• Keine Ergebnisse gefunden

Aufbewahrungsmittel Fotoalbum

Neue Bilder eines neuen Raums – Fabrikalben

5.1 Aufbewahrungsmittel Fotoalbum

Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten sich Alben in ganz Europa zu einem Aufbewahrungsort für Fotografien. Seit Ende der 1850er Jahre nahmen besonders in England und Deutschland die Produktion und der Vertrieb spezieller Fotoalben an Fahrt auf.26 In Russland gewann der Verkauf von Foto-alben besonders ab den 1860er Jahren an Bedeutung.27 Das älteste Firmen-album aus dem Quellenkorpus der vorliegenden Arbeit stammt ebenfalls aus dieser Zeit, aus dem Jahr 1866.28 Bis zur Wende zum 20. Jahrhundert zeigten russische Firmenalben fast ausschließlich Originalabzüge, danach erschienen zunehmend Publikationen mit gedruckten Fotografien. So unterschiedlich Ausführung und Funktionen der Alben waren, sie waren doch alle buchähn-liche Aufbewahrungsformen für fotografische Abzüge. Die Seiten der Alben stellten gerade für Fotografien aus dem Kontext der Industrie einen wichtigen Schutz dar im Vergleich zu losen Einzelaufnahmen. Das buchähnliche Format begünstigte das Überleben der Bilder in Bibliotheken, Archiven und Museen, denn in dieser Form konnten Fotografien beziehungsweise die Alben mit einer Signatur versehen und ins Regal gestellt werden wie gewöhnliche Bücher. Viele Einzelaufnahmen gingen verloren oder Archivare kassierten sie bei der Über-gabe von Unternehmensnachlässen, weil sie Fotografien nicht als erhaltenswert erachteten.29 Aus diesem Grund umfasst das Quellenkorpus der vorliegenden Arbeit vergleichsweise viele Alben und nur weniger Einzelaufnahmen.

Die Motive der Fotografien in Firmenalben variierten je nach Entstehungs-kontext stark. Diente ein Album der Dokumentation eines Neubaus, hielten die Bilder die allmählich voranschreitenden Bauarbeiten fest.30 Wollten die

26  Jäger: Gesellschaft und Photographie, S. 144; Jäger: Fotografie und Geschichte, S. 71.

27  Das erste Geschäft, das Alben in Moskau verkaufte, war More i Ko. Šipova: Fotografy Moskvy (2006), S. 21–22. Dabei handelte es sich meist noch um Alben für Privatpersonen, in die man Fotografien einstecken konnte. Die vorgefertigte Form gab die Präsentation und Anordnung der Bilder vor. In den 1880er Jahre kamen Alben auf, in die Fotografien eingeklebt werden konnten und die keine symmetrische Anordnung mehr vorschrieben.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass es vergleichbare Formate vorher überhaupt nicht gab.

Starl: Im Prisma des Fortschritts, S. 69.

28  MIZ: o. A.: Vidy Ižorskago zavoda (bol’šoj al’bom), o. O. 1866.

29  Zumindest legt die Quellenlage in den Archiven diesen Schluss nahe. In den Firmennach-lässen, die das CGIA archiviert, finden sich so gut wie keine Fotografien, obwohl der Ver-gleich zu anderen Unternehmen den Schluss nahelegt, dass es lose Aufnahmen gegeben haben muss. Beispielsweise die Unterlagen des Kolomenskij Mašinostroitel’nyj zavod im CGA Moskvy f. 318, op. I t 1, d. 672, l. 21, 23, 25, 28–30, 32–37, 41; f. 318, op. 1, d. 972, l. 126o;

f. 318, op. 1, d. 2409, l. 22.

30  Privatsammlung Lessing: A. I. Lessing: Novoe zdanie parovozo-mechaničeskoj masterskoj.

Obščestvo Kolomenskago mašinostroitel’nago Zavoda, o. O. 1912.

5.1 Fotoalbum

Herausgeber ein Album nutzen, um gegenüber Geschäftspartnern für ihr Unternehmen zu werben, zeigten Aufnahmen neben den Fabrikgebäuden viele Produkte wie Maschinen und Fotografien abgeschlossener Projekte, beispielsweise erfolgreicher Bauprojekte der Firma.31 Selten erschienen Foto-grafien in Verbindung mit Texten oder Skizzen,32 die überwiegende Zahl der Alben vermerkte nur spärliche Bildunterschriften zu den einzelnen Abzügen.

Je nach Ort der Präsentation dürfte ein Mitarbeiter des Unternehmens die Auf-nahmen für externe Betrachter mündlich kommentiert haben.

Im Nachlass der Firma Borsig befindet sich ein Fotoalbum, das als foto-grafisches Skizzenbuch sowie als Fotografieregister diente.33 Dieses Album dokumentiert unsystematisch alle Aufnahmen aus Ländern, in denen das Dortmunder Unternehmen tätig war. Unter den Fotografien sind auch Auf-nahmen aus dem Zarenreich. Die Fotografien erhielten alle eine Register-nummer, unabhängig davon, ob sie für weitere Publikationen verwendet werden durften oder nicht. Anschließend durchliefen die Bilder einen Prozess der firmeninternen Zensur. Alle Aufnahmen, die nicht den Vorgaben der Unternehmensleitung entsprachen, erhielten eine Markierung mit schwarzer Farbe. Die Mehrheit der Fotografien aus dem Zarenreich weist einen solchen schwarzen Strich über dem Bild auf und war von einer weiteren Verwendung ausgeschlossen. Nicht immer ist heute nachvollziehbar, welche Kriterien für diese Auswahl galten. Vermutlich waren einige Objekte von einem Standpunkt aus aufgenommen, der nicht alle Details der Maschine ideal zur Geltung brachte.34 Teilweise befand sich die Kamera nicht auf Augenhöhe,35 Bild-partien waren nicht ideal ausgeleuchtet36 oder Glanzlichter störten die Auf-nahme einer Maschine.37

31  Beispielsweise: RNB: Ė((АlТch640)/(2–13)): o. A.: Akcionernoe obščestvo dlja proizvodstva Betonnych i drugich stroitel’nych rabot. Al’bom nekotorych ispolnennych rabot, Moskva (nach) 1902. Auf dem Umschlag dieses Albums waren neben der genauen Adresse auch die Telefonnummer des Unternehmens vermerkt. Dies deutet zusätzlich darauf hin, dass dieses Album zu Werbezwecken hergestellt wurde.

32  Beispielsweise: RNB: 34–7/20: M. P. S.: Al’bom ispolnitel’nych čertežej po postrojke zabajkal’skoj železnoj dorogi. Irkutsk / Bajkal’skom vetvi. Vetvi k Kitajskoj granice pristanej paroma / ledokola na ozere Bajkale. 1895–1901, o O. o. J.

33  DTB: VI.1.004.

34  DTB: VI.1.004: N. 2240.

35  DTB: VI.1.004: N. 2401.

36  DTB: VI.1.004: N. 2171, N. 2173.

37  DTB: VI.1.004: N. 2354, N. 2408. Dieses Album von Borsig gibt wichtige Hinweise darauf, was in Unternehmen als eine gute Industriefotografie galt. Diese Kriterien variierten teil-weise je nach Betrieb.

Es ist jedoch eine Ausnahme, dass Fotoalben auch diejenigen Fotografien enthielten, die den Vorstellungen der Betriebsleitung nicht entsprachen – ein klarer Hinweis darauf, dass dieses Album ausschließlich internen Zwecken diente. Häufiger lässt sich die Funktion von Alben weniger klar rekonstruieren wie bei Aufnahmen baulicher Veränderungen.38 Es lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen, ob die Fotografien nur für interne Dokumentationszwecke bestimmt waren oder ob die Alben auch als Nachweis für das Wachstum des Betriebs gegenüber externen Betrachtern fungierten. Im Quellenkorpus dieses Kapitels überwiegen jedoch repräsentative Fotoalben, die der externen Kommunikation dienten und sich an eine Öffentlichkeit jenseits der Fabrik-tore wandten.

Welche Gesellschaftsgruppen genau zum imaginierten Publikum der Alben zählten, lässt sich nur schwer nachvollziehen und unterschied sich je nach Album:39 Manche waren Geschenke für ausscheidende Angestellte (zu-meist Mitglieder aus der Fabrikleitung),40 andere für Geschäftskunden.41 Der deutsche Unternehmer Alfred Krupp (1812–1887), weltweit ein Pionier in der Verwendung von Fabrikfotografien, betonte, dass es teilweise zielführender sei, ein Album zu verschenken, als einen Vertreter zu schicken. Der Ver-treter komme vielleicht ungelegen, hingegen nähme sich jeder gerne Zeit, ein Album in Ruhe anzusehen.42 Im Salon seiner Villa Hügel in Essen lagen

38  Privatsammlung Lessing: Lessing: Novoe zdanie parovozo-mechaničeskoj masterskoj;

CGA Moskvy f. 318, op. 1, d. 971, l. 208; RGB: Izo (8206–67), MK XII 5005, l. 5. Bauliche Ver-änderungen wurden auch in französischen Betrieben in Alben festgehalten. Assegond:

Les débuts de la photographie du travail usinier, S. 87–100, S. 87.

39  André Gunthert: La photographie, ou l’accès de l’industrie au pittoresque, in: Denis Woronoff (Hrsg.): Les images de l’industrie de 1850 à nos jours. Actes du colloque tenu à Bercy, les 28 et 29 juin 2001, Paris 2002, S. 42–47, S. 45.

40  BAL: Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. (Hrsg.): Ausland, Eberfeld 1902. BU Objekt Nr.: 3472, 4439–50, 17642–17657.

41  CGA Moskvy f. 318, op. I t 1, d. 672, l. 105, 266. Louis André: Des gravures de vulgarisation à la photographie. Images de la branche papetière (v. 1850–v. 1914), in: Denis Woronoff (Hrsg.): Les images de l’industrie de 1850 à nos jours. Actes du colloque tenu à Bercy, les 28 et 29 juin 2001, Paris 2002, S. 22–31, S. 30; Stefan Rahner: Glanzbilder. Die Aus-stellung ‚Industrie und Fotografie‘, in: Lisa Kosok; ders. (Hrsg.): Industrie und Fotografie.

Sammlungen in Hamburger Unternehmensarchiven, Hamburg 1999, S. 8–13, S. 9. Die Firma Krupp pflegte einen besonderen Umgang mit Alben. Alfred Krupp ließ im firmen-eigenen Fotostudio sogar ein „Weltalbum“ herstellen, das bei Vertretern aus aller Welt, auch bei „Chinesen und Chilenen“, für seine Firma werben sollte. von Dewitz: Die Bilder sind nicht teuer, S. 49.

42  Herz: Gesammelte Fotografie und fotografierte Erinnerungen, S. 255.

ähnlich wie in bürgerlichen Empfangs- oder Wohnzimmern43 Alben zur An-sicht für die exklusiven Gäste der Firma Krupp aus.44 Ähnlich setzten auch Fabrikanten in Fabriken im Zarenreich die Bände ein. In einem Fall zeigen auf der Rückseite eines Albums kleine Metallfüßchen,45 dass der Foliant zur Ansicht auslag und nicht zu Dokumentationszwecken im Regal stand. Die Besucher waren in erster Linie Mitglieder der Mittel- und Oberschicht, die sich häufig mit Kommerz befassten. Die Alben dienten der Reklame gegen-über potentiellen Geschäftspartnern beim Besuch des Unternehmens sowie der Präsentation des Unternehmens, beispielsweise auf Ausstellungen. Die Betrachter stammten vermutlich aus dem Zarenreich wie aus dem Ausland.

Dennoch war zumindest anfänglich die soziale Schicht der Adressaten von Fabrikfotografien begrenzt. Erst um die Jahrhundertwende machten neue Drucktechniken die Aufnahmen aus Unternehmen für die breite russische Bevölkerung zugänglich.

Teilweise gab die Unternehmensleitung ganze Alben in Auftrag,46 dann stammten alle Aufnahmen vom selben Fotografen und waren zum gleichen Zeitpunkt aufgenommen worden. In anderen Fällen waren die Fotografien ein Sammelsurium bereits vorhandener Bilder aus unterschiedlichen Jahren und Kontexten.47 Die Herausgeber bestellten bei den Fotografen neben den Auf-nahmen auch Druckplatten, die sie an lithografische Anstalten schickten, die die gewünschten Alben zusammenstellten.48 Der gesamte Prozess vom Auf-trag bis zur Fertigstellung eines Fotoalbums war aufwendig und teuer. So be-rechnete die Firma Frišmut i Marks (Frischmut und Marks) aus St. Petersburg der Maschinenfabrik in Kolomna insgesamt 309 Rubel für die Herstellung und Retusche von neun Fotografien.49 Mit Originalabzügen illustrierte Alben waren somit luxuriöse Veröffentlichungen, die foliantenähnlichen Bände waren Einzelstücke oder hatten Auflagezahlen von wenigen Exemplaren. Alben mit gedruckten Fotografien waren im Vergleich preiswerter. Die typografische Anstalt und Buchbinderei Ju. A. Mansfel’d aus St. Petersburg berechnete dem

43  Ellen Maas: Die goldenen Jahre der Photoalben. Fundgrube und Spiegel von gestern, Köln 1977, S. 140; Starl: Im Prisma des Fortschritts, S. 69.

44  Herz: Gesammelte Fotografie und fotografierte Erinnerungen, S. 243.

45  o. A.: Vidy cepodelatel’nago zavoda.

46  Beispielsweise: GATO f. 187, op. 2, d. 133 t 3, l. 220o.

47  MKZ: Nr. 10: o. A.: Artillerijskij otdel Putilovskago zavoda. Fotografija chudožnika Ju.

Nikonoviča, Sankt-Peterburg o. J. Es existieren drei Exemplare dieses Albums in den Be-ständen des Firmenmuseums. Die Alben beinhalten sowohl Fotografien vor als auch nach 1901.

48  Parr; Badger: The Photobook, S. 18.

49  CGA Moskvy f. 318, op. I t 1, d. 672, l. 221.

Kolomenskij Mašinostroitel’nyj zavod im Jahr 1915 750 Rubel für den Druck von 500 Katalogexemplaren auf kreidehaltiges und von 1.500 Exemplaren auf normales Papier, jeweils mit einigen gedruckten Illustrationen.50 Der große Vorteil war die hohe Auflagenzahl, die den Preis der einzelnen Publikation stark reduzierte.51

Die Unterschiede in der Ausstattung von Alben gedruckter sowie originaler Fotografien waren erstaunlich gering. In beiden Fällen bildeten die Alben eine aufwendige Rahmung für die Bilder. Gerade die großformatigen Exemplare mit Ledereinband und goldenen geprägten Lettern verwiesen ihrer Form nach auf die kostbaren Folianten des Mittelalters und auf religiöse Bücher.52 Sie waren aus hochwertigem Papier mit Goldschnitt. Kleinformatige Ge-schenkalben waren ähnlich gestaltet.53 Eine hohe Papierqualität war insbesondere für Alben mit gedruckten Fotografien unabdingbar, weil hoch-wertige Autotypien nur auf feinfaseriges Papier gedruckt werden konnten.54 Für das Vorsatzpapier der Bände verwendeten die Buchbinder mit floralen Mustern bedruckte Bögen55 oder ein Papier, dessen Struktur den Eindruck erweckte, als handle es sich um Seide.56 Selten war die Innenseite der Alben-deckel mit echter Seide bespannt.57 Auf den einzelnen Seiten rahmte meist ein Passepartout die fotografischen Abzüge ein, und Seidenhemdchen schützten die Aufnahmen, so dass nicht zwei Fotografien mit den Bildseiten aufeinander lagen. Alben bildeten einen exklusiven Rahmen für fotografische Aufnahmen, sie erhöhten deren Wert und verbesserten die Chance archiviert zu werden.

50  CGA Moskvy f. 318, op. I t 1, d. 672, l. 218.

51  Außerdem beinhaltete ein Katalog mit großer Wahrscheinlichkeit weniger und klein-formatige Aufnahmen. Es ist also davon auszugehen, dass die Preise für Alben mit ge-druckten Fotografien trotz allem höher lagen.

52  Edwards; Hart: Introduction, S. 11.

53  o. A.: Artillerijskij otdel Putilovskago zavoda.

54  Häufig wurden die Aufnahmen aufwendig nachbearbeitet, die Verwendung von mattem Papier begünstigte diesen Vorgang. Garry Beegan: The Mass Image. A Social History of Photomechanical Reproduction in Victorian London, New York 2008, S. 178.

55  Beispielsweise: RNB OĖ: Ė ((Аl Т63)/(1–L452)): o. A.: Russkoe obščestvo mechaničeskich i gornych zavodov v S. Peterburge, Sankt-Peterburg o. J; o. A.: Vidy cepodelatel’nago zavoda.

56  Beispielsweise: o. A.: Al’bom Tovariščestva sitcevoj manufaktury Al’berta Gjubner.

57  Beispielsweise: o. A.: Vidy fabrik i magazinov Tovariščestva A. I. Abrikosova synovej.