Der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. hat am 17.
und 18. April 1996 in Bonn ein Sym- posium unter dem Titel „Was ist Sache in Sachen Gentechnik“ veranstaltet.
Das unter der Schirmherrschaft von Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers abgehaltene Treffen befaßte sich hauptsächlich mit der Definition von gentechnisch veränderten Nahrungs- mitteln und deren Anwendung.
G
entechnisch hergestellte Le- bensmittel können in drei Ka- tegorien unterteilt werden.Zur ersten Gruppe gehören Nahrungsmittel, die aus gentechnisch veränderten Organismen (GVO) be- stehen, wie zum Beispiel gentech- nisch veränderte Tomaten, die eine längere Lagerfähigkeit besitzen, oder genmanipulierter und dadurch schäd- lingsresistenter Mais.
Eine weitere Kategorie beinhal- tet Nahrung, die lebende GVO ent- hält. Hier sei als Beispiel Joghurt mit entsprechend veränderten Milchsäu- rebakterien genannt.
Die dritte Gruppe umfaßt isolier- te oder verarbeitete Produkte aus GVO. Hierzu zählen gentechnisch hergestellte Aminosäuren, Enzyme oder Vitamine, die von den sie her- stellenden Organismen – in den mei- sten Fällen handelt es sich um Bakte- rien – getrennt werden. Somit werden nur die Produkte und nicht die GVO mit der Nahrung aufgenommen. Wei- terhin gehören hierzu Zucker aus gentechnisch veränderten Zuckerrü- ben wie auch hydrolysierte Stärke, ge- wonnen mit Hilfe von gentechnisch produzierten Enzymen wie Alpha- Amylase. Zu dieser Kategorie wer- den auch Nahrungsmittel gezählt, die inaktivierte GVO enthalten. Dies ist
unter anderem der Fall bei Ketchup aus transgenen Tomaten, Brot mit genmanipulierter Hefe und pasteuri- siertem Joghurt. Die Klassifizierung in verschiedene Kategorien von gen- technisch veränderten Nahrungsmit- teln spiegelt die potentiell weitge- fächerte Anwendung dieser neuen Technologie wider wie auch die Schwierigkeit einer Definition, was als gentechnisch hergestelltes Nah- rungsmittel bezeichnet werden soll.
Die Problematik wird an folgen- dem Beispiel deutlich. Aufgrund der starken Ernteeinbußen der Zuckerrü- be durch eine Viruskrankheit (Rizo- mania oder Wurzelbärtigkeit) wurden Zuckerrüben hergestellt, die das Vi- rushüllprotein exprimieren und damit gegen das Virus resistent sind. Die Zuckerrüben werden einerseits als Viehfutter und andererseits für die Rohrzuckerproduktion verwendet.
Somit ist das Tierfutter ein Produkt von lebenden GVO, womit sich die Frage stellt, ob und wie die entspre- chenden Tiere beziehungsweise die daraus folgenden Produkte gekenn- zeichnet werden sollen.
Produktionsverfahren erschweren Definition
In der Zuckerproduktion auf der anderen Seite wird sehr effizient der Zucker von den restlichen Rübenbe- standteilen getrennt, so daß kein nachweisbares gentechnisches Mate- rial im Endprodukt vorhanden ist und sich dieses Produkt nicht von dem auf konventionellem Wege hergestellten unterscheidet. Die Frage, die sich für die Nahrungsmittelproduktion stellt, ist, welche der hier genannten Pro- dukte als gentechnisch erzeugt ge- kennzeichnet werden sollen: das Viehfutter, das damit gefütterte Tier und die hieraus produzierten Lebens- mittel – oder der Zucker und die wei- terführenden Folgeprodukte?
Dies ist die Kernproblematik, die in der „Novel Food“ Verordnung der Europäischen Gemeinschaft seit ge- raumer Zeit heftig und kontrovers diskutiert wird. Neben der Frage, wel- che Art von Produkten gekennzeich- net werden soll, spielt das Wie eine entscheidende Rolle. So reichen die Vorschläge für die Kennzeichnung von der Erwähnung der unmittelba- ren gentechnischen Produktion auf der Liste der Inhaltsstoffe bis zu In- formationen vom Umfang eines Bei- packzettels. Eine detaillierte Infor- mation ist in einigen Fällen allerdings auch sehr ratsam. So wurde in den USA eine transgene Sojabohne mit einem Paranußgen hergestellt, um den Gehalt einer essentiellen Ami- nosäure im Produkt zu erhöhen. Tests zur Nahrungsmittelverträglichkeit zeigten überraschenderweise, daß Personen mit einer Paranußallergie auch auf dieses Produkt allergisch reagierten, was für die betroffenen Allergiker unter Umständen tödliche Konsequenzen hätte haben können.
Ein weiterer Punkt, der medizinisch von Interesse sein könnte, besteht in Antibiotikaresistenzen, die wegen der Klonierungsstrategie in den GVO vorkommen. Obwohl hier keine Resi- stenzgene gegen Antibiotika benutzt werden, die beim Menschen verwen- det werden, besteht zumindest theo- retisch die Gefahr, daß pathogene Keime oder die Bakterien der Darm- flora die entsprechenden Resistenzen aufnehmen, wenn ein derartiger Se- lektionsdruck, das heißt eine Antibio- tikabehandlung, vorliegt.
Dieses Beispiel dokumentiert, daß die Verwendung von GVO un- vorhergesehene Konsequenzen für den Konsumenten haben kann. Dem- entsprechend aufwendig sind auch die Studien, die in den USA von den ent- sprechenden Firmen vor der Ver- marktung ihrer gentechnisch verän- derten Produkte durchgeführt wer- den. Gentechnisch veränderte Nah- rungsmittel werden, allein schon auf- grund der Globalisierung der Märkte, auch in Deutschland zunehmen. Nur müssen die Folgen für Mensch und Umwelt sehr genau untersucht wer- den. Überstürzte oder zu laxe Geneh- migungen für solche Produkte könn- ten fatale Folgen haben.
Dr. Stephan Mertens A-1180 (40) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 18, 3. Mai 1996
T H E M E N D E R Z E I T TAGUNGSBERICHT