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KAPITEL I ALLGEMEINE GRUNDLAGEN

2. Anthropometrische Grundlagen

2.1. Anforderungen und Fähigkeiten der Nutzer im öffentlichen Raum Planungsabläufe im öffentlichen Raum sind - vorwiegend auf Rationalismus ausgerichteten - technischen und finanziellen Parametern unterlegen. Mit der Zielstellung des „Design for all“ soll generell der „Maßstab Mensch“ mehr Berücksichtigung finden. Die öffentliche Nutzung baulicher Anlagen soll barriere­

frei und damit für alle Nutzer gleichbe­

rechtigt ermöglicht werden. Der „Maß­

stab Mensch“ soll dabei nicht einzig als Proportionsschema für Bewegungsab­

läufe, sondern auch als Nutzungs- bzw.

Wahrnehmungsmaßstab betrachtet werden. Architektur soll sich dem Nutzer selbst erklären und klare Orientierung und Funktion vorgeben.

Der Mensch soll sich im öffentlichen Raum nicht der planerischen Idee unterwerfen, sondern der Planer soll die Erfordernisse und Möglichkeiten der Vielfalt der Nutzer durchgängig im Pla­

nungsverlauf verfolgen und beachten.

Dazu werden drei Grundanforderungen unterschieden.

· Anforderungen motorischer Art

· Anforderungen sensorischer Art

· Anforderungen kognitiver Art

2.1.1. Motorik

Grundlage zur Bemessung von Räumen soll der Mensch mit seinen Bewegungsmöglichkeiten und seinen Aktionsradien sein. Ursprüngliche Bemessungsmaßstäbe (Fuß, Elle, Schritt) bezogen sich direkt auf den menschli­

chen Körper (Proportionsschema nach Leonardo da Vinci). Einschränkungen menschlicher Aktionsmöglichkeiten können heute oft sehr gut durch tech­

nische Hilfsmittel kompensiert werden, wodurch sich teils übliche Maße (ent­

standen an Idealbildern) z.B. Reichweite und -höhe verschieben können.

Der Bewegungsraum ist so zu bemes­

sen, dass die Menschen gemäß ihrer persönlichen Bedingungen frei und ohne Einschränkung agieren können.

Zur Erstellung der Funktionalität müssen neben den Durchschnittsmaßen auch die größten und kleinsten Maße Berück­

sichtigung finden. (z.B. Klein- und Groß­

wüchsige)

2.1.2. Sensorik

Die Umwelt wird im Allgemeinen in Kombination verschiedener Sinne wahr­

genommen. Um Einschränkungen oder Ausfälle kompensieren zu können, ist die gleichzeitige Informationswiedergabe über mindestens zwei Sinne notwendig (Mehr- oder Zwei-Sinne-Prinzip).

Sehen

Biologisch betrachtet unterscheiden sich die Anforderungsprofile nach verschiede­

nen Einschränkungen und Erkrankungen des Auges.

Die Hauptdifferenzierung liegt in:

· Verringerung der Sehschärfe,

· Sehbehinderungen,

· frühe Erblindung,

· späte Erblindung.

Die optische Wahrnehmung der Umwelt hängt neben den jeweiligen organi­

schen Fähigkeiten auch von äußeren Bedingungen, von natürlichen Licht- und Schattenverhältnissen, von künstlicher Beleuchtung, von der Farbe, von Form und Struktur der Oberfläche ab. Der bewusste Einsatz derartiger Gestaltungs­

elemente kann zur deutlichen Verbesse­

rung der Wahrnehmung der Umwelt und damit der Bewegungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum beitragen oder erst ermöglichen.

Das„Handbuch zur Verbesserung von visuellen Informationen im öffentlichen Raum“ des Bundesministeriums für Gesundheit aus dem Jahr 1996 stellt diese explizit dar. Während Seheinschrän­

kungen einer besonderen visuellen Unterstützung bedürfen, wird für blinde Nutzer die Kompensation des fehlen­

den Sinnes durch andere Sinne (Hören, Tasten Riechen/Schmecken) erforderlich.

Nachstehende Erläuterungen zu einigen Fachbegriffen sollen Anregung zur Aus­

einandersetzung und Einbeziehung in die Gestaltung geben. (siehe E DIN 32975) Sehbehinderte Menschen benötigen für visuelle Informationen kontrastreiche Helligkeitsunterschiede. Es wird hierbei zwischen dem Leuchtdichtekontrast und dem Farbkontrast unterschieden.

Der Leuchtdichtekontrast bezeichnet den Unterschied von Helligkeit eines Objektes zu seinem Hintergrund.

Ein Farbkontrast unterscheidet sich durch die farbliche Gestaltung von Objekt und Hintergrund. Personen mit einem gestör­

ten Farbsinn erhalten primär durch den Leuchtdichtekontrast ihre notwendige visuelle Information.

Allgemeine Grundlagen

40°

Fixationslinie 20°

35°

15°

35°

B

A A

B

90°

D 95° D

70° 90°

C C

60°

45°

90°

95°

Gesichtsfeld

A optimales Gesichtsfeld B maximales Gesichtsfeld Blickfeld

C maximales Blickfeld D erweitertes Blickfeld

9

·

··

I

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I

I

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Hören

Neben dem Sehen ist die Aufnahme akustischer Signale sowie die sprachliche Kommunikation ein bedeutendes Ele­

ment zur Orientierung im öffentlichen Raum. Die Anforderungen variieren nach

Schwerhörigkeit, Spätertaubung und Gehörlosigkeit.

Bei leichter und mittlerer Schwerhörig­

keit werden neben der Vermeidung von Nebengeräuschen und Halleffekten gut funktionierende Beschallungsanlagen sowie eine optimale akustische nfor­

mationswiedergabe notwendig. Bei hochgradiger Schwerhörigkeit (Implan­

tat- oder Hörgeräteträger) werden Hör­

anlagen sowie eine gute Ausleuchtung in Bezug auf Redner sowie Visualisierun­

gen erforderlich.Spätertaubte bedürfen vor allem der Visualisierung der nforma­

tionen. Bei Gehörlosigkeit bedarf es der ausschließlichen Visualisierung der nfor­

mationen sowie eines Gebärdendolmet­

schers. Hörbeeinträchtigungen werden von der Umwelt oft nur bei näherem Kommunikationskontakt wahrgenom­

men und finden dadurch relativ geringe Aufmerksamkeit. Der Nachholbedarf ist daher groß.

“Wer nicht sieht, verliert die Dinge.

Wer nicht hört, verliert die Menschen.“

Die technischen Anforderungen werden in Kapitel II, 1.4. „Akustische Anforderun­

gen“ erläutert.

Tasten / Fühlen

Der Tastsinn ist bei sehbehinderten und blinden Menschen besonders gut ausgebildet. Taktile oder haptische Ober­

flächenstrukturen werden von ihnen zur Orientierung und nformationsaufnahme gezielt herangezogen.

nformationsebenen sind dabei Form und Oberfläche des verwendeten Materials, ebenso wie dessen Struktur und Temperatur sowie des Kontrastes dieser Parameter untereinander oder zur Umgebung.

Spezifische Elemente sind z.B.:

Tastpläne Grundrisse, Stadtpläne, Streckennetze des öffentlichen

Per-Allgemeine Grundlagen

11 nen)

(

genannt.

I

I )

( I

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ll i :

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sonennahverkehrs)

· Figürliche Darstellungen (Modelle)

· Bodenindikatoren in Leitsystemen (Rillen- oder Noppenplatten, Metallrin­

· Schriftzeichen ertastbare alphabetische Schrift, Brailleschrift, haptische Pikto­

gramme).

Riechen /Schmecken

Das sind Elemente, die in der Baupla­

nung nur geringfügig eingesetzt werden, für den Einzelnen dennoch von großer Bedeutung sind. Als Beispiel gezielter Anwendung sei hier ein Duftgarten

2.1.3. Kognition

Die Orientierungsfähigkeit der Nutzer im öffentlichen Raum hängt auch in star­

kem Maße von persönlichen, erkenntnis­

bezogenen Fähigkeiten ab. Daher sollte es Ziel sein, die gebaute Umwelt leicht erfassbar, übersichtlich und sinnvoll zu gestalten. Stimmen Funktion und Gestal­

tung überein wird die Nutzung baulicher Anlagen erleichtert. Einfachheit bei der Grundrissgestaltung sowie Verwendung einfache Terminologien z. B. bei Weg­

weisern oder Leitsystemen, beim Einsatz von Computern oder Automaten stehen dabei im Vordergrund. Neben der erfor­

derlichen Anwendung von einfachen Darstellungen besonders bei Orientie­

rungssystemen wird eine barrierefreie Gestaltung der nformationstechnik immer dringlicher.

Rechtliche Regelungen dazu existieren bereits seit 2002 auf Bundesebene mit der „Barrierefreien nternetverordnung“

(BITV und auf der Landesebene Berlin seit 22.10.2005 Abl. 2005, S. 4020) mit der „Verwaltungsvorschrift zur Schaf­

fung Barrierefreier nformationstechnik“

VVBIT Neben der Berücksichtigung von Nutzern mit sensorischen Einschrän­

kungen soll hierbei besonders auf Men­

schen mit Lernschwierigkeiten Rücksicht genommen werden oder auf Menschen, die nicht gut lesen können, auf Men­

schen anderer Muttersprache oder auf Kinder und ältere Menschen.

Tastmode des Re chstagsgebäudes M 1 100 Gebaut Techn sche Un vers tät Ber

Fach Mode + Des gn

Dauerausste ung enarsaa ebene des Deutschen Bundestages

Allgemeine Grundlagen

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