»Zeitenwende im Pazifik:
Der Aufstieg Chinas«
von Roland Seib, Darmstadt
August 2019
China agiert als Weltmacht, die sich bemüht, den Einfluss der USA und sei- ner Verbündeten im Pazifik einzuschränken. Deutlich wurde dies auf dem von Rivalität und Spannungen geprägten Gipfeltreffen der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft APEC im November 2018 in Papua-Neuguineas Hauptstadt Port Moresby. US-Vizepräsident Mike Pence überzog China mit Vorwürfen. Es wolle eine autoritäre und repressive Weltordnung etablieren, in der Staaten durch die Seidenstraßen-Initiative in die Schuldenfalle und Abhängigkeit getrieben werden. Chinas Staatspräsident Xi Jinping hofierte stattdessen auf einem Sondertreffen seine pazifischen Partner. Der vorlie- gende Beitrag widmet sich den wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Aspekten von Chinas Aufstieg in der Region. Zudem werden die sicherheits- politische Rivalität mit anderen Staaten in der Region und die »Belt &
Road«-Initiative angesprochen.
2009 ist eine umfangreiche Studie des Autors zur Rolle der Volksrepublik China im Südpazifik zu dem Ergebnis gelangt, dass kein neuer He- gemon am Horizont erkennbar ist. Nur zehn Jahre später hat sich das Bild fundamental ge- wandelt. China ist in der riesigen, strategisch immer wichtiger werdenden Region allgegen- wärtig. Es ist zu einem der führenden Akteure aufgestiegen, obwohl nur zu acht der 14 unab- hängigen Inselstaaten diplomatische Beziehun- gen bestehen. Die Machtverhältnisse vor Ort haben sich dramatisch und nachhaltig zu Guns- ten Chinas verschoben. Dies zeigt sich auch im schnellen Beitritt der pazifischen Partner zur von Peking verfolgten »Belt & Road«-Initiative.
Die Initiative soll die Maritime Seidenstraße des
21. Jahrhunderts von Indonesien über Pa- pua-Neuguinea hinaus in den Pazifik ausdeh- nen.
Strukturmerkmale der pazifischen Inselstaaten
Der Pazifik ohne Nebenmeere umfasst die auf
einer Meeresfläche von 166 Millionen Quadrat-
kilometern gelegenen 14 unabhängigen Insel-
staaten, von denen zwölf den Vereinten Natio-
nen (UN) angehören.
1Die Länder variieren
nach Größe, Bevölkerungszahl, Ressourcenaus-
stattung und Entwicklungsstand. Mit Abstand
größtes Land ist Papua-Neuguinea (PNG), auf das allein knapp 88 Prozent der pazifischen Landfläche und mit 8,5 Millionen Einwohner*in- nen drei Viertel der pazifischen Gesamtbevölke- rung von elf Millionen entfallen. Dem gegen- über stehen die Klein- und Kleinststaaten wie etwa Tuvalu, das auf 26 Quadratkilometern Festland gerade 11.000 Bürger*innen aufweist.
Die 14 pazifischen Inselstaaten zählen alle zu den Entwicklungsländern. Sie weisen ein hohes Maß an Armut auf. Die Salomonen, Vanuatu, Tu- valu und Kiribati werden auf der UN-Liste der Least Developed Countries geführt.
Während Flächenstaaten wie PNG und die Salo- monen über Rohstoffe verfügen, sind die Klein- und Kleinststaaten von Tourismus, Fischereiein- künften, Arbeitsmigration, Heimatüberweisun- gen und Entwicklungshilfe abhängig. Der Pazifik ist die einzige Region der Welt, in der die Unter- ernährung in den letzten zwölf Jahren zugenom- men hat. Der Klimawandel ist dabei ein zentraler Schlüsselfaktor, der die Existenz zahlreicher In- selstaaten bedroht. Die drei Kulturräume des Pa- zifiks werden als Melanesien, Polynesien und Mi- kronesien bezeichnet. Die Aufteilung spiegelt die kolonialen Einflusssphären und die bis heute be- grenzte Aufhebung kolonialer Herrschaft wider.
Zivilgesellschaftliche Organisationen stehen erst am Anfang ihrer Entwicklung.
Die Pazifikstaaten gehören zur letzten Gruppe an Kolonien, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Unabhängigkeit entlassen wurden. Sechs der 17 Territorien der UN-Dekolonisierungs- agenda befinden sich im Pazifik. Die USA sind in Mikronesien weiterhin dominant. Neben den US-Außengebieten Guam, dem Commonwealth der Nördlichen Marianen und Amerikanisch-Sa- moa besteht ein bis 2023 gültiger »Compact of Free Association« mit den Marshall-Inseln, den Föderierten Staaten von Mikronesien und Pa- lau. Australien konzentriert sich auf die melane- sischen Staaten und Nauru, während Neusee- land enge Bindungen zu den polynesischen Län- dern Cook-Inseln, Samoa, Niue, Tuvalu und Tokelau unterhält.
Frankreich übt die Kontrolle über Neukaledo- nien, Französisch-Polynesien und Wallis und Fu- tuna aus. Die Pazifikstaaten sind mit Ausnahme des Königreichs Tonga parlamentarische Demo- kratien. Fidschi und PNG werden hinsichtlich der gewährten politischen Rechte und bür- gerlichen Freiheiten als nur teilweise frei ein- gestuft (Global Freedom Index 2018). Die Pazi- fikstaaten bilden gemeinsam mit Australien und Neuseeland die wichtigste Regionalorganisa- tion Pacific Islands Forum (PIF) mit Sitz in Fid- schi.
Die pazifischen Inselstaaten in den drei Kulturräumen Melanesien, Polynesien und Mikronesien.
Die fettge- druckten Namen kenn- zeichnen die unabhängigen und frei assoziierten Länder der Region.
Amerika- nisch-Samoa ist nicht auf der Karte abgebildet.
(Karte: Cong-
ressional
Research
Service, 2017).
Rivalität der
diplomatischen Beziehungen
China unterhält seit den 1970er Jahren diploma- tische Beziehungen zu Fidschi, PNG und Sa- moa. Im Zentrum des Interesses stand die Durchsetzung der Ein-China-Politik, die seit den 1990er Jahren in der Region zu einem Konkur- renzkampf mit der Republik China eskaliert war (»Scheckbuch-Diplomatie«). Der Pazifik ist Tai- wans letzte Bastion diplomatischer Unterstüt- zung. Sechs der 17 Nationen erkennen Taipeh statt Peking an. Aus Sicht der Volksrepublik China ist Taiwan eine abtrünnige Provinz, deren gewaltsame Rückeroberung nicht ausgeschlos- sen wird. Die Wahl des taiwanesischen Präsi- denten Ma Ying-jeou 2008 führte zu einer Be- friedung des Streits. Mit der auf stärkere Auto- nomie setzenden Tsai Ing-wen als neuer Präsidentin der Inselrepublik hat sich dieser Konflikt seit 2016 erneut zugespitzt.
Nach dem vierten Staatsstreich des Militärs in Fidschi 2006 und den auf Druck Australiens 2009 verhängten Sanktionen war Peking nur zu bereit, die entstandene Lücke als wichtigster Partner des Landes zu füllen. Dem gegenüber stehen die oft von neokolonialer Attitüde und Vernachlässigung geprägten Beziehungen zu Australien. Dieses sah den Südpazifik immer als gesichertes strategisches Hinterland (»our patch«/ unser Flecken oder »our sphere of influ- ence«/ unsere Einflusssphäre) an. Ähnliches gilt
für die USA. Barack Obama hatte 2011 noch eine Hinwendung zur Region (»pivot to the Pa- cific«) eingeleitet, der bis auf militärische Ver- lagerungen keine weiteren Folgen für die Inseln zeitigte. Mehr noch wurde die Entwicklungsko- operation von Australien, Neuseeland und den USA ab 2011 zurückgefahren. China hat dieses Desinteresse genutzt, sich intensiv den Pazifik- staaten zuzuwenden.
Angesichts der immer stärker werdenden Prä- senz Chinas folgte 2018 erneut die Kehrtwende westlicher Staaten. Mit der abermaligen Hin- wendung Australiens (»step up«), Neuseelands (»Pacific reset«), der USA und Japans soll ein neues Kapitel in der Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik zur Region aufgeschlagen werden. Unabhängig davon haben auch externe Mächte wie Indonesien, Malaysia, Korea, Russ- land, Iran, Kuba und die Vereinigten Arabischen Emirate ihr Engagement in einzelnen Pazifik- staaten deutlich ausgeweitet.
Wirtschaft:
Handel und Investitionen
Waren die Wirtschaftsbeziehungen der Pazifik- staaten bis Ende des 20. Jahrhunderts noch von den traditionellen westlichen (Kolonial-)Mäch- ten geprägt, ist China als zweitgrößte Volkswirt- schaft der Welt mittlerweile zu einem dominan- ten Akteur weit vor den USA geworden. Chine-
Marshall-Inseln 3.973 Papua-Neuguinea
2.279 Solomonen
463 Fidschi
401 Samoa
70 Vanuatu
69 Kiriba�, Tonga, Mikronesien, Palau, Tuvalu, Cook-Inseln & Nauru
116
Handelsvolumen der Pazifikregion mit China,
2016 in Millionen US-Dollar
Das Handels- volumen der Pazifikregion mit der Volks- republik China (Daten: UN Comtrade Database, Darstellung Katharina Vik- lenko und Christian Straube, 2019).
130 463
4.537
518
2.279 2.721
457
3.973 1.027
Marshall-Inseln
+340%
+769%
Entwicklung des Handelsvolumens zwischen China und
ausgewählten pazifischen Inselstaaten,
2006 und 2016 in Millionen US-Dollar Papua-Neuguinea
Solomonen
+256%