• Keine Ergebnisse gefunden

Begriffsklärung: Apokalypse, Gedankenexperiment

Im ersten Kapitel sollen kurz zwei Begriffe geklärt werden, die für alle drei Werke grundlegend sind. Schwarze Spiegel, Die Wand und Die Arbeit der Nacht sind Gedankenexperimente, in denen die Konzepte „Einsamkeit“ und „Apokalypse“ literarisch verbunden werden.

Gedankenexperimente sind sogenannte Was wäre wenn… - Überlegungen, in denen jemand Voraussetzungen und Folgen eines Problems im Geiste durchspielt, um theoretisches Wissen über tatsächlich Mögliches zu erlangen.2 Das klingt zwar relativ einfach, ist aber eine sehr komplexe Angelegenheit und gerade Nutzen und Einsatzort dieser Experimente sind oft nicht leicht zu definieren. Robert Pfaller wirft diesbezüglich einige interessante Fragen auf.

Hat das Gedankenexperiment wissenschaftlichen Nutzen und bereitet es etwa empirische Experimente vor oder soll es gar wirkliche Experimente ersetzen? Ist es ein Instrument der Ethik, das helfen soll richtige Entscheidungen zu treffen? Oder handelt es sich um eine künstlerische Darstellung einer unwirklichen Welt?3

Antworten auf Fragen wie diese sind schwer zu finden und können nur auf den jeweiligen Einzelfall, nicht aber allgemein gegeben werden. Fakt ist, dass Gedankenexperimente oder – spiele, wie sie auch manchmal genannt werden, in den verschiedensten Disziplinen zum Einsatz kommen. Die wichtigsten sind dabei die Philosophie und die Naturwissenschaften, aber auch in der Literatur haben sie ihren Platz. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein etwa nutzte Gedankenexperimente als Gegenbilder zur Realität. Sie bieten seiner Meinung nach die Möglichkeit auf Verlust dessen, was man bisher als unwiderlegbar und gegeben, hingenommen hat.4 Besonders ist Gedankenexperimenten weiter, dass sie sich häufig nicht auf eine Disziplin beschränken lassen, sondern einander durchdringen und beeinflussen, ein Beispiel dafür findet sich etwa in Kapitel 3.5.

Die drei zu analysierenden Werke schildern die Konsequenzen eines Gedankenexperiments.

Die Autoren spielen das Gedankenexperiment selbst nicht durch, sondern illustrieren die Auswirkungen einer grundlegenden Katastrophe, die teils ganz ungeklärt bleibt.

Voraussetzung für die vorliegenden Werke ist jedoch immer das Weltende.

2 Vgl. Horn, Eva: War Games. Der Kalte Krieg als Gedankenexperiment. In: Macho, Thomas und Wunschel, Annette (Hrsg.): Science & Fiction. Über Gedankenexperimente in Wissenschaft, Philosophie und Literatur. Frankfurt am Main:

Fischer 2004, S. 319

3 Vgl. Pfaller, Robert: Das vertraute Fremde, das Unheimliche, das Komische. In: Macho, Thomas und Wunschel, Annette (Hrsg.): Science & Fiction. Über Gedankenexperimente in Wissenschaft, Philosophie und Literatur. Frankfurt am Main:

Fischer 2004, S. 265f 4 Vgl. Ebd., S. 267

7 Das Wort Apokalypse stammt aus dem Griechischen und bedeutete ursprünglich Enthüllung.

Vom Christen- und Judentum wurde es mit Offenbarung übersetzt. Heute wird es hauptsächlich im Sinne von Weltende und Grauen gebraucht. Die Bedeutungsverschiebung des Begriffs spiegelt sich auch in der Geschichte der Apokalypse als literarisches und religiöses Konzept wider.

Das Mittelalter und die frühe Neuzeit waren noch heilsgeschichtlich, also an der biblischen Idee von Apokalypse, orientiert5, hierbei erzählt die Apokalypse in prophetisch-visionärem Sinne zwar vom Ende der Welt, aber auch vom Kommen Gottes. Die prophetisch-apokalyptische Zukunftserwartung wird als Eschatologie bezeichnet. Mit Offenbarung ist gemeint, dass die Welt nie grundlos zu Ende geht und genau dieser Grund enthüllt wird.

Naturkatastrophen, Kriege, Seuchen und ähnliches wurden damals dem Zorn Gottes auf die Menschen zugeschrieben. Der Weltuntergang wurde als gottgewolltes Ereignis erlebt, wobei sich der Zirkel von Weltuntergang und Erlösung oder Offenbarung immer fortsetzt. Die wohl bekannteste apokalyptische Erzählung der Bibel ist die Johannes-Offenbarung, auf die auch in den vorliegenden Werken immer wieder Bezug genommen wird. Erst das naturwissenschaftliche Denken des 18. Jahrhunderts bringt Veränderung. Die Menschen beginnen Katastrophen als empirisch begründet zu verstehen und schreiben sie nicht mehr dem Willen Gottes zu. Sie fragen sich im Gegensatz, was für ein Gott das ist, der den Menschen so furchtbare Dinge antut.6 In der neuesten Geschichte geht man von der vom Menschen selbst verursachten Katastrophe aus, wobei die Selbstzerstörung als letzte Stufe des Säkularisierungsprozesses an die Stelle der Selbstverwirklichung getreten ist. In dieser Zeit sind auch Schwarze Spiegel, Die Wand und Die Arbeit der Nacht angesiedelt. Ein weiterer großer Unterschied zur ursprünglichen Idee von Apokalypse ist die Endgültigkeit - wurde das Weltende früher als etwas Relatives verstanden, ist es heute etwas Endgültiges.7 So ist auch den drei Werken gemein, dass zwar die Apokalypse stattfindet, die Offenbarung und Erlösung jedoch ausbleiben. Es beginnt kein neues Zeitalter, das Weltende ist endgültig. Der Grund für die Bedeutungsverschiebung und das besonders große Interesse am Thema, gerade im 20.

Jahrhundert, hängt mit der Stationierung von Atomwaffen auf der ganzen Welt, Kriegen, Seuchen und Atomreaktorunfällen, wie jenem in Tschernobyl zusammen. Die Vernichtung aller Menschen durch die eigene Spezies wird real möglich.8 Zusammenfassend lassen sich drei gemeinsame Merkmale des modernen Endzeitbewusstseins ausmachen: die Totalität

5 Vgl. Faulstich, Werner; Grimm, Gunter; Kuon, Peter (Hrsg.): Apokalypse. Weltuntergangsvisionen in der Literatur des 20.

Jahrhunderts. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986, S. 7

6 Vgl. Ebd.

7 Vgl. Ebd., S. 9

8 Vgl. Ebd., S. 7

8 (niemand kann sich dem Untergang entziehen), die Entropie (Auflösung aller Herrschafts- und Ordnungssysteme) und die Irreversibilität (die Vernichtung kann nicht gestoppt oder rückgängig gemacht werden).9

Wichtig ist auch der Begriff Postapokalypse, der, wie naheliegt, die Zeit nach dem Eintreten des Weltuntergangs, bezeichnet. Da in den vorliegenden Werken zu Beginn die Katastrophe bereits geschehen ist, können sie als postapokalyptisch bezeichnet werden. Im Zentrum der drei Romane steht jeweils ein oder eine Überlebende/r, der oder die mit der völligen Einsamkeit umzugehen lernen muss.

9 Vgl. Ebd., S. 10

9