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Fünf Arenen der Transformation zur Nachhaltigkeit Dirk Messner

Im Dokument Entwicklungspolitik in Zeiten der SDGs (Seite 184-189)

Die im September 2015 verabschiedete Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen nach-haltiger globaler Entwicklung (Sustainable Development Goals (SDGs)) ist ein multilateraler Glücksfall in turbulenten Zeiten. Die Agenda 2030 kann als eine Art Gesellschaftsvertrag der Weltgemeinschaft für globale Entwicklung inter-pretiert werden, den Franz Nuscheler in vielen seiner Schriften seit den 1990er Jahren angemahnt hat (vgl. z.B. Nuscheler 2000; Messner/Nuscheler 2006).

Denn die SGDs gelten universell, für alle Länder, auch für Industrieländer. Sie sind damit ein Referenzrahmen für nachhaltige Entwicklung in einer entstehen-den Weltgesellschaft von bald 10 Milliarentstehen-den Menschen. Und sie stehen für ein neues globales, umfassendes und universalisierbares Wohlfahrtsverständnis.

Was wäre zu tun, um transformativen Wandel in Richtung der SDGs einzulei-ten? Fünf Arenen des Wandels sind zentral.

Arena 1: Armut, Ungleichheit, fair geteilter Wohlstand

Um Armut und Hunger bis 2030 aus der Welt zu schaffen1, müssen in vier Bereichen Prioritäten gesetzt und Investitionen getätigt werden:

Wachstum ist nicht genug. Knapp 15 Prozent der Weltbevölkerung leben der-zeit von 1,25 US-Dollar pro Kopf/ Tag und damit in absoluter Armut.

SDG 1 will diese Quote bis 2030 auf 3 Prozent zu reduzieren. Die World Bank Group (2015: 7) zeigt jedoch: Selbst das günstigste Szenario (eine Fortsetzung der hohen Wachstumsraten in der Weltwirtschaft sowie in den Schwellen- und Entwicklungsländern wie im Verlauf der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts) würde die Armutsquote nicht auf 3 Prozent, sondern auf nur 5-6 Prozent reduzieren.

Ernährungssicherung verstärken – Klimawandel berücksichtigen. Derzeit werden weltweit genug Nahrungsmittel (kcal/Tag/Person) produziert, um die Er-nährungssicherung der Weltbevölkerung sicherzustellen, wenn die

Nah-      

1 Siehe die Beiträge von Frank Bliss/Karin Gaesing sowie von Anika Mahla in diesem Band.

 

rungsmittel weltweit gerecht verteilt würden. Trotzdem leiden etwa 1 Mil-liarden Menschen unter Hunger. Um die bis 2050 auf 9-10 MilMil-liarden Men-schen anwachsende Weltbevölkerung ernähren zu können, müsste die Weltagrar- und Nahrungsmittelproduktion bis dahin um etwa 30-50 Pro-zent steigen, zudem muss der Zugang der Ärmsten zu den Nahrungsmit-teln sichergestellt und verbessert werden. Mit den Anbaumethoden der Gegenwart lässt sich dies nicht nachhaltig erreichen – denn dies würde in 2025 massive Wasserknappheit in Teilen Subsahara-Afrikas, Indiens oder auch Zentralamerikas zur Folge haben (vgl. Hanson et al. 2013). Eine was-sereffizientere und zugleich Produktivität steigernde Landwirtschaftspoli-tik ist daher notwendig. Angesichts der Erderwärmung müssen zudem resi-liente Ernährungssicherungsstrategien entwickelt werden. Auch müssen die hohen Treibhausgasemissionen in Industrie- und Schwellenländern re-duziert werden, sie sind unmittelbare Treiber weltweiter Hungerprobleme (vgl. Hanson et al. 2013). Auch die Verminderung von food waste könnte ihren Teil beitragen: Bis zu 40 Prozent der Lebensmittel werden in OECD-Ländern von den Konsumenten vernichtet, nachdem sie bereits eingekauft wurden.

Armutsreduzierung muss auch in fragilen Ländern gelingen. Etwa 200 Millionen der ärmsten Menschen lebten 2010 in fragilen Staaten, 2030 könnten es 230 Millionen sein (vgl. Burt/Hughes/Milante 2014). Nur auf Wachstum zu setzen, führt auch hier nicht zum Erfolg. Integrierte Ansätze, die Wachstumsimpulse mit aktiver Armutsbekämpfung (cash transfer, Zugang zu den Basisdiensten Gesundheit, Bildung, Unterkünfte) und einer Ver-stärkung des Wachstums für die unteren 40 Prozent der Gesellschaft (z.B.

durch Beschäftigungspolitik, Steuerpolitik) sowie Anstrengungen zur Ver-besserung der Leistungsfähigkeit von Institutionen und zur Eindämmung von Gewalt verbinden, können erfolgreich sein. Die EU spielt hier eine besondere Rolle.

Geteilter Wohlstand und Bekämpfung von Ungleichheit: Ungleichheit und Exklu-sion in der Weltgesellschaft sind ein Treiber für Instabilitäten in Gesell-schaften. Seit Ende der 1980er Jahre haben die unteren 10 Prozent der Weltbevölkerung und die Mittelschichten in den Industrieländern beson-ders wenig von den Dynamiken der Globalisierung profitieren können – während die neuen Mittelschichten der Schwellenländer sowie die reichs-ten 1-5 Prozent der Weltbevölkerung zu den Gewinnern der beschleunig-ten Globalisierung gehörbeschleunig-ten (vgl. Milankovic 2013). Shared prosperity (geteil-ter Wohlstand) ist eine Antwort hierauf. Eine tatsächliche Abschaffung der Armut ist nur möglich, wenn die unteren 40 Prozent der Bevölkerungen in Entwicklungs- und Schwellenländern bis 2030 um etwa 2 Prozent höhere

Einkommenszuwächse erzielen als die oberen 60 Prozent (vgl. World Bank Group 2015). Hierfür sind entsprechende Besteuerungssysteme und Sozi-altransfers erforderlich, die auf sozialen Ausgleich hin ausgerichtet sind.

Arena 2: Kipp-Punkte im Erdsystem vermeiden

Damit die Grenzen des Erdsystems nicht überschritten werden, müssen zent-rale Weichenstellungen zwischen 2016 und 2030 eingeleitet werden. Der Wis-senschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), in dem Franz Nuscheler von 2000 bis 2004 mitgearbeitet hat, und andere wissenschaftliche Beratungsgremien haben auf zentrale Neuorientie-rungen für alle Länder hingewiesen:

Dekarbonisierung. Um die 2 Grad-Leitplanke für die globale Erwärmung zu erreichen, auf die sich die Staatengemeinschaft in Paris 2015 geeinigt hat, muss bis spätestens 2070 eine Dekarbonisierung der Weltwirtschaft er-reicht werden (vgl. WBGU 2014). Die G 7 hat sich im Rahmen der deut-schen Präsidentschaft in 2015 darauf verständigt, eine Dekarbonisierung der Weltwirtschaft in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts anzusteuern.

Bis 2030 müssen die Weichen gestellt werden: Dies gilt für die Energiesys-teme, die TransportsysEnergiesys-teme, Gebäude, urbane Siedlungen. Die freiwilligen Emissionsminderungsversprechen, die die Staaten in Paris 2015 vorgelegt haben, reichen bisher nur für etwa 40-50 Prozent der erforderlichen Emis-sionsreduzierungen aus. Die deutsche und europäische Entwicklungspoli-tik könnte die Ambitionen auch in Partnerländern beeinflussen.

Sechs zentrale Leitplanken des Erdsystems einhalten. Der WBGU (2014) hat sechs Leitplanken entwickelt, ohne die auch andere Entwicklungsziele (z.B. die Armuts- und Hungerbekämpfung) nicht realisiert werden können. Auch Partnerländer der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) können hierzu beitragen: 1. Um den Klimawandel auf fünf bis zwei Grad zu begren-zen müssen alle Länder bis Mitte des Jahrhunderts Emissionen aus fossilen Quellen einstellen. 2. Für den Schutz der Meere und die Sicherung der Nah-rungsmittelketten in den Ozeanen sollte der pH-Wert der obersten Meeres-schicht in keinem der Ozeangebiete um mehr als 0,2 Einheiten gegenüber dem vorindustriellen Wert absinken. Dies gelingt nur durch eine Einstellung der Treibhausgasemissionen bis Mitte des Jahrhunderts. 3. Die Zerstörung biologischer Vielfalt muss bis 2050 angehalten werden. 4. Das gleiche gilt bis 2030 für die Netto-Landdegradation. 5. Langlebige anthropogene Schad-stoffe, die die menschliche Gesundheit gefährden, sollten in den kommen-den Dekakommen-den auf null reduziert werkommen-den, so wie es bei DDT (Stockholmer

 

Konvention) und FCKW (Montreal-Protokoll) bereits geschehen ist. Hand-lungsbedarf besteht für Quecksilber, Plastik und spaltbares Material. 6.

Phosphor ist eine unverzichtbare strategische Ressource für die Landwirt-schaft und die Welternährung, die zugleich endlich ist und künstlich nicht ersetzt werden kann. Bis 2050 muss es weltweit gelingen, diesen Rohstoff in Kreisläufen zu führen, was ebenso für die meisten nicht-erneuerbaren Res-sourcen gilt.

Arena 3: Energie – Städte – Mobilität und Verkehr

Die Infrastrukturentwicklung weltweit, weitgehend in Ländern jenseits der OECD, wird in den kommenden Dekaden mindestens der des gesamten 20.

Jahrhunderts entsprechen. Dies muss klug gemanagt werden; denn Infrastruk-turen (Transportsysteme, Gebäude, Energiesysteme) bestimmen Emissionen, Ressourcenverbrauch und Energiepfade für sehr lange Zeiträume. Und für Menschen ist der entsprechende Zugang ebenso wichtig wie ihr Einkommen.

Energiesysteme. Um die Energiesysteme weltweit zu dekarbonisieren, den Zugang zu Energie für mehrere Milliarden Menschen überhaupt erst herzustellen und die rasch steigende Energienachfrage der kommenden Dekaden zu befriedigen, muss sich die Geschwindigkeit des weltweiten Ausbaus der erneuerbaren gien enorm beschleunigen (vgl. WBGU 2011). Bei den neu entstehenden Ener-giekapazitäten liegt der Anteil der Erneuerbaren aktuell bereits bei etwa 50 Pro-zent. Technische Probleme (z.B. Speicherung, Aufbau intelligenter Netze) müs-sen bald gelöst werden, Deutschland sollte seine Reputation als Pionier klima-verträglicher Energietransformation international nutzen.

Auf dem Weg zur Welt-Städte-Gesellschaft. Bis etwa 2020 wird die urbane Bevölke-rung auf 3 Milliarden Menschen anwachsen, dies ist die Hälfte der Weltbevöl-kerung. Bis 2050 werden noch einmal 3 Milliarden Stadtbewohner dazukom-men – nahezu alle jenseits der OECD-Gesellschaften, in Asien und Afrika.

Dann werden gut 75 Prozent der Menschen in Städten leben (vgl. WBGU 2016). Das schafft mindestens drei Herausforderungen (vgl. WBGU 2016): 1.

70 Prozent der energiebezogenen Treibhausgasemissionen entstehen schon heute in Städten, allein 40 Prozent durch das Heizen und Kühlen von Gebäude.

2. Stahl, Beton und Zement gehören zu den Treibern der globalen Erwärmung.

Allein in China wurde in den Jahren zwischen 2008-2010 mehr Zement verbaut, als in den USA im gesamten 20. Jahrhundert – mit entsprechenden Folgen für die Emission von Treibhausgasen. 3. Nicht zuletzt müssen bis 2050 lebens-werte urbane Räume für zusätzlich 3 Milliarden. Menschen entstehen.

Arena 4: Fragilität – Konflikt – Flucht

In gut 35 als fragil oder schwach bezeichneten Staaten leben etwa 1,5 Milliar-den Menschen. Einfache Rezepte zur Einhegung von Fragilität und Gesell-schaftszerfall gibt es nicht. Wie in der Middle East and North Africa (MENA)-Region deutlich wird, müssen unmittelbare humanitäre Hilfe (z.B. Investitio-nen in die Flüchtlingslager), mittel- und langfristig ausgerichtete Entwick-lungspolitik (z.B. „Marshallplan“ für die MENA-Region; Unterstützung der Aufnahmeländer von Flüchtlingen), Diplomatie (Syrienkonferenz), Sicher-heitspolitik (z.B. durch Schaffung sicherer Zonen in Krisengebieten) und Handelspolitik (Eliminierung aller Handelshemmnisse, um z.B. wichtige Re-formstaaten wie Tunesien zu unterstützen) gebündelt werden, um Stabilisie-rungserfolge zu erzielen und Chancen für menschliche Entwicklung zu ver-bessern.

Eine bloße Förderung sozioökonomischer Entwicklung reicht nicht aus. Bis-weilen versperrt sie den Blick auf zugrundeliegende politische Defizite und Konflikte. Herrschende Eliten, die zunehmend an Akzeptanz in der Bevölke-rung verlieren, sind langfristig keine Garanten von Stabilität, sondern gefähr-den diese (wie z.B. in Ägypten, Libyen). Demokratisierung ist integraler Be-standteil von krisenpräventiven Ansätzen: Wo es an partizipativen und trans-parenten Institutionen des Interessenausgleichs mangelt, können, wie in Sy-rien, viele kleine Konfliktursachen plötzlich zum Zusammenbruch des Staates beitragen. Wird mit autoritär regierten Ländern wie Ägypten, Äthiopien oder Ruanda wirtschaftlich kooperiert, muss der Zielkonflikt zwischen kurzfristiger politischer Stabilität und politischer Legitimität, Transparenz und Partizipa-tion klug gemanagt werden.

Arena 5: Weltwirtschaft gerechter gestalten

Handel ist Wohlstandstreiber und Entwicklungsmotor, doch auch Entwick-lungsländer müssen vom weltweiten Handel profitieren können. Deutschland könnte, gemeinsam mit EU-Partnern, die Agenda 2030 als Chance nutzen, eine Allianz mit Entwicklungsländern aufzubauen, um das globale Handels-system im Rahmen der WTO fair und sozial sowie ökologisch-nachhaltig zu gestalten.

Zudem müssen gerechte Steuersysteme und Kapitalmärkte den Menschen die-nen, nicht umgekehrt. Zwei zentrale Handlungsfelder sind Steuervermeidung und nachhaltige Finanzmärkte: Laut Schätzungen der OECD (2015: 31) ent-gehen den Regierungen jedes Jahr 100 bis 240 Milliarden US-Dollar in Folge

 

der geschickten Steuergestaltung internationaler Konzerne. Über die aktuellen OECD-Vorschläge gegen die Steuervermeidung und Gewinnverlagerung hinaus sollten sich alle Länder auf weitere Maßnahmen einigen, Unternehmen zu ei-ner öffentlichen länderbezogenen Berichterstattung zu verpflichten, den Wettlauf um die niedrigsten Steuersätze zu beenden und Steueranreize für multinationale Unternehmen transparent zu machen. Für nachhaltigere Finanz-märkte gibt es insbesondere drei Ansatzpunkte: 1. Um langfristige, kohlen-stoffarme Investitionen zu fördern, müssen kommerzielle Banken und insti-tutionelle Investoren verstärkt in kohlenstoffarme Projekte investieren. Aktu-ell ist dies aufgrund der etablierten Regulierung nicht oder nur eingeschränkt möglich. 2. Finanzmarktakteure können durch freiwillige grüne Leitlinien für Investitionsentscheidungen einen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten, z.B.

durch einen Schattenpreis für Kohlenstoff. Anleger können zudem durch die konsequente Einbeziehung von Klimarisiken in Ratings, Benchmarks und In-dizes in einer nachhaltigen Investitionsstrategie unterstützt werden. 3. Öffent-liche Geber und Entwicklungsfinanzierungsinstitutionen, z.B. Entwicklungs-banken, sollten Investoren durch die Bereitstellung von Instrumenten zur Ri-sikominderung motivieren, in kohlenstoffarme Kapitalanlagen zu investieren.

Im Dokument Entwicklungspolitik in Zeiten der SDGs (Seite 184-189)