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3. Faktoren, die den Spracherwerb beeinflussen

9.3 Durchführung

9.3.1 Basisstudie

9.3.1.1 Ziel der Basisstudie

Ziel der Interventionsstudie war es, das sprachliche Anregungsniveau in Kindertagestätten gezielt und systematisch zu erhöhen. Damit sollte sichergestellt werden, dass die betreuten Kinder in allen alltäglichen Situationen einen angemessenen und anregenden sprachlichen Input erhalten, der sie zur sprachlichen und kognitiven Auseinandersetzung mit ihrer sozialen und physischen Umwelt animiert, was zu einer Erhöhung der sprachlichen und kognitiven Kompetenzen der Kinder führen soll.

9.3.1.2 Theoretische und empirische Basis der Intervention der Basisstudie

Die Intervention wurde ausgehend von interaktionistischen Theorien zum Erst- und Zweitspracherwerb konzipiert. Interaktionistische Erklärungsmodelle zum Spracherwerb vereinen Beiträge verschiedener Forschungsrichtungen und basieren auf der sozial-konstruktivistischen Entwicklungstheorie Vygotskiis (vgl. Klann-Delius, 1999). Der Spracherwerbsprozess, der im Prozess der Sozialisation erfolgt, basiert demnach auf einer kontinuierlichen Interaktion allgemeiner Lernmechanismen, die nicht nur den Spracherwerb, sondern auch Entwicklung in anderen Bereichen ermöglichen, mit der Umwelt. Im Kontext der sozialen Interaktion erlernt das Kind nicht nur Wörter und deren Bedeutung, sondern erwirbt auch linguistische Strukturen wie Grammatik und Phonologie (vgl. Abschnitt 2).

Ausgehend von Forschungsergebnissen bezüglich der Wirkung des sprachlichen Inputs auf die Sprachentwicklung der Kinder wurden Erzieherverhaltensweisen, die sich als sprachförderlich erwiesen haben, identifiziert, systematisiert und als Kriterien für ein hohes sprachliches Anregungsniveau formuliert. Ebenso wurden Verhaltensweisen, die sich negativ auf die Sprachentwicklung auswirken, identifiziert mit dem Ziel, deren Auftreten abzubauen.

Anzustrebende und abzubauende sprachliche Verhaltensweisen wurden im „Rating zur Einschätzung des sprachlichen Anregungsniveaus in Kindertagesstätten (Gierke, P. & Beller, S.

2004) zusammengefasst und operationalisiert. Aufgrund der in der Forschung festgestellten Beziehung zwischen Erziehungsstil und Sprachentwicklung wurde auch auf die Förderung eines demokratischen Erziehungsstils abgezielt. Die diesbezüglich angestrebten bzw. abzubauenden

101 Erzieherverhaltensweisen wurden im Manual zum Rating zur Einschätzung des Erziehungsstils und im Manual zum Rating zur Einschätzung des sprachlichen Anregungsniveaus festgehalten und operationalisiert (vgl. Beller, E. K. et al., 2006).

9.3.1.3 Design der Basisstudie

Die Evaluation der Interventionseffekte erfolgte in einem Pre-Post-Design, wobei Veränderungen im Zeitraum der Intervention im sprachlichen Anregungsniveau und im Erziehungsstil der Erzieher sowie Veränderungen der sprachlichen Kompetenzen der Kinder im gleichen Zeitraum in den Interventionsgruppen mit denen der Erzieher bzw. Kinder in der Kontrollgruppe verglichen wurden.

9.3.1.4 Die Durchführung der Intervention

Die pädagogische Intervention, eine Fortbildung von Erziehern am Arbeitsplatz, erstreckte sich über 20 Wochen. Die Erzieher wurden in dieser Zeit einmal pro Woche am Vormittag für drei Stunden von einer trainierten Projektmitarbeiterin besucht, die als ein Modell zur Sprachanregung und eines demokratischen Erziehungsstils diente. Dies bedeutete, dass sie in Interaktionen mit den Kindern die im Projekt angestrebten Verhaltensweisen zeigte. Durch systematisch abwechselndes Beobachten wurde eine kritische Auseinandersetzung mit Sprachverhalten und Erziehungsstil angeregt und dieser Prozess durch den gezielten Einsatz von Videoaufnahmen vertieft. Im Fokus standen drei Situationen des Kita-Alltags: Freispiel, initiierte Tätigkeit und Essen. Nach dem Besuch in der Gruppe fand ein gemeinsames Auswertungsgespräch statt. Durch das Modell wurden der Erzieherin alternative Handlungsmöglichkeiten angeboten und in der Auswertung der Beobachtungen und Videoaufnahmen ihre Fähigkeit zur Selbstreflexion und Selbsteinschätzung bezüglich ihres sprachlichen Anregungsniveaus und des Erziehungsstils gefördert. Durch die Methode des Microteachings, mit der jeweils kurze Sequenzen der Videos betrachtet und gemeinsam anhand der entwickelten Kriterien (Rating zur Sprachanregung und Rating zum Erziehungsstil) diskutiert und ausgewertet wurden, wurde die Konzentration auf kleine Einheiten und einzelne Verhaltensweisen ermöglicht. Durch die gemeinsame Auswertung mithilfe der Kriterien erfolgte die Einschätzung der im Video sichtbaren Verhaltensweisen nicht subjektiv, sondern anhand objektiver Kriterien. Die Projektmitarbeiter wurden von der Projektkoordinatorin und der Projektbegleitung kontinuierlich begleitet und in Gruppen- und Einzelsitzungen supervidiert.

Vor Beginn der Intervention wurden den Erzieherinnen Ziele, Inhalte und Methoden des Projektes in einer externen Fortbildungsveranstaltung vorgestellt sowie die angestrebten bzw. abzubauenden Verhaltensweisen eingeführt. Auch wurden Kenntnisse über den Spracherwerb aufgefrischt. Zwei weitere externe Fortbildungen dienten der Vertiefung und Erweiterung der Erfahrung in der Intervention.

102 9.3.1.5 Betreuung der Kontrollgruppen

Zur Aufrechterhaltung der Motivation der Erzieher in den Kontrollgruppen, die sich für die Teilnahme an einem Sprachförderprojekt beworben hatten und per Zufall der Kontrollgruppe zugeordnet worden waren, und um einem Verlust von am Projekt beteiligten Erzieherinnen zu vermeiden, wurde ein Programm in der Kontrollgruppe durchgeführt, das als „Basis-Fortbildung“

bezeichnet wurde. Diese bestand aus fünf Besuchen eines Projektmitarbeiters in der Einrichtung der Erzieher, in denen Kenntnisse im Bereich der Sprachentwicklung und -förderung aufgefrischt wurden. Inhaltlich entsprachen diese 60-minütigen Treffen den Inhalten der ersten externen Gruppenfortbildung der an der Intervention beteiligten Erzieherinnen.

9.3.1.6 Durchführung der Erhebungen Erhebung der Erziehervariablen

Die Einschätzung des sprachlichen Anregungsniveaus und des Erziehungsstils der Erzieherinnen anhand der beiden Ratings zur Einschätzung des sprachlichen Anregungsniveaus und des Erziehungsstils erfolgte in Feldbeobachtungen, in denen jede Erzieherin in Pre und Post jeweils an zwei Vormittagen im Kita-Alltag beobachtet wurde. Im Laufe eines Vormittages wurden beide Ratings in vier zentralen Situationen des Kita-Alltags, nämlich Freispiel, initiierte Tätigkeit, Mittagessen und Wickeln, durchgeführt. Für jede der Situationen sollten pro Vormittag zehn Stichproben mit beiden Ratings erhoben werden, so dass für Pre und Post jeweils 20 Zeitstichproben à 30 Sekunden pro Situation vorliegen sollten. Da das Verhalten der Erzieherin in der natürlichen Situation beobachtet werden sollte, wurden weder eine Struktur des Ablaufs noch die zeitliche Dauer der jeweiligen Situation vorgegeben. Aus diesem Grund konnten nicht für alle Erzieher wie geplant 20 Zeitstichproben pro Situation in Pre und Post erhoben werden. In der vorliegenden Studie werden nur die in den drei Situationen Freispiel, initiierte Tätigkeit und Mittagessen erhobenen Stichproben verwendet.

Die Ratings wurden von trainierten Projektmitarbeitern durchgeführt. Das Training der Rater erfolgte anfangs auf der Basis von Videoaufnahmen, die in nicht am Projekt teilnehmenden Kindertagesstätten erstellt worden waren, und wurde anhand von Feldbeobachtungen fortgesetzt.

Erhebung des sprachlichen und kognitiven Entwicklungsstands der Kinder

Zur Einschätzung des sprachlichen und kognitiven Entwicklungsstandes der Zielkinder anhand der Bereiche Sprachentwicklung und Kognition des Instrumentes Kuno Bellers Entwicklungstabelle (Beller, E. K. & Beller, 2000) wurden die Erzieherinnen, die das Kind täglich in der Kita betreuen, aufgefordert, dieses anhand der Beobachtungskriterien über eine Spanne von zwei bis drei Wochen gezielt zu beobachten. Nach Abschluss der Beobachtungsphase wurden die sprachlichen und kognitiven Kompetenzen des Kindes in einer Auswertungssitzung mit einer trainierten Projektmitarbeiterin eingeschätzt. Die Erhebung der beiden Bereiche der Entwicklungstabelle erfolgte nach den Anweisungen des Instrumentes (vgl. Beller, E. K. & Beller, 2000).

103 In der Pre-Erhebung war die erste Einschätzung der Kompetenzen des Kindes in einem Abstand von ca. zwei Wochen – wie in der Anweisung des Instrumentes empfohlen – wiederholt worden.

Aufgrund der hohen Re-Test-Reliabilität im Bereich Sprache und Kognition zwischen der ersten und zweiten Befragung in der Pre-Erhebung wurde in der Post-Erhebung nur noch jeweils eine Befragung pro Kind durchgeführt (Beller, E. K. et al., 2006).

In der Pre-Erhebung waren die Erhebungen des sprachlichen und kognitiven Entwicklungsstands der Kinder gruppenweise durchgeführt worden, d.h. die Beobachtung und Einschätzung der einzelnen Kinder einer Kindergruppe durch deren Erzieher war innerhalb jeder Kitagruppe in einem engen Zeitrahmen erfolgt. Eine Kontrolle des Einschätzungszeitpunktes des Entwicklungsstands des Kindes in Bezug auf dessen Zugehörigkeit zu Subgruppen der Stichprobe (Intervention vs.

Kontrolle, Altersgruppe und ethnische Herkunft) war in der Pre-Erhebung nicht erfolgt. Um Unterschiede im zeitlichen Abstand zwischen der Pre- und der Post-Erhebung bezüglich des Alters, der ethnischen Herkunft und der Zuordnung der Kinder zu Interventions- und Vergleichsgruppe zu vermeiden, wurde für jedes Kind in der Post-Erhebung ein Erhebungszeitraum von zwei Wochen ermittelt, innerhalb dessen die Einschätzung des Kindes zu erfolgen hatte. Dazu wurden jeweils drei Kinder aus der Interventionsgruppe mit zwei Kindern gleicher Altersgruppe und ethnischer Herkunft aus der Kontrollgruppe gruppiert und die Post-Erhebung zeitlich so terminiert, dass der Zeitabstand zwischen der Pre- und der Post-Erhebung für Kinder beider Gruppen, Intervention und Kontrolle, in den Subgruppen Alter und ethnische Herkunft annähernd gleich sein wird bzw. nicht signifikant voneinander abweicht. Allerdings mussten bei 22 Kindern, die im Sommer 2005, also direkt nach Abschluss der Intervention, die Gruppe oder Kita wechselten, die Einschätzung des Entwicklungsstands noch vor dem Wechsel vorgenommen werden, um einen Einfluss des Wechsels bzw. eine Interaktion zwischen Wechsel und Intervention auszuschließen. Für diese 22 Kinder konnte keine Angleichung des Erhebungsabstands zwischen Pre- und Post-Erhebung vorgenommen werden. Eine nachträglich durchgeführte Analyse zeigt, dass der Zeitabstand in Kontroll- und Interventionsgruppe und in den Subgruppen Alter und ethnische Herkunft für die 118 Kinder, die nicht direkt nach Abschluss der Intervention die Gruppe oder Kita wechselten, nicht signifikant voneinander abweicht (s. Tabelle A12).

9.3.2 Follow-up-Studie