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Archiv "Studie „Sofortprogramm Bitterfeld“: Breites Spektrum von schädigenden Wirkungen auf die Bevölkerung" (20.03.1992)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

KURZBERICHTE

I

m Zusammenhang mit umfang- reichen Sanierungsvorhaben in der Region Bitterfeld sollte eine möglichst komplexe Einschätzung des Gesundheitszustandes der Bit- terfelder Bevölkerung auf der Grundlage von Metaanalysen von Feldstudien an Kinderkollektiven, verfügbarer Daten des Gesundheits- wesens sowie ergänzender Pilotun- tersuchungen erarbeitet werden. Im einzelnen handelte es sich dabei um die Feldstudien 1968 und 1978-1988, arbeitsmedizinische Reihenunter- suchungen, Pilotuntersuchungen und Fragebogenerhebungen ausge- wählter Bevölkerungsgruppen sowie die Aufbereitung der Mortalitäts- und der Krebsstatistik.

Der Landkreis mit seinen Zen- tren Bitterfeld und Wolfen ist ein Ballungsgebiet der chemischen Indu- strie und der Kohleverarbeitung.

Der weitaus größte Teil der Bevölke- rung lebt in Gebieten mit einer im Jahresdurchschnitt zwei- bis dreifa- chen Überschreitung der MIK-Wer- te für SO 2 und Staub. Die chemische Industrie bedingt eine Vielzahl von Belastungen durch Zwischen- und Endprodukte der chemischen Pro- zesse, die durch Leckagen und feh- lende Rückhaltevorrichtungen spo- radisch oder zum Teil auch ständig in die Umwelt gelangt sind. Daneben ist von einer ständigen emissionsbe- dingten Belastung des Bodens und Wassers sowie von den Auswirkun- gen der über 100 Kilotonnen be- kannten Chemieabfälle als Deponie- altlasten auszugehen. Auffallend wa- ren bei der Fragebogenauswertung

die gehäuften Angaben zur Belästi- gung durch Fremdkörper im Auge sowie zur erhöhten Anzahl von Kon- junktivitiden, beides zweifelsfrei Fol- ge der erheblichen Staubexposition.

Folge der Irritation des Atemtrakts

Anamnestisch gehäuft auftre- tende Rhinitiden, Anginen, Husten und Bronchitiden besonders im Bit- terfelder Raum müssen sicher als Folge der Irritation des Atemtraktes und als erste Ansätze für die Bah- nung von Allergien beurteilt werden.

Ebenso wie andere Untersucher (R. Dolgner et al., 1980) fanden wir in Bitterfeld einen signifikant gerin- geren Prozentsatz von Normalbefun- den an Tonsillen, Konjunktiven, Halslymphknoten und Lungen. Uber 80 Prozent der Rostocker Kinder hatten in drei Untersuchungsjahren einen Normalbefund der Konjunkti- ven; in Bitterfeld waren es nur zehn Prozent. Analoge Aussagen brachten die Untersuchungen von Tonsillen, Halslymphknoten und Lunge. Die Ergebnisse weisen auf eine höhere Frequenz infektbedingter Erkran- kungen der oberen Atemwege (ver- größerte Tonsillen und Halslymph- knoten, verschärftes Atemgeräusch) sowie eine größere Staubexposition (häufiger Konjunktivitis) in der Bela- stungsregion hin.

Zur Beurteilung der körperli- chen Entwicklung von Kindern ha- ben wir einfache Parameter wie Kör- perhöhe, Körpermasse, Brustumfang

und darüber hinaus das Knochenal- ter herangezogen. Neben einem ge- ringeren Längenwachstum konnte in Übereinstimmung mit tschechischen Autoren (L. Pelech, 1980, und L. Pe- lech et al., 1985) eine Beeinträchti- gung der körperlichen Entwicklung von umweltbelasteten Kindern durch die Untersuchung des Knochenalters bestätigt werden. Ebenso wie sie be- obachteten wir eine positive Korrela- tion zwischen Staubbelastung und Retardierung des Knochenalters bei unseren Untersuchungen in Bitter- feld. Anhand der Untersuchungen 1968 (P. Grosser) und 1978 (U. Thie- lebeule) konnten bereits bei Messun- gen mittels geeichtem Spirometer deutliche Unterschiede bei der stan- dardisierten FVC und bei FEV i zwi- schen Bitterfeld und dem Kontroll- gebiet festgestellt werden.

Zu gleichen Ergebnissen kamen H. Herrmann (1983) und H. H. Thie- mann (1983). Wesentlich deutlicher wurden die Befunde bei Betrachtung der Entwicklung innerhalb der Ko- horte von 1981 bis 1983. Signifikante Unterschiede wurden erst mit zuneh- mendem Alter in der 4. Klasse ge- funden. Wenn man die Ergebnisse arbeitsmedizinischer Untersuchun- gen damit in Beziehung setzt, dann wird durch die von Altersstufe zu Al- tersstufe zunehmende Punktpräva- lenz von Erkrankungen der Atemor- gane die Bedeutung der Lungen- funktionsergebnisse für Hinweise auf die Entstehung von Prämorbidi- tät unterstrichen.

In Übereinstimmung mit ande- ren Arbeitsgruppen (L. Pelech, 1982, 1985; H.-W. Schlipköter et al., 1984;

P. Schmidt et al., 1984) fanden wir verminderte Erythrozytenzahlen so- wie verminderten Hämoglobingehalt und Hämatokrit bei den Bitterfelder Kindern.

Obwohl es sich bei all diesen Be- funden scheinbar um Abweichungen innerhalb der sehr breit gefächerten physiologischen Norm handelt, wird deutlich, daß sich der kindliche Or- ganismus mit einer vom Optimum stark abweichenden Umwelt ausein- andersetzt. Wir konnten nachweisen, daß diese Auseinandersetzung er- zwungen ist, da eine „Normalisie- rung" vorher abweichender Parame- ter unter den Bedingungen einer

Studie „Sofortprogramm Bitterfeld"

Breites Spektrum von schädigenden Wirkungen auf die Bevölkerung

Die Region Bitterfeld, durch die chemische Industrie sowie die Kohleverarbeitung der früheren DDR schwer belastet, muß sa- niert werden. Die umweltmedizinische Notwendigkeit geplanter Maßnahmen unterstreicht eine umweltepidemiologische Studie

„Sofortprogramm Bitterfeld". Sie wurde als Forschungsbericht im Auftrag des Berliner Umweltbundesamtes von Prof. Dr. Uwe Thie- lebeule, Rostock, und anderen Wissenschaftlern erarbeitet.

Dt. Ärztebl. 89, Heft 12, 20. März 1992 (23) A1-987

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Reinluftkur meßbar wurde (U. Thie- lebeule, 1983, Chr. Hülsse, 1986).

R. Ebert und Mitarbeiter (1990) kamen mit ihren Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß sich von Alters- stufe zu Altersstufe die Behand- lungsbedürftigkeit der Bitterfelder Arbeitnehmer deutlich erhöht und diese signifikant über dem Bezirks- durchschnitt Halle liegt. Eine we- sentliche Ursache liegt ebenso wie bei den Berufserkrankungen darin, daß der überwiegende Anteil der durch Reihenuntersuchungen erfaß- ten Werktätigen in den beiden che- mischen Großbetrieben des Kreises beschäftigt ist. Sie kommen damit in vielfältiger Weise mit chemischen Schadstoffen in Berührung. Darüber hinaus muß berücksichtigt werden, daß an vielen Arbeitsplätzen der technisch desolaten Chemieindustrie Überbelastungen, insbesondere auch durch körperlich schwere Arbeit be- ziehungsweise durch Zwangshaltun- gen, die Regel waren.

Betrachtet man letztlich die Le- benserwartung als Ausdruck der durch viele Faktoren beeinflußten Nutzung des genetischen Potentials für Leistung und ein langes Leben, dann findet man die oben beschrie- benen Beeinträchtigungen des Ge- sundheitszustandes noch nicht in dem zu erwartenden Maße widerge- spiegelt: Bei der auf die Sterblich- keitsverhältnisse von 1988 errechne- ten ferneren Lebenserwartung der Null- bis unter Einjährigen nimmt Bitterfeld mit 69,76 Jahren bei Män- nern den 5. Platz im Bezirk Halle (69,21 Jahre) ein, bei Frauen aller- dings den untersten Platz mit 75,26 Jahren (Bezirk: 75,51 Jahre). Beim Vergleich mit den wenig umweltbe- lasteten Kreisen Wismar Stadt und Land sowie dem Gesamtbezirk Ro- stock ist die Lebenserwartung der Männer in Bitterfeld deutlich höher, während sie bei den Frauen deutlich niedriger als in Wismar und dem Be- zirk Rostock liegt.

Damit scheint sich insbesondere bei den Frauen die Mehrfachbela- stung durch die Umweltsituation am Arbeitsplatz und in der häuslichen Umgebung sowie die zusätzliche Be- lastung durch die Versorgung der Familie negativ auszuwirken, wäh- rend bei Männern das bereits von P.

Giersdorf und R. Lorenz (1986) be- schriebene Süd-Nord-Gefälle bestä- tigt wird. W. Mey (1990) weist darauf hin, daß neben den Umwelteinflüs- sen mit Sicherheit in starkem Maße auch psychosoziale Faktoren wirken:

Nur so sind wahrscheinlich die er- heblichen Unterschiede an den Grenzen BRD/ehemalige DDR/

CSFR interpretierbar.

Dr. Ingeborg Retzlaff, Präsiden- tin der Ärztekammer Schleswig-Hol- stein, machte aus ihrer Freude kein Hehl: Es sei schon etwas Besonde- res, daß es in der langen Geschichte der Standesvertretung nun einen Ausschuß und eine Ständige Konfe- renz „Ärztinnen" gebe. Während der Ausschuß sich Ende November kon- stituierte und nun zum zweiten Mal tagte, traf sich die Ständige Konfe- renz Ende Februar zur ersten Sit- zung bei der Bundesärztekammer in Köln. Beide Gremien werden auch in Zukunft einmal jährlich gemein- sam über berufsspezifische Anliegen von Ärztinnen beraten. Ein Aus- schuß — nur so viel zum Gremien- Einmaleins — wird vom Vorstand der Bundesärztekammer berufen und soll diesen beraten. Eine Ständi- ge Konferenz ist ein größeres Gremi- um, in das die Landesärztekammern Vertreter entsenden, um ihre Zu- sammenarbeit zu koordinieren. Etli- che Landesärztekammern haben be- reits eigene Ausschüsse „Ärztinnen".

Stichwort „Teilzeit"

Folgerichtig nutzten die Frauen in Köln die Chance der ersten Kon- ferenz, um vorzustellen, was sich quasi vor der eigenen Haustür für Kolleginnen getan hat und woran es noch mangelt. Ausführlicher disku- tiert wurden Möglichkeiten der Teil- zeitarbeit und Teilzeit-Weiterbil- dung. Einhellig lehnten die Ärztin- nen den Passus in der 7. Korrektur- fassung des Arbeitsentwurfs der No- vellierung der (Muster-)Weiterbil- dungsordnung ab, in dem es heißt:

„Wenn eine ganztägige Weiterbil-

Prof. Dr. Uwe Thielebeule Universität Rostock Institut für Hygiene Schillingallee 70 0-2500 Rostock

Der vollständige Forschungsbericht ist in der Reihe „Texte" des Bundesumweltamtes unter der Nummer 41/91 erschienen (152 Seiten). Die zitierte Literatur kann dem Bericht entnommen oder beim Verfasser angefordert werden.

dung nicht möglich ist, kann die Wei- terbildung in Teilzeit, mindestens aber halbtägig erfolgen, sofern nicht für bestimmte Weiterbildungsab- schnitte eine ganztägige Weiterbil- dung vorgesehen ist." Eine Weiter- bildung sei halbtags in operativen Fächern einfach nicht möglich, sagte Dr. Renate Schuster (Neuenhagen).

Nach Ansicht von Dr. Vera John-Mi- kolajewski (Mülheim/Ruhr) ist in er- ster Linie der Inhalt der Qualifikati- on entscheidend. Ein Modell mit ei- ner täglichen Arbeitszeit von vier Stunden könne keine vernünftige Weiterbildung garantieren, weil zum Beispiel Nachtdienste nicht abge- deckt seien. Statt dessen sollten ge- staffelte Dienstzeiten mit anschlie- ßenden freien Tagen bevorzugt wer- den. Die Ständige Konferenz will des- halb „mindestens aber halbtägig"

durch „in der halben Zeit der Arbeits- woche" ersetzt haben.

Thema war auch die Wiederein- gliederung von Ärztinnen ins Berufs- leben. Dr. Petra S. Börner-Klimesch (Tübingen) berichtete, mit großer Be- geisterung hätten Ärztinnen an einem Lehrgang für berufliche Wiederein- gliederung teilgenommen. Dr. Rieke Alten (Berlin) bestätigte diese positi- ven Erfahrungen.

Darüber hinaus diskutierten die Ärztinnen über folgende Themen:

• Dauerassistenz in Praxen;

• Einrichtung eines Budgets in Krankenhäusern, um damit Schwan- gerschaftsvertretungen zu bezahlen;

• Abschaffung der Wechsel- pflicht in der Weiterbildungsord- nung;

• beitragsfreie Anrechnung der Kinderbetreuungszeit in den Versor- gungswerken der Kammern. Kli/th

Ärztinnen: Treffen in eigener Sache

A1-988 (24) Dt. Ärztebl. 89, Heft 12, 20. März 1992

Referenzen

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