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a. Zumutbarkeit einer Betriebsaufgabe und Verwertbarkeit bejaht

245 Hinsichtlich der Frage, ob dem Versicherten die Aufgabe seiner bisherigen selbstständi-gen Erwerbstätigkeit als Immobilientreuhänder zumutbar sei, war gemäss Bundesge-richt zu berücksichtigen, dass von einer 100%igen Arbeitsfähigkeit für leichte, adaptier-te Tätigkeiadaptier-ten ausgegangen werden konnadaptier-te. Das kantonale Gericht hatadaptier-te eine einzig den Aussendienst betreffende Einschränkung im bisherigen Beruf festgestellt und diese zu Recht als relativ gering eingestuft. Weiter hatte es auf die gute Ausbildung des Versi-cherten verwiesen (Lehre als Hochbauzeichner, höhere Fachschule für Immobilientreu-händer, Basislehrgang Immobilienbewerter und -händler) und berücksichtigt, dass von einer Betriebsaufgabe keine weiteren Mitarbeiter betroffen wären. Schliesslich hatte die Vorinstanz dargelegt, der Versicherte habe bereits als Selbstständigerwerbender nicht an seinem Wohnort, sondern vorwiegend im Kanton X gearbeitet. Nachdem er auch kei-ne betreuungs- oder schulpflichtigen Kinder mehr habe, sei insgesamt von eikei-ner gros-sen Flexibilität auszugehen. Mit Blick auf die verbleibende Aktivitätsdauer von immerhin noch sechs Jahren verletzte die vorinstanzliche Schlussfolgerung, die Aufgabe der bis-herigen selbstständigen Erwerbstätigkeit sei dem Beschwerdeführer zumutbar, nach Meinung des Bundesgerichts kein Bundesrecht.284

246 Der Versicherte war in der bisherigen selbstständigen Tätigkeit als Innendekorateur zu 50 %, hingegen in einer leidensangepassten Tätigkeit (leichte bis mittelschwere Arbeit, mit Einschränkungen bei Überkopfarbeiten, Zwangshaltungen, knienden Tätigkeiten und psychischem Druck) zu mindestens 75 % arbeitsfähig. Er machte geltend, die Aufga-be seines BetrieAufga-bes sei unzumutbar. Das Bundesgericht wies darauf hin, dass es weder aussergewöhnlich sei noch einen Berufswechsel unzumutbar erscheinen lasse, wenn der Versicherte einen fünfjährigen Sohn und diesem gegenüber finanzielle Verpflichtungen

Urteil des Bundesgerichts 9C_621/2017 vom 11. Januar 2018, E. 2.2.1; Urteil des Bundesgerichts 9C_644/2015 vom 3. Mai 2016, E. 4.3.1; Urteil des Bundesgerichts 9C_834/2011 vom 2. April 2012, E. 4; Urteil des Bundesgerichts 8C_460/2011 vom 22. September 2011, E. 4.4.

Urteil des Bundesgerichts 9C_129/2020 vom 9. Juli 2020, E. 4.2.

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Wechsel von

habe. Schliesslich liege eine fehlende Anspruchsberechtigung gegenüber der Arbeitslo-senversicherung in der Natur der Sache, wenn es um die Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit gehe; daraus lasse sich keine Unzumutbarkeit ableiten.285

Laut Gutachten war der Versicherten eine körperlich leichte, wechselbelastende Tätig- 247 keit ohne Zwangshaltung von Kopf und HWS und ohne Überkopftätigkeit zu 50 % zu-mutbar. Sie hatte nach der Sekundarschule eine einjährige Handelsschul-Ausbildung ab-solviert und in der Folge während vier Jahren in einem Büro gearbeitet. Während rund 14 Jahren hatte sie im Tankstellenbetrieb des Ehemannes mitgearbeitet. Nach der Auf-gabe der während zehn Jahren ausgeübten Tätigkeit als selbstständige Podologin und der Wohnsitznahme in Italien hatte sie gelegentlich als Übersetzerin gearbeitet. Das Bundesgericht bestätigte die Einschätzung der Vorinstanz, dass selbst dann, wenn unter diesen Umständen die Aufnahme einer Hilfsarbeit in Industrie oder Gewerbe als unzu-mutbar zu betrachten wäre, der Versicherten jedenfalls geeignete Tätigkeiten im Dienst-leistungssektor, beispielsweise als Hilfsangestellte in einem Büro oder eine administra-tive Tätigkeit im Bereich des Gesundheitswesens, zumutbar seien.286

Die Vorinstanz wie darauf hin, dass das – verständlicherweise grosse – Interesse an ei- 248 ner späteren Betriebsübergabe an den Sohn die Möglichkeit eines Berufswechsels «nicht aufzuwiegen» vermöge. Der Versicherte, dem noch eine lange Aktivitätsdauer bevorste-he, verfüge über eine landwirtschaftliche Ausbildung und Berufserfahrungen als Schweisser, was sich positiv auf seine Vermittelbarkeit in einer lukrativeren adaptierten Tätigkeit auswirke. Mit einem Pensum von 63 % in der Landwirtschaft konnte gerade einmal ein Valideneinkommen von CHF 20’538.00 erwirtschaftet werden. Das Bundes-gericht erachtete diese Begründung nicht als bundesrechtswidrig und bestätigte, dass die Vorinstanz zu Recht einen objektiven Massstab angewandt und die Zumutbarkeit der Betriebsaufgabe bejaht hatte, zumal in einer adaptierten Tätigkeit eine 80%ige Arbeits-fähigkeit als unselbstständiger Schweisser bestand.287

Die Vorinstanz bejahte die Zumutbarkeit einer Betriebsaufgabe insbesondere mit der 249 Begründung, das Alter des Versicherten resp. dessen verbleibende Aktivitätsdauer (im Verfügungszeitpunkt rund 16 Jahre) sprächen nicht dagegen. Es sei verständlich, dass die Aufgabe des Hofes schwerfalle, da er seit Generationen von der Familie betrieben werde und durch den Sohn übernommen werden solle. Die Invalidenversicherung habe aber nicht den – keineswegs sicheren – Übergang des Hofes an die nächste Generation si-cherzustellen. Sodann könne nicht berücksichtigt werden, wenn die Eltern des Versi-cherten von der Hofaufgabe finanziell betroffen wären. Das Bundesgericht bestätigte die Einschätzung der Vorinstanz und hielt fest, dass auch bei Berücksichtigung der subjek-tiven Gegebenheiten ein objektiver Massstab anzuwenden sei, welcher etwa der Berück-sichtigung einer starken Verbundenheit mit dem bereits von den Eltern bewirtschafte-ten Hof oder dem nachvollziehbaren Wunsch, den Hof dereinst an einen Nachkommen weiterzugeben, grundsätzlich entgegenstehe. Hinzu komme, dass der Versicherte an-lässlich der Abklärung vor Ort in Bezug auf die Betriebsverhältnisse angegeben habe, dass er lediglich noch zu «ca. 40 %» in der Landwirtschaft tätig sei und 60 % seiner Ar-beit auf die Schreinerei entfielen. Weiter sei fraglich, ob angesichts des Umstandes, dass der Versicherte nicht Pächter, sondern Eigentümer des Hofes zu sein scheine, eine

Än-Urteil des Bundesgerichts 9C_621/2017 vom 11. Januar 2018, E. 1.1 und 2.4.

Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 575/00 vom 9. Mai 2001, E. 3b.

Urteil des Bundesgerichts 9C_834/2011 vom 2. April 2012, E. 4.

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0 % derung der Wohnsituation tatsächlich unvermeidlich wäre. Dies brauche indessen nicht

beantwortet zu werden: Bei objektiver Betrachtung sei nicht ersichtlich, weshalb neue Wohnverhältnisse unzumutbar sein sollten, auch wenn davon neben dem Versicherten selbst seine Ehefrau, die Kinder und seine Eltern betroffen wären.288

250 Seit Eintritt des Gesundheitsschadens wurde das Lebensmittelgeschäft, was die körper-lich belastenden Verrichtungen betraf, v.a. von der Ehefrau des Versicherten bewirt-schaftet. Damit stand implizit fest, dass der Versicherte den Betrieb mit seiner eigenen Arbeitskraft nicht mehr aufrecht zu halten vermochte. Sein Einwand, keine selbstständig erwerbende Person, die älter als 50 Jahre sei, würde ohne Not ihr Geschäft aufgeben, traf nach Meinung des Bundesgerichts den entscheidenden Punkt nicht. Ausschlagge-bend sei, dass er mit dem Lebensmittelgeschäft – auch in Berücksichtigung des erhöh-ten Arbeitseinsatzes der Ehefrau – kein Einkommen mehr zu erzielen vermöge, mit dem er seine wirtschaftliche Existenz sichern könne. Daher sei es ihm zumutbar, die selbst-ständige Erwerbstätigkeit zugunsten einer unselbstselbst-ständigen aufzugeben.289

251 Das kantonale Gericht erwog, es sei durchaus verständlich, dass die Versicherte ausser-ordentlich stark mit dem von ihr seit 30 Jahren betriebenen Dorfrestaurant verbunden sei, dessen Gebäude ihr und ihrem Gatten gehöre und in welchem sie wohnten. Für die Beurteilung, ob ihr im Rahmen der Schadenminderungspflicht ein Berufswechsel zu-mutbar sei, müsse indes eine objektive Betrachtungsweise Platz greifen. Im massgebli-chen Zeitpunkt der angefochtenen Verfügung (November 2010) sei die Beschwerdefüh-rerin rund 56 Jahre alt gewesen. Im Hinblick auf die nicht unbedeutende restliche Aktivitätsdauer von rund acht Jahren sei der Versicherten die Verwertung ihrer Restar-beitsfähigkeit in einer leidensangepassten, unselbstständigen Tätigkeit durchaus zu-mutbar. Das Bundesgericht schützte diesen Entscheid.290

252 Der Versicherte brachte vor, eine Betriebsaufgabe mit entsprechender Liquidation wür-de eine erhebliche Vernichtung von Vermögenswerten bzw. finanzielle Nachteile mit sich bringen, wie seine aus den Buchhaltungsunterlagen ersichtlichen Investitionen zeigten. Dies sei bei der Zumutbarkeitsbeurteilung nicht berücksichtigt worden. Das Bundesgericht folgte diesem Einwand nicht. Es wies darauf hin, dass der Versicherte nicht dargelegt habe, inwiefern die Aufgabe und Liquidation des Betriebes finanzielle Nachteile mit sich bringen könnte und mit dem Verkauf der Maschinen und der Räu-mung seines Materiallagers ein erhebliches Verlustrisiko verbunden sein solle. Weiter machte der Versicherte geltend, dass einem Selbstständigerwerbenden, der in seinem aufgebauten Betrieb allenfalls aus gesundheitlichen Gründen einen Gewinnrückgang er-leide, mit diesem jedoch den Betrieb voraussichtlich aufrechterhalten könne, eine Be-triebsaufgabe grundsätzlich unzumutbar sei. Hierzu hielt das Bundesgericht fest, ent-scheidend sei, dass dem Beschwerdeführer im Lichte der gesamten subjektiven und objektiven Gegebenheiten des Falles ein Berufswechsel zumutbar sei und er damit ein rentenausschliessendes Erwerbseinkommen erzielen könne. Er könne nicht verlangen, auf Kosten der Invalidenversicherung einen Betrieb aufrecht zu erhalten, auch wenn er darin Arbeit von einer gewissen erwerblichen Bedeutung leiste.291

Urteil des Bundesgerichts 9C_644/2015 vom 3. Mai 2016, E. 4.4.

Urteil des Bundesgerichts 8C_492/2015 vom 17. November 2015, E. 3.2.1.

Urteil des Bundesgerichts 9C_818/2011 vom 7. September 2012, E. 3.3.

Urteil des Bundesgerichts 8C_460/2011 vom 22. September 2011, E. 4.3 und 4.4.

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Beruflicher/

sozialer Ab-stieg

Nicht Betriebs-aufgabe, son-dern Alter

34-Jährig, Scherenschlei-fer

Der Versicherte war im massgebenden Zeitpunkt 60 Jahre alt und als Zimmermann nicht 253 mehr arbeitsfähig. Seinen Betrieb hatte er aufgrund der Unfallfolgen bereits an seinen Sohn übergeben. Die Vorinstanz erwog, dass es ihm aufgrund seiner Schadenminde-rungspflicht zumutbar sei, eine leidensadaptierte Hilfsarbeit aufzunehmen, obwohl dies mit einem beruflichen Abstieg verbunden wäre. Der Versicherte wandte ein, der Wech-sel in eine andere berufliche Tätigkeit sei ihm schon altersbedingt nicht mehr ohne Wei-teres zumutbar. Zudem sei er für eine Hilfstätigkeit offensichtlich überqualifiziert. Es widerspreche jeglicher Lebenserfahrung, dass ein ehemaliger Chef als Hilfsarbeiter an-gestellt werde. Weiter wäre mit der Aufnahme einer leidensangepassten Hilfsarbeit ein beruflicher und sozialer Abstieg verbunden. Er sei als Betriebsinhaber und Geschäfts-führer bekannt. Es wäre unerträglich, den gleichen Leuten als Hilfsarbeiter zu begegnen.

Das Bundesgericht anerkannte diese Einwände nicht. Es sei zwar zutreffend, dass der Versicherte jahrelang die eigene Zimmerei geführt habe. Hieraus könne aber nicht ge-schlossen werden, dass er für eine andere Arbeit überqualifiziert und sozialpraktisch ei-ne solche keiei-nem Arbeitgeber mehr zumutbar sei, wie er behaupte. Der relevante (hypo-thetische) ausgeglichene Arbeitsmarkt biete durchaus Stellen, die für den Versicherten aufgrund des festgestellten Zumutbarkeitsprofils auch ohne lange Umstellungs- und Einarbeitungszeit in Frage kämen. Bei objektiver Betrachtung könne auch nicht von ei-nem sozialen Abstieg gesprochen werden, der es für ihn ausnahmsweise als unzumutbar erscheinen lasse, unselbstständig erwerbstätig zu sein.292

In der bisherigen Tätigkeit als selbstständiger Plattenleger war der Versicherte bis auf 254 den administrativen Anteil nicht mehr arbeitsfähig. Er erklärte, er habe sein ganzes Le-ben lang als Plattenleger gearbeitet. Hinzu komme, dass ihm eine Umstellung von der selbstständigen zur unselbstständigen Erwerbstätigkeit zwar zumutbar, aber nur theo-retisch möglich wäre. Es sei völlig unwahrscheinlich, dass er nach langer Selbstständig-keit und kurz vor Eintritt ins AHV-Alter (62 Jahre und 10 Monate) noch eine Anstellung finden würde, zumal er an erheblichen gesundheitlichen Problemen leide. Das Bundes-gericht verwies darauf, dass der relevante (hypothetische) ausgeglichene Arbeitsmarkt durchaus Stellen beinhalte, die für den Versicherten auch ohne lange Umstellungs- und Einarbeitungszeit in Frage kämen. Als Beispiele für ihm zumutbare Tätigkeiten könnten einfache Überwachungs-, Prüf- und Kontrolltätigkeiten, die Bedienung und Überwa-chung von (halb-) automatischen Maschinen oder Produktionseinheiten sowie die Arbeit als Museumswärter oder Parkplatzwächter genannt werden. Unbehelflich sei der Ein-wand, die Umstellung von selbstständiger zu unselbstständiger Tätigkeit sei ihm kurz vor Eintritt ins AHV-Alter nicht mehr möglich, da er seit mehreren Jahren nicht mehr gearbeitete habe, obwohl ihm unbestrittenermassen eine leidensangepasste Tätigkeit ganztags zumutbar gewesen wäre.293

Der Versicherte war im massgebenden Zeitpunkt rund 34 Jahre alt, was für die Zumut- 255 barkeit eines Berufswechsels sprach. Hinzu kam, dass er die selbstständige Erwerbstä-tigkeit als fahrender Scheren- und Messerschleifer aus invaliditätsfremden Gründen je-weils nur in den Monaten Mai bis September ausübte. Da sich der Versicherte aus eigenem Willen von der Gemeinschaft der Fahrenden, die den Winter an ihren Stand-plätzen im Wohnwagen verbringen, gelöst hatte, wäre es ihm zumutbar gewesen,

wäh-Urteil des Bundesgerichts 8C_759/2018 vom 13. Juni 2019, E. 5.2, 6 und 7.4.2.

Urteil des Bundesgerichts 8C_704/2018 vom 31. Januar 2019, E. 3.2, 6.2 und 8.

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Wenn Selbststän-digkeit nicht mehr mög-lich

Wirtschaft-liche Be- trachtungs-weise

Weitere Faktoren rend des Winterhalbjahres einer leidensangepassten, selbstständigen oder

unselbst-ständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, ohne dass er damit eines weiteren Teilgehalts seiner kulturbedingten Lebensform verlustig ginge.294