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Archiv "Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 2005" (13.05.2005)

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zwei Argumente sprechen dagegen, dass sie in substanzieller Weise zur Er- klärung des sozialen Gradienten beitra- gen“, sagte Siegrist. So habe sich ge- zeigt, dass der Gradient in Staaten mit freiem Zugang zur Versorgung nicht geringer ausgeprägt sei als in Staaten mit einem stärker marktwirtschaftli- chen Gesundheitssystem. Ferner werde frühzeitige Sterblichkeit hauptsächlich durch Bedingungen verursacht, die durch ärztliche Intervention nur be- grenzt beeinflussbar seien. Die Exper- ten weisen dieser Hypothese deshalb maximal zehn bis 15 Prozent Varianz- aufklärung zu. In Deutschland nimmt die Anzahl der Arztkontakte sogar mit geringerer sozialer Schicht zu. Dies zeigen die Daten des Bundesgesund- heitssurveys 2003. Eine Ausnahme bil- de der Rückgang der Fallzahlen in Berlin nach Einführung der Praxisge- bühr, sagte Henke. So sind nach Anga- ben der KV Berlin in den Stadtteilen mit einem hohen Anteil an Sozialhilfe- empfängern die Fallzahlen im ersten Quartal 2004 im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesunken.

Bestätigt hat die europäische Groß- studie, dass schichtspezifische Belastun- gen des alltäglichen Lebens sowie ge- sundheitsschädigendes Verhalten we- sentlich für die erhöhte Morbidität und Mortalität von ärmeren Bevölkerungs- schichten verantwortlich sind – Mar- mots dritte und vierte Hypothese. Die Belastungen reichen dabei von einer ungünstigen Wohnlage über materielle Einschränkungen, soziale Instabilität in Erziehung und Familie bis hin zu be- lastungsreichen Beschäftigungsverhält- nissen und Arbeitslosigkeit.

Häufiger bei Armen: Stress, Rauchen und Alkoholkonsum

Siegrist, der ebenfalls dem Ausschuss für Gesundheitsförderung der BÄK ange- hört, präsentierte dem Deutschen Ärzte- tag einige neue Erkenntnisse des For- schungsprojekts: „Der soziale Gradient von Morbidität und Mortalität wird be- reits am Beginn des Lebens, in der Schwangerschaft und in den ersten Le- bensjahren gebahnt“, erläuterte der So-

ziologe. Verantwortlich gemacht würden hierfür mangelnde Vorsorge und gesund- heitsschädigendes Verhalten schwange- rer Mütter, erhöhte postnatale Gesund- heitsrisiken sowie gestörte affektive Bin- dungen in der Mutter-Kind-Beziehung, die durch materielle Not noch verstärkt werden. Aber auch Krankheiten, die erst im dritten, vierten und fünften Dezen- nium auftreten, wie Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Krankheiten, würden in- trauterin und in frühen postnatalen Pha- sen programmiert, betonte Siegrist. Kin- der aus unteren sozialen Schichten wür- den zudem seltener Vorsorgeuntersu- chungen und Impfungen in Anspruch nehmen, ergänzte Henke. Diese Bevöl- kerungsgruppen müssten deshalb aktiver aufgeklärt werden. Hier sollte der öffent- liche Gesundheitsdienst eine entschei- dende Rolle übernehmen.

Das europäische Programm stellte ferner fest, dass der soziale Gradient im frühen und mittleren Erwachsenenal- ter entscheidend durch die Qualität der Erwerbsarbeit beeinflusst wird. Diese neue Erkenntnis geht über den bereits bekannten Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und erhöhter Krank- heitslast in unteren Sozialschichten hinaus. „Menschen, die an Arbeitsplät- zen beschäftigt sind, an denen sie trotz hoher Leistungsdichte wenig Einfluss haben und weniger Gehalt oder Aner- kennung beziehen, besitzen ein erhöh- tes Risiko, stress-assoziierte Erkran- kungen zu erleiden“, sagte Siegrist.

Beide Bedingungen seien bei geringer qualifizierten Beschäftigten häufiger anzutreffen. Gleichzeitig sei die Stress- wirkung, die von solchen Erfahrun- gen ausgehe, bei Mitgliedern unterer Schichten stärker, da sie über weniger kompensierende Ausgleichsstrategien verfügten.

Als drittes zentrales Ergebnis zeigte die Studie der European Science Foun- dation, dass die Tatsache, in einer stark benachteiligten Umgebung zu leben, einen eigenständigen Effekt auf er- höhte Krankheitsrisiken aufweist. Da- bei sei es gleich, wie das individuelle gesundheitsschädigende Verhalten aus- geprägt sei, erläuterte Siegrist. Ver- haltensprävention müsse deshalb um

„verhältnispräventive Maßnahmen“ er- gänzt werden, schlussfolgerte der So- ziologe. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann

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A1344 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1913. Mai 2005

1 0 8 . D E U T S C H E R Ä R Z T E T A G

13,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland leben unter der Armutsgrenze. Dies geht aus dem aktuellen Armuts- und Reichstumsbe- richt hervor, den die Bundesregierung im März dieses Jahres vorlegte. Der Bericht bestätigt den Zusammenhang zwischen Einkommens- lage, Bildungsstand, Arbeitslosigkeit einer- seits und Gesundheit und Gesundheitsverhal- ten andererseits. Deutlich stellt er klar, dass Menschen aus ärmeren Bevölkerungsschich- ten häufiger gesundheitliche Probleme haben (42 Prozent gegenüber 37 Prozent). Im Ver- gleich zur einkommensstärkeren Bevölkerung leiden sie vermehrt an Adipositas, chronischer Bronchitis, Herzinfarkt, Schlaganfall, Depres- sion und Männer an Leberzirrhose. Nachweis- bar waren im bundesweiten Gesundheitssur- vey 2003, auf dem die Daten beruhen, sogar Mortalitätsunterschiede. So war bei den Ein- kommensschwächsten im Vergleich zu den Einkommensstärksten die vorzeitige Sterb- lichkeit etwa um das Doppelte erhöht.

Langzeitarbeitslose sind dem Bericht zufol- ge besonders häufig von Gesundheitsstörun- gungen betroffen (60 Prozent der Männer und 52 Prozent der Frauen gegenüber 28 Prozent

der erwerbstätigen Männer und 35 Prozent der Frauen) und weisen gegenüber Erwerbs- tätigen ein 3,4fach erhöhtes Sterberisiko auf.

Am größten sind die Unterschiede beim Auf- treten von Hypertonie, chronischer Bronchitis, Arthrose, Rückenschmerzen, Schwindel und Depressionen. Gleichzeitig korrelieren die ver- mehrten Beschwerden mit einem gesund- heitsriskanteren Verhalten von Arbeitslosen:

Sie rauchen mehr und achten weniger auf ih- re Ernährung. Langzeitarbeitslose Frauen sind beispielsweise etwa doppelt so häufig adipös wie gleichaltrige erwerbstätige Frauen.

Die am meisten in Deutschland von Armut betroffene Altersgruppe sind jedoch Kinder und Jugendliche. Dabei wirke sich die soziale Be- nachteiligung oftmals auf die gesundheitliche Entwicklung der Heranwachsenden aus, heißt es in dem Bericht. Seh- und Sprachstörungen, psychomotorische Defizite, Beeinträchtigungen der geistigen Entwicklung, psychiatrische Er- krankungen sowie Adipositas treten bei ihnen vermehrt auf. Eine Ausnahme stellen lediglich die Allergien dar, die bei Kindern und Jugendli- chen aus sozial begünstigteren Bevölkerungs- gruppen häufiger vorkommen. ER

Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 2005

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