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Landolt, W. (1992). Methoden und Probleme der experimentellen Ursachenforschung. In Forum für Wissen: Vol. 1992. Waldschadenforschung in der Schweiz: Stand der Kenntnisse (pp. 73-79). Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft.

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EIQRUM Methoden und Probleme der

FÜ R W , S S E N experimentellen Ursachenforschung

Werner' Landolt K

1 9 9 2 WSL, Birmensdorf

Die forstliche Immissionsforschung ist eine wissenschaftliche Disziplin, die im Zusammenhang mit den Waldschäden des letzten Jahrzehnts enorm an Aktualität gewonnen hat und vielfach erst in diesem Zusammenhang in das Bewusstsein einer breiteren Offentlichkeit gedrungen ist. Trotz des scheinbar früheren Schattendaseíns kann sie heute auf eine fast hundertfiinfzigjährige Erfahrung zurückblicken. Im Folgenden sollen ihre Aufgaben, Methoden und Probleme kurz vorgestellt und diskutiert werden. Dabei wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Vielmehr geht es darum, anhand von einigen Beispielen Möglichkeiten und Grenzen aufzuzeigen und Verständnis dafür zu wecken, dass es auch in diesem Bereich der Wissenschaft noch viele offene Fragen gibt, die auf eine Antwort warten.

Aufgabenstellung

Dem forstlichen Immissionsschutz stellen sich verschiedene Aufgaben (GUDERIAN und BALLACH 1989). Eine zentrale Bedeutung kommt der Kausalanalyse von Pflanzenschädi- gungen durch Immissionen zu, weil die dabei gewonnenen Erkenntnisse sowohl als Grund- lage für Differentialdiagnosen im Walde, wie auch für Riskoabschätzungen im Hinblick auf bestehende oder zukünftige Entwicklungen und Gefährdungen dienen können. _

Da aus praktischen Gründen eine völlige Schadstoff-Freiheit der Luft nicht erreichbar ist, nimmt der präventive Forstschutz für den prak- tischen Vollzug der Luftreinhalteverordnung eine wichtige Stellung ein. Dabei geht es vor allem um die Festlegung von Immissionsgrenz- werten, bei deren Einhaltung ein umfassender Schutz der Pflanzen vor schädlichen Einwir- kungen gewährleistet sein soll. Da solche Grenzwerte immer nur aufgrund des aktuellen Wissensstandes festgelegt werden können, bedürfen sie der dauernden Uberprüfung und Bestätigung durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse.

Grundsätzliche Schwierigkeiten bei der Bearbeitung immissions-

ökologischer Fragestellungen

Das Ökosystem Wald ist ein komplexes Bezie- hungsgefüge, das durch vielfältige innere und äussere Faktoren beeinflusst wird. Der Versuch, einzelne dieser Einflussfaktoren zu isolieren und deren Bedeutung für das Ganze zu quanti-

fizieren, ist daher notwendigerweise mit Schwierigkeiten verbunden. Diese beginnen bereits bei relativ einfachen Fragen, etwa jener nach der «typischen›› lmmissionssituation in der Schweiz oder nach dem «typischen›› Schädi- gungssymptom, das es zu untersuchen oder zu erklären gilt. Bevor darauf näher eingegangen wird, soll kurz der wissenschaftliche Ansatz vorgestellt werden, mit dem in der Regel solche Probleme angepackt werden.

Die Koch'schen Postulate und der Vorschlag von Descartes

Der Arzt und Mikrobiologe Robert Koch (1843-1919), der Entdecker 'des Tuberkulose- erregers, hatin seinen Postulaten festgehalten, wie bei pathologischen Fragestellungen am besten vorzugehen ist. Es ist daher naheliegend, zu prüfen, inwiefern derselbe Ansatz auch auf immissionsökologische Fragen angewendet werden kann. Sinngemäss lauten seine Postu- late:

-. Das Krankheitsbild muss immer mit dem Erreger der Krankheit zusammen auftreten.

- Der Erreger muss aus einem kranken Orga- nismus isoliert werden können.

- Einem gesunden Organismus eingeimpft, muss der Erreger dasselbe Krankheitsbild

hervorrufen. ' V S

Aus den verschiedensten Gründen lassen sich die Koch'schen Postulate in der Waldschaden- forschung nicht streng nachvollziehen (geringe Ursachenspezifität der Symptome, viele Ursa- chenfaktoren lassen sichim Nachhinein nur über ihre Wirkung und nicht direkt nachweisen, Effekte treten erst nach Uberschreitung eines Schwellendosenwertes auf,iusw.). Sie bedürfen

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74 FORUM für Wissen Werner Landolt der Anpassung, die etwa folgendermassen lau-

ten könnte: :

- Es muss immer zu Schädigungen kommen, wenn die als Ursache vermuteten Faktoren vorliegen ('consistency')

- Dieselben Schädigungen müssen durch die als Ursache vermuteten Faktoren induziert werden können ('mechanism') O -

- Die Empfindlichkeit innerhalb und zwischen Arten muss durch die als Ursache vermute- ten Faktoren künstlich reproduziert werden können ('responsivness') .

-. 'Die Dosis macht das Gift' (Paracelsus).

Bei der Behandlung komplexer Aufgaben beruft sich die Naturwissenschaft häufig auch auf Descartes. Der empfahl, grosse Probleme in kleine Teilbereiche aufzugliedern, die mit den zur Verfügung stehenden Mitteln gelöst werden können. Dabei setzt man stillschweigend vor- aus, dass sich das Ganze wieder aus der Summe seiner Teile ohne Informationsverlust zusam- mensetzen lässt. Dies ist bei komplexen Syste- men nicht immer der Fall. Auch das Okosystem Wald ist durch Mehrfachrückkopplung kom- plex, eine Eigenschaft, die es schwer beschreib- bar macht und das Verständnis seiner Reaktio- nen beeinträchtigt. Die moderne Forschung hat noch nicht viel Erfahrung mit solchen Syste- men, deren-bildlichen Ausdruck der Komplexi- tät man am ehesten aus der Mathematik unter den Begriffen Fraktale, Julia-Mengen oder auch schlicht als Apfelmännchen kennt. Daher ist das Descart'sche Vorgehen zuweilen ein aben- teuerliches Unterfangen, das etliche Risiken in sich birgt und von dem sich erst hinterher fest- stellen lässt, wieweit das Ziel erreicht wurde.

Ein alternatives Vorgehen zur Lösung solcher Probleme liegt aber aus streng naturwissen- schaftlicher Sicht bisher nicht vor.

Probleme mit der Charakterisierung der aktuellen immissionssituation `

Im dicht besiedelten Mittelland existiert ein komplexerer Immissionstyp als in den Alpen, wo Ozon die anderen gasförmigen Luftfremd- stoffe (SO2, NOX) eindeutig dominiert. Auch ist die Bedeutung weiterer potentieller Belastungs- faktoren wie der Stickstoff--und der Säure- einträge je nach Standort unterschiedlich. Da die einzelnen Schadstoffe sowohl zeitlichen wie räumlichen Schwankungen unterworfen sind, müssen die verschiedenen Untersuchungen auf den jeweiligen Immissionstyp abgestimmt wer- den, für den sie gelten sollen. So wäre es im Gegensatz zu einem Mittellandstandort am NFP 14+-Standort Davos. wenig sinnvoll, synergisti- sche Wirkungen zwischen Ozon und Stick-

oxiden oder Schwefeldioxid zu suchen. Selbst wenn man sich nur auf einen einzigen Schadstoff wie z.B. Ozon konzentriert, können die Gefährdungspotentiale einzelner Standorte recht unterschiedlich beurteilt werden, je nach- dem ob man sich z.B. auf die mittlere J ahres- konzentration oder die.Anzahl Uberschreitun- gen des Kurzzeitgrenzwertes bezieht. 1

Als erschwerend für Untersuchungen kommt weiter hinzu, dass die verschiedenen Luftverun- reinigungskomponenten stark mit weiteren Umgebungsvariablen korreliert sind, die einen grossen Einfluss auf das Gedeihen der Pflanzen ausüben können, z.B. Temperatur, Lichtintensi- tät oder Luftfeuchte. Die Wirkungen dieser ver- schiedenen Einflussfaktoren müssen auseinan- dergehalten werden können, wenn es darum geht, die Bedeutung der verschiedenen Schad- stoffe für die Pflanzen eines Standorts zu charakterisieren. - '

Probleme mit den Waldschadensymptomen Die Basis der heutigen Waldschadenzahlen bil- den die Nadel- oder Blattverluste. Aus immis- sionsökologischer Sicht sind diese Zahlen weniggeeignet, um Hypothesen über die Scha- denursachen aufzustellen. Hinter diesen unspe- zifischen Symptomen können zum einen sehr unterschiedliche'Ursachen versteckt sein und zum anderen wissen wir nicht, was als lang- jähriger Durchschnitt zu gelten hat, da diese Symptome erst seit wenigen Jahren mehr oder weniger reproduzierbar aufgenommen werden.

Bezogen auf den Einzelbaum lassen die Wald- schadenzahlen weder eine Aussage über den Zeitpunkt des «Nadel- oder Blattverlustes» zu, noch wissen wir, welche Jahrgänge davon betroffen sind, respektive ob es sich um effek- tive Verluste handelt oder nicht. Zudem traten die Nadel- und Blattverluste, die wir heute als Zeichen des Waldsterbens ansehen, schon frü- her auf (SCHWEINGRUBER 1989). Daher gilt nicht das Symptom an sich als neu, sondern nur dessen weite Verbreitung. Diese Annahme ist aber nicht durch Daten belegt. Die Situation wird noch dadurch kompliziert, dass eine Waldentwicklung auch ,ohne Immissionsein- flüsse nicht immer harmonisch verläuft, wie wir Artikeln von SEIBT (1986), ROTH (1949) oder PFISTER (1986) entnehmen können.

Die bisherigen Erfahrungen mit immissions- bedingten Waldschäden betreffen vor allem klassische Fälle. Diese Schädigungen traten meist in unmittelbarer Umgebung von Emitten- ten (Eisenhütten, Aluminiumwerke, Keramik- werke usw.) auf. Daher war die Ursachen- findung relativ einfach, weil in der Regel ein enger Zusammenhang bestand zwischen der

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FORUM für Wissen Werner Landolt

Menge der deponierten Stoffe (S, F) und der Intensität der beobachteten Schädigungen. Be- reits in diesen klassischen Fällen zeichnete sich aber ab, dass es zu vielfältigen Wechselwirkun- gen zwischen Immissionen und klimatischen Faktoren kommen kann, was sich vielfach in einer Schadenverstärkung äusserte.

Der heutige Immissionstyp entspricht nicht mehr diesem Bild und dementsprechend haben sich auch die Ansprüche an den Nachweis immissionsbedingter Pflanzenschädigungen ge- wandelt. An Stelle der akuten Schädigungs- symptome, die teilweise direkte Schlüsse auf das sie verursachende Reagens zuliessen, sind unspezifische Schadbilder getreten, deren Ursa- che nicht mehr eindeutig festzustellen ist. Eine Ausnahme bilden vielleicht noch die Schädi- gungen an landwirtschaftlichen Kulturen und Wäldern ab Mitte der vierziger Jahre im Westen der USA, doch liess sichbereits damals die Ursache nicht mehr rückstandsanalytisch fest- stellen, sondern nur noch mit Hilfe experimen- teller Ansätze. ~

Experimentelle Ansätze als wichtiger Beitrag *zur Lösung des Waldschadenproblems

Angesichts der vielen Unklarheiten auf der Waldschadenerfassungsseite ist es naheliegend, zuuntersuchen, bei welchen Konzentrationen und welcher Einwirkungsdauer die wichtigsten Luftverunreinigungskomponenten Schädigun- gen an Pflanzen erzeugen und wie die entspre- chenden Symptome aussehen.

Experimentell gibt es verschiedene Möglich- keiten, s_olche Untersuchungen anzustellen. Sie reichen von einfachen Versuchen im Freiland, über Open-Top- und Closed-Top-Kammer Experimente, bis hin zu Versuchen in voll steuerbaren Klimakammern, in denen viele Umweltparameter in weiten Bereichen regelbar sind. Je nach Schadstoffkonzentrationen und Fragestellungen wird im Ausschlussverfahren, («Negativbegasung››) oder mit Schadstoffzufüh- rung («klassische» Versuche) gearbeitet.

Jeder dieser experimentellen Ansätze besitzt Vor- und Nachteile. Unter naturnahen oder natürlichen Bedingungen ist eine gute Über- tragbarkeit der Resultate auf Freilandbedin- gungen gewährleistet. Durch die Zufälligkeit des Einwirkens der verschiedenen standörtli- chen Einflussfaktoren ist aber eine Kausalana- lyse oder Differentialdiagnose unter Freiland- bedingungen sehr erschwert. Ohne Kontrolle ist im einzelnen manchmal kaum feststellbar, welche Faktoren oder Faktorenkombination

schliesslich gefundene Effekte erzeugt haben.

Beim Klimakammerexperiment ist es gerade umgekehrt. Dort ist eine hohe Reproduzierbar- keit der Resulate gegeben, wie sie für kausal- analytische Versuche gewünscht wird, .es ist aber schwieriger, sie ohne weiteres auf Frei- landbedingungen zu übertragen (GUDERIAN 1978). Diesen verschiedenen Einschränkungen muss bei der Interpretation der Versuchsresul- tate Beachtung geschenkt werden.

Im Experiment wird immer nur ein möglichst repräsentativer Ausschnitt, nie die ganze Wirk- lichkeit einer Pflanze an ihrem natürlichen Standort simuliert. ,Daher kann auch die Aus- sagekraft der Resultate solcher Versuche nie eine absolute, sondern immer nur eine relative sein. Ihr Geltungsbereich ist anhand der Reali- tät zu überprüfen. Im einzelnen ist .es nicht immer möglich, den Einfluss der Kammer- bedingungen oder anderer Faktoren auf das Versuchsresultat zu quantifizieren. Leider beschränken. sich unsere Kenntnisse über phy- siologische und biochemische Prozesse in Pflanzenorganen noch weitgehend auf qualita- tive Zusammenhänge. Quantitative Beziehun- gen, auf die es letztlich ankommt, liegen dage- gen noch mehrheitlich im Dunkeln. Aussagen über die Bedeutung solcher Effekte für den Stoffwechsel der Pflanzen und die damit ver- bundenen Konsequenzen sind daher sehr spe- kulativ. Gleiches gilt auch bei Analogieschlüs- sen von einer Pflanzenart auf eine andere, von hohen auf tiefe Schadstoffkonzentrationen oder von Kurzzeitversuchen auf Langzeitwirkungen.

Im folgenden sollen zu diesem Thema einige Beispiele vorgestellt und diskutiert werden.

Resultate aus

Begasungsexperimenten

Fall1 .

Die Waldföhre (Pinus silvestris)-hat sich in unseren Begasungsexperimenten als recht ozon- empfindliche Baumart herausgestellt. Um einen Effekt der experimentellen Bedingungen auf die Versuchspflanzen zu finden, wurden einzelne Töpfe auch ausserhalb der Begasungsanlage im Freiland aufgestellt. Als Bioindikator diente Inosit, eine zuckerähnliche Substanz, die viel- fach an Stressreaktionen von Pflanzen beteiligt ist, ohne dass man deren Rolle im Detail genauer kennt.

In diesem Versuch zeigte sich, dass der Ino- sitgehalt von Föhrennadeln bereits durch die experimentellen Randbedingungen ohne Ozon«

erniedrigt wird. Fügt man der Kammerluft zusätzlich Ozon bei, so fällt der Inositgehalt

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76 FORUM für Wissen Werner Landolt noch weiter ab. Wird daher der Ozoneffekt, wie

er sich im Inositgehalt begaster Nadeln zeigt, als Stressindikator angesehen, so muss bereits die Exposition der Versuchspflanzen in den Kam- mern als Stress ,gewertet werden.

Aufgrund dieses Resultates muss damit gerechnet werden, dass die dem Ozon zuge- schriebenen Effekte eine Kombinationswirkung darstellen, an der auch die Kammerbedingun- gen beteiligt sind. Da man in der Regel solche Effekte nicht sucht, werden sie auch nicht gefunden. Unter Umständen können durch sol- che Einflüsse Schadstoffeffekte auf Pflanzen über- oder unterschätzt werden.

Fall 2 .

Im Rahmen des NFP 14+-Projektes «Negativ- begasung» wurde Rotklee an der Lägern wäh- rend vier Wochen in gefilterter und ungefilter- ter Standortsluft exponiert, nachdem er vorher an schadstofffreier Luft aufgezogen worden war.

Während dieser Exposition entwickelten ver- schiedene Blätter nekrotische Flecken. Eine multiple lineare Regression mit verschiedenen Schadstoffparametern in der Kammerluft zeigte, dass insgesamt 82 Prozent der aufgetretenen Schädigungen sich mit Ozon erklären liessen.

Eine Pappelhybride zeigte ebenfalls' eine starke Ozonempfindlichkeit, hingegen fehlte die Konzentrationsabhängígkeit wie beim Klee.

Uberstieg die 'mittlere Ozonkonzentration 50 μg/m3, so musste bei der Pappel mit einem Blattfall von etwa 40 Prozent gerechnet werden.

Beide Ozoneffekte, sowohl der mit Klee wie auch jener mit der Pappel, wurden in zwei verschiedenen Jahren während des Sommers durchgeführt und zeigten die gleichen Resul- tate. Damit war die wesentliche Forderung nach der Reproduzierbarkeit der Ergebnisse erfüllt.

Im Sommerhalbjahr 1990 zogen wir im Gar- ten der WSL unter Freilandbedingungen Pap- pelstecklinge desselben Klons auf, um für wei- tere Begasungsversuche genügend Pflanzen- nachschub zu haben. Aufgrund der Meldungen in den Medien und auch unserer eigenen Mes- sungen war der Sommer 1990 ozonreich. Umso erstaunlicher war die Feststellung -am Ende der Vegetationszeit, dass kaum ein Blattverlust auf- getreten war und die im Freiland exponierten Pappeln praktisch das letzte Blatt am Stamm- ansatz noch behielten. Aufgrund der vorange- gangenen Resultate war dieses Ergebnis kaum zu erwarten. Offensichtlich mussten die unter- schiedlichen Expositionsbedingungen zu die- sem Resultat geführt haben. Um diese Frage genauer abzuklären, wurde der Begasungsver- such von der Lägern im Garten der WSL noch-

mals wiederholt. Stecklinge wurden in Töpfen und im Boden herangezogen, mit und ohne Vorexposition in gefilterter Aussenluft. Nach einem Monat zeigten' weder die Pflanzen in gefilterter noch in ungefilterter Umgebungsluft einen Blattfall. Auch dieses Ergebnis steht in klarem Widerspruch zu jenem von der Lägern.

Immerhin war jetzt klar, dass weder das Kam- merklima noch die Pflanzentöpfe dieses Ergeb- nis hervorgerufen haben konnten. Als mögliche Erklärung blieb noch übrig, dass die Pflanzen an der Lägern in einer beschatteten Waldlich- tung aufwuchsen, im Garten des WSL dagegen an der vollen Sonne.

Vom Ozonindikator Tabak Bel W3 wissen wir, dass Schattenblätter erheblich rascher auf Ozoneinflüsse reagieren als dies bei Sonnen- blättern der Fall ist. Eine ungelöste Frage be- steht nun aber darin, wie diese Ergebnisse im Hinblick auf die Ozonempfindlichkeit unserer Waldbäume zu bewerten sind. Es ist sicher kein Zufall, dass unter den ozonempfindlichen Pflanzen aus Expositionsversuchen ausgespro- chen viele Lichtpflanzen anzutreffen sind, wäh- rend die schattenliebenden eher zu den resisten- teren zählen.

Nicht immer ist Versuchsresultaten aus der Literatur anzusehen, unter welchen Umständen sie erhalten wurden und welche Parameter aus- ser den Schadstoffen ebenfalls massgeblich da- ran beteiligt waren. Unter Umständen sind sol- che Kenntnisse aber eine unabdingbare Voraus- setzung für eine Interpretation der Ergebnisse.

Fall 3

Die Erfahrung zeigt, dass es grosse Unter- schiede in der Schadstoffempfindlichkeit zwi- schen verschiedenen Arten oder auch innerhalb einer Art zu verschiedenen Zeitpunkten gibt.

So erwies sich von den Koniferen die Föhre als ausserordentlich ozonempfindlich, während die Fichte erheblich toleranter erschien und die Weisstanne weder mit biochemischen noch sichtbaren Symptomen auf die Ozonbegasung reagierte. In der ersten Sommerhälfte dauerte es bei der Föhre 6 Wochen und mehr, bis mit 200 ug /m3 Ozon erste sichtbare Symptome auftra- ten, im Herbstversuch konnte man bereits nach 2 Wochen Effekte beobachten. Laubbäume wie die Buche oder die Birke reagierten in der Regel ebenfalls erheblich früher als die Fichte oder die Weisstanne.

In der Literatur werden nicht immer Anga- ben über den genauen Zeitpunkt von Versuchen gemacht, was eine erhebliche Einschränkung der Vergleichbarkeit zur Folge haben kann.

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FORUM für Wissen Werner Landolt _

Einfluss von Ozon auf die Nettophotosynthese in verschiedenen Pflanzengruppen j

Änderung der Nettophotosynthese (%)

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Fall 4 J

Mitunter lassen sich sehr unterschiedliche, wenn nicht gar widersprüchliche Schlussfolge- rungen aus den gleichen experimentellen Daten ziehen. In seiner umfangreichen und ausge- zeichneten Review über ozonbedingte Wachs- tums- und Photosynthesedepressionen an Pflan- zen kam REICH (1987) in einem ersten Ansatz zum Schluss, dass landwirtschaftliche Pflanzen bezüglich der exponierten Dosis empfindlicher reagieren als Laubbäume und diese wiederum empfindlicherals Koniferen. Bezieht man in

Zusammenstellung von Daten aus amerikanischen Kammerexperimenten (Reich, Tree Physiol. 3, 1987)

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diesen Vergleich das Blatt- oder Nadelalter mit ein, so verwischen sich diese Unterschiede, die verschiedenen Pflanzen reagieren vergleichbar.

Auch das klingt plausibel. Interessant wird es aber erst, wenn man an Stelle der Ozondosis die effektiv aufgenommene Ozonmenge über die ganze Lebensdauer der Blätter oder Nadeln berechnet. Hier kehren sich die Verhältnisse plötzlich um: Am empfindlichsten sind die Koniferen, gefolgt von den Laubhölzern und schliesslich den landwirtschaftlichen Pflanzen.

Scheint ebenfalls plausibel. Nur, was gilt jetzt?

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78 _ . FORUM für Wissen Werner Landolt

Dosis- und konzentrationsabhängige Photosyntheseeinbussen nach 03-Beg

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Betrachtet man die für die obige Diskussion verwendeten Daten, so sieht man, dass letztere Aussage nur möglich wurde, wenn man die Daten jener Experimente mitverwendet, wo Koniferen mit unrealistisch hohen Ozonkon- zentrationen begast wurden. Mit umweltrele- vanten Konzentrationen war bei den Koniferen nur ein sehr geringer Ozoneffekt feststellbar und daher der Extrapolationsfehler sehr gross.

Dieses Beispiel lehrt zweierlei: zum einen, wie leicht Argumente ins .Gegenteil verkehrt wer- den können und zum anderen, wie wichtig es ist, sich auf die.gewissen Aussagen zugrundelie- genden Daten abzustützen und sich :daraus eine eigene Meinung zu bilden. Plausibilität allein ist ein schlechter Ratgeber.

Schlussfolgerungen

Die obigen Beispiele zeigen, dass unsere Kenntnisse bezüglich .immissionsbedingter Schädigungen in schweizerischen Wäldern mit grossen Unsicherheiten behaftet sind. In so komplexen Systemen stossen wir mit unserer Beweisführung immer wieder-an Grenzen.

Eine Ursachenforschung hat nur dann Aus- sicht auf Erfolg,'wenn gewisse Bedingungen erfülltisind. Dazu gehört eine gute Beobachtung

der Schädigungssymptome zusammen mit den in Frage kommenden Ursachenfaktoren und deren räumlicher- und zeitlicher Variation. Gerade in dieser Beziehung besitzen wir nur wenig gesi- cherte Daten. Selbst über die Wirkungen relativ einfacher Witterungsparameter auf das Symp- tom des Blatt- und Nadelverlustes wissen wir nur wenig. Erst wenn die normalen Reaktionen eines Okosystems auf natürliche Umweltfakto- ren bekannt sind, können dessen Störungen mit genügender Sicherheit erkannt und aufgeklärt werden.

Die experimentell erhobenen Daten können das Kenntnisdefizit über den Wald allein nicht auffüllen. Ihnen fehlt vielfach die Beweiskraft, die ihnen zugeschrieben wird. Aufgabe solcher Untersuchungen ist primär die Verbreiterung und Vertiefung unseres Wissens über Schädi- gungsprozesse in Pflanzen. Sie helfen mit, Modellvorstellungen 1 über mögliche Schädi- gungsmechanismen zu entwickeln und damit komplexe.Prozesse einfacher und verständli- cher zu beschreiben. Aufgrund dieser Kennt- nisse können verschiedene Szenarien erstellt werden. Ob und welche__dieser Szenarien aber zutreffen, kanninur das Okosystem Wald selbst

beantworten. 1

Trotz dieser Einschränkungen besitzen wir heute genügend Hinweise, dass die in vielen

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FORUM für Wissen Werner` Landolt

Gebieten auftretenden Ozonkonzentrationen die Toxizitätsschwelle für empfindliche Pflan- zen bereits überschritten haben oder sehr nahe daran sind. In anderen Fällen wie den Säure- oder Stickstoffeinträgen sinddie möglichen Folgen für einzelne Standorte heute noch

ungewíss. __

Die vielfachen Wechselwirkungen im Oko- system Wald bringen es mit sich, dass wir wahr- scheinlich noch längere Zeit mit diesen Unsi- cherheiten werden leben müssen. An Stelle von

«Beweisen›› sollten daher vermehrt Risiko- betrachtungen treten, nicht nur bei der Planung wissenschaftlicher Arbeiten, sondern auch in der Umsetzung der entsprechenden Resultate in der Umweltpolitik und Medienarbeit. '

Literatur

GUDERIAN ,R, 1978: Wirkungen sauerstoffhaltiger Schwefelverbindungen, Einführung. VDI-Berichte

Nr. 314, 207-217. '

GUDERIAN ,R.; BALLACI-I, H.-J., 19892 Aufgaben

und Probleme der Wirkungsforschung als Grundlage für den praktischen Immissionsschutz. Verhandlun- gen der Gesellschaft für Okologie (Essen), Band XVIII, 289-297.

LAST, F.T.; FOWLER, D.; FREER-SMITH, P.H., 1984: Die Postulate von Koch und die Luftver- schmutzung. Forstw. Cbl. 103: 28-48.

PFISTER F.; KEMPF, A.: OESTER, B., 1986: Bedeu- tung der Bestandesenfwiicklungi für den «Fall Schutzwald Bristen››. Schweiz. Z. Forstwes. 137: 594-

606. J

PYE, J.M., 1988: Impact of ozone on the growth and yield of trees: a review. J. Environ. Qual. 17: 347-360.

REICH, PB., 1987: Quantifying plant response to ozone: a unifying theory. Tree Physiology 3: 63-91.

ROTH, C., 1949: Die Umwandlung nicht standorts- gemässer Nadelwaldungen im Aargau. Schweiz. Z.

Forstwes. 100: 253-282. .

SCHWEINGRUBER, F.H., 1989:.Lässt sich fehlendes Datenmaterial zur Waldschadensituation anhand von Postkarten ergänzen? Grundlagen zur Analyse von 'modernen und alten Ansichtskarten. AFZ 44: 266-

268.

SEIBT, G., 1986: Anfänge komplexer Waldschäden in Sachsen. Entstehung, Behandlung, heutige Bewer- tung. Forst und Holzwirt 41: 51-53. `

Referenzen

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