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5. Empirieteil

5.3 Auswertung der Interviews

5.3.1 Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring

Die Inhaltsanalyse ist ein Instrument der systematischen Textbearbeitung, das sich Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA etablierte, wobei zu Beginn vorwiegend quantitative Methoden zur Textanalyse herangezogen wurden. Erst in den 1970er Jahren hat Ritsert begonnen, als Alternative bzw. Ergänzung zu dieser Technik eine qualitative Inhaltsanalyse zu entwickeln. (Mayring 1995: 209) Dabei wird das Untersuchungsmaterial anhand von im Vorhinein festgelegten Regeln systematisch aufgearbeitet, wobei dennoch Elemente der quantitativen Inhaltsanalyse als Ergänzung herangezogen werden können.

Mayring (1996, 2003) unterscheidet im Wesentlichen drei Formen der qualitativen Inhaltsanalyse: die Zusammenfassung, die Explikation und die Strukturierung. Für die vorliegende Auswertung des gesammelten Datenmaterials habe ich die Methode der Strukturierung gewählt. Bei dieser Technik werden die Analyseeinheiten nach bestimmten Aspekten anhand von davor erarbeiteten Kriterien hin untersucht. (Mayring 2003: 58) In einem zweiten Schritt kann die strukturierende Inhaltanalyse noch einmal in vier verschiedene Subkategorien aufgeteilt werden: die formale, die inhaltliche, die typisierende und die skalierende Strukturierung. (ebd. 59) Für die Beantwortung meiner Forschungsfrage erweist sich die inhaltliche Strukturierung als die beste Form, da die Texte dabei von bestimmten

Kategorien thematisch erst herausgefiltert und anschließend zusammengefasst werden können.

Im Folgenden wird der Verlauf der qualitativen Inhaltsanalyse skizziert. Dabei ist „das Zerlegen des Analyseablaufes in einzelne Schritte, die zu einem Ablaufmodell zusammengestellt das inhaltsanalytische Arbeiten und seine Überprüfung leiten“ (Mayring 1995: 210) ein wesentlicher Aspekt. Als Analysematerial dienen die transkribierten Interviews mit den acht Frauen aus der ehemaligen Sowjetunion über die Funktionsmechanismen von Blat. Im zweiten Schritt werden Kategorien bestimmt, mit denen die relevanten Inhalte aus den Interviews herausgefiltert werden können. Diese Kategorien orientieren sich an den erläuterten Theorien. Sie können allerdings auch von den Antworten aus den Gesprächen direkt hergeleitet werden. Aus diesen Kategorien werden Haupt- und Unterkategorien gebildet. Nachdem die Kategorien herausgearbeitet worden sind, müssen diese definiert werden, um eine klare Zuteilung der Inhalte zu gewährleisten. Für eine übersichtliche Gestaltung wird hier eine Tabelle mit fünf Spalten herangezogen, die den Code, die Kategorien, die Definition, Ankerbeispiele und Kodierregeln auflisten. Bei den Ankerbeispielen werden exemplarische Textpassagen angeführt, die unter die angeführte Kategorie fallen. Die Kodierregeln dienen der Feinjustierung, sollten Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den einzelnen Kategorien auftreten. Im nächsten Schritt erfolgt ein erster Probedurchlauf, um die Kategorien und ihre Ausarbeitungen auf die Anwendbarkeit des zugrundeliegenden Textmaterials zu testen. Auch dieser Vorgang kann auf zwei Arbeitsschritte aufgeteilt werden. Zuerst werden die relevanten Passagen im Text mit dem entsprechenden Kategoriencode gekennzeichnet und anschließend in der Einzeldarstellung (gegebenenfalls paraphrasiert) angeführt. Nach dem Probedurchlauf wird das Ergebnis auf seine Qualität in Bezug auf die Beantwortung der Forschungsfrage hin untersucht und eventuell erfolgt eine Überarbeitung bzw. Anpassung des zugrundeliegenden Kategoriensystems. Schlussendlich werden die Ergebnisse für jeden Fall einzeln zusammengefasst und danach generalisierend auf Basis der Hauptfragestellung

Welche sozialen Aspekte prägten die Verhaltensstrukturen der Menschen bei Blat-Gefälligkeiten in der Sowjetunion?

interpretiert. (Mayring 2003: 53f)

5.3.2 Kategoriensystem

Anhand der ausgearbeiteten Konzepte und den daran orientierten Fragestellungen der Interviews können folgende Kategorien für die Analyse des zugrundeliegenden Materials herausgearbeitet werden:

K1) Personenbezogene Angaben

Angeführt werden die Eckdaten aus dem Kurzfragebogen sowie Aussagen zu den Lebensumständen in Hinblick auf Familien- und Wohnverhältnisse und Angaben zu den eigenen beruflichen Tätigkeiten und/oder denen der Eltern. Diese Informationen dienen dazu Einblicke in das damalige Umfeld der befragten Person zu erhalten, welches die Blat-Aktivitäten wesentlich beeinflusste.

K2) Allgemeine Angaben zu Blat und dessen Funktionsweise

In dieser Kategorie werden die persönlichen Erklärungsansätze über die Funktionsmechanismen und das Ausmaß von Blat in der sowjetischen Gesellschaft angeführt.

Die Ergebnisse können Unterschiede aufweisen, da dem Begriff Blat keine eindeutige Begriffserklärung zugrunde liegt. (Ledeneva 1998: 33) In Abhängigkeit von den persönlichen Anwendungen von Blat-Gefälligkeiten variieren somit die Erklärungsmuster.

K3) Kontakte knüpfen, pflegen und vermitteln

Von Relevanz sind Aussagen über die Art der Kontaktaufnahme mit einer spezifischen Person, die man um einen Gefallen bitten wollte. Wie wurde man auf die Person aufmerksam und in welcher Form konnte man sie ansprechen? Handelte es sich um eine längerfristige Verbindung interessiert die Form der Kontaktpflege (Kontaktfrequenz, an bestimmten Festtagen, etc.).

K4) (Fehl-) Verhalten in einer Blat-Beziehung

Gab es Verhaltensregeln, wie man sich innerhalb einer Blat-Beziehung zu verhalten hatte und wurden diese offen kommuniziert? Welche Sanktionen wurden eingesetzt, wenn sich ein Beteiligter nicht regelkonform verhalten hat? Aussagen in Bezug auf den zwischenmenschlichen Umgang von Blat-Nehmer und Blat-Geber sind in dieser Kategorie von Relevanz. Von Interesse ist, welche Möglichkeiten auf sozialer Ebene vorhanden waren, um Verhaltensüberschreitungen im informellen Bereich maßregeln zu können.

K5) Blat-Netzwerk

Kann man von einem Blat-Netzwerk sprechen? Wenn ja, was waren die Unterschiede zwischen freundschaftlichen und Blat-Beziehungen? In dieser Kategorie wird die Ambivalenz zwischenmenschlicher Verbindungen bezogen auf ihre Funktion angesprochen. Während es in manchen Fällen einfach war eine Verbindung zu einem Menschen eindeutig zuzuordnen, war es in anderen Fällen eine ambivalente Angelegenheit.

K6) Erfolg bestimmende Faktoren

Das Ausmaß an Blat-Kontakten, die jemandem zur Verfügung standen, variierte von Person zu Person. Genannt werden Faktoren, die für den Aufbau und das Bestehen von Blat-Kontakten förderlich waren. Von Interesse sind auch Aussagen über Gründe der Ablehnung gegenüber dem Gebrauch von Blat.

K7) Gegenleistungen

Die gegenseitige Unterstützung bei Blat war ein zentraler Bestandteil dieser informellen Versorgungsstrategie. Angeführt werden Aussagen über die Gültigkeitsdauer des Anspruchs auf eine Gegenleistung, die Konsequenzen wenn eine Gegenleistung nicht erfüllt werden konnte und ob manchmal bewusste Handlungen gesetzt wurden, um in die Schuld und dadurch längerfristige Verbindung einer strategisch wichtigen Person zu kommen. Zudem ist von Interesse welche Rolle Geld bei der Abgeltung eines Gefallens gespielt hat.

K8) Freiwilligkeit

Angaben zur Annahme und Ausführung von Blat-Gefälligkeiten. Neben den persönlichen sowie gesellschaftlichen Ansichten zu diesem Thema, spielen dabei auch die Lebensumstände eine Rolle. Die Entscheidungen mussten im Wesentlichen vor dem persönlichen Konflikt zwischen der Notwendigkeit der Befriedigung der alltäglichen Bedürfnisse und dem Wissen der damit einhergehenden Überschreitung des offiziellen Rechts und der kommunistischen Ideologie getroffen werden.

K9) Horizontale vs. vertikale Verbindungen

Erfahrungen über die gesellschaftliche Gleich- bzw. Ungleichstellung zwischen Blat-Nehmer und Geber werden angeführt. Unterschiede bei der Kontaktaufnahme als auch bei der Gegenleistung sind von Interesse.

5.4 Analyse der Interviews