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Archiv "Armuts- und Reichtumsbericht in Arbeit" (13.10.2000)

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ie sind Armut und Reichtum messbar? Eine Studie aus Köln, die der Bundesregierung zur Vorbereitung eines Armuts- und Reich- tumsberichts dienen soll, gibt darauf verschiedene Antworten. Maßgeblich an ihr beteiligt war Dr. Dietrich Engels, Geschäftsführer der ISG Sozialfor- schung und Gesellschaftspolitik GmbH.

Deutsches Ärzteblatt:Herr Dr. En- gels, wer ist in Deutschland arm?

Engels:Das kommt darauf an, nach welchem Konzept man Armut misst. Es gibt den Ressourcenansatz, bei dem die finanzielle Situation der Menschen ent- scheidend ist. Der Lebenslagenansatz hingegen konzentriert sich auf nicht- monetäre Aspekte; ganz wichtig ist auch die Gesundheit. Wir haben uns mit beiden Ansätzen beschäftigt und auch nach Zusammenhängen zwischen bei- spielsweise Wohnungsproblemen und finanzieller Armut, Gesundheit und fi- nanzieller Armut oder Gesundheit und Bildungsdefiziten gesucht.

DÄ:Können Sie Personenkreise be- nennen, die in Deutschland als arm zu betrachten sind?

Engels: In Bezug auf die monetäre Seite kann die Sozialhilfe als Maßstab dienen. Es gibt Armut in der Sozialhil- fe, neben und über ihr. Familien, die lange Zeit von Sozialhilfe leben, müs- sen sich sehr einschränken. Die Armut neben der Sozialhilfe betrifft Men- schen, die zwar ein Recht auf staatliche Hilfe haben, es aber nicht in Anspruch nehmen. Über der Sozialhilfe sind die- jenigen arm, die nur wenig mehr als den Sozialhilfesatz verdienen. Zu den finan- ziellen kommen nichtmonetäre Proble- me. Alleinerziehenden Müttern fehlt es

zum Beispiel an Unterstützung bei der Erziehung ihrer Kinder. Wohnungslose sind nicht nur aufgrund ihres fehlenden Einkommens schwer in die Gesellschaft zu integrieren. Psychische Krankheiten können hier eine Rolle spielen, eine de- pressive Haltung oder Schwierigkeiten der sozialen Integration.

DÄ: Abgesehen von Obdachlosen, bei denen der Zusammenhang offen- sichtlich ist: Sind Arme kränker als Wohlhabende?

Engels:Wenn man von Wohnungslo- sen absieht, ist der Zusammenhang zwi- schen Armut und Gesundheit schwer zu analysieren. Dazu bedürfte es lange an- gelegter Studien. In der Literatur finden sich aber Hinweise auf einen Zusam- menhang. Eine Studie aus Stuttgart* er- gab etwa, dass Angehörige unterer Be- rufsgruppen in vielerlei Hinsicht gesund- heitlich sehr viel stärker beeinträchtigt und gerade von chronischen Leiden stär- ker betroffen sind als andere.

DÄ: Lässt sich das auf Umweltein- flüsse oder eine ungesunde Lebenswei- se zurückführen?

Engels: Das sind Faktoren, die man nennen kann. Eine ungesunde Lebens- weise hängt auch mit dem sozialen Sta- tus zusammen, weil dieser wiederum das Bildungsniveau oder die Inan- spruchnahme von Vorsorgemöglichkei- ten beeinflusst. Hinzu kommen exogene Belastungen, etwa durch Umweltfakto- ren: Schlechte Wohngegenden sind häu- fig stärker mit Schadstoffen belastet, ge- ring entlohnte Arbeiter müssen oft am Arbeitsplatz mit Schadstoffen umgehen, körperlich schwere oder unfallträchtige Tätigkeiten verrichten. Es lässt sich aber schlecht in Zahlen ausdrücken, inwie- weit zum Beispiel das Bildungsniveau unmittelbar kausal mit dem Gesund- heitszustand zusammenhängt.

DÄ:Wie kann es sein, dass in einem Gesundheitssystem die Versorgung von Armen schlechter ist als die von Wohl- habenden?

Engels:Im internationalen Vergleich ist das deutsche Gesundheitssystem sehr weit entwickelt und wendet sich sehr gleichmäßig an verschiedene Bevölke- rungsgruppen – das ist gar keine Frage.

Nur haben wir auf der anderen Seite auch ein gewisses Maß an Eigenbeteili- gung. Die ganz Armen wie Sozialhilfe- empfänger trifft das nicht, weil sie von den Eigenleistungen befreit sind. Knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze spielt ei- ne solche Eigenbeteiligung aber sehr wohl eine Rolle. Differenzen gibt es zu- dem bei den Vorsorgeuntersuchungen:

Obwohl das Angebot für alle besteht, nehmen es ärmere Patienten seltener in Anspruch. Man kann daneben die Frage stellen, ob es nicht auch bei der Behand- lung selbst Statusunterschiede gibt. Ärz- te nehmen sich bekanntermaßen mehr Zeit und Energie für Privatpatienten – es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch zwischen den Kassenpatienten je nach T H E M E N D E R Z E I T

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A2684 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 97½½Heft 41½½13. Oktober 2000

Armut und Gesundheit

„Ärzte müssen ihr Wissen mit den Patienten teilen“

Arme sind tendenziell kränker als Wohlhabende.

Gerade für sie müssten sich Ärzte mehr Zeit nehmen, fordert der Sozialforscher Dr. Dietrich Engels.

Armuts- und Reichtumsbericht in Arbeit

Die Bundesregierung hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung beauftragt, einen Armuts-und Reichtumsbericht zu erstellen. Er soll noch in dieser Legislaturperiode vorgelegt werden. Ein Gremium aus Wissenschaftlern und ein Kreis von Praktikern aus verschiedenen Verbänden und Organisationen arbeiten derzeit gemeinsam an der ersten Übersicht dieser Art. Der Deutsche Bundestag hatte die Regierung zur Vorlage eines solchen Berichtes aufgefordert, der als Grundlage für die Bekämpfung der Armut in Deutschland dienen soll.

Der wissenschaftliche Beraterkreis hat die Konzeption des Berichts vorgestellt und die Forschungsziele festgelegt. Geplant ist eine jährliche Berichterstattung.ER

*Ernst-Ulrich Huster: Gesundheit – Risiken und Unterversorgung, aus: Diether Döring u. a.: Armut im Wohlstand, Frankfurt/Main 1990

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Status unterschieden wird, obwohl sich das schwer nachweisen lässt.

DÄ:Könnte es sein, dass es in man- chen Fällen ein Verständigungsproblem zwischen Arzt und Patient gibt?

Engels:Dazu gibt es keine Untersu- chungen; es wäre aber möglich. Ein Pa- tient, der seine Krankheitssymptome eloquent zusammenfassen kann, leistet eine bessere Zuarbeit als einer, dem der Arzt die Informationen aus der Nase ziehen muss. Auch die höhere Mütter- sterblichkeit unter ausländischen Frau- en könnte darauf zurückzuführen sein;

sie könnte aber genauso gut durch an- dere kulturelle Gewohnheiten verur- sacht werden. Vielleicht haben viele mehr Vertrauen in die Behandlung durch Familienangehörige und wenden sich zu spät an den Arzt.

DÄ: In der gesundheitspolitischen Debatte taucht immer wieder das Kon- zept des mündigen, selbstverantwortli- chen Patienten auf, der seinen Gesund- heitszustand selbst beurteilen kann und deshalb auch selbst weiß, welche Art von Krankenversicherung er braucht.

Kann der Patient das wissen?

Engels:Wenn sich jeder Patient für bestimmte Risiken selbstverantwortlich versichern könnte, würde er eine mög- lichst günstige Police auswählen. Sobald er an einer nicht versicherten Krankheit litte, wäre er wieder ein Sozialhilfefall – und die Kosten für seine Behandlung müsste auch der Staat zahlen. Das finde ich überhaupt nicht sinnvoll. Die gegen- wärtige Wahlfreiheit und den Wettbe- werb unter den Krankenkassen hinge- gen halte ich für positiv. Noch unter- scheiden sich die Leistungen nicht allzu sehr. Die Kompetenz der Patienten hat allerdings seit den 70er-Jahren durch die Selbsthilfegruppen in einer Weise zugenommen, wie das bei einem reinen Patienten-Arzt-Kontakt nicht möglich war. Das hat seine Grenzen dort, wo ei- ne professionelle Kompetenz nicht er- setzt werden kann. Hier müssten die Ärzte ihr Wissen stärker als bisher an die Patienten weitergeben. Viele be- mühen sich sicher, Diagnosen verständ- lich zu vermitteln. Viele arbeiten aber auch sehr rasch und nehmen die Kom- munikation mit dem Patienten weniger wichtig. DÄ-Fragen: Alexandra Endres

T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 97½½Heft 41½½13. Oktober 2000 AA2685

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ie Idee klingt verlockend: Durch verbesserte Kooperation zwi- schen Haus- und Fachärzten auf der einen und einem Krankenhaus auf der anderen Seite wollen 50 Ärzte im Raum Herdecke-Witten und das Gemeinnützige Gemeinschaftskran- kenhaus Herdecke das Kästchen- Denken im Gesundheitswesen über- winden und eine bessere Versorgungs- qualität erreichen. Keine Mensch und Mittel belastenden Doppeluntersu- chungen mehr, keine Odysseen durch die für Laien wenig durchschaubare Gesundheitslandschaft; stattdessen effizienter Informationsaustausch zwischen den Leistungserbringern und hohe Qualitätsstandards, damit Patienten ihren Genesungsweg mit möglichst wenig Reibungsverlusten durchlaufen. Diagnostik erfolgt je- weils nur einmal und ist auch für das Krankenhaus prästationär nutzbar.

Zeitaufwand und Verweildauer wer- den verkürzt, die Kapazitätsausla- stung verbessert und damit die Wert- schöpfung erhöht. Das soll den Punktwert im Netz stützen.

Der Theorie nach werden also zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen:

Die Qualität steigt und mit ihr die Ver- gütung medizinischer Leistungen. So weit der Plan. Aber wie sieht es mit der Praxis aus? Erfahrungsgemäß stellt die Umsetzung ein enormes Pro- blem dar. Ansonsten wäre Deutsch- land längst mit solchen Kooperations- formen übersät, um die strukturellen Defizite in Form von starrer Trennung der Sektoren, Fehlsteuerung von Lei- stungen durch falsche Anreize und Wachstumshemmnisse durch Ratio- nierung zu überwinden.

Aber halten Praxisnetze tatsächlich das, was sie versprechen? Die Erfah- rungen der bisherigen Modellversu-

che deuten darauf hin, dass die Erwar- tungen zumindest in puncto Kostener- sparnis nicht erfüllt werden. Positive Erfahrungen machen die meisten Ärzte offensichtlich mit der verbes- serten Kommunikation in einem Netz.

Die Qualität der medizinischen Lei- stungen und die Patientenzufrieden- heit gegenüber der herkömmlichen Versorgung hingegen sind schwer zu bewerten. Schließlich steht über allem das Gespenst der Risikoselektion in einem Netz.

Die derzeit manchmal beinahe eu- phorische Herangehensweise an die integrierte Versorgung verkennt die enormen Umsetzungsprobleme. Das gilt besonders, wenn die stationäre Versorgung einbezogen werden soll.

Auch in Herdecke stellt das trotz aller Vorschusslorbeeren eine der zentra- len Schwierigkeiten dar. Deshalb ist es sinnvoll, einen behutsamen, freiwilli- gen und die Selbstverwaltung einbe- ziehenden Weg über Modellversuche zu gehen, wenn nicht neue Brüche und Verwerfungen erzeugt werden sollen. Solche entstehen auch gerade dann, wenn nur bestimmte Versicher- te, wie auch in Herdecke, Zugang zum Netz haben.

Verfehlt ist es jedenfalls, integrierte Versorgungsformen erzwingen zu wollen. Sie müssen wachsen und brau- chen einen Ordnungsrahmen, wenn sie wirkliche Fortschritte bringen sol- len. Das Modell Herdecke wird den Beweis, ob unter dem Strich tatsäch- lich ein signifikanter Vorteil gegen- über der bisherigen Situation entsteht, noch führen müssen. Detlef Parr MdB*

KOMMENTAR

Integration muss wachsen

*Detlef Parr, MdB aus Ratingen, ist Obmann der FDP im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages und stellvertretender Vorsitzender des Arbeitskreises für Ar- beit und Soziales der FDP-Bundestagsfraktion in Berlin.

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