zwar noch jahrelang hin, gestaltete sich aber immer sporadischer, da sie den Markgrafen bei der Lösung der Problematik keinen Schritt weiterbrachte. Ihm dürfte es zudem peinlich gewesen sein, dass selbst innerhalb der eigenen Beamtenschaft die Physiokratie kaum Anhänger fand. Offensichtlich scheuten sich die meisten Räte, sich näher mit ihr auseinander zu setzen, zumal sie Grundsätze zu enthalten

177 Knies I, 4f.

178 Vgl. oben Fußnote 168. Ähnlich äußerte sich Karl Friedrich in einem Schreiben an Samuel Dupont vom 29.12.1772: Cet a des Philosophes comme Vous Monsieur, à éclairer les Princes, en demontrant ce qui est vrai,

178 Vgl. oben Fußnote 168. Ähnlich äußerte sich Karl Friedrich in einem Schreiben an Samuel Dupont vom 29.12.1772: Cet a des Philosophes comme Vous Monsieur, à éclairer les Princes, en demontrant ce qui est vrai,

Im Dokument „Moderate et prudenter“ (Seite 67-75)

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