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Arzneimittelentwicklung und Innovationsprozess im Gesundheitsbereich

3. Die Biotechnologiebranche

3.2. Arzneimittelentwicklung und Innovationsprozess im Gesundheitsbereich

3.2.1. Beschreibung des Innovationsprozesses im Gesundheitsbereich Der Innovationsprozess, der bei der Entwicklung und Markteinführung neuer Arzneimittel durchlaufen wird, ist in Abbildung 8 dargestellt. Dieser gliedert sich in mehrere Einzelschritte, die die Wirkstoff-Forschung, die vorklinische Entwicklung, die klinische Entwicklung in den Phasen I, II, und III, sowie die Zulassung, und schließlich die Markteinführung umfassen. Während die Wirkstoff-Forschung und die vorklinische Entwicklung Laborversuche beinhalten, werden im Bereich der klinischen Entwicklung Arzneimittel am Menschen erprobt. Mit Beginn der klinischen Entwicklung unterliegt der Innovationsprozess daher starken regulatorischen Auflagen. Im folgenden werden nun die Einzelschritte des Innovationsprozesses beschrieben (vgl. hierzu und im Folgenden Sal.Oppenheim, 2001).

Vorklinsche

Phase Zulassung

Marketing und Vertrieb

Wirkstoff-Forschung

Klinische Phase I/II/III Vorklinsche

Phase Zulassung

Marketing und Vertrieb

Wirkstoff-Forschung

Klinische Phase I/II/III

Abbildung 8: Innovationsprozess im Gesundheitsbereich.

Die Wirkstoff-Forschung kann in zwei weitere Unterschritte untergliedert werden. Im ersten Schritt erfolgt die Identifikation und Validierung einer Zielstruktur (engl. "target"). Der zweite Schritt beinhaltet die Auffindung, Validierung und Optimierung einer Leitsubstanz (engl. "lead"). Die Terminologie Zielstruktur rührt dabei von der Vorstellung her, dass die Arzneimittelwirkung das Ergebnis einer Wechselwirkung zwischen einer pharmakologisch aktiven Substanz und einem im Körper vorhandenen Rezeptor ist (Schindler, 1995). Dieser Rezeptor wird als Zielstruktur bezeichnet, an der ein Medikament angreift. Auf Grund der Biotechnologie wird erwartet, dass die Anzahl der bekannten Zielstruktur von bisher etwa 500 auf 3000-10000 ansteigt (Drews, 1995), was den starken Einfluss und das große Potenzial der Biotechnologie für die Wirkstoff-Forschung aufzeigt.

Nachdem eine Zielstruktur gefunden ist, an der eine medikamentöse Behandlung ansetzen kann, wird diese hinsichtlich ihrer Funktion im Rahmen einer Erkrankung überprüft (sog.

Validierung der Zielstruktur). Im Anschluss hieran werden gegen die validierte Zielstruktur verschiedene Wirkstoffe getestet. Im Falle einer Bindung eines dieser Wirkstoffe wird von einem "Hit" gesprochen, und davon ausgegangen dass eine positive Wechselwirkung zwischen Wirkstoff und Zielstruktur besteht. Durch weitere Experimente wird derjenige "Hit"

ermittelt, der die beste Wirkung verspricht. Diese sog. Leitsubstanz wird durch anschließende Modifikationen weiter optimiert.

Die in der Wirkstoff-Forschung gefundene und optimierte Leitsubstanz wird in der vorklinischen Entwicklungsphase anhand von in-vitro-Versuchen und Tiermodellen hinsichtlich ihrer Pharmakodynamik und –kinetik, sowie ihrer Toxikologie untersucht. Ziel dieser Versuche ist insbesondere eine Reduktion des Gefährdungspotenzials für den Menschen, bevor die neue Substanz in den klinischen Entwicklungsphasen am Menschen getestet wird. Bei der Wirkstoff-Forschung wie auch bei der vorklinischen Entwicklung handelt es sich also um Laborphasen.

In der klinischen Phase I wird das potenzielle Medikament zunächst an gesunde Probanden verabreicht. Dabei wird die Verträglichkeit des Wirkstoffes, die Übertragbarkeit der Ergebnisse vom Tiermodell auf den Menschen, das Nebenwirkungsspektrum und die Dosierung untersucht. Erst in der klinischen Phase II wird der neue Wirkstoff an kranken Patienten auf seine Wirksamkeit erprobt, sowie die Darreichungsform und die Dosierung optimiert. Eine statistische Überprüfung der Ergebnisse der zweiten Klinischen Phase erfolgt in der klinischen Phase III anhand einer großen Anzahl von Probanden. Auf Grund der großen Anzahl von Versuchspersonen handelt es sich hierbei um den kostenintensivsten und langwierigsten Schritt der klinischen Entwicklung.

Nach erfolgreichem Abschluss der klinischen Phasen muss die Zulassung des neuen Medikamentes beantragt werden (engl. "New Drug Application", abgekürzt NDA). Dies erfolgt bei der regional zuständigen Arzneimittelzulassungsbehörde (FDA in den USA, EMEA in Europa oder nationale Behörde). Nach der Zulassung durch die staatliche Regulierungsbehörde kann das neue Medikament auf dem Markt eingeführt werden und die Marketing- und Vertriebsphase beginnt.

3.2.2. Einfluss der modernen Biotechnologie auf den Innovationsprozess und die rationale Arzneimittelforschung

Die Beschreibung des Ablaufes der Wirkstoff-Forschung und der vorklinischen Entwicklung des vorhergehenden Unterabschnittes entspricht der modernen Vorgehensweise der rationalen Arzneimittelforschung (engl. "Rational Drug Design"). Hierbei handelt es sich um einen ursächlich verständnisbasierten Forschungsansatz33, bei dem versucht wird, eine Zielstruktur, die mit einer Krankheit in einem ursächlichen Zusammenhang steht, zu identifizieren (Schindler, 1995). Dieser Forschungsansatz entstand in den letzten Jahrzehnten unter dem maßgeblichen Einfluss der modernen Biotechnologie, die eine neue methodische Basis für die Arzneimittelforschung geschaffen hat (Drews, 2002).

Im Gegensatz hierzu bestand die frühere Wirkstoff-Forschung in der Abwandlung von Naturstoffen oder der ungezielten Synthese von chemischen Verbindungen (Schindler, 1995).

Der Erfolg war dabei sehr stark vom Zufall abhängig34 und auf Grund der Bedeutung chemischer Verfahren dominierten Chemiker diese Art der pharmazeutischen Forschung (Kornberg, 1995).

Mit der Entwicklung der modernen Biotechnologie und den Erkenntnisfortschritten über biologische Abläufe wurden die Grundlagen für eine Arzneimittelentwicklung gelegt, die auf einem Verständnis der biologischen Ursachen einer Krankheit basiert (della Valle und Gambardella, 1993). Im Vergleich zur Chemie gewann damit die Biologie und die Grundlagenforschung in diesem Bereich an Bedeutung für die pharmazeutische Forschung (Tapon und Thong, 1999). Die Umsetzung der neuen biotechnologischen Erkenntnisse wurde dabei von neugegründeten Unternehmen vorangetrieben (vgl. Abschnitt 3.1.1), und trotz großer Entwicklungsanstrengungen der etablierten Pharmaunternehmen ist die bio-pharmazeutische Industrie bis heute durch eine hohe Fragmentierung und eine Vielzahl junger und kleiner Biotechnologieunternehmen geprägt (Argyres und Liebeskind, 2001).

Vor diesem Hintergrund stellen Kooperationen mit jungen Biotechnologieunternehmen für etablierte Pharmaunternehmen eine Möglichkeit dar, Zugang zu neuen Technologien zu erhalten und damit Schritt mit der Entwicklung der modernen Biotechnologie zu halten.

33 Dies ist eine weite Definition von "Rational Drug Design" bei der der ursächlich verständnisbasierte, d.h. der rationale Forschungsansatz betont wird. Dagegen wird der Begriff auch in einem engeren Sinne im Zusammenhang mit dem Design von Strukturelementen verwendet, wie es beispielsweise durch den Einsatz von In-silico-Techniken erfolgt.

34 Sog. Serendipitäts-Effekt (vgl. hierzu Wiener, 1993).

3.2.3. Dauer, Kosten und Risiken der Arzneimittelentwicklung

Der Innovationsprozess im Gesundheitsbereich, der von der Wirkstoff-Forschung bis zur Markteinführung eines neuen Medikamentes reicht, ist ein langer, kostenintensiver und risikoreicher Prozess. Hinsichtlich der Entwicklungskosten, der Entwicklungsdauer, und der Erfolgswahrscheinlichkeiten der Medikamentenentwicklung liegen dabei unterschiedliche Schätzungen und Untersuchungen vor (vgl. Pritsch, 2001). Im Folgenden werden einige Einschätzungen zu diesem Thema im Überblick dargestellt, um ein realistisches Bild der mit diesem Entwicklungsprozesses verbundenen Schwierigkeiten zu gewinnen.

Die Angaben zur durchschnittlichen Entwicklungsdauer, die die Zeitspanne von der Wirkstoff-Forschung bis zur Markteinführung umfasst, liegen zwischen zehn und 15 Jahren (Hughes, 2001; PhRMA, 1999; The Boston Consulting Group, 1995). Die Kosten, die mit der Wirkstoff-Forschung, der klinischen Entwicklung, sowie mit der Zulassung verbunden sind, werden dabei durchschnittlich auf US$ 500 Millionen geschätzt35. (The Boston Consulting Group, zitiert in PhRMA, 2000; Drews und Ryser, 1997). Diese Angaben umfassen dabei auch die Kosten, die durch Fehlschläge verursacht werden. Die Investitionskosten für ein einzelnes Entwicklungsprojekt werden dagegen mit US$ 70 bis 80 Millionen beziffert, wobei die klinische Phase III mit US$ 20 bis 30 Millionen eine der teuersten Entwicklungsphasen darstellt (Pritsch, 200136).

Die Markteinführungskosten sind schließlich stark davon abhängig, ob bereits eine Vertriebsorganisation existiert und ob der Markt für das neue Medikament noch entwickelt werden muss. Grabowski und Vernon schätzen, dass die Kosten der Markteinführung 100%

der Umsätze im ersten Jahr betragen, und danach auf 50% und 25% der Umsätze im zweiten und dritten Jahr absinken (Grabowski und Vernon, 1990). Der Aufbau einer neuen Vertriebsorganisation in den USA wird dabei mit zusätzlichen 60 bis 70 Millionen US$

beziffert (Pritsch, 2001).

Im Hinblick auf das technologische Risiko und die Erfolgswahrscheinlichkeiten pharmazeutischer Entwicklungsprojekte ist zunächst zwischen der Transitionswahrscheinlichkeit, die die Wahrscheinlichkeit bezeichnet mit der ein Projekt eine bestimmte Phase erfolgreich beendet, und der Realisationswahrscheinlichkeit, die

35 Hughes geht in seiner Schätzung sogar von 700 bis 800 Millionen US$ (Hughes, 2001).

36 Die Angaben von Pritsch basieren dabei auf Untersuchungen von DiMasi et al., sowie von Myers und Howe (Myers und Howe, 1997; DiMasi et al., 1995; DiMasi et al., 1991).

angibt mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Produkt in einer bestimmten Phase der Entwicklung die Markteinführung erreicht, zu unterscheiden (Pritsch, 2001). Im ersten Fall handelt es sich um die Erfolgswahrscheinlichkeit pro Phase, während im zweiten Fall die kumulierte Gesamterfolgswahrscheinlichkeit angegeben wird. Ein Vergleich unterschiedlicher Studien ergibt nun, dass die Realisationswahrscheinlichkeit bei Projekten in der klinischen Phase I im Durchschnitt 25% beträgt, dann auf 30-35% in Phase II, auf 60-65% in Phase III, und schließlich auf 80-100% während des Zulassungsverfahrens ansteigt (Pritsch, 2001).

Insgesamt wird davon ausgegangen, dass von ca. 250 Substanzen, die in der Vorklinik untersucht werden, im Schnitt nur eine einzige Substanz als neues Medikament das Stadium der Marktreife erlangt (Sal.Oppenheim, 2001; Ernst & Young, 2000;

The Boston Consulting Group, 1995).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Prozess der Arzneimittelentwicklung einen extrem aufwendigen, langen und risikoreichen Entwicklungsprozess darstellt. Die hohen Kosten, die über zehn bis 15 Jahre anfallen, sowie das hohen Fehlschlagsrisiko bauen hohe Integrationsbarrieren für junge Biotechnologieunternehmen auf. Daher sind Kooperationen mit etablierten Pharmaunternehmen für junge Biotechnologieunternehmen von großer Bedeutung und werden im folgenden Abschnitt weiter behandelt.