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5. Empirieteil

5.2 Ablauf des Forschungsprozesses

Für die Beantwortung der Forschungsfrage war es in erster Instanz notwendig, die relevanten, theoretischen Konzepte in der Diplomarbeit aufzuarbeiten. Im Zuge dessen wurden Theorien über soziale Funktionsmechanismen zwischenmenschlicher Beziehungen erörtert. Um ein Verständnis über die alltäglichen Missstände der Versorgungssituation für die breite Masse der Bevölkerung und die sich daraus ergebenden, alternativen Wege den täglichen Lebensunterhalt zu bestreiten, entwickeln zu können, wurde in einem Kapitel die allgemeine Versorgungssituation im Verlauf der kommunistischen Planwirtschaft beschrieben. Das charakteristische Merkmal der sowjetischen Konsumstruktur war, dass ein gewisses Basisangebot von Waren- und Dienstleistungen vorhanden war, deren Erwerb allerdings durch Zugangsbeschränkungen reglementiert wurde, weil es mengenmäßig nicht für alle ausgereicht hat. Dementsprechend hing der Erhalt eines benötigten Produkts nicht primär von der eigenen Kaufkraft ab, sondern von dem Status, der einem vom System zugeschrieben wurde (wie ‚wichtig’ war man für das System) und den damit einhergehenden Beschaffungsmöglichkeiten. Vor diesem Hintergrund konnte sich eine informelle Verteilungsstruktur namens Blat entwickeln, um die offiziellen Zugangsbeschränkungen (z.B.: Rationierungen, Bezugsscheine) im Bedarfsfall zu umgehen. Hervorzustreichen ist, dass es bei Blat im Regelfall nicht um den Erhalt von illegalen, d.h. von verbotenen Produkten ging, sondern um die Beschaffung von Waren und Dienstleistungen, die regulär im Umlauf waren, ohne dass es der betreffenden Person möglich war, diese auf offiziellem Weg zu erhalten. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich für die Interviews die allgemeine Einleitungsfrage, mit folgendem Wortlaut:

Was waren die sozialen Regelmäßigkeiten von Blat in der Sowjetunion? Wie hat Blat funktioniert?

Auf Basis der theoretischen Einführung wurde ein Interviewleitfaden entwickelt, der die Grundlage für die Gespräche mit Personen aus der ehemaligen Sowjetunion bildet. Als nächster Schritt folgten die Phase der Kontaktaufnahme mit den Interviewpartnerinnen und anschließend die Durchführung der Gespräche. Nach dem ersten Treffen wurde der Leitfaden um die in der praktischen Anwendung vorgefundenen Schwachstellen bereinigt. Das Gesagte

wurde mittels Aufnahmegerät aufgezeichnet und für die Auswertung transkribiert. Zudem wurde nach jedem Gespräch ein Postskriptum erstellt, welches Anmerkungen, zur Person, zum Gesprächsumfeld sowie zu nonverbalen Kommunikationsbeiträgen beinhaltet.

5.2.2 Interviewleitfaden

Der Interviewleitfaden wurde in Anlehnung an die vorab vorgestellten theoretischen Ausführungen entwickelt und mit anderen Studien verglichen (z.B. Ledeneva 1998, Lennhag 2009). Nach der ersten Befragung wurde er überarbeitet und inhaltlich angepasst. Die Fragen sind in Schwerpunkte untergliedert, wobei sich die Kategorien an den erörterten wissenschaftlichen Konzepten orientieren. Dem Interviewleitfaden ist ein Kurzfragebogen vorangestellt, der die notwendigen biografischen Hintergrundinformationen abdeckt.

5.2.3 Transkription

Im Anschluss an die durchgeführten Interviews, wurden die Aufnahmen transkribiert. Um die Lesbarkeit der schriftlichen Protokolle zu erhöhen, wurde das gesprochene Wort in normales Schriftdeutsch übertragen. „Dies kommt dann in Frage, wenn die inhaltlich-thematische Ebene im Vordergrund steht, wenn der Befragte beispielsweise als Zeuge, als Experte, als Informant auftreten soll.“ (Mayring 1996:70) Nachdem für die Interviewpartnerinnen Deutsch eine Fremdsprache ist, mussten vor allem Bereinigungen im Satzbau sowie in der Grammatik vorgenommen werden und nur vereinzelt bei der Anwendung von Dialekt-Ausdrücken.

5.2.4 Beschreibung der Interviewpartnerinnen

Zur Generierung von Informationen zu dem Thema ‚Funktionsmechanismen von Blat in der Sowjetunion’ wurden problemorientierte, leitfadengestützte Interviews mit acht Personen aus der ehemaligen UdSSR in verschiedenen Städten Österreichs geführt. Die Anzahl der Gesprächspartnerinnen entspricht den Anforderungen einer Diplomarbeit, ist aber in ihrem Umfang nicht ausreichend, um repräsentative Ergebnisse erzielen zu können. In Bezug auf die Interviewteilnehmerinnen musste gewährleistet sein, dass sie tatsächlich persönliche Erfahrungen bzw. Erlebnisse mit Blat-Aktivitäten in der Sowjetunion sammeln konnten. Im Zuge dessen wurden im Vorfeld zwei Kriterien entwickelt: die potentiellen Interviewpartnerinnen sollten ca. 40 Jahre oder älter sein und aus der ehemaligen UdSSR stammen. Um sprachlichen Missverständnissen aufgrund der nicht ausreichend vorhandenen Russischkenntnisse meinerseits vorzubeugen, sollten die Interviews auf Deutsch oder Englisch abgehalten werden.

Auf der Suche nach Gesprächspartnerinnen habe ich diverse russische Kulturvereine und wissenschaftliche Institute in Österreich telefonisch kontaktiert und auf Anfrage anschließend eine schriftliche Ausführung meines Forschungsthemas geschickt. Sofern keine telefonische Kontaktaufnahme möglich war, erfolgte die Anfrage sofort auf elektronischem Weg.

Der erste Kontakt mit den potentiellen Interviewpartnerinnen hat in Abhängigkeit von der Art der Kenntnisnahme meines Anliegens stattgefunden. Sofern die Personen durch den Erhalt eines Newsletters bzw. der Onlineschaltung auf einer Homepage von meinem Diplomarbeitsthema erfahren haben, haben sie mich selbstständig per Mail oder Telefon kontaktiert. Im anderen Fall habe ich eine Liste von Gesprächspartnerinnen mit den telefonischen Kontaktdaten von der verantwortlichen Person eines Kulturvereins erhalten, nachdem sie die Frauen auf mein Thema angesprochen hat und diese ihr Einverständnis zu dem Gespräch gegeben haben. Da ich bei der Auswahl der Befragten auf Rückmeldungen angewiesen war, ergab es sich, dass ausschließlich Frauen für die Interviews herangezogen werden konnten.25 Zudem haben die Teilnehmerinnen die Vorgabe in Bezug auf das Alter großzügiger ausgelegt als angenommen, da die jüngste Interviewpartnerin zum Zeitpunkt des Gesprächs 34 Jahre alt war. In jedem Fall war die Teilnahme an den Interviews freiwillig und es waren alle mir unbekannte Personen.

5.2.5 Gesprächsorte und Durchführung

Die Interviews wurden großteils in öffentlichen Lokalen abgehalten, die teilweise von den Teilnehmerinnen und teilweise von mir vorgeschlagen wurden. In einem Fall hat der Informationsaustausch in der Wohnung der befragten Person stattgefunden. Wichtig war, dass sich die Beteiligten in der Situation wohlfühlen konnten.

25 Eine der Interviewpartnerinnen erwähnte, dass es üblicherweise Frauen waren, die das Sagen hatten (P1 167) und in Folge dessen im Haushalt für Blat zuständig waren (P1 169). Eine andere schilderte, dass Frauen, als treibende Kraft, ihre Männer zu Blat animiert hatten, weil sie beispielsweise eine größere Wohnung beziehen wollten. (P5 224-225). Ledeneva kommt zu dem Schluss, dass Blat-Aktivitäten zwar sowohl von Frauen als auch von Männern praktiziert wurden, sie erkennt allerdings einen Unterschied in den Aufgabengebieten. Frauen pflegten ihre Blat-Kontakte überwiegend im Bereich der Konsumgüter und in Angelegenheiten betreffend der Kinder (Wahl des Kindergartens, Schule, etc.), während Männer eher dafür zuständig waren einen guten Arbeitsplatz zu vermitteln, Baumaterialien zu organisieren, etc. (Ledeneva 1998: 120) Eine Erklärung dafür kann in den typischen Beschäftigungsverhältnissen gefunden werden, in denen Frauen und Männer tätig waren. Laut Ledeneva waren Männer üblicherweise im technischen Bereich bzw. in Büros angestellt, während Frauen eher

Die Gespräche wurden nach Einwilligung der Befragten digital aufgezeichnet. Dies ermöglichte es mir einerseits den Fokus auf die Durchführung des Interviews zu legen und andererseits einen schriftlichen Text durch Transkription des Gesprochenen für die anschließende Analyse zu erhalten. Aus diesem Grund war es wichtig, dass die Geräuschkulisse der Umgebung die Aufnahme der Gespräche nicht behinderte.

Vor Beginn der Aufzeichnungen wurde jede Teilnehmerin über den Zweck und die Struktur des Interviews informiert und über die anonymisierte Auswertung der Gesprächsinhalte aufgeklärt. Zudem wurden vorab etwaige Fragen seitens der Interviewpartnerinnen besprochen. Zu diesem Zeitpunkt, als auch während dem problemorientierten Interview, wurde von meiner Seite aus versucht ein vertrauensvolles Verhältnis zu entwickeln, um ein freies und offenes Gesprächsklima zu unterstützen. (Mayring 1996: 51) Die Befragte sollte sich im Zuge des Gesprächs sowohl persönlich als auch inhaltlich ernstgenommen fühlen. Die Dauer der Gespräche war maßgeblich vom Kommunikationsverhalten der Teilnehmerinnen abhängig und hat zwischen 40 und 95 Minuten in Anspruch genommen.

5.2.6 Übersicht der Interviewpartnerinnen

Person Alter Aus Damalige

Beschäftigung

Interviewort Termin P1 46 Moskau, Russland Sprachlehrerin:

Englisch & Deutsch

P4 37 Zhitomir, Ukraine Physiklehrerin, College

Tulln 05.10.2012

P5 42 Winitsa, Ukraine Landvermessung Wien 10.10.2012

P6 36 Perm, Russland Professorin f.

5.2.7 Meine Rolle als Interviewerin und Forscherin

Ich habe versucht, möglichst unvoreingenommen an die Interviewsituation heranzutreten, wobei durch die notwendigen, vorangegangenen Recherchen zu diesem Thema, eine gewisse Beeinflussung nicht zur Gänze ausgeschlossen werden kann. Entsprechend kann ein gewisses Ausmaß an Subjektivität im Forschungsprozess nicht verhindert werden.

„Gerade der persönliche Zugang zum Feld, die Haltung zu den untersuchten Menschen in ihren spezifischen Milieus, ein originelles und suchendes Vorgehen bei der Methodenentwicklung, Mut zur Theorieentwicklung – oft quer zu eingefahrenen Gleisen – spielen bei qualitativer Forschung eine große Rolle. Trotz vielfältiger Versuche zur Standardisierung und Kodifizierung qualitativer Forschung und Entwicklung von Lehrtraditionen bleibt immer noch ein unaufhebbarer „Rest“, der durch die Person des Forschers, seine Originalität, Hartnäckigkeit, sein Temperament und seine Vorlieben – eben seinen unverwechselbaren Stil – bestimmt wird.“

(Flick 2009:30)