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Aktion „Prothesen für Poltawa“

Von Jochen Bender

Günther Gehrung und Dolmetscherin Lydia Klein bei der Anpassung einer Beinprothese in Poltawa, 1990.

Anprobe in der Orthopädischen Werkstatt Poltawa, 1990.

te eine kleine Delegation um Günter Gehrung und OB Koch im Juni 1990 in die ukrainische Partnerstadt, um die neuen Prothesen zu überreichen.

Im Gepäck hatte OB Koch Spenden-gelder in Höhe von 25.000 Mark.

Das Geld kam von Ostfi lderner Un-ternehmen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung, nachdem der Ober-bürgermeister im Januar 1990 ei-nen Spendenaufruf gestartet hatte.

Das Sanitätshaus Gehrung in Kem-nat arbeitete zum Selbstkostenpreis.

Zudem gewährte die weltweit füh-rende Prothesenfi rma Otto Bock in Darmstadt erhebliche Preisnachlässe.

Die Rechnung für die Beinprothesen konnte dadurch auf 60.000 Mark re-duziert werden.

Für die Beinamputierten bedeuteten die leichten, exakt passenden und wartungsfreundlichen Prothesen eine neue Lebensqualität. In Folge des Krieges psychisch angeschlagen und durch ihre Behinderung an den Rand der Gesellschaft gedrängt, kehrte für viele der Lebensmut zurück. Günter Gehrung bezeichneten sie begeistert als „Mann mit den goldenen Hän-den“.

Die Hilfsaktion sollte eine nachhal-tige Verbesserung der ukrainischen Orthopädieversorgung anstoßen:

Fachleute und Funktionäre began-nen durch die Initiative der Städte-partnerschaft Kooperationen mit den führenden deutschen Firmen. Bei Se-minaren in Poltawa wurden

ukrai-nische Orthopädietechniker mit neu-en Maschinneu-en und moderner Technik vertraut gemacht. „Hilfe zur Selbst-hilfe“ war die Devise. Doch der Weg war nicht leicht: 1995 stellten Be-sucher in Poltawa eine erneute Ver-schlechterung der Prothesenqualität fest. Es wurden minderwertige Ma-terialen verwendet, und Ärzte fer-tigten nebenher selbst Prothesen, um ihr geringes Gehalt aufzubes-sern. Der Import deutscher Halbzeu-ge scheiterte an fehlenden Devisen.

Bald ging eine neue Grundausstat-tung für Prothesen an die Orthopä-dische Werkstatt in Poltawa. Mittler-weile hat sich die Situation deutlich gebessert.

Orthopädiemeister Günter Gehrung aus Kemnat erinnert sich

Wir sind gleich nach Weihnach-ten 1989 los. In Kiew sind wir von Iwan Gorobez abgeholt worden. Er war die treibende Kraft, das war ein ganz liebenswerter Mensch. Er hat alles bestens organisiert. Wir sind ja nicht zum Feiern dorthin gefahren, sondern wir wollten etwas bewegen.

Die Situation in Poltawa war damals wie bei uns in den 1950er-Jahren.

In den Wohnungen gab es teilweise kein Bad. Auf dem Land gab es nur Häuser in einfacher Bauweise. Die orthopädische Werkstatt war für die

Die Hilfe ging weiter: Übergabe einer gespendeten Armprothese, 2000. In der Mitte die Initiatorin Ulrike Finkbeiner aus Leinfelden-Echterdingen.

ganze Region Poltawa zuständig, es war ein großer Betrieb mit 150 Leu-ten. Es hat aber an Devisen gefehlt, um modernes Material zu beschaf-fen: Carbon, Glasfaser, Giesharz oder Titanstäbe kannten sie nicht, nicht mal ordentliche Gipsbinden haben sie gehabt. Bis der Gips hart war, hat der Invalide darin herum-rudern können. So etwas habe ich noch nicht gesehen.

Die Invaliden sind von weither ge-kommen und konnten dort auch übernachten. Die schlecht passenden und schweren Holzschäfte der Prothe-sen waren mit Gurten befestigt. Man konnte nur schlecht gehen damit. Das hat es bei uns nicht mehr gegeben.

Wir haben von jedem Stumpf einen Gipsabdruck angefertigt. Alles muss-te ganz genau dokumentiert werden, denn wir konnten ja daheim nicht nochmals nachmessen. Wir haben dann zum Beispiel einen Saugschaft aus Kunststoff mit Titanrohr gemacht, und da wurde dann ein Schaumstoff-überzug drüber gezogen. Das war das Modernste zur damaligen Zeit. Die Invaliden waren glücklich: Ein Dop-pelamputierter konnte sogar wieder Fußball spielen. Wir konnten wirklich helfen, auch weil die Leute noch jung waren. Die sind dann gelaufen, das war einmalig.

Bei uns stand die Prothesen-Akti-on in allen Zeitungen. Zu mir sind hier in Kemnat Leute gekommen und haben mir Geld für Poltawa

ge-bracht. Ein deutscher Kriegsampu-tierter, der im Krieg in Poltawa war, hat gesagt: „Denen habe ich mein Leben zu verdanken. Wenn die Leu-te mich nicht gepfl egt hätLeu-ten, wäre ich dort nicht mehr rausgekom-men.“ Poltawa hat die Prothesen be-zahlt. Das fehlende Geld wurde dort von Firmen gespendet.

Für mich war das Allerschönste, als wir vor dem Abfl ug in Kiew noch ins Theater eingeladen wurden.

Nach dem Schlussapplaus wurden die Scheinwerfer auf uns gerichtet, die Schauspieler sind zu uns runter-gekommen und haben sich bei uns bedankt. Eine Frau, die ihren Bub

im Afghanistankrieg verloren hat, kam mit einem Blumensträußle zu mir. Und das in Kiew, wo uns nie-mand kannte. Das vergesse ich nie in meinem Leben.

Wir haben sogar mit dem stellver-tretenden ukrainischen Gesund-heitsminister sprechen können. In Deutschland hat man dann noch orthopädische Kopiermaschinen für Poltawa gekauft. 2006 war ich nochmals in Poltawa. Wir haben die orthopädische Werkstatt besucht.

Der Chef hat seinen Laden in Schuss gehabt, aber es hat immer noch am Geld gefehlt, das ist eben das große Problem.

Orthopädiemeister Günther Gehrung fertigt Beinprothesen für die Partnerstadt, 1990.

Bei einer Reise im Jahr 1990 durch die Ukraine und im Verlauf eines vierwö-chigen Aufenthaltes im Jahr 1992 in einem Dorf der Region Poltawa lern-te Ursula Zeller das Leben in diesem Land kennen. Sie sah und erfuhr auch von den wirtschaftlichen Nöten und Zwängen, denen viele Menschen aus-gesetzt waren. Das war für sie, die überzeugte Christin, Anlass, im Rah-men ihrer Kräfte zu helfen.

Gemeinsam mit engagierten Men-schen aus Leinfelden-Echterdingen,

Filderstadt und Ostfi ldern sind Klei-dersammlungen veranstaltet wor-den. Reichlich gaben die Filderbe-wohner Kleidungsstücke an Bedürf-tige in Poltawa. Mehrere Lastwagen konnten beladen werden, dankba-re Abnehmer fanden sich am Ziel-ort. Die zunehmenden Transportkos-ten, aber auch die unverständlichen Schwierigkeiten bei der ukrainischen Zollabfertigung beendeten diese Art der Unterstützung; sie ging in ande-rer Form weiter. Dazu ist in der In-nenstadt Poltawa ein Laden gemietet

worden. Im ukrainischen Großhandel gekaufte Lebensmittel wurden por-tioniert und abgepackt an besonders Bedürftige ausgegeben. Örtliche so-ziale Einrichtungen benannten die Empfänger. Bei dieser Aktion lern-te Ursula Zeller Menschen kennen, die durch Unfälle verschiedener Art querschnittgelähmt waren und keine Möglichkeit hatten, ohne Rollstuhl aus ihren Wohnungen zu kommen.

Es entstand das Rollstuhlprojekt.

Zunächst sind bei einem deutschen Hersteller, der Meyra GmbH, fünf-zehn Rollstühle gekauft worden. Die Firma hat die Hälfte des hierfür an-gefallenen Betrages gesponsert. Der Transport in die Ukraine gelang mit den bekannten Schwierigkeiten.

Über soziale ukrainische Einrichtun-gen, aber auch mit Unterstützung hilfreicher Poltawa-Bürger, der Jour-nalist Pawel Storoschenko und die Bankbeamtin Tatjana Deundjak seien hier besonders genannt, sind für Be-hinderte geeignete Gebäude gefun-den worgefun-den.

Später kamen nur in der Ukraine ge-fertigte Rollstühle zur Ausgabe. Der Grund hierfür lag hauptsächlich in den Schwierigkeiten bei der Zoll-abfertigung. Im Jahr 2002 konnten beispielsweise 22 sogenannte spor-tive Rollstühle übergeben werden.