A 2340 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 44|
4. November 2011STUDIEN IM FOKUS
Der Blutfarbstoff Bilirubin gilt als endogenes Antioxydans mit protek- tiven Effekten auf kardiovaskuläre Erkrankungen. Daten der populati- onsbasierten japanischen Hisaya- ma-Studie zufolge schützt Bilirubin offenbar auch vor der Manifestation einer diabetischen Retinopathie.
Von den 1 672 untersuchten Pro- banden der Erhebung (alle älter als 40 Jahre) waren 4,2 % Diabetiker.
Für die Prävalenz einer diabeti- schen Retinopathie ergab sich ein auffallender Zusammenhang mit dem Bilirubin-Spiegel der Teilneh- mer. Jene diabetischen Patienten, die in der höchsten Bilirubin-Quar- tile (0,9 mg/dL und mehr) lagen,
hatten eine Retinopathie-Prävalenz von 2,7 %. Diabetische Probanden in den nächsten drei Bilirubin- Quartilen hatten in 3,4 %, 5,1 % und 5,1 % der Fälle eine Retinopa- thie (die Quartile mit dem niedrigs- ten Bilirubin erfasste Blutspiegel unter 0,6 mg/dL). Nach statistischer Bereinigung für Alter und andere Risikofaktoren wie Blutdruck, Blutfette und Blutglukose ließ sich feststellen: Diabetiker in der höchs- ten Bilirubin-Quartile haben gegen- über der Quartile mit einem Biliru- bin von weniger als 0,6 mg/dL ein um 75 % reduziertes Risiko, eine diabetische Retinopathie zu entwi- ckeln.
Fazit: Bilirubin wirkt einer aktuel- len japanischen Studie zufolge retinaprotektiv , ohne dass die Me- chanismen für den Schutzeffekt aufgeklärt wären. Eine zumindest plausible Erklärung bieten die Au- toren an: Da der Blutfarbstoff auch antiinflammatorisch wirkt, könnte er oxydativem Stress entgegenwir- ken und damit den Entzündungs- prozessen, die zur Pathogenese der diabetischen Retinopathie maßgeb- lich beitragen.
Ob diese Entdeckung Implikatio- nen für künftige Therapieansätze oder für die Prophylaxe der diabeti- schen Retinopathie hat, ist derzeit noch offen. Dr. med. Ronald Gerste
Yasuda M, et al.: High serum bilirubin levels and diabetic retinopathy. The Hisayama Study.
Ophthalmology 2011; 118: 1423–8.
DIABETES MELLITUS
Hochnormale Bilirubin-Werte schützen vor Retinopa- thie
Vor allem ältere Frauen leiden häu- figer unter Hypothyreose. Sie erhal- ten dann Levothyroxin. In einer po- pulationsbasierten, retrospektiven kanadischen Kohortenstudie wurde untersucht, ob eine Levothyroxin- Substitution das Frakturrisiko er- höht. 213 511 Einwohner zwischen 70 und 105 Jahren, die zwischen 2002 und 2007 mindestens einmal Levothyroxin erhalten hatten, wur- den rekrutiert. Primärer Endpunkt war die Gesamtfrakturrate. Brüche als Folge von Traumata, Anfällen oder Malignomen waren ausge- schlossen. Jedem Patienten mit Fraktur wurde ein gematchter Kon- trollpatient zugeordnet.
Die mediane Nachbeobachtungs- zeit betrug 3,83 Jahre. Bei 22 236 (10,4 %) Personen, davon 88 % Frauen, kam es zu Frakturen. Von diesen nahmen aktuell 20 514 Pa- tienten (92,3 %) Levothyroxin, und zwar 15 % in niedriger Dosis (0,046 mg/Tag), 53,2 % in mittlerer (0,076 mg/Tag) und 31,8 % in ho-
her Dosierung (0,122 mg/Tag). Im Vergleich zu Personen, die die Le- vothyroxin-Substitution vor mehr als 180 Tagen beendet hatten, war das Frakturrisiko bei aktueller und kurz zurückliegender Einnahme (vor 15 bis 180 Tagen) signifikant erhöht (Odds-Ratio 1,88 vs. 1,33), und zwar dosisabhängig und für Frauen größer als für Männer. Bei höheren Levothyroxin-Dosen tritt häufiger eine iatrogene Hyperthy- reose auf, die mit verminderter Knochenqualität und -dichte asso- ziiert ist. Auch erhöht ein hoher Schilddrüsenhormonspiegel das Ri- siko von Arrhythmien und Muskel- schwäche bei Älteren, was wieder- um zu einem erhöhten Sturzrisiko beiträgt. Die starke Risikoerhöhung bei Frauen lässt sich mit ge- schlechtsspezifischen Differenzen in Körpergröße, Körpergewicht und Pharmakokinetik erklären. Ältere Menschen benötigen relativ geringe Levothyroxin-Dosen, da mit stei- gendem Alter Produktion, Sekreti-
on und Abbau der Schilddrüsenhor- mone abnehmen. Allerdings wurde in der Studie kein TSH gemessen, höhere Levothyroxin-Dosen führen möglicherweise zu erniedrigtem TSH. Prof. Dr. med. Peter Nawroth, Heidelberg, weist darauf hin, dass den Leitlinien der Deutschen Ge- sellschaft für Endokrinologie zu - folge der TSH-Wert regelmäßig gemessen werden sollte, da TSH nicht supprimiert werden darf.
Fazit: Die Studie ergab, dass eine Levothyroxin-Substitution das Frak - turrisiko dosisabhängig erhöhen kann. Nach Einschätzung von Prof.
Dr. med. Nawroth ist die Studie je- doch nicht sinnvoll konzipiert, weil sie nur auf der Dosis, nicht auf den Folgen der Levothyroxin- Substitution basiere. Würden die TSH-Werte entsprechend den Em p - fehlungen der Fachgesellschaft kontrolliert, gebe es bei der Hor- mongabe keine Probleme.
Dr. rer. nat. Susanne Heinzl
Turner MR, et al.: Levothyroxine dose and risk of fractures in older adults: nested case-con- trol study. BMJ 2011; 342: d2238 doi:10.1136/bmj.d2238.
HYPOTHYREOSE IM HÖHEREN LEBENSALTER