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Archiv "Krankenversicherung: Sicherheit hat ihren Preis Kontroll" (19.12.1987)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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undert Jahre nach ihrer Gründung soll die gesetz- liche Krankenversiche- rung durch eine neue Balance von Solidarität und Eigenver- antwortung erneuert werden. So steht es im „Reformkonzept der Koalition". Die anspruchsvolle Ankündigung täuscht darüber hinweg, daß die christliberale Koalition lediglich die sozialli- berale Tradition der Kosten- dämpfung fortsetzt. Ganz wie zu Ehrenbergs Zeiten legt sie eine Fülle von Detailvorschlägen vor, in der Absicht, die Ausga- ben der gesetzlichen Kranken- versicherung zu begrenzen.

Niemand sollte überrascht sein, daß die Bundesregierung in der Tat nicht mit einer echten Strukturreform, sondern mit ei- nem neuen Kostendämpfungs- gesetz aufwarten will. Reform an Haupt und Gliedern war zwar beschworen, aber nicht be- absichtigt. Der Ruf nach einem Ludwig Erhard der Sozialpolitik ging ins Leere. Blüm ist nicht Erhard, und die Lage der Kran- kenversicherung entspricht nicht der Lage, die Erhard nach dem Zusammenbruch vorgefun- den hat. Eine grundlegende Er- neuerung der Krankenversiche- rung kann heute einfach nicht zur Debatte stehen — weil die Lage, bei allen finanziellen Sor- gen, nicht katastrophal genug ist; weil es unter den Regieren- den in Bonn nicht jene Visionä- re mit Realitätssinn gibt, die ein großes Werk auf den Weg brin- gen könnten.

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or allem aber: sämtliche Beteiligten der Gesetzli- chen Krankenversiche- rung sind an einer Reform von Grund auf nicht interessiert.

Denn eine solche — sie ist bis in die jüngste Zeit von überzeug- ten Marktwirtschaftlern be- schworen worden — würde das System der Gesetzlichen Kran- kenversicherung, das planwirt- schaftlichen Charakter hat, dem freien Wettbewerb öffnen. Wer aber will das? Alle, die Versi- cherten wie die sogenannten Leistungsanbieter haben sich im

Krankenversicherung

Sicherheit

hat ihren Preis Kontrolle

Grunde bestens in dem warmen Gebäude eingerichtet. Die Krankenversicherung bietet al- len relative Sicherheit — den Versicherten einen immer noch (fast) vollständigen Schutz, den Leistungserbringern ein nahe- zu ungefährdetes Einkommen Dieses Arrangement sollten je- ne, die die Krankenversiche- rungsreform ä la Blüm kritisie- ren und zugleich vom System le- ben, selbstkritisch sehen.

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eder freilich, der sich in die- sem bequemen System einge- richtet hat und auch in Zu- kunft überwintern will, muß wissen, daß er dafür seinen Preis zahlen muß: zunehmende Büro- kratisierung und Kontrolle. Ge- nau nach dieser Devise ist das Reformkonzept der Koalition entworfen.

• Die Patienten werden mit der totalen Transparenz ge- schockt. Geht das Reformkon- zept auf, wird es einen vollstän- digen Datenaustausch geben;

sämtliche Patientendaten wer- den bei den Kassen zusammen- geführt. Dem Patienten soll so in Mark und Pfennig nachgewie- sen werden, was er kostet.

• Der Kassenarzt wird nicht nur über seine eigenen Leistungen Rechenschaft able- gen müssen, sondern auch über die von ihm verordneten. Denn für die einzelnen Bereiche — Arzneimittel, Krankenhauspfle- ge usw. — wird es globale Vorga- ben in Form von Orientierungs- größen geben. Bei Überschrei- ten jener Vorgaben werden ge- zielte Wirtschaftlichkeitsprüfun- gen einsetzen. Er wird mit wei- teren Listen (der billigsten Krankenhäuser und Arznei- mittel) zu rechnen haben.

• Die Krankenhausärzte, die unmittelbar von dem geplan- ten Reformwerk noch am we- nigsten betroffen sein werden, müssen sich zumindest darum kümmern, an welcher Stelle ihr Haus auf der Krankenhausver- gleichsliste steht. Sie werden mit zunehmendem Druck der Trä- ger rechnen müssen — bis hin zur Übernahme der prä- und post- stationären Betreuung als Dienstaufgabe.

• Das Mißtrauen zwischen Patient und Arzt wird wachsen.

Das „Reformkonzept der Koalition" enthält freilich eine große Ausnahme vom Kosten- dämpfungseinerlei: Die Ab- sicht, in die Pflegeproblematik einzusteigen. Das aber wird zu einer Kostenexplosion führen.

Die Pflege wird ihre eigene Dy- namik entwickeln — wegen der allseits bekannten demographi- schen Entwicklung, wegen der Finanzklemme, in der die Trä- ger der Sozialhilfe, die eigent- lichen Antreiber einer Pflegesi- cherung, stecken. Und schließ- lich wird das schlichte Angebot, Pflege via Krankenversicherung abrechnen zu können, als Auf- forderung dienen.

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s ist gewiß notwendig, der Bevölkerung die Angst vor den Lasten einer dau- ernden Pflege zu nehmen. Die Gesetzliche Krankenversiche- rung ist mit der Aufgabe indes überfordert. Der Pflegeblock wird sich innerhalb des weitge- hend festen Ausgabenrahmens ausdehnen und die übrigen Lei- stungsbereiche zusammendrük- ken. Die nichtpflegebedürftigen Patienten und die sogenannten Leistungsanbieter werden das Nachsehen haben.

Der Druck des Sektors

„Pflege" auf die klassischen Be- reiche der Krankenversicherung wird schnell weitere „Kosten- dämpfung" erforderlich ma- chen, sprich: verschärfte „Wirt- schaftlichkeitsprüfungen", noch mehr Kontrolle. Die Gesetzli- che Krankenversicherung ver- langt von ihren Nutznießern ei- nen hohen Preis. NJ

Dt. Ärztebl. 84, Heft 51/52, 19. Dezember 1987 (1) A-3489

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